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Irgendwie war das für mich ganz wichtig, Moritz auch im Dorfblatt nochmal zu finden.

Hallo Pirko,
Gerne schreibe ich Dir über Moritz. Das damals mit dem Dorfblatt war so: Das ist eine Zeitung, die einmal in der Woche erscheint. Und in jeder Ausgabe stehen die „Standesamtlichen Nachrichten“. Da wird erwähnt wer geboren bzw. gestorben ist. Moritz ist ja nun im November gestorben. Doch wurde er dort nie erwähnt. Das machte mich sehr traurig und zornig. Ist er nicht schon tot genug, muß er auch noch totgeschwiegen werden von irgendwelchen Ignoranten??

Ich rief also bei dem Blatt an. Dort hieß es, daß sie nur das schreiben, was vom Standesamt angegeben wird. Also rief ich auf dem Standesamt an. Da Moritz in einer anderen Stadt geboren ist (wir wohnen in einem Dorf), ist er natürlich auch in dem Standesamt der größeren Stadt angemeldet worden. Von diesem Standesamt haben wir auch den Eintrag in unser Stammbuch erhalten. Nun sagten aber die Mitarbeiter unseres Standesamtes, daß sie offiziell eigentlich gar nichts von Moritz wissen dürften, da es ja nur das Standesamt der großeren Stadt betreffen würde! Daher könnten sie Moritz auch nicht in der Zeitung erwähnen lassen. Da fragte ich dann nur warum ich den dann so hohe Bestattungsgebühren zahlen müßte für ein Kind, daß ihrer Meinung nach gar nicht geboren wurde?!? Stinksauer beendete ich das Gespräch und nahm mir vor einen Leserbrief zu schreiben.

Am Nachmittag des gleichen Tages riefen die wieder an und sagten sie haben es sich überlegt und sie würde es an das Blatt weiterleiten. Ich freute mich riesig. Doch am nächsten Morgen rief dann wieder diese unmögliche Dame vom Blatt an. „Das können wir nicht schreiben!“ „Wir können das Kind doch nicht unter Geburten melden!“ . Unter den Verstorbenen wollte sie ihn aber auch nicht erwähnen, da die immer in Klammer schreiben wie alt der Verstorbene war, und da wüßte sie ja nicht was sie schreiben soll. Außerdem würden sich doch dann die Leute beschweren!!! Dann fragte sie mich noch allen Ernstes ob ich denn das Blatt überhaupt abonniert hätte!! Was soll das denn? Werden nur die Verstorbenen erwähnt die ein Abo hatten!!!!

Ich fuhr dann zu Hochtouren auf. Das wollte ich mir nicht gefallen lassen. Das wollte ich für Moritz noch tun. Ich sagte, daß ich dann eine Privatanzeige schalten würde, in der ich erwähnen würde, daß das Blatt mein Kind totschweigt. Und siehe da, nur wenige Tage später wurde Moritz erwähnt. „Moritz Schröder, Wohnort, Straße ( geboren und verstorben am 06.11.2002). Tags darauf rief die „nette “ Dame wieder an und wollte wissen, ob ich denn nun endlich zufrieden sei. Ich sagte dann nur das das ja nur mehr als Recht ist und das es selbstverständlich sein sollte so etwas abzudrucken.
Lobend muß ich aber wirklich die Stadtverwaltung/ Standesamt erwähnen. Nach anfänglichem Zögern machten sie es ohne Probleme möglich.

Irgendwie war das für mich ganz wichtig Moritz dort nochmal zu finden. Es war zwar am 09.11.2002 eine Todesanzeige geschaltet (in der Regionalen Tageszeitung) aber ich wollte es aber auch in dem Dorfblatt stehen haben. Und vielleicht habe ich nun zumindest einigen wenigen die Augen geöffnet und habe für Eltern denen vielleicht (hoffentlich nicht) das gleiche passiert ein wenig den Weg geebnet.

http://www.moritz-schroeder.beep.de

Viele liebe Grüße
Claudia

Pauls Geschichte

Mir geht der Name jetzt schon leichter über die Lippen,aber für viele ist Paul eben kein Lebendiger Mensch gewesen, und deshalb haben sie auch keinen Bezug zu ihm.

Liebe Pirko,

erst mal möchte ich Dir sagen, das ich mich sehr freue, etwas über Paul schreiben zu dürfen.

Denn mittlerweile möchte keiner mehr über ihn reden. Das macht mich sehr traurig, aber damit müssen wir wohl alle leben. Mir geht der Name jetzt schon leichter über die Lippen,aber für viele ist Paul eben kein Lebendiger Mensch gewesen, und deshalb haben sie auch keinen Bezug zu ihm.

Sein ganzes Leben war still und unscheinbar. In der Zeit im Bauch hat er sich still verhalten, sämtliche Anzeichen habe ich falsch gedeutet.

Ich hatte das Gefühl, ich muß irgendwas wieder gut machen. Ihm etwas Respekt zeigen, zeigen, das er für mich wichtig war, auch wenn ich erst wahrgenommen habe, das er da war, als es schon zu spät war.

Zum Zeitpunkt seiner Geburt stand ich total unter Schock, immerhin war ich allein auf unserer Toilette und habe keine Sekunde gedacht, das ich gleich ein winzig kleines Baby zu sehen bekomme. Dann habe ich nur noch die Tür von außen abgeschlossen, damit mein Sohn nicht auf die Idee kommt darein zu gehen. Zum Glück war mein Mann da, der sich dann um Simon gekümmert hat. Er hat ihn zum Bus gebracht, und ich bin darum gelaufen und habe irgendwie gar nichts richtig mitbekommen. Als mein Mann wiederkam hat er Paul dann aus der Toilette geholt, und ihn in eine Decke gewickelt. Mir tut es jetzt so leid, das ich ihn nicht richtig angesehen habe, nur ganz kurz und nicht fähig ihn zu berühren.

Im Krankenhaus dann der nächste Schock, von einer Station zur anderen sind wir geschickt worden, immer mit der Tasche, in der Paul war.

Bevor sie mich untersucht haben, musste ich in der Umkleidekabine warten, und habe gedacht, ich gehe schon mal ins Untersuchungszimmer. Da war gerade die Ärztin und eine Helferin dabei Paul auszupacken. Beide riefen nur ganz schnell, einen Moment noch.

Und ich, brav wieder zurück in die Kabine. Jetzt tut es mir so leid, wieder eine Gelegenheit verpasst, ihn noch zu sehen. Ich hörte nur, Oh, das ist aber schon ganz schön groß. Das wusste ich ja auch.

Nach der Untersuchung habe ich dann die Tasche wiedergesehen, in der wir Paul mitgenommen haben, mein Mann kam dann auch dazu und sagte nur, die Tasche steht ja immer noch hier, haben sie es noch nicht rausgenommen. Die Helferin sagte dann, Wir haben  es jetzt im Glas. So langsam kommt bei mir die Erinnerung zurück, das tut gut, aber auch weh. So viele verpasste Gelegenheiten.

Diese Anzeige hat Uschi am Tag von Paul´s Beerdigung in  die Zeitung gesetzt. Für sie war es noch ein Schritt, um zu zeigen, das es Paul wirklich  gab.

AnzeigePaulkl
Nachdem wir dann einen Brief aus der Pathologie erhalten hatten, habe ich mir überlegt, ob es wohl möglich ist, dort zu erfahren, was es war, ob Mädchen oder Junge, und ob die Möglichkeit besteht, das ich ihn noch mal sehen kann.

Nachdem sie mich dann darauf hingewiesen haben, das er ja in einer Alkohollösung liegt und auch schon untersucht wurde, haben sie gesagt, sie würden ihn herrichten, so gut es geht, und ich könnte ruhig kommen. Das war genau einen Monat später, ich habe dann eine gelbe Babydecke gekauft, die durchgeschnitten und auf eine Hälfte Paul gestickt, obwohl ich nicht sticken kann, finde ich sie eigentlich ganz schön.

Diese Fahrt nach Marburg habe ich dann alleine gemacht, weil mein Mann nicht mit wollte, aber für mich war es gut so. Ich wäre am liebsten wieder umgekehrt, als ich vor der Tür zur

Pathologie stand, aber dann machte schon ein Gehilfe die Tür auf. Er war sich erst nicht sicher, in welchem Rahmen ich ihn mir noch mal ansehen könnte, aber dann meinte er, gut dann machen wir es auch richtig. Er brachte ihn in einen Raum, in dem die Angehörigen  Abschied nehmen können, dort steht ein Kreuz mit zwei Kerzen, und Paul stand davor.

Das war erst mal ein Schock, ihn so im Glas zu sehen, aber er war einfach perfekt. Ein winzig kleines Baby, mit allem dran, nur noch wachsen hätte er müssen. Außerdem hatte ich ihn größer in Erinnerung.  Ich weiß nicht mehr, was ich alles zu ihm gesagt habe, es war sehr viel. Ich war lange allein mit ihm. Es war sehr schön, und hat mir ein bisschen von meinem inneren Frieden wieder gegeben.

Der Gehilfe sagte dann auch, die Decke wird dann unter das Glas gelegt, und bei der Beisetzung mitgegeben. Er erzählte mir dann noch, das es die vierte Beerdigung wäre, die jetzt stattfindet und das die Eltern damit sehr zufrieden wären.

Auf dem Weg nach Hause ging es mir dann auch richtig gut. Irgendwann kam dann der Gedanke, das ich das  doch nicht möchte, das mein Kind mit so vielen anderen zusammen Beerdigt wird. Wir haben dann hin und her überlegt, und eine Möglichkeit gefunden, ihn bei  uns auf dem Friedhof  beerdigen zu lassen. Im Grab von meinem Verstorbenen Bruder, das Grab ist nun auch schon 30 Jahre alt, und die Zeit wäre bald abgelaufen. Jetzt haben wir es noch mal für 30 Jahre gekauft.

Nachdem das klar war, haben wir in der Pathologie angerufen und gefragt, ob wir ihn selbst abholen können. Ging leider nicht, also haben wir einen Bestatter beauftragt, der erst einen normalen Kindersarg nehmen wollte, aber dann noch mit der Pathologie geredet hat, und ein kleines weißes Kästchen gefunden hat, gerade mal 35 Zentimeter lang. Aber das fand ich richtig schön.

Für mich war auch klar, das ein Pfarrer dabei sein muß. Also habe ich unseren angerufen und gefragt, ob er mit uns die Beisetzung gestaltet und vielleicht noch den Segen spricht. Seine Reaktion darauf war ganz toll, wir sollen ihm nur den Tag sagen, dann würde er es machen.

Vorher war er noch bei uns zum Trauergespräch, dabei hat er so schön gebetet für Paul und dabei auch seinen Namen genannt, das war so seltsam, das ein Mensch der Paul nicht kannte, über ihn spricht und für ihn betet.

Danach hatte ich zum ersten Mal das Gefühl, das Paul RICHTIG da war, er ist angenommen von Gott.

Unser Pfarrer hat auch dafür gesorgt, das bei der Beerdigung eine Viertelstunde die Kirchenglocken geläutet wurden. Das habe ich als so einen Respekt vor so einem kleinen Menschen empfunden,  den ich vorher noch nie gespürt habe. Ich hatte nun endlich das Gefühl, das es so richtig war, wie wir es gemacht hatten.

Am Sonntag nach der Beerdigung musste  unser Pfarrer ja als Amtshandlung die Beerdigung bekannt geben. Aber als er den kleinen Paul Balz in das Fürbittengebet aufgenommen hat, damit alle noch mal an ihn denken, da er schon sterben musste, ehe er geboren wurde. Das war so schön, alle in der Kirche haben noch mal an ihn gedacht, und Gott hat ihn in seinem Himmelreich aufgenommen.

Nach der Kirche sagte er zu mir,  ob es mir recht sei, das Pauls Beerdigung auch im Gemeindebrief bekanntgegeben wird. Und ob mir das recht war. Ich habe nur als gedacht, ja ja ja, Paul war wirklich da, er hat zwar nicht auf der Erde gelebt, aber in unseren Herzen lebt er weiter.

Beerdigungen
Kirchlich bestattet wurden in Rengershausen:
Am 09.05.03: Paul Balz (gestorben, ehe er geboren wurde)

Ich habe noch nie so auf diesen Gemeindebrief gewartet. Und als ich ihn in den Händen hielt, habe ich gedacht, das hat er aber schön geschrieben. Ich habe mich so gefreut und trotzdem musste ich weinen. Ich dachte nur, eigentlich gehörtest Du unter die Taufen und nicht unter Beerdigungen. Es war wirklich so, da war ein kleiner Junge mit Namen Paul, das war mein Sohn, der gestorben ist, ehe er geboren wurde.

Ich hoffe, liebe Pirko, das war jetzt nicht zu lang. Aber es hat richtig gut getan, das alles aufzuschreiben.

Liebe Grüße
Uschi

Starksein

E s wird Euch bestimmt auch schon passiert sein: Wenn Ihr erzählt, daß Ihr ein Kind – in der Schwangerschaft, während oder kurz nach der Geburt – verloren habt, plötzlich andere Frauen Tränen in die Augen schießen, sie weinen und sagen, ja ich habe auch ein Kind verloren. Frauen, die es sonst nie sagen würden, die aus einer Generation kommen, wo man niemals darüber spricht. Ich mußte erst meinen Sohn verlieren, um von meiner eigenen Mutter zu erfahren, daß ich noch einen weiteren großen Bruder habe, der irgendwann 1954 gestorben war. Mein Mutter weiß weder genau wann, noch in welcher Woche sie damals schwanger war. Nach ihren Erzählungen schätze ich so zwischen der 16. und 20. SSW. Weder ihre Eltern, noch ihre Geschwister wußten etwas davon. Als sie damals aus dem Krankenhaus kam, hatte sie einfach so getan, als wenn nichts gewesen wäre und genau dies verlangte sie offenbar auch von mir. Sie kam, wie die meisten, überhaupt nicht damit zurecht, daß ich so offen trauerte. Sie erwartete, daß ich mich so verhielt, wie sei es gelernt hatte: Sich zusammenzureißen, und wenn schon weinen, dann zu Hause, ganz allein für sich. Eben in ihren Augen “starksein”.

Zum Thema “starksein” gefällt mir ein Gedicht von Sascha Wagner, einer verwaisten Mutter, besonders.

Über das “Stark-Sein”

Viele Menschen sind überzeugt davon,
das stark und tapfer sein
bedeutet, an “etwas Anderes” zu denken,
nicht über Trauer zu sprechen.

Aber wir wisse – nicht wahr –
Daß ehrlich stark-und-tapfer-sein
Bedeutet,
an das Geschehene zu denken,
über das Geschehene zu sprechen,
bis unsere Trauer beginnt,
erträglich zu werden.

Das ist wirkliche Stärke.
Das ist wirklicher Mut.
Und nur so will
Stark-und-tapfer-sein
Uns zu Heilung tragen.

Natürlich, dieses gewünschte Verhalten ist für alle anderen am bequemsten: Sie werden nicht belästigt, es ist einfach, man schweigt über das Geschehene. Insbesondere läuft man dabei nicht Gefahr gefühlsmäßig mit einbezogen zu werden. Da unsere Gesellschaft ja verlernt hat, mit dem Tod, Sterben und insbesondere mit der eigenen Vergänglichkeit zu leben, haben viele ihre eigenen Trauer um den Verlust eines Menschen – sei es der Vater, Mutter oder Großeltern, einfach irgendwo weggesteckt und durch unsere Trauer könnte dies wieder hochgespült werden. Wir mit unserer offenen Trauer, die bereit sind, den mühsamen, aber lohenden Weg zu gehen, gefährden andere, die ihn nicht gegangen sind.

Mehrfach habe ich es erlebt, daß verwaiste Mütter, deren Kind schon vielen Jahren tot ist und die selbst sagten, sie seien darüber schnell hinweggekommen, plötzlich anfingen zu weinen, was ihnen sehr unangenehm war.

So wie es Sascha Wagner in ihren Gedicht beschreibt, meine auch ich, daß wir, die den Weg der Trauer gehen, und wissen, daß dies ein langer, dunkler und mühsamer Weg ist, mutig sind und Stärke zeigen.

Wer hat sie nicht erlebt, die Ausgrenzung, die Einsamkeit? Plötzlich waren alle weg – wie eine Explosion. Ursula Goldman-Posch schreibt hierzu in ihrem Buch “Wenn Mütter trauern”: “Das Unverständnis von Verwandten und Freunden sowie die mangelnden Kommunikationsmöglichkeiten mit den behandelnden Ärzten, die sie – wie mehrere Mütter formulierten – nach dem Babytod fast wie Aussätzige mieden, machen diese Trauer zum verschämten Schmerz innerhalb der eignen vier Wände.”

Und wenn man dann tatsächlich noch zeigte, daß man trauerte und sogar versuchte, von seinem Sohn zu erzählen, dann wurde die Einsamkeit noch größer. Es ist schon eigenartig, von meinem Vater, der vor 10 Jahren gestorben ist, darf ich erzählen – es gibt so viele schöne Geschichten von ihm zu erzählen und es ist einfach schön, sie zu erzählen oder zu hören, daß auch mein Bruder die gleichen Geschichten von ihm erzählt – , aber wenn ich anfange von meiner ersten Schwangerschaft zu erzählen, dann wird plötzlich das Thema gewechselt oder ich werde mit entsetzen Augen angesehen. Von Tobias direkt zu erzählen, habe ich bereits in meiner Familie aufgegeben. Für sie existiert er gar nicht. Selbst die wenigen Erinnerungen, die wir haben, dürfen wir mit niemanden teilen.

Wahrscheinlich ist genau dies der Grund, warum wir Eltern, die ihr Baby verloren haben, so viel im Internet vertreten sind, warum gerade für unsere Kinder so viele Seiten gestaltet wurden, gerade wir das Bedürfnis haben, ein Raum für unserer Trauer zu finden und natürlich an dieser Situation etwas ändern wollen.

Dabei hat sich – jedenfalls in vielen Krankenhäusern – bereits einiges getan, wenn man dies mit der Situation vor vielleicht 10 Jahren vergleicht. Ich wußte zwar sofort, daß ich meinen Sohn nicht nur sehen, sondern auch in den Arm nehmen wollte, doch vor Jahren, hätte man mir dies sicherlich versucht auszureden. Seitdem ich die Arbeit der “Verwaisten Eltern” kennengelernt habe, bin ich dankbar, daß sich hier zumindest schon etwas in Bewegung gesetzt hat. Damit es weiter Vorwärts geht und ich auch etwas von dem, was ich bekommen habe zurück geben kann, bin ich dort Mitglied geworden und auch aktiv tätig. Ich würde mich sehr  freuen, wenn ich auch andere überzeugen kann, die Verwaisten Eltern zu unterstützen. Die “Verwaisten Eltern” helfen nicht nur Betroffenen durch Begleitung, Beratung, Information Trauerseminaren, und Kontaktvermittlungen untereinander, sondern informieren involvierte Berufsgruppen wie Ärzte, Hebammen usw. durch beispielsweise Seminare. Darüber hinaus versuchen sie, durch Öffentlichkeitsarbeit aufzuklären. Auf der Seite des  Verwaisten Eltern in Deutschland e.V. (www.veid.de) findet Ihr nähere Informationen sowie die Möglichkeit, ganz einfach Mitglied zu werden.

© Pirko Lehmitz

Versteht denn keiner unsere Trauer?

Doch!

Artikel aus der Eltern August 2000

von Anke Willers

Jedes Jahr verlieren in Deutschland mehr als 85000 Frauen in der Schwangerschaft ihr Kind. Dennoch spricht kaum jemand darüber – höchste Zeit, dies zu ändern!

Angefangen hat alles mit einem Leserbrief in der März-Auseltern.jpggabe von Eltern. Eine junge Frau schrieb, es hab in der 21. Schwangerschaftswoche eine Fehlgeburt gehabt und sich bis heute nicht davon erholt:

“Alle meinen, ich müsste jetzt, nach zwei Monaten, schon über alles hinweg sein. Keiner begreift, dass dieses Kind für mich und meinen Mann schon ganz real war: Ich hatte es fünf Monate in meinem Bauch, ich habe es auf dem Ultraschall gesehen, ich spürte auch bereits erste Kindsbewegungen: Und ich wünsche mir, dass man meine Trauer respektiert.”

Das Echo auf diesen Brief war überwältigend. Die Redaktion erreichten fast 200 Briefe, für die wir uns ganz herzlich bedanken. 200 Briefe, in denen Mütter von ihren Fehl- und Totgeburten berichten, die sie in der achten , zwanzigsten oder 39. Schwangerschaftswoche erleben mussten. 200 Briefe, in denen es vor allem um eines geht: um den schwierige Prozess des Abschiednehmens.

Glaubt man der Statistik, so endet jede vierte bis fünfte Schwangerschaft mit einer Fehlgeburt in den ersten Schwangerschaftsmonaten. Später, wenn das Baby mit einem Gewischt von über 500 Gramm bereits lebensfähig wäre, wird noch etwas jedes 130. Kind tot geboren. Manchmal sind Infektionen daran schuld, genetische Schäden, eine Plazentastörung oder Nabelschnurkompliktaionen. Oft werden die medizinischen Gründe nie geklärt. Hinter den Zahlen und medizinischen Fakten verborgen bleibt meist auch die persönliche Katastrophe, die der frühe Tod eines Kindes für die Eltern bedeutet.

“Der Tod eines Kindes in der Schwangerschaft ist immer noch ein Tabu”, schreibt Silke, 29, aus Bremerhaven. “Weil das Kind noch nicht richtig sichtbar war, ist es für die Umwelt offenbar auch nicht du gewesen. Also gibt es auch keinen Grund, traurig au sein.” Tatsächlich beschreiben fast alle Mütter in ihren Briefen. dass es ihnen nach einer Fehl- oder Totgeburt zwar körperlich bald wieder gut ging. dass aber die Seele Monate. manchmal sogar Jahre brauchte, um sich zu erholen.

Wenn wir mit dem Tod unseres Babys konfrontiert werden, werden wir von einen Sekunde auf die andere in Trauer hineinkatapultiert. Wie tauchen dabei in ein unbekanntes Land ein mit gewaltigen. bisher fremden Gefühlen. Die Reise durch dieses Land wird eine lange Reise sein”. schreibt Hannah Lothrop in ihrem Buch “Gute Hoffnung-Jähes Ende‘ (Kösel. 38 Mark).

Die meisten Betroffenen erleben auf ihrer Trauerreise verschiedene Stationen. Zuerst ist da der Schock, die Verleugnung: Das Baby ist tot? Nein. das darf, das kann nicht sein. Begreift das Bewußtsein schließlich, was wirklich passiert ist, werden viele Eltern überrollt von Gefühlen der Verzweiflung, der Hoffnungslosigkeit und auch der Schuld. Diese Phase kann viele Monate dauern.

“Ich war in den Wochen nach der Fehlgeburt wie ferngesteuert”, schreibt Katja, 53 aus Paderborn. “Immer wieder habe ich mich gefragt, warum das passiert ist: War es der Sekt an Silvester, war es die Abtreibung vor sieben Jahren, für die ich nun bestraft werde? ‘Warum hat mein Körper mich im Stich gelassen? Warum ist mein Kind dort gestorben, wo es am sichersten sein sollte: In meinem Schoß?”

Gedanken wie diese sind quälend. Und doch sind sie wichtig: “Es gehört Mut dazu, sich seinen schmerzhaften Gefühlen zu stellen und sie zu verarbeiten. Doch wenn wir dies nicht tun, entsteht das Gegenteil, nämlich Angst — ja sogar richtige Lebensangst”, schreibt Hannah Lothrop.

Anders gesagt: Gefühle der Verzweiflung. der Hoffnungslosigkeit, der Wut sind gesunde Reaktionen der Seele auf ein schlimmes Ereignis. Drückt man diese Gefühle weg,. kann die glücklose Schwangerschaft zu einem lebenslangen Trauma werden. Lässt man sich jedoch auf sie ein, werden sie irgendwann schwächer, positive Erinnerungen an die Schwangerschaft werden möglich, und die Psyche beginnt sich zu stabilisieren.

Wie lange diese Reise durch den dunklen Trauertunnel dauert. lässt sich nicht vorhersagen. Denn jeder Mensch hat dabei ein anderes Tempo: Eine junge Muttee, die bereits ein Kind hat, wird möglicherweise schneller wieder Mut schöpfen, als eine 38-Jährige. die ihr erstes Baby nach einer Hormonbehandlung erwartete. Oder als eine Frau, die ihre Schwangerschaft am Anfang sehe zwiespältig erlebt hat und die nun nach dem Verlust des Kindes unter starken Schuldgefühlen leidet.

Entscheidend ist auch, ob und wie mitfühlend der Partner und die Umwelt reagieren. Und ob die Betroffenen die Möglichkeit haben, sich wirklich von ihrem Baby und dem damit verbundenen Lebensentwurf zu verabschieden.

Zu diesem Abschied gehört vor allem, dass von dem Kind etwas bleiben darf, Zeichen, die zeigen, dass es da war: ein Name. ein Ultraschallbild, ein paar Söckchen im Wäscheschrank.

“Ich musste mein Kind in der 34. Woche tot gebären”, schreibt Manuela, 27, aus Pforzheim. “Aber ich hatte das Glück, in einer Klinik betreut zu werden, in der man mit solchen Katastrophen Erfahrung hatte. Man überzeugte mich nicht nur davon, dass eine normale Geburt besser sei als ein Kaiserschnitt mit Vollnarkose, sondern ermutigte mich auch, mir mein Kind anzuschauen, es zu baden, zu fotografieren. Heute hin ich sehr froh, dass ich diese Stunden mit meinem Baby hatte. Viele Eltern denken, wenn sie ihr Kind gar nicht erst sehen, ist auch der Abschied leichter. Aber das stimmt nicht: Man kann ein Kind nur verabschieden, wenn man es begrüßt hat.”

Dass zu einem würdigen Abschied Trauerrituale gehören, hat inzwischen auch der Gesetzgeber erkannt: Seit dem 1.7.98 können in Deutschland Totgeborene, die mindestens 500 Gramm wiegen, mit Vor- und Zunamen ins Familienstammbuch eingetragen werden. Meist ist auch eine individuelle Bestattung möglich —  allerdings variieren die Bestattungsgesetze je nach Bundesland. Und vor allein bei sehr kleinen Babys werden den Betroffenen bei ihrem Wunsch, das Kind zu begraben, immer noch Steine in den Weg gelegt.

“Ich konnte es nicht ertragen, dass ich noch der Ausschabung nichts mehr von unserem Sohn halte”, schreibt Martina, 26, die ihr Kind in der 18. Woche verlor. “Nicht mal ein anonymes Sammelbegräbnis hat man uns ermöglicht. Dabei braucht man doch einen Ort, zu dem man seine Trauer hintragen kann. Wir haben deshalb ein Bäumchen im Garten gepflanzt.” Neben solchen Ritualen gegen das Vergessen, spielt auch das Gespräch in der Zeit nach der Fehl- oder Totgeburt eine große Rolle. Leider erleben viele Betroffene, dass Freunde und Bekannte ihren Schmerz nicht verstehen:

“Oft bekam ich zu hören: Das war sicher bes. ser so, vielleicht wäre es sonst behindert gewesen‘, schreibt Ursula, 29, aus Brühl. “Viele sagten auch: “Du bist ja noch jung, du kannst noch viele Kinder kriegen.‘ Damit konnte ich überhaupt nichts anfangen. Ich wollte ja nicht viele Kinder irgendwann, sondern ich wollte dieses eine.”

Zwar sind solche Sprüche meist nicht böse gemeint. sondern eher ein Zeichen der Hilflosigkeit (mehr dazu im Interview nebenan), auf die Betroffenen wirken sie jedoch taktlos und verletzend. Viele Frauen empfinden es auch als großen Widerspruch, dass alle Welt von ihnen Jubel erwartet, wenn der Schwangerschaftstest positiv ist, ihnen aber gleichzeitig die Trauer abgesprochen wird, wenn sie das Kind Monate später verlieren. Eine gute Alternative kann es deshalb sein, sich auf die Suche such Gleichgesinnten zu machen.

“Ich habe mich. in den Monaten noch meiner zweiten Fehlgeburt einer Selbsthilfegruppe angeschlossen“, schreibt Elke, 36, aus Passau. “Dort konnte ich nicht nur weinen und traurig sein, ohne etwas erklären zu müssen. Ich habe auch gelernt, mit meinen Schuldgefühlen umzugehen, die mich sehr belastet haben. }Heute weiß ich: Eine glücklose Schwangerschaft ist keine Frage der Schuld, sondern fast immer ein schicksalhaftes Ereignis.“

Für viele Eltern ist gerade diese Schicksalhaftigkeit schwer zu akzeptieren. Denn wir leben in einer Welt, in der wir lernen, dass fast alles machbar ist, wenn wir uns nur genug anstrengen. Dass das Wissen um die Unbeeinflussbarkeit eines Ereignisses jedoch manchmal auch eine große Entlastung bei dem schweren Weg durch die Trauer sein kann. beschreibt Ulrike, 34, aus Dinkelsbühl: “Eine Bekannte sagte zu mir: Kinder kommen und gehen, wann sie wollen, egal, wie alt sie sind. Dieses Kind war noch nicht bereit für ein Leben mit euch. Und da wurde mir klar: Man kann ein Kind verlieren, das drei Monate oder 30 Jahre alt ist. Im günstigsten Fall zieht es irgendwann aus und man trifft es oft wieder. Im

Eine Fehlgeburt ist keine Frage der Schuld

schlechtesten Fall verliert man es früh und hat nur die Erinnerung. Dieser Gedanke, dass ich das Kind irgendwann hatte ohnehin gehen lassen müssen, hat mich sehr getröstet.“

Trost, Verständnis, das Gefühl, den Schmerz nicht leugnen zu müssen – all dies macht die Trauer erträglicher. Viele Betroffene beschreiben auch, dass eine neue Schwangerschaft viel zur Heilung ihrer Seele beigetragen hat – allerdings nur dann, wenn diese Schwangerschaft nicht zu schnell folgte. Denn auch wenn sich der Zyklus bei vielen Frauen bald wieder eingependelt hat — oft ist die Gefahr groß dass die Trauer um das verlorene Kind denn noch nicht verarbeitet ist.

“Als ich ein halben Jahr nach meiner Totgeburt wieder schwanger wurde, war Ich zunächst sehr ängstlich. Auch hatte ich fast das Gefühl, ich wurde mein totes Kind verraten“, schreibt die 31-jähirge Maria aus Fürth. “Dann aber habe ich gespürt: Dieses neue Kind kann kommen, ohne ein Ersatz für das zu nein, was wir verloren haben. Heute Ist mein Sohn 14 Monate alt. Doch in meinem Herzen habe ich zwei Kinder. Und das wird immer so bleiben.”

Anke Willers

Der Tod am Anfang des Lebens führt ein Schattendasein

Ursula Goldmann-Posch aus “Wenn Mütter trauern”, S. 62 ff.

Der Tod am Anfang des Lebens führt ein Schattendasein im Ansehen unserer Gesellschaft.

Wenn vom Tod eines Kindes die Rede ist, gilt die Aufmerksamkeit und das Mitgefühl meist jenen Eltern, die ihr Kind durch Krankheit WennMutteroder durch einen Unfall verloren haben.

Von den rund 4.5000 Kinder, die jedes Jahr in der Bundesrepublik während er erste Wochen oder in den erste Stunden nach der Geburt sterben, von den rund 2.500 Kindern, die tot zur Welt kommen, von den schätzungsweise 450.000 Frauen, die eine Fehlgeburt erleiden, spricht kaum jemand.

Der Tod im Mutterleib und das Sterben nach den ersten Atemzügen werden meist totgeschwiegen, als Fehlleistung der Natur abgetan, auf ein Mißgeschick reduziert, das jederzeit durch eine neue Schwangerschaft wieder wettgemacht werden kann. Daß Frauen Föten, Embryos und Totgeborene genauso betrauern wie andere Kinder auch, wird nicht wahrgenommen.

Die moderne, fortschrittliche medizinische Versorgung in Deutschlands Geburtskliniken steht oft in krassem Widerspruch zur seelischen Begleitung, die Eltern von fehl-, früh- oder totgeborenen Kindern erfahren (bzw. nicht erfahren). Die Entbindung des Todes ist für viele Ärzte und Hebammen ein narzißtische Kränkung, die schnell wieder ungeschehen gemacht werden soll.

Viele Frauen – vor allem Mütter mit Fehl- und Totgeburten – machen sich zunächst zu Komplizen der Todesverleugnung in den Klinken. Sie fühlen sich schuldbewußt, weil sie als Trägerinnen des Lebens versagt haben. sie sind fügsam und stellen keine Fragen. Sie wollen schnell und möglichst schmerzlos den Tod im eigenen Leib loswerden, um ihn zu vergessen.

Die quälenden Fragen, die Sebstvorwürfe, die Schuldgefühle, die Trauer kommen erst später, zu einem Zeitpunkt, wo es meist zu spät ist.

Was war mit meinem Kind? Was ist mit ihm geschehen? Liegt es auf dem Klinikmüll? Ist es in der Pathologie? Den Variationen der Alpträume um einen Tod am Anfang des Lebens sind keine Grenzen gesetzt.

In einer Zeit, in der gerne vom “Schutz und von der Würde des ungeborenen Lebens” die Rede ist, bilden trauerfeindliche Bestattungsgesetze einen krassen Gegensatz. Wenn Frauen nach einer glücklosen Schwangerschaft rechtzeitig zum Fragen ermutigt werden, wenn Frauen auch diesen verlorenen Kindern einen eigenen Grabplatz geben dürften, können sie ihre gestorbenen Hoffnung besser betrauern und begraben.

Bis wir uns im Himmel wiedersehen

AmselnGrunAmseln Grün

Frühere Generationen haben für die Trauerzeit Rituale entwickelt, die ihnen helfen sollten, ihre Trauer auszudrücken und durch die Trauer zu neuer Lebensfreude zu finden. Heute tun wir uns schwer mit solchen Ritualen. Aber vielleicht kannst du dir selbst Rituale ausdenken, die dir in deiner Trauer gut tun. Es könnte ein Abschiedsritual sein, ein Versöhnungsritual oder ein Vergebungsritual. Du könntest auf verschiedene Blätter schreiben, an welche Begegnungen und Erlebnisse mit dem Verstorbenen du dich gerne erinnerst, was dir Schuldgefühle macht, wo du dich über den Verstorbenen geärgert hast, wo er dich verletzt und wo du ihn verletzt hast und was du ihm heute gerne sagen möchtest. Du kannst aufschreiben, für welche Erfahrungen mit ihm du Gott danken willst. Und dann kannst du dir überlegen, was du mit den Papierblättern machen möchtest. Du kannst sie aufbewahren und in die Gebetsecke legen, in der du meditierst. Dann wird das Gebet alles verwandeln, was du da aufgeschrieben hast. Du kannst die Zette! auch verbrennen und so den Abschied zelebrieren von allem, was war. Und dann kannst du ein Gebet formulieren, in dem du Gott darum bittest, das Vergangene zu lassen und offen zu sein für das, was Gott dir beute durch den Verstorbenen sagen möchte, in dem du Gott dankst für alles, was er dir durch ihn geschenkt bat.

Für mich gehört es zum persönlichen Trauerritual, dass ich jedes Mai, wenn ein lieber Mitbruder aus unserer klösterlichen Gemeinschaft stirbt, die Arie aus Händels Messias höre: ,,Ich weiß, dass mein Erlöser lebt und dass er erscheint am letzten Tage dieser Erd‘. Wenn Verwesung mir gleich drohet, wird dies mein Auge Gott doch sehn.“ Vielleicht hast du auch solche persönlichen Trauerrituale. Der eine geht immer wieder den Weg, den der geliebte Verstorbene mit ihm oft gegangen ist. Ein anderer hört die Kantate oder die Symphonie, die der Verstorbene so geliebt bat. Und indem er sie hört, fühlt er sich eins mit ihm. Solche Trauerrituale sind nicht dazu da, den Toten festzuhalten, sondern die Trauer auf eine Weise auszudrücken, die in eine neue Beziehung führt. Für mich ist die Musik ein Fenster zum Himmel. Ich lasse mich hineinfallen und ahne, dass diese Musik jetzt bei Gott auf neue und unerhörte Weise erklingt. So verbindet mich mein Hören mit den Toten, die im Himmel Gottes Wort nicht nur mit ihren Ohren, sondern mit ihrem ganzen Wesen hören und für die ihr Horchen Seligkeit ist.

Suche dir das Musikstück aus, das dem Verstorbenen am liebsten war, horche dich in die Musik hinein und lass dich von ihr zu Gott tragen, den der Verstorbene nun mit unverhülltem Auge schaut.