Archiv der Kategorie: Berichte

Unser Marienkäfer Torben

M  anchmal denke ich. es geht schon wieder
A   lles hat eine andere Bedeutung
R  ache gibt es nicht, denn es gibt keine Schuld
I    n meinem Herzen wirst Du immer sein
E   rfahrungen mache mich reicher
N  iemals werd‘ ich Dich vergessen
B   ei wieder wirst Du in mir sein
K   eine Hoffnung, daß alles wieder wird wie vorher
Ä  nderungen bestimmen Deinen Tod
F  riede ist es, wonach ich mich sehne
E  ifersucht hat ein neues Gesicht
R  uhe empfinde ich an Deinem Grab
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geboren am 15. Dezember 1997

gestorben am 17. Dezember 1997

Mit Tränen habe ich Dich begrüßt und mit noch mehr Tränen verabschiedet. Du wurdest alles andere als erhofft, ja eigentlich warst Du am Anfang noch nicht einmal erwünscht. Plötzlich hast Du Dich in unser Leben gedrängt, zu einem Zeitpunkt der ungünstiger nicht hätte sein können. An einem Samstagmorgen machte ich mehr aus Neugier einen Schwangerschaftstest. Eigentlich konnte es gar nicht sein und doch plötzlich – von einer Minute auf die andere änderte – sich unser gesamtes Leben. Im Nachhinein war es gut, daß ich in diesen Augenblick noch nicht ermessen konnte wie gravierend, einschneidend und unvergleichbar sich tatsächlich unser Leben ändern sollte.

Nach vielen, vielen Gesprächen, nach allen Für und Wimarinisder haben wir uns bewußt für Dich entschieden. Später habe ich mir oft die Frage gestellt, ob dieses Abwägen über Dein Leben Dich bewogen hat, so schnell wieder von uns zu gehen, aber wahrscheinlich suche ich einfach nur nach Erklärungen, die mir niemand geben kann.

Die Schwangerschaft hast Du mir und uns nicht leicht gemacht. Die ersten zwölf Wochen habe ich mich so oft im Badezimmer aufgehalten, daß Dein Vater dort Bilder aufhängen wollte, damit ich es etwas wohnlicher habe. Aus Angst, daß sich nun bald unser Leben ändern würde, sind wir von einer Verabredung zur nächsten gehetzt; auch ein Vorwurf, den ich mir später immer wieder gemacht habe. Bei den üblichen Vorsorgeuntersuchungen war immer alles in bester Ordnung. Bis heute läuft mir bei dieser Formulierung ein kalter Schauer über den Rücken. “Alles in bester Ordnung” … Unterleibschmerzen wurden vom Arzt als bedeutungslos abgetan und da Du mein erstes Kind warst, schenkte ich dieser Diagnose nur zu gern Glauben. In der 19. Schwangerschaftswoche machtest Du Dich durch kräftige Tritte – die mir manchmal den Atem nahmen – bemerkbar und wir waren so unendlich glücklich und so unendlich naiv. Nie habe ich mir Gedanken gemacht, daß ich nur wenig Zeit mir Dir verbringen durfte.

An einem Sonntagabend in der 24. Schwangerschaftswoche bekam ich heftige Unterleibsschmerzen, die, wie wir später erfuhr, bereits Wehen waren. Heute – zweieinhalb Jahre nach Deinem Tod – kann ich noch immer nicht glauben, daß ich selbst an diesem Abend keinen Verdacht hatte. Am darauffolgenden Montag, den 15 Dezember 1997, ging ich zu meinem Frauenarzt, da zu den Schmerzen noch ein minimaler Blutverlust eintrat. Trotz meiner Schilderung ließ man mich noch fast zwei Stunden im Wartezimmer sitzen. Bei der anschließenden Untersuchung stellte der Arzt einen geöffneten Muttermund von drei Zentimetern fest. Der Arzt erklärte mir, daß ich sofort ins Krankenhaus Barmbek müßte, wenn Du überhaupt noch eine Chance haben solltest. Aus der Praxis haben wir Deinen Vater angerufen, der mich in Lüneburg abholte und mit uns nach Hamburg fuhr. Dort ging alles schrecklich schnell. Zwei Ärzte teilten uns mit, daß es jetzt zur Geburt kommen würde und das ein positiver Ausgang mehr als fraglich wäre. Keiner konnte und wollte uns sagen, ob und wenn wie lange Du überleben würdest. Nach dieser Nachricht ließen uns die Ärzte für einen kurzen Moment allein. Dein Vater und ich lagen uns in den Armen und wir konnten nicht glauben, was dort um uns herum geschah.

Nach zwei Stunden, um 16.00 Uhr, warst Du da und nach einem kurzen Schrei wurdest Du gleich zur Neonatologie gebracht, so daß wir Dich nicht sehen konnten. Du lebst, Du hast geschrieben, wir fragten uns, ob nicht doch noch alles gut werden könnte.

Als ich Dich das erstemal sah, konnte ich nicht glauben das Du in mir warst und das Du, wo Du doch so perfekt, ja so vollständig aussahst, mit Deinem Leben so kämpfen mußtest. Ganze 790g bei 35 cm, ein Ebenbild Deines Vaters, ganz klein, so zart, so wunderbar. Wir gaben Dir den Namen Torben, so wie ich es mir gewünscht hatte. Aufgrund des hohen Risikos durften wir Dich nicht berühren, sondern nur vor dem Inkubator sitzen und leise mit Dir sprechen. Wir haben Dir von uns erzählt und versucht, Dich zum Kämpfen zu bewegen.

Die nächsten zwei Tage waren geprägt von Hoffen, Glauben, Verzweiflung, Traurigkeit und Hoffnungslosigkeit. Jedesmal, wenn wir Dich besuchten, gab es neue Nachrichten und jedesmal stürzten wir in eine Berg- und Talfahrt der Gefühle. In der Nacht vom 16. auf den 17. Dezember 1997 weckte mich gegen 02.00 Uhr eine Schwester, ein Anruf aus der Neonatolgie für mich. Der diensthabende Arzt erklärte mir, daß eine Hirnblutung aufgetreten sei, die schlimmste aller Nachrichten, und ich wußte aus vielen Gesprächen mit dem Pflegepersonal, daß dies kaum noch Platz für Hoffnung bleiben ließ. Kurze Zeit danach kam Dein Vater, zu diesem Zeitpunkt bekamst Du schon Medikamente gegen die Schmerzen. Die Ärztin sagte uns ohne Beschönigungen, daß Du nun sterben würdest und forderte uns auf, und gab uns damit die Möglichkeit, Dich in unseren Armen einschlafen zu lassen. So durften wir Dich zum ersten- und auch zum letzen Mal berühren, Deinen Duft in uns aufnehmen in der Gewißheit, daß dieser Augenblick mit Dir für die restliche Zeit unseres Lebens reichen mußte. Wir sind unendlich froh, daß wir Dich begrüßen und verabschieden durften; Dich in den Armen halten konnten, als Du von uns gingst.

Du bist gestorben; leise, ruhig, fast heimlich. Noch lange saßen wir so bei Dir, bis wir spürten, wenn wir jetzt nicht gehen, gehen wir nie. Eine junge Schwester hat Dich in den Arm genommen, Dir einen Kuß gegeben und Dich wieder in den Inkubator gelegt. Dies geschah so liebevoll, sanft und selbstverständlich, daß wir es bis heute nicht fassen konnten und dieser Schwester, dessen Name wir nicht kennen, immer dankbar sein werden für diese stumme Anteilnahme und den würdevollen Umgang mit Dir.

Warum Du so früh meinen schützenden Bauch verlassen hast, ist nie geklärt worden. Die Ärzte in Barmbek rieten uns von einer Obduktion ab, da keine Hinweise auf evtl. Fehlbildungen zu finden waren und Dein Körper somit unangetastet bleiben konnte.

Die darauf folgende Zeit liegt immer noch unter einem dichten Schleier; alles war sinn- und hoffnungslos, leer, kalt und grausam. Es verging kein Tag, an dem ich mich nicht fragte, wozu und warum es weiter geht. Diese unendliche Traurigkeit werde ich in meinem ganzen Leben nicht vergessen und die Einsicht, daß Machtlosigkeit und Selbstaufgabe nicht immer nur etwas für die Anderen ist. f

Zwei Monate nach Deinem Tod sind wir zu den Verwaisten Eltern gekommen. Dort konnten wir Dir einen Raum geben und offen über Dich sprechen, ohne Gefahr zu laufen, nicht verstanden zu werden. Durch die Gruppe haben wir gelernt, uns mit uns und Deinem Tod auseinanderzusetzen, und das es immer Menschen gibt, die uns verstehen, annehmen und zu uns halten, egal wie es uns geht, vor allem, wenn es uns gerade schlecht geht.

Nach ständigen Selbstvorwürfen, nach ewigen Fragen ohne Antwort, nach einer harten Zeit intensiver Trauerarbeit bin ich davon überzeugt, daß jeder Mensch auf dieser Welt seine Aufgabe hat; unser Torben hat diese Aufgaben in 36 Stunden erledigt und dafür danken wir ihm.

Im August 1999 wurde, nach einer komplizierten Schwangerschaft, unser zweiter Sohn, Leif Marten, geboren. Wir werden ihn in dem Bewußtsein aufwachsen lassen, daß er einen großen Bruder hat, der auf ihn aufpaßt und der zu unserer Familie gehört. Der Geburtstag von Torben sowie sein Todestag gehören genau so zum Lauf des Jahres, wie der Gang zum Friedhof und die vielen kleinen Dinge, die uns an ihn sichtbar und unsichtbar erinnern. Es vergeht kein Tag, an dem ich nicht an ihn denke, ja sogar von ihm spreche. Er ist bei mir fast so, als könnte ich ihn spüren, aber nach der Zeit, die vergangen ist, tut es nicht mehr ganz so doll weh.

Die Babygruppe, der wir uns damals angeschlossen haben, gibt es mittlerweile nicht mehr, aber zwischenzeitlich sind daraus echte Freundschaften entstanden. Menschen, die auch heute noch mit uns über Torben sprechen und die es nicht leid sind uns zuzuhören. Einer dieser ganz besonderen Menschen gilt dieser Bericht, verbunden mit einem herzlichen Dank für alles, was Du für mich getan hast; für alles, wozu Du mich ermutigt hast; daß Du immer an mich geglaubt hast und immer für mich da bist und warst.        Danke Pirko

Annette N.