Zwischenhaltgottesdienst
der St.Paulus Gemeinde Buchholz i.d.N.
vom 16. November 2008
Gestern war der besondere Gottesdienst zum Thema „Hinter dem Vorhang“, in dem ich interviewt werden sollte. Am Nachmittag war ich dann doch schon recht aufgeregt, auch wenn die Fragen vorher in einem sehr netten Gespräch mit dem Pastor abgesprochen waren. Aber es ist lange her, dass ich so öffentlich Tobias Geschichte erzählte habe und über meine Trauer berichtete.
Ich war etwas früher da und Michael und die anderen aus dem Team begrüßten mich ganz herzlich. Der Gottesdienst begann wie immer mit einem Lied der Band.
Gestern: „Über den Horizont“ von Udo Lindenberg mit der Zeile
Hinterm Horizont geht´s weiter
ein neuer Tag
hinterm Horizont ,immer weiter
zusammen sind wir stark
Dann gab es eine Begrüßung und Einführung ins Thema.
Und das erste gemeinsame Lied wurde gesungen: „Meine Zeit steht in Deinen Händen
Die Zwischenhaltband
Meine Zeit steht in deinen Händen.
Nun kann ich ruhig sein, ruhig sein in dir.
Du gibst Geborgenheit, du kannst alles wenden.
Gibt mir ein festes Herz, mach es fest in dir.
Sorgen quälen und werden mir zu groß.
Mutlos frag ich: Was wird morgen sein?
Doch du liebst mich, du lässt mich nicht los.
Vater, du wirst bei mir sein.
Hast und Eile, Zeitnot und Betrieb
nehmen mich gefangen, jagen mich.
Herr, ich rufe: Komm und mach mich frei!
Führe du mich Schritt für Schritt.
Es gibt Tage, die bleiben ohne Sinn.
Hilflos seh ich, wie die Zeit verrinnt.
Stunden, Tage, Jahre gehen hin,
und ich frag, wo sie geblieben sind.
Meine Zeit steht in deinen Händen.
Nun kann ich ruhig sein, ruhig sein in dir.
Du gibst Geborgenheit, du kannst alles wenden.
Gibt mir ein festes Herz, mach es fest in dir.
Danach war ich dann schon dran. Interviewt hat mich mein Lieblingspastor Michael Wabbel. Wir standen vorne zusammen an so einem Bistrotisch. Ich versuche jetzt mal das Interview so aus meinem Gedächtnis widerzugeben:
Michael: Vielen Dank Pirko, dass heute Abend hier her gekommen bist. Bitte erzählen, was vor 11 Jahren Euch geschehen ist.
Pirko: Vor 11 Jahren war ich 30, hatte zwei Jahre zuvor mein Studium und Ausbildung beendet und wir beschlossen, dass es schön wäre, wenn wir jetzt ein Kind bekämen. Ich wurde auch sofort schwanger und war so überglücklich. Ende der 23 Schwangerschaftswoche bekam ich dann allerdings einen Infekt mit Streptokokken, wie sich später herausstellte. Dieser führte zu Vorzeitigen Wehen. Ich bin dann noch vom Mariahilf ganz spektakulär mit Blaulicht ins Krankenhaus Altona gebracht worden. Sie hofften noch, sie würden die Wehen zum Stillstand bekommen, leider nicht. Es kam zur Geburt und unter der Geburt starb mein Sohn Tobias. Er wurde also still geboren. Für mich brach eine Welt zusammen. Ich hätte nie gedacht, dass mich etwas mal so umhauen würde, mir so den Boden unter den Füssen entziehen. Ich habe wochenlang nur geweint. Ich bin mit Tränen morgens aufgewacht und abends ins Bett gegangen.
Michael: Was hat dich nach all dem Geschehen bewogen, an die Öffentlichkeit zu gehen?
Pirko: Tod ist ein Tabuthema, aber ein noch größeres Tabu ist der Tod von Kindern, die vor, während oder kurz nach der Geburt sterben. Diesen Eltern wird oft nicht erlaubt von ihren Kinder zu sprechen. Es fällt den anderen schwer die Trauer zu verstehen, denn sie haben das Kind ja nicht gekannt. Es erwartet, dass sie schnell darüber hinwegkommen. Damals wurde von mir erwartet, dass ich das einfach wegstecke und funktioniere, ich müsse einfach wieder schwanger werden und dann sei alles in Ordnung.
Michael: Du bist sehr engagiert… Wie äußert sich heute dein Engagement?
Pirko: Relativ kurz nach den Tod von Tobias habe ich mich bei den Verwaisten Eltern engagiert, deren Website aufgebaut, für Interviews zur Verfügung gestanden, also Öffentlichkeitsarbeit gemacht, und im Vorstand mitgearbeitet. Das mache ich heute nicht mehr. Aber ich berate betroffene Eltern in rechtlicher Hinsicht zu Themen wie Mutterschutz und Namensrecht, weil es da immer wieder Schwierigkeiten gibt und ich begleite betroffene Mütter – meistens per Mailkontakt oder auch in einem Forum für Betroffene. Eine ganze Zeit, bis zur Geburt meines jüngsten Sohnes habe ich einmal die Woche mit betroffenen Müttern gechattet.
Es kommt auch vor, dass ich betroffene Mütter persönlich – per Telefon oder auch in direkten Gesprächen begleite. Eins hat mich besonders berührt: Vor zwei Jahren habe ich eine Mutter begleitet, deren Sohn die Diagnose bekam, maximal zwei Jahre alt zu werden. Er ist dann vier Monate später mit neun Monaten gestorben. Sie habe ich vor und nach dem Tod ihres Sohnes begleitet und zu ihr habe ich heute noch Kontakt, denn sie ist wieder schwanger.
Michael: Was hat damals geholfen, das Geschehene zu bewältigen?
Pirko: Das wichtigste war eine Selbsthilfegruppe der Verwaisten Eltern und ein Trauerseminar, das ich zusammen mit meinem Mann besucht habe. Dort hatte ich erstmals die Möglichkeit, mich mit anderen Betroffenen auszutauschen. Ich habe dort erfahren, dass andere genauso wie ich trauern. Das es ein ganz normaler Trauerverlauf war, was mein Umfeld mir deutlich anders zu verstehen gab. Ich erfuhr, dass ich über mein totes Baby ganz genauso trauern darf, wie andere Eltern über jedes andere Kind. Das tat mir unglaublich gut.
Gerade die erste Zeit hat es mir auch gut getan zu schreiben. All meine Gefühle, meinen Schmerz und meine ganze Trauer aufzuschreiben. Erst habe ich nur Texte geschrieben und später dann auch Gedichte. Gerade wenn es mir schlecht ging, war das ein unglaubliches Ventil für mich.
Michael: Pirko Lehmitz hat übrigens eine sehr beeindruckende Website gemacht, auf der man vielen dieser Texte auch lesen kann. Sie ist leicht zu merken stillgeboren.de. Es lohnt sich, da mal raufzuschauen. Du hast auch Texte und Gedichte verfasst und Dich bereit erklärt uns heute auch ein Gedicht vorzulesen.
Pirko: Ich habe etwas überlegt, welche meiner Gedichte ich vorlesen könnte – ich habe so viele geschrieben – und dann habe ich mich entschieden, ich werde zwei lesen. Eines, was relativ kurz nach dem Tod von Tobias entstanden ist und ein zweites, das ich zwei Jahre später geschrieben habe
Plötzlich wurde es Nacht
mitten an einem schönen Sommertag
das Licht erlosch
Dunkelheit und Kälte
wo eben noch Glück und Leben
in mir
um mich herum
nur Lähmung und Schweigen
ohne Dich wage ich keinen Schritt
um nicht noch tiefer
in der Dunkelheit zu versinken
bitte führe mich aus der Finsternis
zurück ins Leben
zeige mir den Weg
damit die Sonne wieder aufgeht
ich wieder wage zu leben
ganz neu
Tränen des Herzens
sie waschen es aus
machen es rein
für die Gefühle
die wir aufheben wollen
die uns wärmen
die uns Licht geben
rein und klar
Herausgespült wird
die Wut
die Schuld
und die Angst
die Tränen schaffen Platz
für die Dankbarkeit
für die Erinnerung
und für die Liebe
Liebe in unseren Herzen
Michael: Vielen Dank Pirko.
Pirko: Darf ich noch etwas in diesem Zusammenhang ankündigen?
Michael: Ja, gerne.
Pirko: Am 14 Dezember ist der Weltgedenktag für verstorbene Kinder. An jedem zweiten Sonntag im Dezember. Dieser Tag wird auf der ganzen Welt begangen. Um 19 Uhr zündeten die Eltern für ihre verstorbenen Kinder eine Kerze an und stellen sie ins Fenster. Wenn die Lichter in der einen Zeitzone erlöschen, werden sie in der nächsten entzündet, so dass eine Lichterwelle rund um die Welt geht. Auch ich werde das am 14. Dezember mit meinen Jungs machen.
Ich erhielt Applaus und setzte mich.
Michael kündigte das nächste Lied an – ich wusste es schon und hatte im Vorgespräch vorsichtig gefragt, ob es nach dem Interviews käme: Tears in Heaven.
Das nächste Lied ist von Eric Clapton, dessen fünfjähriger Sohn auf sehr tragische Weise ums Leben gekommen ist. Er fiel aus dem Fenster des 35 Stockes eines Hauses in Manhattan. Er hat seine Trauer in diesem Lied verarbeitet. Er stellte sich vor, wenn er ihn im Himmel wiedersehe. Eine Zeile heißt:
Ich muss stark sein und weitermachen.
Denn ich weiß,
ich gehöre (noch) nicht in den Himmel
Jenseits der Türe, da ist Frieden,
und ich weiß ganz sicher,
dass es im Himmel keine Tränen gibt
Dann spielte die Band Tears in Heaven. Total schön.
Dann gab es die „Mitmachaktion“…in dem Gottesdienst wird immer etwas vorne aufgebaut und man muss dann nach vorne gehen und kann sich dort was abholen. Wir hatten am Eingang eine kleine Träne mit Anhänger bekommen. Die sollten wir nach vorne bringen. Im Taufständer war eine Glasschüssel, die wurde von unten beleuchtet.
In der dunklen Kirche leuchtet die total schön. Da sollten wir unsere Träne hineintun und uns in mehreren großen Kreisen da herum stellen. Obwohl die Kirche voll war, war es ganz ruhig dabei. Als alle Tränen gesammelt waren, erklang ein Ton von einer Klangschale. Reimer sprach denn die Worte: „Und Gott wird alle Tränen abwischen“. Wieder erklang die Klangschale. Dies wiederholte sich dreimal. dann wurden wir
aufgefordert, uns eine Träne aus der Schale zu holen und die Träne eines anderen mitzunehmen.
Ich hoffe, es werden wieder Bilder ins Internet gestellt. Das sah total schön aus. Normalerweise wird in diesen Gottesdiensten fotografiert, auch die Interviews, doch diesmal nicht, weil sie aufgrund des Themas das nicht angebracht fanden. Aber die Tränen sind im Anschluss fotografiert worden.
© Pirko Lehmitz, www.Stillgeboren.de November 2008