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Hinter dem Vorhang

Zwischenhaltgottesdienst
der St.Paulus Gemeinde Buchholz i.d.N.
vom 16. November 2008

Zwischenhalt0811Gestern war der besondere Gottesdienst zum Thema „Hinter dem Vorhang“, in dem ich interviewt werden sollte. Am Nachmittag war ich dann doch schon recht aufgeregt, auch wenn die Fragen vorher in einem sehr netten Gespräch mit dem Pastor abgesprochen waren. Aber es ist lange her, dass ich so öffentlich Tobias Geschichte erzählte habe und über meine Trauer berichtete.

Ich war etwas früher da und Michael und die anderen aus dem Team begrüßten mich ganz herzlich. Der Gottesdienst begann wie immer mit einem Lied der Band.

Gestern: „Über den Horizont“ von Udo Lindenberg mit der Zeile

Hinterm Horizont geht´s weiter
ein neuer Tag
hinterm Horizont ,immer weiter
zusammen sind wir stark

Dann gab es eine Begrüßung und Einführung ins Thema.

Und das erste gemeinsame Lied wurde gesungen: „Meine Zeit steht in Deinen Händen

Die Zwischenhaltband

Meine Zeit steht in deinen Händen.
Nun kann ich ruhig sein, ruhig sein in dir.
Du gibst Geborgenheit, du kannst alles wenden.
Gibt mir ein festes Herz, mach es fest in dir.

Sorgen quälen und werden mir zu groß.
Mutlos frag ich: Was wird morgen sein?
Doch du liebst mich, du lässt mich nicht los.
Vater, du wirst bei mir sein.

Hast und Eile, Zeitnot und Betrieb
nehmen mich gefangen, jagen mich.
Herr, ich rufe: Komm und mach mich frei!
Führe du mich Schritt für Schritt.

Es gibt Tage, die bleiben ohne Sinn.
Hilflos seh ich, wie die Zeit verrinnt.
Stunden, Tage, Jahre gehen hin,
und ich frag, wo sie geblieben sind.

Meine Zeit steht in deinen Händen.
Nun kann ich ruhig sein, ruhig sein in dir.
Du gibst Geborgenheit, du kannst alles wenden.
Gibt mir ein festes Herz, mach es fest in dir.

Danach war ich dann schon dran. Interviewt hat mich mein Lieblingspastor Michael Wabbel. Wir standen vorne zusammen an so einem Bistrotisch. Ich versuche jetzt mal das Interview so aus meinem Gedächtnis widerzugeben:

Michael: Vielen Dank Pirko, dass heute Abend hier her gekommen bist. Bitte erzählen, was vor 11 Jahren Euch geschehen ist.

Pirko: Vor 11 Jahren war ich 30, hatte zwei Jahre zuvor mein Studium und Ausbildung beendet und wir beschlossen, dass es schön wäre, wenn wir jetzt ein Kind bekämen. Ich wurde auch sofort schwanger und war so überglücklich. Ende der 23 Schwangerschaftswoche bekam ich dann allerdings einen Infekt mit Streptokokken, wie sich später herausstellte. Dieser führte zu Vorzeitigen Wehen. Ich bin dann noch vom Mariahilf ganz spektakulär mit Blaulicht ins Krankenhaus Altona gebracht worden. Sie hofften noch, sie würden die Wehen zum Stillstand bekommen, leider nicht. Es kam zur Geburt und unter der Geburt starb mein Sohn Tobias. Er wurde also still geboren. Für mich brach eine Welt zusammen. Ich hätte nie gedacht, dass mich etwas mal so umhauen würde, mir so den Boden unter den Füssen entziehen. Ich habe wochenlang nur geweint. Ich bin mit Tränen morgens aufgewacht und abends ins Bett gegangen.

Michael: Was hat dich nach all dem Geschehen bewogen, an die Öffentlichkeit zu gehen?

Pirko: Tod ist ein Tabuthema, aber ein noch größeres Tabu ist der Tod von Kindern, die vor, während oder kurz nach der Geburt sterben. Diesen Eltern wird oft nicht erlaubt von ihren Kinder zu sprechen. Es fällt den anderen schwer die Trauer zu verstehen, denn sie haben das Kind ja nicht gekannt. Es erwartet, dass sie schnell darüber hinwegkommen. Damals wurde von mir erwartet, dass ich das einfach wegstecke und funktioniere, ich müsse einfach wieder schwanger werden und dann sei alles in Ordnung.

Michael: Du bist sehr engagiert… Wie äußert sich heute dein Engagement?

Pirko: Relativ kurz nach den Tod von Tobias habe ich mich bei den Verwaisten Eltern engagiert, deren Website aufgebaut, für Interviews zur Verfügung gestanden, also Öffentlichkeitsarbeit gemacht,  und im Vorstand mitgearbeitet. Das mache ich heute nicht mehr. Aber ich berate betroffene Eltern in rechtlicher Hinsicht zu Themen wie Mutterschutz und Namensrecht, weil es da immer wieder Schwierigkeiten gibt und  ich begleite betroffene Mütter – meistens per Mailkontakt oder auch in einem Forum für Betroffene. Eine ganze Zeit, bis zur Geburt meines jüngsten Sohnes habe ich einmal die Woche mit betroffenen Müttern gechattet.

Es kommt auch vor, dass ich betroffene Mütter persönlich – per Telefon oder auch in direkten Gesprächen begleite. Eins hat mich besonders berührt: Vor zwei Jahren habe ich eine Mutter begleitet, deren Sohn die Diagnose bekam, maximal zwei Jahre alt zu werden. Er ist dann vier Monate später mit neun Monaten gestorben. Sie habe ich vor und nach dem Tod ihres Sohnes begleitet und zu ihr habe ich heute noch Kontakt, denn sie ist wieder schwanger.

Michael: Was hat damals geholfen, das Geschehene zu bewältigen?

Pirko: Das wichtigste war eine Selbsthilfegruppe der Verwaisten Eltern und ein Trauerseminar, das ich zusammen mit meinem Mann besucht habe. Dort hatte ich erstmals die Möglichkeit, mich mit anderen Betroffenen auszutauschen. Ich habe dort erfahren, dass andere genauso wie ich trauern. Das es ein ganz normaler Trauerverlauf war, was mein Umfeld mir deutlich anders zu verstehen gab. Ich erfuhr, dass ich über mein totes Baby ganz genauso trauern darf, wie andere Eltern über jedes andere Kind. Das tat mir unglaublich gut.

Gerade die erste Zeit hat es mir auch gut getan zu schreiben. All meine Gefühle, meinen Schmerz und meine ganze Trauer aufzuschreiben. Erst habe ich nur Texte geschrieben und später dann auch Gedichte. Gerade wenn es mir schlecht ging, war das  ein unglaubliches Ventil für mich.

Michael: Pirko Lehmitz hat übrigens eine sehr beeindruckende Website gemacht, auf der man vielen dieser Texte auch lesen kann. Sie ist leicht zu merken stillgeboren.de. Es lohnt sich, da mal raufzuschauen.  Du hast auch Texte und Gedichte verfasst und Dich bereit erklärt uns heute auch ein Gedicht vorzulesen.

Pirko: Ich habe etwas überlegt, welche meiner Gedichte ich vorlesen könnte – ich habe so viele geschrieben –  und dann habe ich mich entschieden, ich werde zwei lesen. Eines, was relativ kurz nach dem Tod von Tobias entstanden ist und ein zweites, das ich zwei Jahre später geschrieben habe

Plötzlich wurde es Nacht
mitten an einem schönen Sommertag
das Licht erlosch
Dunkelheit und Kälte
wo eben noch Glück und Leben
in mir
um mich herum
nur Lähmung und Schweigen
ohne Dich wage ich keinen Schritt
um nicht noch tiefer
in der Dunkelheit zu versinken
bitte führe mich aus der Finsternis
zurück ins Leben
zeige mir den Weg
damit die Sonne wieder aufgeht
ich wieder wage zu leben
ganz neu
 

Tränen des Herzens
sie waschen es aus
machen es rein
für die Gefühle
die wir aufheben wollen
die uns wärmen
die uns Licht geben
rein und klar

Herausgespült wird
die Wut
die Schuld
und die Angst

die Tränen schaffen Platz
für die Dankbarkeit
für die Erinnerung
und für die Liebe
Liebe in unseren Herzen

Michael: Vielen Dank Pirko.

Pirko: Darf ich noch etwas in diesem Zusammenhang ankündigen?

Michael: Ja, gerne.

Pirko: Am 14 Dezember ist der Weltgedenktag für verstorbene Kinder. An jedem zweiten Sonntag im Dezember. Dieser Tag wird auf der ganzen Welt begangen. Um 19 Uhr zündeten die Eltern für ihre verstorbenen Kinder eine Kerze an und stellen sie ins Fenster. Wenn die Lichter in der einen Zeitzone erlöschen, werden sie in der nächsten entzündet, so dass eine Lichterwelle rund um die Welt geht. Auch ich werde das am 14. Dezember mit meinen Jungs machen.

Ich erhielt Applaus und setzte mich.

Michael kündigte das nächste Lied an – ich wusste es schon und hatte im Vorgespräch vorsichtig gefragt, ob es nach dem Interviews käme: Tears in Heaven.

Das nächste Lied ist von Eric Clapton, dessen fünfjähriger Sohn auf sehr tragische Weise ums Leben gekommen ist. Er fiel aus dem Fenster des 35 Stockes eines Hauses in Manhattan. Er hat seine Trauer in diesem Lied verarbeitet. Er stellte sich vor, wenn er ihn im Himmel wiedersehe. Eine Zeile heißt:

Ich muss stark sein und weitermachen.
Denn ich weiß,
ich gehöre (noch)  nicht in den Himmel
Jenseits der Türe, da ist Frieden,
und ich weiß ganz sicher,
dass es im Himmel keine Tränen gibt

Dann spielte die Band Tears in Heaven. Total schön.

Dann gab es die „Mitmachaktion“…in dem Gottesdienst wird immer etwas vorne aufgebaut und man muss dann nach vorne gehen und kann sich dort was abholen. Wir hatten am Eingang eine kleine Träne mit Anhänger bekommen. Die sollten wir nach vorne bringen. Im Taufständer war eine Glasschüssel, die wurde von unten beleuchtet.

In der dunklen Kirche leuchtet die total schön. Da sollten wir unsere Träne hineintun und uns in mehreren großen Kreisen da herum stellen. Obwohl die Kirche voll war, war es ganz ruhig dabei. Als alle Tränen gesammelt waren, erklang ein Ton von einer Klangschale. Reimer sprach denn die Worte: „Und Gott wird alle Tränen abwischen“. Wieder erklang die Klangschale. Dies wiederholte sich dreimal. dann wurden wir

Altar
Der von hinten beleuchtet Altar mit der Schüssel voller Tränen

aufgefordert, uns eine Träne aus der Schale zu holen und die Träne eines anderen mitzunehmen.

 

Tranen
Tränen in der Schüssel

Ich hoffe, es werden wieder Bilder ins Internet gestellt. Das sah total schön aus. Normalerweise wird in diesen Gottesdiensten fotografiert, auch die Interviews, doch diesmal nicht, weil sie aufgrund des Themas das nicht angebracht fanden. Aber die Tränen sind im Anschluss fotografiert worden.

© Pirko Lehmitz, www.Stillgeboren.de November 2008

Sternstunden

Zwischenhaltgottesdienst
der St.Paulus Gemeinde Buchholz i.d.N.
vom 16. Dezember 2007

Meine persönliche Sternstunde

Heute Abend war ich mal wieder zu einem der besonderen Abendgottesdienste in unserer Gemeinde – ich hatte glaube ich schon mal hier davon berichtet. Es spielt dort immer eine Band, es gibt Interviews und eine besondere Aktion. Eigentlich hatte ich ja gar keine Zeit…Elias wird morgen 4 Jahre alt: Geschenke muss ich noch einpacken, zwei Kuchen für den Kiga backen, eine Torte für morgen zum Kindergeburtstag, den Geburtstagskerzenzug aufbauen und die Spiele für morgen noch raussuchen…Kai erinnert mich: „ Du wolltest noch zur Kirche, oder?“. Ja, genau, da wollte ich hin, auch wenn ich wenig Zeit habe, aber das brauche ich heute Abend. Dieses Mal stecke ich nicht zurück. Ziehe mich an, setze mich auf mein Fahrrad und fahre zur Kirche…

Das Thema der Predigt war „Sternstunden“. Der Pastor fragte:“Haben auch sie eine persönliche Sternstunde in ihrem Leben gehabt, einen Augenblick in dem sie ganz eins mit sich selbst waren?“. Er erzählte weiter und meine Gedanke schweiften ab. In mir kamen sofort die Bilder nach der stillen Geburt von Tobias hoch. Ja, da war ich total eins mit mir. Ich hatte ihn im Arm und bewunderte ihn. So einen hübschen, perfekten kleinen Jungen. Das ist mein Sohn, so was wunderbares. Ich traute ihn kaum anzufassen, so berührt war ich. Der war die ganze Zeit in meinen Bauch, hat mich getreten und seine Turnübungen gemacht. Ich hatte mich auf der Stelle in ihn verliebt. Ich weiß heute nicht mehr wie lange ich ihn im Arm gehabt hatte, ich hatte alles um mich herum vergessen nichts wahrgenommen. Ja, Kai muss neben mir gesessen haben, ehrlich gesagt, ich weiß es nicht mehr. Ich erinnre mich nur an Tobias und mich. „Einen Augenblick, in dem ihr Herz ganz zärtlich berührt wurde…“ höre ich wieder den Pastor. Ja, genau, Tobias hat ganz zärtlichmein Herz berührt, genauso war es…Ich schweife wieder ab, bis ich ihn zum Schluss höre:“Für die letzte Adventswoche wünsche ich ihnen eine solche Sternstunde..“. Nein, ich schüttel heftig den Kopf, nein, noch so eine Sternstunde möchte ich nicht, darauf würde ich lieber verzichten. Ich bin wieder ganz da und denke nur, hoffentlich hat mich niemand beobachtet…und lächle.

Am Ausgang schüttel ich seine Hand und sage mit einem breitem Lachen:“Tschüss Michael, eine schöne dritte Adventswoche wünsche ich Dir..:“ und fahre ganz beschwingt nach Hause.

Bis auf die Torte, die noch im Ofen ist, habe ich alles geschafft…

© Pirko Lehmitz, www.Stillgeboren.de Dezember 2007

DurchKREUTZEWege

Zwischenhaltgottesdienst
der St.Paulus Gemeinde Buchholz i.d.N.
vom März 2008

ZwischenhaltdwegeAm Sonntag war ich mal wieder in einer unsere Abendgottesdienste. Von einigen habe ich schon einmal berichtet. Sie sind immer etwas ganz besonderes. Er steht immer unter einem Thema,dieses Mal „DurchKREUTZEWege“. Es spielt eine Band, es werden Interviews geführt, man muss etwas machen und es gibt neben der Predigt auch immer eine Geschichte zum Nachdenken. Dieser Gottesdienst löst ganz oft, viele Gedanken in mir aus und deshalb möchte ich Euch heute davon erzählen:

Es wurde die folgende Geschichte erzählt:

„Meine Last ist zu schwer

Ein Mann war mit seinem Los unzufrieden und fand seine Lebenslast zu schwer.

Er ging zu Gott und beklagte sich darüber, dass sein Kreuz nicht zu bewältigen sei

Gott schenkte ihm einen Traum:

Der Mann kam in einen Raum, wo verschiedene Kreuze herumlagen. Eine Stimme befahl ihm, er möchte sich das Kreuz aussuchen, das seiner Meinung nach für ihn passend und erträglich wäre.

Der Mann ging suchend und prüfend umher. Er versuchte ein Kreuz nach dem anderen. Einige waren zu schwer, andere zu kantig und unbequem, ein goldenes leuchtete zwar, war aber untragbar. Er hob dieses und probierte jenes Kreuz. Keines wollte ihm passen.

Schließlich untersuchte er noch einmal alle Kreuze und fand eines, das ihm passend und von allen das erträglichste schien. Er nahm es und ging damit zu Gott. Da erkannte er, dass es genau sein Lebenskreuz war, das er bisher so unzufrieden abgelehnt hatte. –

Als er wieder erwacht war, nahm er dankbar seine Lebenslast auf sich und klagte nie mehr darüber, dass sein Kreuz zu schwer für ihn sei. „

Als die Band danach spielte, kam mir sofort die Erinnerung hoch. Nach Tobias Tod habe ich oft gedacht,warum muss ich das ertragen bzw. das kann ich nicht länger ertragen, das stehe ich nicht durch. Es gab auch immer wieder Punkte, da wollte ich auch einfach nicht mehr. Drei Jahre später als ich im Vorstand der Verwaisten Eltern saß und wir uns zum besseren kennen lernen, erzählten was uns verband, da dachte ich nur: Nein, ich möchte mit niemanden hier tauschen:

Die Mutter, deren vier Monate alter Säugling an einer Lungenentzündung starb, weil ihre Mutter, die Oma, trotz Hinweises nicht ins Krankenhaus gefahren war. Hätte ich das jemals meiner Mutter verzeihen können? Hätte ich überhaupt je wieder mit ihr gesprochen? Aber genau das „Nicht-verzeihen-können“ hätte mich auf der anderen Seite selber aufgefressen.

Oder hätte ich mit meinen Schuldgefühlen weiterleben können, wenn mein vier jährigen Sohn an einem Badesee mit dem ich dort war, ertrunken wäre? Nein, ich glaube, das hätte ich nie geschafft.

Oder wie muss sich eine Mutter fühlen, deren fast erwachsener Sohn sich selber tötet? Als Mutter feststellen zu müssen, ihm nicht helfen, keine Geborgenheit geben zu können. Für mich fast das Grauenhafteste, was eine Mutter ertragen muss.

Keines der anderen Schicksale hätte ich ertragen können, mit niemanden hätte ich tauschen mögen…doch mit meinem hatte ich mich inzwischen arrangiert.

Diese Gedanken gingen mir wieder durch den Kopf und ich war froh, dass ich nur dieses Kreuz zu tragen hatte.

© Pirko Lehmitz, www.Stillgeboren.de März 2008

“In einem Krug hebst du meine Tränen bei dir auf; und zeichnest sie auf in deinem Buch des Lebens.”

GedenkGottesdienst für verstorbene Kinder:Töchter und Söhne, Geschwister und Enkel

8. Dezember 2001, 16 Uhr
Ev. Gemeindezentrum Kradepohl, Bergisch Gladbach-Gronau

Eingangsvotum

Wir sind hier zusammen gekommen mit ganz unterschiedlichen Vorstellungen, als Hadernde und Zuversichtliche, als Zweifelnde und Glaubende, als Menschen, die im Glauben leben, und als solche, denen der Glaube schwindet oder gar verloren gegangen ist.
Verschieden sind wir, und doch gibt es eins, was uns verbindet: die Trauer um Töchter und Söhne, Brüder und Schwestern, Enkel, Patenkinder, Neffen, Nichten, Freunde.
So wie wir sind, sind wir eingeladen, vor Gott zu treten. Denn vor Gott dürfen wir gerade auch mit unser Trauer sein. In Seinem Namen dürfen wir hier sein, im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Klage/Klagepsalm

1. Hinführende Gedanken zum Klagen
Menschen, die inne halten vor Gott, beschreiten einen Weg, machen sich auf den Weg. Auf diesem Weg gibt es verschiedene Stationen. Eine Station ist immer auch die der Klage. Für uns Menschen ist es lebenswichtig, dass wir klagen dürfen.
Denn: Klagen befreit. Es hilft, Versteinertes, Verhärtetes zu lösen – es zum Fliessen zu bringen. Klagen hilft, zu verwandeln und neue Lebenswege zu öffnen.
So wollen auch wir unsere Klage vor bringen, ihm sagen – in Worten und in der Stille –, was uns entsetzt und schmerzt, was uns zweifeln und verzweifeln lässt was uns wütend und sprachlos macht.

2. Klagen – (Elke Sonnenberg)
Gott, ich klage dir meinen Zustand. Ich rede von dir und fühle mich dennoch verlassen. Ich möchte dir vertrauen und ängstige mich dennoch.
Was ist geschehen?!? Weisst du was das bedeutet, dass da ein Kind – eine Schwester, ein Bruder, ein Mensch – nicht mehr da ist? Siehst du das?!? So vieles – ja manchmal habe ich das Empfinden – alles ist aus dem Rhythmus gekommen. Ich lebe im Chaos. Das macht mir Angst und verstört mich zutiefst.

So rede ich zu dir, Gott, und weiss doch nicht, ob du mich hörst.

Einsamkeit umgibt mich. Es ist so still um mich herum und so manches Mal reisst mich das Nichts in seinen Strudel. Ich stürze und weiss nicht wohin. Das zermürbt. Das macht müde und kraftlos. Das klage ich dir, Gott.

Gott, so gerne möchte ich glauben, dass du da bist als mein Wegbegleiter, und dennoch sehe ich so oft keinen Weg. Ich möchte glauben, dass du mir Licht zugedacht hast, aber ich versinke in meinen dunklen Gedanken. Es ist leer in mir. Mir fehlen die Worte. So klage ich dir in der Stille mein Leid, meinen Schmerz, meine Wut.

Stille

Gott, vor deine Füsse werfen wir unsere Klagen und hoffen – hoffen –, dass du sie hörst. Berge du uns. Zeige uns einen Weg, wenn wir durch dunkle Nacht wandern müssen. Amen.

Biblische Lesung: Psalm 56 (i.A.) – (Ute Rapp)

Du, Gott, hast die Tage meines Elends gezählt; es ist aufgezeichnet bei dir. In einem Krug hebst du meine Tränen bei dir auf; und zeichnest sie auf in deinem Buch des Lebens.
Ich habe erkannt: Gott steht mir zur Seite. (…) So gehe ich vor Gott meinen Weg im Licht der Lebenden.

Ansprache – Psalm 56 (Vers 9+10)

Liebe Mütter und Väter, liebe Geschwister und Familien, liebe Mitmenschen!

In den vergangenen Tagen und Wochen habe ich mich langsam an das Thema heran getastet; es ist nach und nach gewachsen. Warum ich mich auf dieses Thema zu bewegt habe: Ich glaube, weil es mir selbst in diesem Jahr sehr nahe gewesen und gekommen ist.Eigentlich bin ich kein Mensch der viel oder schnell weint – so habe ich gedacht, aber dieses Jahr hat manch´ andere Erfahrung mit sich gebracht: Tränen waren oder sind plötzlich da und fliessen, und ich habe viele Menschen mit ihren Tränen gesehen.Ich habe erlebt, wie Tränen Angst machen können: bei anderen und mir. Ich habe gesehen und erlebt, wie Tränen lösen und erleichtern: andere und auch mich selbst.

Tränen gehören zum Menschen; sie sind menschlich – ja: machen uns zu Menschen; sie lassen Gefühle der Trauer und manchmal auch der Freude (ab)fliessen. Tränen erzählen Geschichten. Gerade auch die Tränen, um die wir wissen, können Geschichten erzählen – unzählige!: Geschichten von Menschen, die nicht mehr unter uns leben und die dennoch sehr gegenwärtig für uns sind. Geschichten von Schwestern und Brüdern, von Söhnen und Töchtern, Onkel, Tanten, Cousins, Freunden, … .

Wohl niemand mag ermessen, wie viele Tränen um sie geweint worden sind und auch nach Jahren immer wieder um sie fliessen. Denn wir Menschen weinen, wenn der Schmerz eines Verlustes uns trifft. Wir weinen aus Wut und Scham, aus Reue und Enttäuschung.

Manchmal finden Tränen auch keinen Weg nach draussen, stauen sich in einem an wie in einem Stausee. Mich erinnert daran ein Text, den eine betroffene Schwester aus unserer Kölner Geschwistergruppe geschrieben. Er geht nicht direkt über Tränen, aber er spricht von der Wut, und mit ihr ist es oft ähnlich wie mit den Tränen:

We, Uh, Te   (Elke Sonnenberg)

Wut, da ist sie wieder,
wie so oft in letzter Zeit,
rund, dick,
mitten im Bauch,
nicht loszuwerden,
ein Klumpen, ein dicker, fetter Klumpen,
inzwischen weiss ich wenigstens, wo er hingehört
und manchmal schaffe ich es, ihn loszuwerden,
ohne dass er sich wieder gegen eine Person richtet,
vielleicht Wut über den Verlust,
der so sinnlos erscheint,
nicht greifbar wird,
Wut, die sich jetzt bereits wenigstens ab und zu einmal in Tränen auflöst.
Aber ich kann das Schwert nicht immer finden,
und dann sitzt sie weiter in meinem Bauch,
frisst an mir,
dick, fett, keine Farbe, kein direkt zu benennender Grund,
kein leicht zu findendes, zufriedenstellendes Ventil.

Wut – Tränen: sie sind hier eindrücklich beschrieben. Und es ist gut, sie so oder anders auszudrücken – sie hörbar, sichtbar zu machen.

Hier vorne haben wir ein blaues Tuch ausgelegt: einen Fluss, in das viele Tropfen – auch Tränen – geflossen sind. Wir laden Sie und Euch ein, diesem Meer sichtbare Tropfen – sichtbare Tränen – zu geben. Denn unsere Tränen, die Geschichten erzählen, sind nicht namenlos. Vielmehr tragen sie Namen, die tief in uns eingraviert sind. Die Kinder, um die wir trauern, sind gegenwärtig; sie haben Namen – wir geben ihnen Namen – wir nennen sie beim Namen. Darum laden wir Euch und Sie ein – jeden der mag – auf einen Tränentropfen den Namen des Kindes zu schreiben, um das Sie und Ihr trauert und den Tropfen dann – so Sie und Ihr mögt – auf das blaue Flusstuch zu legen. Vielleicht mögen manche zu dem Namen des Kindes ein Symbol malen. Und bei manchen ist es vielleicht auch so, dass sie um ein Kind trauern, das keinen Namen bekam, weil es sehr früh – während der Schwangerschaft – starb. Vielleicht haben Sie ein Zeichen oder auch ein bestimmtes Wort, das Sie wie einen Namen mit Ihrem Kind verbinden. Wer mag, hat nun Zeit, eine Träne zu beschriften – gemeinsam oder auch allein – und sie auf den blauen Fluss zu legen.

Ansprache Teil II

Tränen erzählen Geschichten. Sie sind nicht nur ein Tropfen Wasser, sondern bergen in sich ein ganzes Universum. Darum sind sie so kostbar. Nicht zuletzt deswegen sind sie auch so wert geachtet von Gott. Er vergisst keine Träne. In den Psalmen spricht eine Beterin – ein Beter:

Du, Gott, hast die Tage meines Elends gezählt; (in einem Krug) hebst du meine Tränen bei dir auf; und zeichnest sie auf in deinem Buch des Lebens.

Gott hebt unsere Tränen auf – ja: er schreibt sie selbst ins Buch des Lebens ein, denn er will sie vor dem Vergessen bewahren. Er sammelt sie in einem Krug auf! Tränen – von Gott gezählt wie kostbare Perlen. Sie sind ihm wichtig. Er lässt sie nicht im Unsichtbaren versiegen, sondern sammelt sie, hebt sie auf; und zeichnet sie in sein Buch des Lebens. Weil Gott die Tränen aufbewahrt; weil er mit ihnen Geschichte schreibt und sie ein für allemal aufhebt, sind sie nicht verloren und können zu neuem Leben helfen.

Denn Tränen lösen das Verhärtete; sie geben dem Starren Lebendigkeit zurück; sie lassen den Schmerz fliessen, der nach aussen dringt, der `raus will aus unserem Körper, der Ausdruck braucht, damit er wenigstens Schritt für Schritt fassbar und begreifbar wird.

Tränen – gespürt in mir drinnen – vielleicht festgehalten auf Zeit und geweint aus Trauer um einen lieben, vertrauten Menschen sind nicht zuletzt auch ein Ausdruck der Liebe, der Beziehung, der Verbundenheit zu diesem Menschen.

Tränen schmerzen und doch haben sie zugleich auch Erlösendes. Denn sie fliessen und bringen damit in Bewegung. Sie sind etwas Lebendiges und helfen zum Leben, zum Neuwerden, zum Wachsen; Tränen – so widersinnig es sich für manchen anhören mag – Tränen sind eine Gabe; eine Gabe Gottes gegen Versteinerung und Todesstarre. Und wenn sie geweint werden und hinausfliessen, dann landen sie doch nicht im Nichts, sondern wie der Psalmbeter es sagt: In einem Krug hebst du, Gott, meine Tränen bei dir auf; und zeichnest sie auf in deinem Buch des Lebens. Und eine Zeit später kann dieser Menschen sagen: So gehe ich vor Gott meinen Weg im Licht der Lebenden.

Da, wo Tränen sein dürfen, wo sie nicht vergessen werden, wo sie geborgen und aufgehoben sind, da kann es geschehen, dass wieder Licht auf dem Wege aufleuchtet. Da kann ein Mensch – vorsichtig tastend, beseelt, getragen von Hoffnung – sagen: Ich gehe vor Gott meinen Weg im Licht der Lebenden.

Licht ist für uns Menschen lebenswichtig. Als Trauernde spüren wir dies oft in besonderer Weise.

Licht – der Schein einer Kerze – ist unaussprechlich wichtig. Denn eine Kerze gibt Wärme, und sie erhellt die Dunkelheit. Kerzen sind wie Boten, die davon erzählen, dass es Licht und Wärme gibt auch jenseits aller Grenzen,
die uns so beschwerlich sind.
Kerzen können unser Leben erhellen und einen Lichtschein in die dunkle Welt hineinbringen. Sie sind Lebenszeichen, und sie sind Zeichen der Erinnerung.

Dass Kerzen an das Leben erinnern – daran, dass wir leben, das soll uns diese rote Kerze erzählen. Diese Kerze wollen wir für uns anzünden: für uns, die wir leben. Rot ist sie wie das Blut, das in uns fliesst, das Leben ist und Leben bringt. Wir wollen sie anzünden, auf dass uns immer wieder ein Licht aufgeht und wir nie vergessen, wie kostbar das Leben ist.

Rote Kerze entzünden

Und zum Gedächtnis an die verstorbenen Kinder, an die Brüder und Schwestern, die Menschen, die uns als Freund, Enkel, Cousin vertraut waren und sind, zünden wir diese sonnengelbe Kerze an. Sie leuchtet zum Gedächtnis derer, die uns – zur Unzeit, viel zu früh – vorangegangen sind.

Gelbe Kerze entzünden

Licht für uns und für die verstorbenen Kinder: Das soll in unserem Gottesdienst seinen Platz haben dürfen. Und so laden wir Sie und Euch, ein jeden und eine jede, die mag, eine Kerze anzuzünden und sie im Glas auf die Träne zu stellen.

Ansprache – Teil III

Kerzen brennen für uns und die Kinder. Sie sind Zeichen für Gottes Wärme und Licht. Sie wollen uns erinnern: Gott ist das Licht, das nicht verlischt, das scheint, damit wir leben, damit wir Leben neu gewinnen und damit jene leben, die durch den Tod hindurch gegangen sind.

Das Vertrauen, die Hoffnung, dass Gott da ist, dass ER sogar im Dunklen wohnt und ihm nicht entflieht, dass ER das Dunkle, Unwirkliche, Schmerzliche mit aushält: das ist uns als verwaisten Geschwistern, als verwaisten Mütter, Vätern, Grosseltern, als Freunden und Wegbegleitern betroffener Familien oft unbegreifbar.

Und doch gibt es diese Hoffnung. Und ist sie manchmal noch so brüchig und wackelig, so spüren Menschen sie doch immer wieder aufs neue in sich.
Der Psalmbeter – die Psalmbeterin haben sie damals – vor langer, langer Zeit – in sich getragen. Und seitdem haben Menschen ihre Worte immer wieder nachgesprochen: vorsichtig tastend – dann vielleicht auch manchmal voller Zuversicht und Kraft. Auch wir sind eingeladen, diese Worte für uns zu probieren – sie zu buchstabieren, vielleicht nur ganz zögerlich und verhalten, und dennoch in dem Vertrauen, dass sie wahr und wirklich sind.

In einem Krug hebst du, Gott, meine Tränen bei dir auf; und zeichnest sie auf in deinem Buch des Lebens.
So gehe ich vor dir, Gott, meinen Weg im Licht der Lebenden.
Amen.

Fürbitte

In einem kleinen Buch von Jörg Zink gibt es eine Passage, die mich sehr fasziniert und die ich gerne unserem Fürbittengebet voranstellen möchte. Jörg Zink schreibt:

(Ute Rapp)
Manche fragen mich: “Darf man für die Toten beten?” Ich wüsste nicht, was uns hindern sollte.
Sie sind ja nicht tot, sondern leben. Gott – sagt Jesus – ist nicht ein Gott von Toten, sondern von Lebendigen. Hier wie drüben. Wenn uns das Gebet mit Menschen verbinden darf, die am anderen Ende der Welt sind, dann doch auch mit denen, die sie verlassen haben. Sie empfangen, was wir ihnen senden, auf dem Weg über die Güte Gottes, die sie auch dort geleitet.

(Dagmar Ibe)
Guter Gott, lass uns nicht verzweifeln und gib uns Kraft mit dem viel zu frühen Tod unserer Kinder weiter zu leben. Lass uns irgendwann wieder die Schönheiten Deiner Erde sehen.
Guter Gott, nimm unsere Kinder auf in Dein Reich und behüte sie. Stärke uns in dem Glauben, dass es Ihnen da, wo sie jetzt sind, an nichts mangelt und dass es ihnen sehr gut geht.

(Michael Laimmer)

(KV)
Gott, wir bitten dich für alle, die trauern und weinen, deren Herz schwer ist und deren Inneres wund.
Für sie bitten wir dich um deinen heilenden Geist.
So bitten wir dich auch für uns: Steh uns bei in unserem Schmerz. Sei an unserer Seite und gebe uns Gewissheit und Zutrauen in deine Nähe.

(Dagmar Ibe)
Guter Gott, wir danken Dir für die Menschen, die immer noch mit uns trauern und die immer wieder mit uns über unsere Kinder sprechen und somit dazu beitragen, dass unsere Kinder nicht vergessen werden.
Guter Gott, wir bitten Dich weltweit für die vielen Eltern, die im letzten Jahr ihr Kind verloren haben. Tröste sie in Ihrem furchtbarem Leid.

© 2001 Kristiane Voll

Der Trost des christlichen Glaubens

von Peter Godzik

Religiöse Menschen werden in ihrer Trauer Zuflucht bei Gott suchen und ihr Kind aufgehoben wissen bei Gott. Er ist es, der es gegeben und wieder zu sich genommen hat. Durch allen Schmerz und alle Traurigkeit hindurch kann das unbedingte Vertrauen auf seine Güte und Hilfe einen tragenden Grund bilden. Denn: »Unsere Kinder sind nicht unsere Kinder« (Kahlil Gibran). Sie gehören einer Lebens- und Liebesgeschichte, die Gott mit ihnen vorhat.

Gott kennt und erwählt uns, noch ehe wir geboren werden: “Da ich noch nicht geboren war, da bist du mir geboren und hast mich dir zu eigen gar, eh ich dich kannt, erkoren”.

(Evangelisches Gesangbuch 28,2). Er ruft uns ins Dasein, indem er uns Eltern anvertraut, die durch eine bestimmte Form der Liebe gezeigt haben, daß sie eins miteinander sind und bereit, ein Kind zu empfangen.

Manchmal gibt Gott Leben auch in eine schwache, gefährdete und lieblose Beziehung. Er will damit nicht noch mehr belasten oder gar zerstören, sondern segnen und heilen. Das heranwachsende Kind übermittelt dann jene Botschaft, wie wir sie aus der Josefsgeschichte kennen: »Ihr gedachtet es, böse mit mir zu machen, aber Gott gedachte es gut zu machen« (1. Mose 50,20). Deshalb finde ich es so wichtig, die heranwachsende Leibesfrucht in jedem Fall als Gabe des Herrn (Psalm 127,3) zu achten und zu schützen. Wir werden von Gott gebildet im Mutterleib (Psalm 139,13) für ein Leben in dieser Welt in der Gemeinschaft mit anderen Menschen. Manchmal geschieht es, daß ein im Mutterleib heranwachsendes Kind nicht in dieses Leben hinein geboren wird, sondern von Gott zu sich gerufen wird in seine himmlische Herrlichkeit. Dort lebt und wächst es weiter in einer für uns verborgenen Weise. Es dient Gott, nicht uns mit seinen Gaben.

In früheren Zeiten haben Künstler deshalb die Altäre in den Kirchen mit vielen Kindergesichtern umgeben. In Zeiten hoher Kindersterblichkeit wollten sie damit die Eltern trösten und ihnen zeigen, daß ihre Kinder leben und eine Aufgabe haben bei Gott. Der frühe Tod eines Kindes kann viele Gründe haben. Gründe, die wir nicht verstehen und niemals verstehen werden. Aber auch Gründe, die sich allmählich unserem Verstehen aufschließen und die wir vielleicht eines Tages annehmen können.

Es tut weh, wenn ein erwartetes Kind nicht in unsere Arme hinein geboren wird und bei uns aufwachsen darf; wenn wir es hergeben müssen, noch ehe es geatmet hat. An seinem toten Körper können wir die Spur jenes »Hauches von Leben« entdekken, den es in dem uns unzugänglichen Raum des Mutterleibes gehabt hat. Es ist — vielleicht auch mit Gefahr und Ängsten, wie Luther einmal vom Sterben allgemein gesagt hat — geboren worden in das Leben vor Gott, das auch auf uns wartet, wenn wir unseren irdischen Weg vollendet haben.

Es hinterläßt mit seinem kurzen Dasein eine Botschaft, die es für uns zu entschlüsseln gilt. In unserer Trauer geht es nicht um das, was vielleicht noch hätte sein können und was wir von diesem Kind alles erwartet haben; sondern darum zu verstehen, was Gott uns mit all dem sagen will — ganz ähnlich wie in der Geschichte der Emmaus-Jünger, die auch traurig waren über den Tod Jesu und erst nicht verstanden haben, warum das alles geschehen mußte und was Gott ihnen mit diesem schmerzlichen Erlebnis an heilsamer Liebe geschenkt hat (Lukas 24,13-35).

Jedes Kind wird geboren und lebt — entweder in der himmlischen Welt bei Gott, geborgen in einem Frieden, den wir ihm nicht zu geben vermögen; oder in dieser irdischen Welt bei seinen Eltern, ihrer Obhut und Fürsorge anvertraut, den Gefährdungen und Möglichkeiten des Lebens ausgesetzt, aufwachsend unter dem Segen Gottes, der allein gibt, daß Leben gedeihen kann: »… der uns von Mutterleib und Kindesbeinen an unzählig viel zugut und noch jetzund getan« (EKG 228,1).

Ansprache zum “Gedenkgottesdienst für verstorbene Kinder” Frankfurter Kirchentag, 15. Juni 2001

von Kristiane Voll

Liebe Mitmenschen! Und ganz besonders: Liebe Mütter, Väter, Geschwister und Familienangehörige, die Sie undKirchentag Ihr um ein verstorbenes Kind in Ihren Familien trauern!

Zu Beginn dieses Gottesdienstes haben wir Klagen gehört. Klagen zu können und zu dürfen ist auf den ganz unterschiedlichen Wegen durch die Trauer lebenswichtig. Denn Klagen gibt dem Schmerz Raum und Ausdruck. Das zu haben, ist all´ zumal für trauernde Eltern, Geschwister und Menschen aus ihrem nächsten Umfeld wichtig, denn für sie ist die Trauer um den Tod eines Kindes eine dunkle und zutiefst schmerzliche Zeit. Das auszuhalten und zu ertragen, erfordert äusserste Kraftanstrengung.

Trauernde, Traurige, Verzweifelte erleben sich oft wie auf Wüstenwegen. Der Verlust – der Tod des vertrauten, geliebten Menschen – der Tod eines Kindes – hat aus einer bewachsenen, blühenden Landschaft eine Wüste werden lassen. Und dort nun – in dieser unbekannten, unwirtlichen Gegend – in der Wüste – müssen sie einen Weg finden.

Durch Wüste zu gehen, macht Angst. So viel Angst, dass man einfach nur fliehen möchte. Und doch tut es not, diesen Weg durch die Wüste zu gehen, weil wir nur so das Gewesene wahrnehmen und neues Leben entdecken können.

Wüstenzeiten sind harte Zeiten. Sie bedeuten ein beständiges Suchen nach der verschütteten, verborgenen Lebensader. Gibt es sie überhaupt noch – diese Lebensader? Die Wüste lässt oft daran zweifeln, weil es kaum Zeichen von Leben gibt und das Vertraute fehlt.

Wie soll ich leben ohne mein Kind? – Ohne meine Schwester? – Ohne meinen Bruder? Was ist das für ein Leben? Wo blühendes, wachsendes Leben war, spüre ich plötzlich Leere. Das Leben wird zur Wüste.

Durch diese Wüste einen Weg zu finden, kostet unendlich viel Kraft. Es ist härteste Arbeit. Es braucht enorme Anstrengungen, gegen Sand und Wind, gegen Durst und Erschöpfung, zu kämpfen und den Weg zur nächsten Zisterne zurückzulegen. Die brütende, lähmende Hitze am Tag, die klirrende Kälte der Nacht, das Gefühl der ohnmächtigen Winzigkeit inmitten einer grenzenlosen Weite kosten Kraft und führen nicht selten an die Grenzen dessen, was möglich ist. Inmitten der Not und der Entsagung werden jeder Tropfen Wasser, jeder kleine Schattenfleck kostbar.

Manche sagen: “Die Wüste lebt.”, aber das dringt kaum in das Bewusstsein derer durch, die am Anfang ihrer Wüste stehen. Es braucht Zeit, dafür ein Gespür und einen Sinn zu bekommen. Es braucht Zeit, um sich in der Wüste zurecht zu finden und sie als einen Ort des Lebens – als einen Ort des verborgenen, unscheinbaren Lebens zu entdecken.

Ich möchte uns dazu eine kleine Geschichte erzählen, die davon auf ihre Weise etwas zum Ausdruck bringt:

Ein Fluss wollte durch die Wüste zum Meer. Aber als er den unermesslichen Sand sah, wurde ihm Angst, und er klagte: “Die Wüste wird mich austrocknen, und der heisse Atem der Sonne wird mich vernichten.” Da hörte er eine Stimme, die sagte: “Vertraue dich der Wüste an.” Aber der Fluss entgegnete: “Bin ich dann noch ich selber? Verliere ich mich nicht?” Die Stimme antwortete: “Nein, du wirst dich nicht verlieren.”
So vertraute sich der Fluss der Wüste an. Wolken sogen ihn auf und trugen ihn über die heissen Sandflächen. Als Regen wurde er am anderen Ende der Wüste wieder abgesetzt. Und aus den Wolken floss ein Fluss – der Fluss, neu und verändert und doch zugleich auch der gleiche.
(nach Gerhard Eberts, gefunden in: Elsbeth Bihler, Symbole des Lebens – Symbole des Glaubens II, Limburg 1998, 16)

Trauer – die Trauer um ein verstorbenes Kind – ist wie der Weg des Flusses durch die Wüste. Der Fluss hat Angst – grosse Angst. Er klagt und zaudert. Die Angst, sich ganz und gar zu verlieren, ist übermächtig.

Der Fluss braucht Zuspruch, um sich auf das Wagnis seines Weges einzulassen. Auf diesem Weg verändert und verwandelt er sich, und doch bleibt er auch er selbst. Eine schwer vorstellbare Erfahrung: wie soll das gehen? Ich glaube, diese Erfahrung erschliesst sich erst im Erleben. Sie ist mit Worten nicht wirklich zu beschreiben und verständlich zu machen. Ein klein wenig vermag vielleicht die Geschichte davon anzudeuten.

So wie der Fluss Zuspruch und Ermutigung braucht, so brauchen gerade auch trauernde Familien Zuspruch und Begleitung. Auf den Wüstenwegen durch die Trauer ist es unendlich wichtig, Momente des Trostes zu erleben: Eine entgegen gestreckte Hand, eine Umarmung, ein freundliches Wort, die Ermutigung, zu erzählen, ein verständnisvoller Blick können solche tröstlichen Momente sein. Sie sind Lebenszeichen in der Wüste und helfen, den schweren Weg zu gehen.

Die Flussgeschichte erzählt, dass der Fluss sich am Ende der Wüste wiederfindet – neu findet und dass er Leben findet.

Leben finden – Hoffnung auf Leben entdecken: Als betroffene Schwester weiss ich, dass das für viele trauernde Mütter und Väter, für trauernde Brüder, Schwestern und Familienangehörige häufig etwas Schweres, etwas Unwirkliches ist. Im Wissen darum möchte ich mit ein paar Sätzen von meiner Hoffnung erzählen.

Ich vertraue darauf, dass es Gott gibt – dass er da ist, wenn ER mir auch oft unendlich fern scheint.
Und ich vertraue darauf, dass Gott stärker ist als der Tod. Ich glaube, dass er Leben schenkt – Leben auch jenseits des Todes. Es gibt Erfahrungen, die mich in diesem Glauben bestärken; und es gibt Worte, die diesem Vertrauen einen Grund geben. Ein biblischer Vers, der mich hier besonders anrührt und stärkt, steht beim Propheten Jesaja: “Wie ich strömenden Regen über verdurstendes Land ausgiesse, so giesse ich meinen Lebensgeist über dich aus.” Amen.

Abschied von Baby Mose Welt online

Sichtlich berührt blicken die Trauergäste auf den gerade 60 Zentimeter langen Kindersarg in der Kapelle des Friederikenstifts in Hannover. Als dann die evangelische Landesbischöfin Margot Käßmann die bewegende Trauerrede für Mose hält, der Anfang Januar tot vor einer Babyklappe gefunden wurde, kommen einigen die Tränen.

Ein Bestatter trägt den kleinen Sarg. Neben ihm Margot Käßmann. Sie hielt die Trauerfeier in Hannover Foto: AP
Ein Bestatter trägt den kleinen Sarg. Neben ihm Margot Käßmann. Sie hielt die Trauerfeier in Hannover
Foto: AP

Käßmann hatte den Sarg und das Blumengebinde selbst ausgesucht. Unter dem Deckel aus Kiefernholz liegt der in ein Frotteetuch eingewickelte Leichnam des Säuglings, neben ihm ein weinender Engel. Am Freitag ist Mose in einem Gräberfeld für Kinder beigesetzt worden. „So wird er unter Kindern zumindest im Tod geborgen sein“, sagt Käßmann.

„Wir nehmen Abschied von einem kleinen Menschenkind, dessen kurzer Lebensweg uns alle aufgeschreckt und erschüttert hat“, sagt Käßmann vor etwa 80 Trauergästen, darunter zahlreiche Pfleger, Ordensleute und Ärzte. Dieser erschütternde Tod zum Beginn des neuen Jahres sei eine Mahnung an alle, für die Kleinen einzutreten, ihnen beizustehen, damit keines verloren werde. Auch die Mutter schloss Käßmann in ihr Gebet ein. „Tröste sie, wenn die Tage für sie trostlos sind“, bat sie. Sie hofft, dass die Mutter des kleinen Mose mit dem Grab einen Ort hat, „an dem sie trauern kann, sollte sie ihn je suchen.“ mehr

Spielzeug auf dem Friedhof

Das Grab ist eines unter vielen. Auf dem Friedhof im Ortsteil Stöcken sind Säuglinge begraben, die noch während der Schwangerschaft oder als Frühgeborene starben. Auf dem Gräberfeld liegt Spielzeug neben einer liebevoll gestalteten winzigen Waldnachbildung mit Tieren und einem Schneemann. Ehe die Grabstelle von Mose geschlossen wird, wirft Margot Käßmann eine weiße Rose auf den Sarg hinab. Zuvor hatte sie sich persönlich am offenen Sarg von Mose verabschiedet. „Das kleine Gesicht, das nach Erfrieren und Obduktion fast friedlich aussah, eingehüllt in ein grünes Frotteetuch, werde ich nicht vergessen.“

Die Landesbischöfin hat in den vergangenen Tagen das Schicksal des kleinen Jungen sehr bewegt. Sie ist Schirmherrin des für die Babyklappe zuständigen Hilfsnetzwerkes „Mirjam“. Die Hintergründe der Tragödie sind indes noch unklar. Möglich sei auch, dass ihn jemand in das rettende Babykörbchen legen wollte und daran gehindert wurde, durch eine Störung oder einen mechanischen Defekt, sagte Käßmann in ihrer Trauerrede.
Bedienung der Babyklappen einfacher machen

Sie will sich mit den Betreibern und Herstellern in den kommenden Tagen zusammensetzen, um die Bedienung der Babyklappen noch einfacher zu machen. Ein Gutachten von Experten des Landeskriminalamtes und der Dekra hatte ergeben, dass sich die Babyklappe nicht entsprechend der Anleitung öffnen ließ. Ein zweites Gutachten ist bereits beantragt. Noch ist aber unklar, ob der erst wenige Stunden zuvor geborene Junge auf den eiskalten Stufen vor der Babyklappe gestorben ist, oder vorher bereits tot war.

http://www.welt.de/hamburg/article1542514/Abschied_vonbrBaby_Mose.html

11. Januar 2008, 15:17 Uhr
Von Andre Jahnke

Anprache der Landesbischöfin zu Matthäus 18, Vers  14

Friederikenstift und Friedhof Stöcken am 11.01.2008

Liebe Gemeinde,
Wir müssen heute Abschied nehmen von einem kleinen Jungen, den keiner von uns kannte. Ja, auch seine Eltern, seine Herkunft kennen wir nicht. Und doch hat dieses Kind in den vergangenen Tagen die Herzen vieler Menschen bewegt. Ich habe das gespürt, als jemand anrief und die Bestattung ausrichten wollte, als Menschen Blumen spenden wollten, als jemand angeboten hat, ihm einen Grabstein zu gestalten. Dieses Kind hat Herzen bewegt und Mitmenschlichkeit, ja Liebe zutage treten lassen mitten in allem Entsetzen über seinen Tod.

Im Matthäusevangelium sagt Jesus: „Also ist´s auch bei eurem Vater im Himmel nicht der Wille, dass eins von diesen Kleinen verloren werde“. Immer wieder ist erstaunlich, dass Jesus in einer Gesellschaft, in der Kinder rechtlos waren, ihre Würde in den Mittelpunkt stellt. Er sieht sie geradezu als Vorbild. Als Vorbild vor allem, weil sie sich ganz und gar der Liebe Gottes anvertrauen. Ja, weil sie ganz und gar auf Gott und die Liebe der Menschen angewiesen sind.
Ein solcher Tod eines völlig hilflosen Kindes treibt uns um. Wie konnte Gott das zulassen? Warum war die Mutter derart verzweifelt. Wieso wurde es nicht durch warme Kleidung vor der Kälte bewahrt?
Ich bin überzeugt, Gott wollte dieses Kind schützen, ja wollte, dass wir dieses Kind bergen können. Keines soll verloren gehen! Das ist immer wieder unser Auftrag, unsere Herausforderung. Dieser erschütternde Tod zum Beginn des neuen Jahres ist eine Mahnung an uns alle, für „die Kleinen“ einzutreten, ihnen beizustehen, damit keines verloren werde.

Wir wissen nicht, was sich zugetragen hat in jener Nacht. Viele von uns stellen sich Fragen: War er schon tot, als er abgelegt wurde? Hat ihn jemand in der Kälte dem Erfrieren überlassen? Oder wollte ihn jemand in das rettende Babykörbchen legen und ist daran gehindert worden durch eine Störung oder einen mechanischen Defekt? Alle diese Vorstellungen sind erschütternd. Wir können sie nicht beschwichtigen. Wir können sie nicht nachweisen. Sie bleiben zur Zeit Spekulation. Aber sie müssen uns drängen, noch energischer für Mütter und ihre Kinder einzutreten.

Gestern Nachmittag haben wir im kleinsten Kreis am offenen Sarg Abschied genommen. Für mich war das ein bewegender Moment. Denn es wurde klar: da geht es nicht um den „toten Säugling“, da geht es um einen kleinen Menschen, der gern gelebt hätte, der ein Gesicht hat, der in seinem so furchtbar kurzen Leben so viel erlitten hat. Das kleine Gesicht, das nach Erfrieren und Obduktion fast friedlich aussah eingehüllt in ein grünes Frotteetuch werde ich nicht vergessen.

Am letzten Sonntag habe ich ihn Mose genannt. Nein, dieser Name ist nicht eingetragen. Dieses Kind hat kein Stammbuch. Doch es sollte gerettet werden wie der kleine Mose in der biblischen Geschichte, den seine Mutter in höchster Gefahr einem kleinen Körbchen anvertrautet. Aber keine Mirjam konnte mehr für unseren Mose hier im Sarg sorgen. Als rettende Hände ihn fanden, war er bereits tot.

Wir haben Mose einen Engel in seinen Sarg gelegt. Ein Engel ist auch auf dem Vorderbild unseres Liedblattes abgedruckt. Er sitzt ist in der Krypta der Stiftskirche zu Fischbeck auf dem Fenstersims zu finden. Und er weint. Ursprünglich saß er auf einem Kindersarg der Familie der Grafen zu Schaumburg. Der weinende Engel – er weint mit uns um das unvollendete, das Zerbrochene im Leben. Er weint mit uns um dieses Kind.

Ich denke, auch Gott weint mit uns um dieses Kind. Wenn wir es heute würdig bestatten, kommen wir einer Christenpflicht nach. Für uns endet die Würde des Menschen nicht mit dem Tod. Wir glauben, dass der Name dieses kleinen Jungen, der auf so entsetzliche Weise ums Leben kam, bei Gott in das Buch des Lebens eingeschrieben ist. Wir können den kleinen Mose auf einem Gräberfeld für Kinder beisetzen, die noch in der Schwangerschaft starben oder als Frühgeborene, als Kinder, die bereits geborgen waren in einer Familie. So wird er unter Kindern zumindest im Tod geborgen sein. So wird auch seine Mutter einen Ort haben, an dem sie um ihn trauern kann, wenn sie je diesen Ort sucht.
Im Christentum gehörte es von Anfang an dazu, Menschen würdig zu bestatten. Schon Josef von Arimathäa stellt in der biblischen Erzählung sein Grab zur Verfügung, damit Jesus mit Würde bestattet werden kann nach diesem so grauenvollen Sterben. Im Urchristentum galt als Kennzeichen, dass jeder, auch der Sklave, die Rechtlose von der Gemeinde, zu der sie gehörten, eine solche Bestattung erhielt. Sie gilt als siebtes Werk der Barmherzigkeit Es gehört in christlicher Tradition zu unseren Pflichten, auch unbekannte Tote zu waschen, zu kleiden und zu bestatten.

So wollen wir den kleinen Mose nun begleiten auf dem Weg zu der Geborgenheit in Gottes Liebe mit aller Trauer, dass wir ihm diese Liebe unter uns Menschen nicht geben konnten. Gott weint mit uns. Der Engel weint mit uns. Wir weinen um dieses Kind. Wir vertrauen es der Barmherzigkeit Gottes an, der seinen Namen kennt.
Amen.

Predigt aus dem Gottesdienst Zwischenhalt „Abschiednehmen“

vom 19.11.2006 St. Paulus (Buchholz i.d.N.)

Abschiednehmen06
Pastorin Bürig

von Pastorin Christiane Bürig

Liebe Gemeinde,

das Leben besteht aus Abschieden. Ich denke zunächst an die vielen kleinen Abschiede im Alltag. Wie oft sagen wir Tschüß! Oder: bis Morgen!

Und es gehört auch mancher endgültige Abschied dazu, ich denke jetzt noch gar nicht an den Tod. Auch das Leben bringt endgültige Abschiede: Trennungen von Paaren, Freundschaften, die im Sande verlaufen, Nachbarn, die wegziehen. Für viele der älteren Generation der Abschied von der Heimat und ihren vielen Gesichtern durch die Flucht.

Das Leben besteht aus Abschieden.

Irgendwann ist es das erste Mal der Tod eines nahen Menschen.Irgendwann ist da unser eigener Tod, Abschied vom Leben auf diesem wunderschönen Planeten mit den Tautropfen auf dem Gras, dem Baumrauschen und den Menschen, die wir lieben.

Das Leben besteht aus Abschieden.

Pastorin Christiane Bürig

Daß der endgültige Abschied Tod in unserer Gesellschaft weggeschoben und an den Rand gedrängt wird, ist ein Phänomen, das oft besprochen wurde. Bestatter fahren in grauen Wagen, wir sprechen von „entschlafen“ oder „eingeschlafen“, gestorben wird im Krankenhaus, oft auch, wenn es die Situation überhaupt nicht erfordert hätte. Die Medizin hat den Tod soweit hinausgeschoben wie möglich, so weit, daß einem Angst und Bange werden kann und wir mit Patientenverfügungen reagieren. Die sollen sicherstellen, daß wir irgendwann dann auch mal sterben dürfen.

Der endgültige Abschied Tod wird an den Rand gedrängt. Wir sehen es auch daran, wie unsere Rituale um Sterben und Tod verdorrt sind. Die Bestattung im engsten Kreise – selbst da wo ein Verstorbener mitten im Leben stand… sollen Nachbarn, Freundeskreis, Kollegen keinen Abschied nehmen dürfen?

Die anonyme Bestattung – wir leben doch auch mit einem Namen, warum dürfen wir nicht mit einem Namen sterben? Angehörige, Bekannte werden des Ortes beraubt, an dem sie weinen, Zwiesprache halten oder einfach sich besinnen können.

Oder die Tatsache, daß viele Familien ihre Kinder nicht mit zur Beerdigung nehmen, obwohl die es gerne würden – noch nicht einmal zum Abschied von Großeltern, die sie doch lieb hatten. Auch ein Kind hat eine Recht aufs Abschiednehmen.

Der Tod verdrängt – wir sehen es auch daran, wieviel Wissen über Trauerprozesse verloren gegangen ist.

Wieviele Witwen haben mir erzählt, daß sie ihren Mann als anwesend fühlen, nicht sichtbar, aber wahrnehmbar anwesend in der Wohnung, wie ein Schatten jenseits des Blickfeldes – und jede dachte, jetzt wird sie verrückt. Dabei scheinen solche Erfahrungen zum Trauern dazu zu gehören. Oder daß wir immer vom „Trauerjahr“ sprechen, als sei es dann geschafft. Dabei scheinen Trauerwege eher eine Art Spirale zu sein, wo man immer wieder an die gleichen Punkte kommt: Weihnachten, Hochzeitstag, nach Jahren noch die gleiche Traurigkeit, nur daß sie im Laufe der Zeit schneller zu bewältigen ist.

Oder daß wir immernoch vom „loslassen“ reden. Niemand kann einen geliebten verstorbenen Menschen loslassen. Es muß sich nur die Art der Beziehung ändern zu einer verinnerlichten Form des Kontakts.

Der Tod verdrängt – wieviel Unsicherhiet das mitsichbringt: wie sollen wir Trauernden begegnen? Wie sollen wir Sterbenden begegnen? Aus Angst vor unseren Gefühlen, treten wir die Flucht an.

Uns fehlt eine Kultur des Sterbens und des Trauerns. Das Wissen früherer Zeiten ist verloren gegangen. Ein neues, in unserer Zeit passendes Wissen muß erst noch entwickelt werden.

Solange wir auf der Flucht sind, vergrößern wir das Leid. Das Leid der Betroffenen, und unser eigenes.

Eines müssen wir uns dabei klar machen: Es wird so tausend- und abertausendfach gestorben auf der Welt. Gewalt ist im Spiel und Hunger und Verwahrlosung, ungerechte Strukturen, verseuchtes Trinkwasser und Krieg… wie oft ist da überhaupt keine Gelegenheit, mal eine Hand zu halten. Wir haben zur Zeit in unserer Gesellschaft das große Glück, daß die Not nicht über uns zusammenbricht, sondern daß Spielraum da ist, daß wir die Möglichkeit haben, uns um Sterbeprozesse zu kümmern…Wir sollten diese historisch und global betrachtet glückliche Lage nutzen und es für die sterbenden Menschen gut machen!

Wie das aussehen kann – dafür hat die Hospizbewegung zwei zentrale Antworten. Denn was ist die größte Angst, wenn wir an unser Sterben denken?

Daß wir Schmerzen leiden müssen. Die Medizin kann Schmerzen inzwischen sehr, sehr gut und auf den Patienten zugeschnitten verhindern. Auf dieses Thema wurde sie von der Hospizbewegung angesetzt und hat große Erfolge erzielt.

Die zweitgrößte Angst ist: Einsam zu sterben. Auch darauf hat die Hospizbewegung eine Antwort, wenn entweder Sterbende Zuhause von ehrenamtlichen Sterbebegleitern aufgesucht werden oder wenn sterbenden Menschen in einem Hospiz begleitet werden.

Für mich ist die Hospizbewegung schon eine Antwort auf die Tabuisierung des Todes in der Gesellschaft und eine Trendwende.

Wir fangen an, wieder dahin zu schauen.

Ein Hospiz ist mehr als ein Ort zum Sterben. Es ist ein Zentrum, das sein Wissen und seine Erfahrungen ausstrahlt. Die Angehörigen, deren sterbender Mensch im Hospiz lebt, werden zugleich entlastet – was die Pflege angeht – und herangeführt – was die Begleitung angeht. Ein Lern – und Erfahrungszentrum zum Thema Abschied nehmen. Nach und nach können immer mehr Menschen von der Tabuisierung und Überforderung zu einer Kultur des Sterbens und des Trauerns finden. Zu einer Kultur des Abschieds.

Und indem wir tiefer dahineinschauen, stellen wir plötzlich fest: Indem wir mehr über den Tod und den Abschied und das Trauern lernen, lernen wir mehr über das Leben!

Am besten kann ich das an einer eigenen Erfahrung zeigen. Der Tod gehört nämlich immer mit in  mein Leben. Mein Vater starb relativ früh – und in meinem Beruf geht es ja jede Woche um Trauern und Abschied. Und ich dachte eine ganze Zeit, daß ich damit ganz gut versöhnt sei. Bis ich einen 34-Jährigen zu beerdigen hatte. Und ich war da gerade 34. Das war etwas anderes. Und ich dachte: O.K., jeden Tag, den ich ab jetzt habe, habe ich mehr als er. Was mache ich denn damit? Und plötzlich war mir klar: Tod und Leben gehören zusammen, nicht nur so, daß der Tod eben das Leben begrenzt, sondern so, daß er es intensiviert, Vertieft. Überhaupt als wertschätzendes Leben ermöglicht.

Erst wenn ich die Grenze anerkenne und fühle, kann ich fragen, was innerhalb dieser Grenzen geschehen soll. Qualität des Lebens! Und dann auch des Sterbeprozesses. Vielleicht gerät die Frage nach der Länge des Lebens sogar in den Hintergrund angesichts der Frage nach der Qualität. Im Hospiz jedenfalls geht es nur noch um diese Qualität. Leben ganz im Jetzt, wo man über die Zukunft und die Länge nichts Hoffnungsvolles mehr sagen kann.

Insofern ist das Hospiz nicht nur ein Modell für das Sterben, sondern auch ein Modell für das Leben. Intensiv. Im Jetzt. Ehrlich. Verbunden mit den Gefühlen.

Das Leben besteht aus Abschieden. Trotzdem den Tod verdrängen? Das hat sich nicht bewährt. Weder für Sterbende, noch für Trauernde. Noch für das Leben mit seiner Qualität selbst. So fangen viele Menschen langsam wieder an, sich den Gefühlen zu stellen. Und machen die Entdeckung, daß das Hinschauen, das Nichtfliehen, daß das bereichert.

Wie in unserer Geschichte. Nur wenn wir die Traurigkeit, den Schmerz wirklich fühlen, geht es weiter. Das hilft. Das verbindet mit anderen. Das vertieft. Das läßt uns das Leben wertschätzen. Nur durch die Traurigkeit, den Schmerz hindurch geht es weiter, nicht daran vorbei. Es ist wie wenn wir durch die Traurigkeit hindurchtauchen, oder wie wenn wir den Schmerz austrinken… Der Traurigkeit ins Auge schauen – dann entsteht neue Hoffnung. Dann entsteht neue Daseinsfreude. Dann entsteht Qualität im Leben.

Das Leben besteht aus Abschieden. Was über diese Gedanken vom Glauben her hinaus noch zum Thema Abschied zu sagen ist, bringt das nächste Lied wunderbar zum Ausdruck, wie ich finde.

Weltgedenktag für alle verstorbenen Kinder

Ein Licht geht um die Welt

Jedes Jahr sterben allein in Deutschland 20.000 Kinder und junge Erwachsene, weltweit sind es um ein Vielfaches mehr. Und überall bleiben trauernde Eltern, Geschwister, Großeltern und Freunde zurück. Täglich wird in den einzelnen Familien dieser Kinder gedacht. Doch einmal im Jahr wollen weltweit Betroffene nicht nur ihrer eigenen Töchter, Söhne, Schwestern, Brüder, Enkel und Enkelinnen gedenken.

Jedes Jahr am 2. Sonntag im Dezember candlelightingstellen seit vielen Jahren Betroffene rund um die ganze Welt um 19.00 Uhr brennende Kerzen in die Fenster. Während die Kerzen in der einen Zeitzone erlöschen, werden sie in der nächsten entzündet, so dass eine Lichterwelle 24 Stunden die ganze Welt umringt.

Jedes Licht im Fenster steht für das Wissen, dass diese Kinder das Leben erhellt haben und dass sie nie vergessen werden. Das Licht steht auch für die Hoffnung, dass die Trauer das Leben der Angehörigen nicht für immer dunkel bleiben lässt. Das Licht schlägt Brücken von einem betroffenen Menschen zum anderen, von einer Familie zur anderen, von einem Haus zum anderen, von einer Stadt zur anderen, von einem Land zum anderen. Es versichert Betroffene der Solidarität untereinander. Es wärmt ein wenig das kalt gewordenen Leben und wird sich ausbreiten, wie es ein erster Sonnenstrahl am Morgen tut.

Um den Weltgedenktag auch in der Öffentlichkeit bekannt zu machen, habe ich in den letzten Jahren für Interviews zur Verfügung gestanden.

ha00tobias“Tobias ist tot – und doch immer da” (Hamburger Abendblatt vom 09.12.2000)

Der silberne Stern bewegt sich sachte, immer wenn ein Luftzug durch das Wohnzimmer strömt. „Tobias, 22. 8 1997“ steht darauf. Es ist sein Geburts- und Sterbedatum. Der Junge kam in der 24. Schwangerschaftswoche mit 530 Gramm zur Welt. Er starb während der Geburt. Mehr

Jede Kerze leuchtet für ein totes Kind (Bild am Sonntag 8.12.2002)

Tausende von Kerzen leuchten heute in Deutschlands Fenstern, um an alle Kinder zu erinnern, die der Tod aus ihren Familien riss. In Deutschland sterben jährlich 20 000 Kinder: „Die Eltern und Verwandten werden mit ihrer Trauer total allein gelassen. Deshalb entzünden deutschland- und europaweit sowie in Amerika Angehörige Kerzen, um öffentlich zu trauern“. Mehr

Narben bleiben ein Leben lang

Artikel aus dem Schwabacher Tageblatt vom Dezember 2001 anläßlich eines Gottesdienstes im Eichwasen an viel zu früh verstorbene Kinder. Bericht über Conny (Cidy). Mehr

Hinweis im Gottesdienst auf Weltgedenktag

Cidi01Inzwischen versuche ich fast jede Möglichkeit zu nutzten, auf den Weltgedenktag hinzuweisen. Auch in meiner Gemeinde habe ich letztes Jahr (2002) und die nächsten Jahre (2003,2004,2005) erfolgreich auf den Weltgedenktag im Gottesdienst hinweisen dürfen. Ich schrieb einfach an unseren „diensthabenden“ Pastor mit der entsprechenden Brief. Er meldete sich daraufhin prompt per Telefon und einen Tag später besuchte ich ihn und wir besprachen alles. Dieses Jahr ist es mir gelungen, schon vorher im Gemeindeblatt einen Hinweis mit einem eigenem Text unterzubringen. Mehr

Tips für Gedenkgottesdienste

Für diejenigen, die vielleicht zum ersten Mal einen Gedenkgottesdienst organisieren wollen oder als Anregung habe ich hier einige Tips für Gedenkgottesdienste zusammengestellt.

Gedenkgottesdienst der Selbsthilfegruppen Verwaiste Eltern Schmalkalden zum  Thema Schmetterlinge

Martina Freitag aus Schmalkalden hat mir einen Bericht, Ablaufplan und sämtliche dazugehörige Texte und Lieder ihres Gedenkgottedienst 2001 zur Verfügung gestellt.Mehr

Gedenkgottesdienst in Bad TölzCidi02kl

Susanne Brandl aus Tölz hat mir einen Bericht, Ablaufplan und sämtliche dazugehörige Texte ihres Gedenkgottesdienst 2004 zur Verfügung gestellt. Mehr

Predigt im Gedenkgottesdienst

Predigt aus einem Gedenkgottesdienst von Christiane Voll und eine Ansprache zum Krichentag, als Beispiel für eine Predigt.
Gottesschmaldkalschmetter
Besonders schön empfinde ich es immer, wenn der Gottesdienst unter einem Motte oder einem Thema steht wie z.B. der von Martina aus Schmalkalden das Thema „Schmetterlinge“ hatte. Auf meinen Kalenderblättern habe ich auch immer versucht, ein Thema in den Vordergrund zu stellen, wie z.B. Thema Taube, Strand und Meer, Wüste. Wer mag kann sich hier einige Anregungen holen. Mehr

Gedenkgottesdienst für verstorbene Kinder in Bad Tölz

Liebe Pirko,
Der Gottesdienst war übrigens ein voller Erfolg.

Dazu muss ich sagen, als ich (im November) nach meiner FG Trost bei der Kirche suchte, gerne einen solchen Gottesdienst für verstorbene Kinder besucht hätte. Ich habe den Diakon damals gefragt, warum es (weit und breit) keinen Gottesdienst gibt? Er meinte: “ Sie hätten sich dazu schon mal Gedanken gemacht, aber es sei ein Thema was die Gemeinde abschreckt, ….es sei abstößig!“ Das tat mir sehr, sehr weh.

Am 3. Adventsonntag haben wir nach einem Familiengottesdienst von unserem Kaplan eine Kerze für unsere kleine Angela weihen lassen. Wir sind ein bisschen ins Gespräch gekommen. Er hat mir erlaubt, meinen Abschiedsbrief (habe ja kein Grab) in die leere Krippe ( es war ja kurz vor Weihnachten) zu legen. Das war für mich sehr wichtig, denn so konnte ich Abschied nehmen. Ich möchte gerne als Seelsorgerin für Betroffene arbeiten (wenn das Baby da ist, und ich die Kraft dafür habe) und aus diesem Grund wollte ich wissen, wie ein Seelsorger, der ja sehr viel Leid mittragen hilft, damit umgeht. Es war damals ein sehr gutes Gespräch. Bei dieser Gelegenheit habe ich nochmals auf einen Gottesdienst angesprochen. Er war sofort dafür, wollte es noch mit dem Stadtpfarrer abklären und wir hatten freie Hand. Na also, manchmal muss man nur an die richtigen Leute geraten.

Es war mir also sehr wichtig, dass ich an diesem Gottesdienst nicht alleine bin. Insgesamt waren es ca. 60 Personen. Muss sagen, ich habe ziemlich viel Werbung gemacht. Den unten angehängten Flyer habe ich bei Frauen – und Kinderärzte, Kindergärten ausgehängt und an umliegende Gemeinden, Hebammen, Kinderkliniken geschickt.

Ich besuche eine Selbsthilfegruppe und auch die Leiterin hat „Werbung“ gemacht. Einen Hinweis in der Zeitung haben wir auch erreicht. Mir hat die Gottesdienstgestaltung sehr geholfen. Es war richtig gute Trauerarbeit.(Sonst wäre ich sicherlich auch nicht schwanger geworden) Ich habe eigentlich alles selber zusammen gesucht, erarbeitet. Das alles hat mir eine Kraft gegeben, die ich meinte, gar nicht mehr zu haben.

Ich war echt verwundert, wieviel Eltern für ihre verstorbenen Kinder selbst gebastelte und verzierte Kerzen haben. Es war so ein schönes, buntes Bild. Eigentlich wollte ich es fotografieren. Mein Mann hatte den Auftrag. Aber er war am Schluss auch so mit sich selber beschäftigt, dass er es vergessen hat.

Ich hoffe, Du kannst mit dem Ganzen was anfangen! Wenn Du irgend etwas davon brauchen kannst, darfst du es gerne veröffentlichen. Wir haben dann jedem eine Rose (die noch geschlossen war) und eine selbstgemachte Karte mit dem Gedicht mit auf den Weg gegeben. Eine große Hilfe war auch das Buch: Wenn Eltern um ihr Baby trauern aus dem Herderverlag. Dort sind auch Trauergottesdienstmodelle drin.

Manchmal reicht wirklich nur ein kleiner Stein, und der zieht große Kreise. Der Gottesdienst ist in unserer Gemeinde immer noch Thema. Und von vielen habe ich gehört, dass sie die Rose und die Karte immer noch besitzen.

Und nun bin ich wieder am vorbereiten für den nächsten Trauergottesdienst. Geplant ist, wieder 2 Wochen nach Ostern. Das Thema, das ich gerne nehmen würde, ist die Wüste. Denn am Anfang der Trauer steht man ja, wie in der Wüste. Dabei möchte ich eine Rose von Jericho aufblühen lassen.

Ich wünsche dir alles Liebe.

Ganz liebe Grüße
Susanne

 Ablaufplan 


Gedenkgottesdienst für verstorbene Kinder           am 24.April um 16.30 hin der Mühlfeldkirche in Bad Tölz

Eröffnungslied: Meine engen GrenzenEingang:   (Mechthild)

Psalm 77, 1-13In der Zeit meiner Not suche ich den Herrn; denn meine Seele will sich nicht trösten lassen. Ich denke an Gott – und bin betrübt; ich sinne nach – und mein Herz ist in Ängsten. Meine Augen hältst Du, dass sie wachen müssen; ich bin so voll Unruhe, dass ich nicht reden kann. Ich denke und sinne des Nachts und rede mit meinem Herzen, mein Geist muss forschen. Hat Gott vergessen, gnädig zu sein, oder sein Erbarmen im Zorn verschlossen?

Ich sprach: Darunter leide ich, dass die rechte Hand des Höchsten sich so ändern kann. Ich rufe zu Gott und schreie um Hilfe, zu Gott rufe ich, und er erhört mich.

Begrüßung und Überleitung

Anzünden der mitgebrachten Kerzen (oder Teelichter) dazu Meditationsmusik

Text: Das Geschenk (Kaplan )

Meditationsgedanken:   (Susanne)

Lied: Du bist da

Evangelium: Mt 18, 1-4 (Kaplan )

In jener Stunde kamen die Jünger zu Jesus und fragten: Wer ist im Himmelreich der Größte? Da rief er ein Kind herbei, stellte es in ihre Mitte und sagte: Amen, das sage ich euch: Wenn ihr nicht umkehrt und wie die Kinder werdet, könnt ihr nicht in das Himmelreich kommen. Wer so klein sein kann wie dieses Kind, der ist im Himmelreich der Größte.

Gebet: (Susanne)

Gott wir verstehen die Wege nicht, die wir geführt werden .Wir sind betrübt und traurig und können uns unserer Tränen nicht wehren. Wir müssen annehmen, was uns unannehmbar ist.Wir müssen abgeben, was wir festhalten wollen.Wir müssen Unabänderliches hinnehmen.Barmherziger Gott, lass uns Hilfe finden, Menschen, die uns auf dem Weg begleiten.Lass uns wieder ein Ziel finden, dem entgegen wir unsere Schritte lenken können.Lass uns wieder zu uns selbst und zu dir finden.

(Kathrin Ellhaus)

Lied: Selig seid ihrFürbitten :   (Mechthild)Gebet: Vater unser Segensspruch : Gesegnet die TrauerndenLied: Von guten Mächten
Alle erhalten beim Verlassen ein Rose und eine Karte

 

Fürbitten:

Unbegreiflicher Gott,
wir erfahren Dunkelheit und Leid,
unsere Herzen sind erfüllt von Trauer.
Mit leeren Händen stehen wir vor Dir.
Wir bleiben durch den Tod unserer Kinder zurück
voller Fragen, voller Schmerz,
voller Traurigkeit, voller Sehnsucht.
Wir bitten Dich:

      • Lass unsere  Kinder bei Dir geborgen sein und umschließe sie mit Deiner Liebe und Deinem Licht.
      • Stehe den Eltern, Geschwistern und Verwandten bei, damit sie nicht verzweifeln an dem, was geschehen ist und bewahre die Liebe der Eltern zueinander
      • Stelle allen Trauernden Menschen zur Seite, die den Schmerz mittragen und ihnen beistehen, damit sich die Trauer in Hoffnung und neue Lebensfreude verwandeln kann.
      • Gib den Seelsorgern die Kraft, einfach dazusein, keine vorschnellen Trostworte, sondern tröstende Worte zu finden, dass sie die Schwäche mit aushalten und die eigene Hilf- und Machtlosigkeit eingestehen können. Lass sie ein guter Zuhörer sein, ohne Gefühle zu be- oder verurteilen.
      • Wir bitten für die Schwestern und Pfleger, für die Ärzte und Hebammen, denen das Leid und der Tod öfters begegnen. Lasse sie immer wieder Kraft finden und lass sie ihre Fähigkeit zu trauern nicht verlieren. Hilf  den Ärzten und Hebammen, in schwierigen Situationen, richtig zu handeln.
      • Wir bitten für alle Eltern, die durch dieses Schicksal den Glauben an Gott und an sich selber  verloren haben,  dass sie wieder zurück finden.

Herr, erbarme Dich, ……

Gedanken:

Manch einem von Ihnen mag der Weg hierher nicht leicht gefallen sein.
Schwere Gefühle, traurige Momente, erschreckende, aber auch  kostbare Erinnerungen wurden vielleicht wach.
Heute und hier haben wir die Möglichkeit, die Maske, die wir uns zum Teil selber aufsetzen und zum Teil
on unseren Mitmenschen aufgesetzt bekommen, abzunehmen.

Heute nehmen wir uns Zeit, um in uns selber zu horchen, auch wenn es schon länger her ist, dürfen wir traurig sein.
Wir alle lieben unsere Kinder. Und kein Kind ist so unbedeutend, als das Gott es nicht beachtet. Egal, wie kurz sein Leben war. Selbst wenn es noch nicht sichtbar war, ist es ein Kind Gottes. Deshalb sind wir heute hier.
Wir haben nun für unsere Kinder Kerzen angezündet. Diese sollen uns zeigen, dass unsere Kinder in Gedanken immer da sein werden.
Vielleicht fühlt sich der eine oder andere auch nicht mehr so einsam und verlassen, wenn eine Kerze brennt.
Vielleicht fühlen wir uns jetzt gerade unseren Kindern ganz nahe.

Das Licht der Kerzen symbolisiert aber auch Wärme in der Dunkelheit. Wer trauert, verkriecht sich oft ins Dunkel.
Und doch, irgendwann können wir das Licht  wieder sehen. Am Anfang vielleicht nur ganz kurz, aber es wächst von Tag zu Tag.
Immer wieder gibt es Rückschläge, wir haben das Gefühl, wieder ganz am Anfang zu stehen. Wie groß ist da oft die Freude, wenn wir merken, es wird wieder heller, es geht wieder Berg auf.
Manchmal ist es auch die Freude an einem Licht, dass wir vielleicht gar nicht selber anzünden müssen.
Das kann eine Hand sein, die ein Freund auf unsere Schulter gelegt hat, ein Gespräch, vielleicht der Sonnenschein, oder auch die Sterne in der Nacht. Vielleicht hat so mancher erst jetzt bemerkt, dass die Nacht voller Sterne ist.
In der größten Dunkelheit und in der aussichtslosesten Finsternis, gibt es Licht.

Viele sagen: Ich habe mein Kind verloren. Aber stimmt das eigentlich?
Verloren haben wir die gemeinsame Zukunft mit ihnen. Die Pläne und Vorstellungen, die wir schon hatten.
Was uns bleibt ist die Liebe und die vielen Gedanken an sie. Und  was man nie vergisst, kann auch nicht verloren gehen.
Obwohl wir keinen  Geburtstag, keinen Muttertag und kein Weihnachtsfest mit ihnen feiern können, werden sie gerade an solchen Tagen, in unseren Gedanken weiterleben.

Wir dürfen hoffen, dass unsere Kinder bei Gott sind. Er schenkt ihnen nun bei sich ein Leben, dass ihnen hier nicht möglich war. Er lässt unsere Kinder bei sich und seinen Engeln sein.
So manche Eltern sagen auch, sie hätten jetzt einen ganz besonderen Schutzengel.

Die Trauer lässt uns auch wachsen.
Wir müssen lernen, einen neuen Lebensweg, eine andere Richtung zu gehen.
Unwichtiges wird vielleicht  wichtig.  Wir können uns wieder an Kleinigkeiten freuen und sind in vielen Dingen dankbarer als früher. Augen und Herz werden offen für Neues.

Am Anfang der Trauer passt das Bild der Pusteblume, wie auf der Vorderseite des Gesangsblatt. Unsere Kinder haben sich vielleicht ganz leise und unbemerkt von uns verabschiedet. Wie vom Winde verweht –ganz heimlich und unbemerkt hat ihr Herz aufgehört zu schlagen.
Mit der Zeit wandelt sich die Trauer und die Wut in tiefe Liebe.
Und was gibt es da symbolisch edleres, als eine Rose.

Es braucht sicherlich Zeit, bis wir uns an einer aufgehenden Knospe wieder freuen können. Und für so manchen kommt der Frühling zu früh. Da ist noch tiefster Winter, alles verschlossen.
Und die anderen unter uns, sehnen sich bereits nach dem aufgehen und wachsen.

Unsere Kinder waren wie Rosenknospen.
Geheimnisvoll und noch so zart. Bevor sie wachsen und aufgehen konnten, mussten wir sie wieder zurück geben.
Manche Eltern und Geschwister durften für kurze Zeit das Heranwachsen erleben, aber unendlich vieles blieb verborgen. Einzigartig und unendlich wertvoll war das Leben ihres Kindes, unabhängig davon, wie groß oder klein, wie zerbrechlich, wie krank, wie behindert es war!
Wie die Knospenblätter die Knospe schützen und wie ein Gärtner diese Knospe umsorgt, so haben Sie ihre Kinder behütet.
So mancher fühlt sich nun wie ein „blumenlos“ gewordener Gärtner“.

Und doch sollten wir für die kurze Zeit, die wir mit unseren Kindern hatten, danke sagen. Für die schönen Erinnerungen,  die uns niemand mehr nehmen kann.

Wir können bei einer Rosenknospe aber auch an uns und unser Weiterleben denken. Wer weiss schon im voraus, wie eine Rose  aussieht, wenn sie aufblüht?
Wie sie duftet und welche Farbe sie mal hat?
Da ist etwas Geheimnisvolles und wir brauchen ein bisschen Phantasie, um uns dies vorzustellen.
Niemand sollte auf die Idee kommen, eine Rosenknospe gewaltsam aufzumachen, um nachzusehen, was sich darin verbirgt. Es braucht Zeit und Geduld, bis sie sich von ganz alleine entfaltet.

Mit unseren Rosenknospen im Herzen wünsche ich allen, dass sie ausreichend Licht, Wärme und Nahrung bekommen. Damit wir alle zur rechten Zeit wieder aufblühen und unseren Lebensweg gehen können.

Aus“ Das Geschenk“ von Daniella Steel

„..vielleicht ist es manchen Menschen nicht bestimmt, lange hier bei uns auf der Erde zu sein. Vielleicht sind manche nur auf der Durchreise…. oder sie leben ihr Leben einfach schneller als wir anderen,….sie brauchen gar nicht hundert Jahre hier unten zu bleiben, um alles zu erledigen, sie schaffen es in ihrer Zeit, manche Menschen kommen in unserem Leben nur kurz vorbei, um uns etwas zu bringen, ein Geschenk, eine Hilfe, eine Lektion, die wir gerade brauchen, irgendetwas, und das ist der Grund, warum sie zu uns kommen, nur auf einen Sprung sozusagen.

Es hat dir etwas beigebracht,….über die Liebe, über das Geben, darüber, wie wichtig jemand sein kann, … das war sein Geschenk für Dich.

Es hat dir alles beigebracht und dann ist es wieder gegangen. Vielleicht musste es nicht länger bleiben, denn es hat sein Geschenk abgegeben, und dann war es frei weiterzureisen, … weil es eine ganz besondere Seele war…. aber das Geschenk bleibt für immer.“

Marie-Luise Wölfing

Der Segen der Trauernden