Abschied von Baby Mose Welt online

Sichtlich berührt blicken die Trauergäste auf den gerade 60 Zentimeter langen Kindersarg in der Kapelle des Friederikenstifts in Hannover. Als dann die evangelische Landesbischöfin Margot Käßmann die bewegende Trauerrede für Mose hält, der Anfang Januar tot vor einer Babyklappe gefunden wurde, kommen einigen die Tränen.

Ein Bestatter trägt den kleinen Sarg. Neben ihm Margot Käßmann. Sie hielt die Trauerfeier in Hannover Foto: AP
Ein Bestatter trägt den kleinen Sarg. Neben ihm Margot Käßmann. Sie hielt die Trauerfeier in Hannover
Foto: AP

Käßmann hatte den Sarg und das Blumengebinde selbst ausgesucht. Unter dem Deckel aus Kiefernholz liegt der in ein Frotteetuch eingewickelte Leichnam des Säuglings, neben ihm ein weinender Engel. Am Freitag ist Mose in einem Gräberfeld für Kinder beigesetzt worden. „So wird er unter Kindern zumindest im Tod geborgen sein“, sagt Käßmann.

„Wir nehmen Abschied von einem kleinen Menschenkind, dessen kurzer Lebensweg uns alle aufgeschreckt und erschüttert hat“, sagt Käßmann vor etwa 80 Trauergästen, darunter zahlreiche Pfleger, Ordensleute und Ärzte. Dieser erschütternde Tod zum Beginn des neuen Jahres sei eine Mahnung an alle, für die Kleinen einzutreten, ihnen beizustehen, damit keines verloren werde. Auch die Mutter schloss Käßmann in ihr Gebet ein. „Tröste sie, wenn die Tage für sie trostlos sind“, bat sie. Sie hofft, dass die Mutter des kleinen Mose mit dem Grab einen Ort hat, „an dem sie trauern kann, sollte sie ihn je suchen.“ mehr

Spielzeug auf dem Friedhof

Das Grab ist eines unter vielen. Auf dem Friedhof im Ortsteil Stöcken sind Säuglinge begraben, die noch während der Schwangerschaft oder als Frühgeborene starben. Auf dem Gräberfeld liegt Spielzeug neben einer liebevoll gestalteten winzigen Waldnachbildung mit Tieren und einem Schneemann. Ehe die Grabstelle von Mose geschlossen wird, wirft Margot Käßmann eine weiße Rose auf den Sarg hinab. Zuvor hatte sie sich persönlich am offenen Sarg von Mose verabschiedet. „Das kleine Gesicht, das nach Erfrieren und Obduktion fast friedlich aussah, eingehüllt in ein grünes Frotteetuch, werde ich nicht vergessen.“

Die Landesbischöfin hat in den vergangenen Tagen das Schicksal des kleinen Jungen sehr bewegt. Sie ist Schirmherrin des für die Babyklappe zuständigen Hilfsnetzwerkes „Mirjam“. Die Hintergründe der Tragödie sind indes noch unklar. Möglich sei auch, dass ihn jemand in das rettende Babykörbchen legen wollte und daran gehindert wurde, durch eine Störung oder einen mechanischen Defekt, sagte Käßmann in ihrer Trauerrede.
Bedienung der Babyklappen einfacher machen

Sie will sich mit den Betreibern und Herstellern in den kommenden Tagen zusammensetzen, um die Bedienung der Babyklappen noch einfacher zu machen. Ein Gutachten von Experten des Landeskriminalamtes und der Dekra hatte ergeben, dass sich die Babyklappe nicht entsprechend der Anleitung öffnen ließ. Ein zweites Gutachten ist bereits beantragt. Noch ist aber unklar, ob der erst wenige Stunden zuvor geborene Junge auf den eiskalten Stufen vor der Babyklappe gestorben ist, oder vorher bereits tot war.

http://www.welt.de/hamburg/article1542514/Abschied_vonbrBaby_Mose.html

11. Januar 2008, 15:17 Uhr
Von Andre Jahnke

Anprache der Landesbischöfin zu Matthäus 18, Vers  14

Friederikenstift und Friedhof Stöcken am 11.01.2008

Liebe Gemeinde,
Wir müssen heute Abschied nehmen von einem kleinen Jungen, den keiner von uns kannte. Ja, auch seine Eltern, seine Herkunft kennen wir nicht. Und doch hat dieses Kind in den vergangenen Tagen die Herzen vieler Menschen bewegt. Ich habe das gespürt, als jemand anrief und die Bestattung ausrichten wollte, als Menschen Blumen spenden wollten, als jemand angeboten hat, ihm einen Grabstein zu gestalten. Dieses Kind hat Herzen bewegt und Mitmenschlichkeit, ja Liebe zutage treten lassen mitten in allem Entsetzen über seinen Tod.

Im Matthäusevangelium sagt Jesus: „Also ist´s auch bei eurem Vater im Himmel nicht der Wille, dass eins von diesen Kleinen verloren werde“. Immer wieder ist erstaunlich, dass Jesus in einer Gesellschaft, in der Kinder rechtlos waren, ihre Würde in den Mittelpunkt stellt. Er sieht sie geradezu als Vorbild. Als Vorbild vor allem, weil sie sich ganz und gar der Liebe Gottes anvertrauen. Ja, weil sie ganz und gar auf Gott und die Liebe der Menschen angewiesen sind.
Ein solcher Tod eines völlig hilflosen Kindes treibt uns um. Wie konnte Gott das zulassen? Warum war die Mutter derart verzweifelt. Wieso wurde es nicht durch warme Kleidung vor der Kälte bewahrt?
Ich bin überzeugt, Gott wollte dieses Kind schützen, ja wollte, dass wir dieses Kind bergen können. Keines soll verloren gehen! Das ist immer wieder unser Auftrag, unsere Herausforderung. Dieser erschütternde Tod zum Beginn des neuen Jahres ist eine Mahnung an uns alle, für „die Kleinen“ einzutreten, ihnen beizustehen, damit keines verloren werde.

Wir wissen nicht, was sich zugetragen hat in jener Nacht. Viele von uns stellen sich Fragen: War er schon tot, als er abgelegt wurde? Hat ihn jemand in der Kälte dem Erfrieren überlassen? Oder wollte ihn jemand in das rettende Babykörbchen legen und ist daran gehindert worden durch eine Störung oder einen mechanischen Defekt? Alle diese Vorstellungen sind erschütternd. Wir können sie nicht beschwichtigen. Wir können sie nicht nachweisen. Sie bleiben zur Zeit Spekulation. Aber sie müssen uns drängen, noch energischer für Mütter und ihre Kinder einzutreten.

Gestern Nachmittag haben wir im kleinsten Kreis am offenen Sarg Abschied genommen. Für mich war das ein bewegender Moment. Denn es wurde klar: da geht es nicht um den „toten Säugling“, da geht es um einen kleinen Menschen, der gern gelebt hätte, der ein Gesicht hat, der in seinem so furchtbar kurzen Leben so viel erlitten hat. Das kleine Gesicht, das nach Erfrieren und Obduktion fast friedlich aussah eingehüllt in ein grünes Frotteetuch werde ich nicht vergessen.

Am letzten Sonntag habe ich ihn Mose genannt. Nein, dieser Name ist nicht eingetragen. Dieses Kind hat kein Stammbuch. Doch es sollte gerettet werden wie der kleine Mose in der biblischen Geschichte, den seine Mutter in höchster Gefahr einem kleinen Körbchen anvertrautet. Aber keine Mirjam konnte mehr für unseren Mose hier im Sarg sorgen. Als rettende Hände ihn fanden, war er bereits tot.

Wir haben Mose einen Engel in seinen Sarg gelegt. Ein Engel ist auch auf dem Vorderbild unseres Liedblattes abgedruckt. Er sitzt ist in der Krypta der Stiftskirche zu Fischbeck auf dem Fenstersims zu finden. Und er weint. Ursprünglich saß er auf einem Kindersarg der Familie der Grafen zu Schaumburg. Der weinende Engel – er weint mit uns um das unvollendete, das Zerbrochene im Leben. Er weint mit uns um dieses Kind.

Ich denke, auch Gott weint mit uns um dieses Kind. Wenn wir es heute würdig bestatten, kommen wir einer Christenpflicht nach. Für uns endet die Würde des Menschen nicht mit dem Tod. Wir glauben, dass der Name dieses kleinen Jungen, der auf so entsetzliche Weise ums Leben kam, bei Gott in das Buch des Lebens eingeschrieben ist. Wir können den kleinen Mose auf einem Gräberfeld für Kinder beisetzen, die noch in der Schwangerschaft starben oder als Frühgeborene, als Kinder, die bereits geborgen waren in einer Familie. So wird er unter Kindern zumindest im Tod geborgen sein. So wird auch seine Mutter einen Ort haben, an dem sie um ihn trauern kann, wenn sie je diesen Ort sucht.
Im Christentum gehörte es von Anfang an dazu, Menschen würdig zu bestatten. Schon Josef von Arimathäa stellt in der biblischen Erzählung sein Grab zur Verfügung, damit Jesus mit Würde bestattet werden kann nach diesem so grauenvollen Sterben. Im Urchristentum galt als Kennzeichen, dass jeder, auch der Sklave, die Rechtlose von der Gemeinde, zu der sie gehörten, eine solche Bestattung erhielt. Sie gilt als siebtes Werk der Barmherzigkeit Es gehört in christlicher Tradition zu unseren Pflichten, auch unbekannte Tote zu waschen, zu kleiden und zu bestatten.

So wollen wir den kleinen Mose nun begleiten auf dem Weg zu der Geborgenheit in Gottes Liebe mit aller Trauer, dass wir ihm diese Liebe unter uns Menschen nicht geben konnten. Gott weint mit uns. Der Engel weint mit uns. Wir weinen um dieses Kind. Wir vertrauen es der Barmherzigkeit Gottes an, der seinen Namen kennt.
Amen.