Archiv der Kategorie: Gefühle nach Geburt

Trauer nach einer Totgeburt

Eine empirische Analyse zur Betreuung betroffener Frauen und Paare.Eine Handreichung für professionelle HelferInnen.

Jessica Wolf

7. Abschiedsrituale beim frühen Tod eines Kindes Die Verarbeitung des Verlusts durch rituelle Handlungen

7.4.1 Den Verlust begreifbar machen

Die Begegnung mit dem toten Kind – davor schrecken zunächst viele Eltern zurück. Sie haben Angst davor, dass das Kind missgebildet ist, oder werden evtl. zum ersten Mal in ihrem Leben mit dem Anblick eines toten Menschen konfrontiert. Die Gelegenheit, das eigene Kind sehen und möglicherweise sogar halten oder baden zu können, erlaubt den Eltern die Situation, im eigentlichen Sinn des Wortes, zu begreifen. Der körperliche Kontakt mit dem Baby hilft, den Verlust zu realisieren. (vgl. Borg/Lasker 1987, 56ff) 8 Zu weiteren Ausführungen bezügl. Abschiedsritualen, die nach einer längeren Trauerzeit vollzogen werden, siehe u.a. Nijs 1999, 35ff.

Zudem kann so die Bindung der Eltern zum Kind vollendet werden, was für einen heilsamen Trauerprozess wichtig ist. (vgl. Lothrop 1998, 80) Viele in der Praxis Tätige berichten davon, dass die Verarbeitung einer Tot- oder Fehlgeburt wesentlich davon abhängt, ob den Eltern die Möglichkeit gegeben war, das Kind kennen zu lernen. „Noch zwanzig und mehr Jahre später hatten viele keinen Frieden damit gefunden und litten noch immer unter der Last von Unverarbeitetem. Wenn die begonnene Bindung abrupt abgebrochen wird, bleibt eine große Unruhe zurück. Unser Baby kennen zu lernen, unsere Beziehung zu ihm zu bejahen, ermöglicht ein gutes, heilsames Abschiednehmen“ (Lothrop 1998, 80). Für ein solches Abschiednehmen brauchen trauernde Eltern konkrete Erinnerungen. Erinnerungen daran, wie das Baby ausgesehen hat, was besonders an ihm war, wem es ähnlich gesehen hat. Somit erhält das Kind seinen sicheren Platz im Leben der Familie und es bleibt nicht das Gefühl zurück, etwas Wichtiges versäumt zu haben.

Häufig haben Eltern zunächst Angst davor, ihr totes Kind zu sehen, oder lehnen es im ersten Augenblick nach der Entbindung sogar ab. Professionelle HelferInnen können hier die betroffenen Eltern unterstützen, indem sie einfühlsam schildern, wie das Kind aussieht und ggf. welche Fehlbildungen es hat. Das nimmt Müttern und Vätern die Scheu vor der ersten Begegnung. (vgl. Lothrop 1998, 84ff) Wenn Kinder mit Fehlbildungen zur Welt kommen, steht oft die Frage im Raum, ob die Eltern den Anblick überhaupt verkraften können. Die Erfahrung aus der Praxis hat jedoch gezeigt, dass die Realität nie so schlimm ist wie die ‚Monsterfantasien’, die die Eltern entwickeln können, wenn sie ihr Kind nicht sehen. (vgl. Internet 1) Eltern sehen ihr Baby mit den Augen einer Mutter bzw. eines Vaters und nicht aus der klinischen Sicht des medizinischen Betreuungspersonals. „Fehlbildungen werden oft nicht wahrgenommen oder stehen zumindest nicht im Mittelpunkt der Betrachtung, sondern Eltern verweilen bei dem, was an ihrem Kind schön und einzigartig ist, und bewahren das in ihrem Herzen“ (Lothrop 1998, 85).

In diesem Zusammenhang muss angemerkt werden, dass nicht alle Eltern den Wunsch haben, ihr verstorbenes Kind zu sehen. Häufig wird diese Entscheidung im Nachhinein bereut, andere Eltern jedoch bleiben überzeugt davon, den für sie richtigen Weg eingeschlagen zu haben. (vgl. (Borg/Lasker 1987, 56) Wenn die Eltern es ablehnen, ihr Baby anzusehen, sollte jemand anders (z.B. ein Familienmitglied oder ein Freund/eine 74.Freundin) in der Lage sein, es später genau zu beschreiben, um so mögliche Fragen beantworten zu können. (vgl. Lothrop 1998, 82)

Die vollständige Diplomarbeit kann unter
http://home.arcor.de/jessiw/downloads.htm
als PDF-Datei heruntergeladen werden.

Abschiednehmen – auch von Frühgeborenen

In dem Fernsehbericht „Die Totenwäscherin“ wurde gezeigt, wie eine Bestatterin Eltern, Familien hilft, den Abschied von ihrem kleinen Kind würdig zu gestalten.

Immer wieder stehen junge Eltern, deren Kind vorzeitig geboren und gestorben ist, vor der Frage, wie sie diesem kleinen Wesen, das sie mit Freude erwartet hatten, nun eine angemessene Bestattung geben können.

Den üblichen Satz von Krankenhauspersonal und Bestattern: „Tun Sie sich das lieber nicht mehr an, das kleine Würmchen anzusehen !“ sollten junge, verwaiste Eltern weit von sich weisen !

Ganz im Gegenteil, Sie als Eltern sollten darauf bestehen, dass Sie ihr gestorbenes Kind sehen können, es im Arm halten können, es im Krankenhaus ans Wochenbett gebracht bekommen. Es ist für Sie ebenso wichtig, angemessen Abschied zu nehmen von Ihrem Kind wie für die Angehörigen, deren Vater oder Mutter gestorben ist. Denn das Herz versteht das Geschehene erst, „wenn es sehen konnte“!

Wenn die verwaiste Mutter noch im Krankenhaus ist, sollte mit der Beisetzung des Kindes bis zu ihrer Entlassung abgewartet werden. In der Regel bleibt das Kind solange ebenfalls im Krankenhaus (in der Kühlkammer).

Der Bestattungstermin könnte auf den Nachmittag des Entlassungstages der Mutter gelegt werden. So könnten am Morgen dieses Tages beide – Mutter und Kind – vom Vater und der Bestatterin (*) im Krankenhaus abgeholt werden – am besten und schönsten nach Hause !

Wenn es die Eltern aushalten, können sie ihr Kind während der Fahrt in einem Kissen auf dem Schoß (**) halten und es für einige Stunden nach Hause gebracht bekommen.

So können sie dabei sein, wenn der winzige Körper – wenn möglich – im warmen Wasser gebadet, in weiche Tücher gehüllt und behutsam mit einem Babyöl betupft wird. Ein größeres Kind wird mit Erstlingskleidung und Mützchen bekleidet, ein sehr kleines Kind wird eingehüllt in ein weiches Tuch (in eine Mullwindel) und in das kleine Särglein eingebettet.

Wie schön, wenn das alles Zuhause passiert, in diesem geborgenen und geschützten Raum !

Oder: Sie können diese Handlungen bei ihrem Kind selber vornehmen, wenn sie seelisch dazu in der Lage sind. Größere Geschwisterkinder können währenddessen ebenfalls in schöner Weise Abschied nehmen von ihrem gestorbenen Geschwisterchen. Sie dürfen das Baby berühren, streicheln (***), ihm ein Spielzeug von sich selbst in den Sarg legen. Die Bestatterin ist die ganze Zeit über dabei und leistet Hilfestellung.

Das offene Särglein mit dem Baby darf nun ruhig bis kurz vor der Beerdigung bei seiner Familie aufgebahrt bleiben, z. B. auf einem kleinen Tisch stehend, auf dem Kerzen angezündet werden und Blumen stehen. Seine Familie kann es beweinen, betrauern und bei ihm sein.

Die Bestatterin kommt rechtzeitig, um das Baby im Sarg und seine Familie zur Beisetzung abzuholen.

Wenn all dieses Eltern nicht bewältigen können, versorgt die Bestatterin das Kind in der beschriebenen Weise im Krankenhaus und bringt den kleine Sarg in den vorgesehenen Friedhof. Auch dort können die Eltern sich am offenen Sarg von ihrem Kleinen entsprechend verabschieden.

Was kann geschehen, wenn Eltern ihr Kind nicht mehr sehen wollen ?

(…)

Wenn Eltern keine Beerdigung wünschen für ihr gestorbenes Frühgeborenes, ist die Einäscherung möglich. Das Särglein wird ins Krematorium gebracht und es wird dort mit einem erwachsenen Gestorbenen zusammen eingeäschert. So gibt es keine Bestattungs- und Grabkosten für die Eltern, lediglich für die Einäscherung fällt eine Gebühr an.

An dieser Stelle appelliere ich an verwaiste Eltern Frühgeborener, sich in angemessener und würdiger Weise von ihrem Kind zu verabschieden. Ein kleiner Mensch, der nicht leben darf, muß wieder hergegeben werden. Und er hat alle Liebe und alles Mitgefühl, dessen wir fähig sind, sehr nötig.

Erläuterungen

(*) Eine „Bestattungsfrau“ halte ich persönlich für besser geeignet als einen Mann.  Es sollte gewährleistet sein, daß sie selbst sich um das Kind kümmert, nicht einer   ihrer männlichen Helfer. Oder vielleicht hat sie eine einfühlsame Frau in ihrem   Team !?

(**) Das Bestattungsgesetz sagt: „Leichen“ dürfen nur in dafür zugelassenen Fahrzeu- gen transportiert werden. Das winzige Särglein steht also in einem riesigen    Bestattungsfahrzeug hinten drin. Einfühlsame und gewissenhafte Bestattungsfrauen  lassen sich etwas einfallen, damit es für die Eltern erträglicher wird ! Zumindest   lässt sie die Eltern das Kind während der Fahrt mit begleiten. Was Eltern brau- chen in solch einer schwierigen Situation, sollte ihnen ermöglicht werden ! Da  sind Paragraphen und Klauseln absolut zweitrangig !

(***) Vergessen Sie alles, was Sie jemals über „Leichengift“ gehört haben ! Es gehört in   die Mottenkiste des Mittelalters ! Ein Gestorbener wird erst zur Gefahr für die  Gesundheit Lebender, wenn der Leichnam in Verwesung übergegangen ist, nie- mals nach drei bis sieben Tagen nach Eintritt des Todes !

 

Bericht aus den Erfahrungen einer Bestattungsfrau – von:
„Antigone“ – Anita Märtin
Bestattungen & Trauerbegleitung in Frauenhänden
Tätigkeitsbereich: Raum Stuttgart

SchmetterlingskinderDer nachfolgende Beitrage wurden im Forum der Schmetterlingskinder gepostet

„Das war eine Reportage über eine Bestatterin aus ?? weiß nicht mehr. Sie kam am Dienstag abend um 22.15 Uhr auf ZDF und hat mich nachhaltig beeindruckt. Sie haben auch ein Sternenkind gezeigt, was sie zur Beerdigung fertig gemacht hat, liebevoll gewaschen, die Haut rosig gemacht, dann angezogen mit Windel und ein Kopfkissen drunter. Es war wohl ein fast ausgetragenen großes Baby. Dann hat sie es der Mutter nach Hause gebracht und sie konnte es noch mal verabschieden und in das vorgesehene Bettchen legen und auch die Schwester konnte sich verabschieden. Dann auf der Beerdigung waren nur der Pfarrer und die Eltern und die Bestatterin.

Sie (Bestatterin) näht auch Sachen für Kleinstkinder selbst und ermutigt die Eltern, sich auch von ganz kleinen Kindern zu verabschieden und sie zu beerdigen. Das hat mich sehr beeindruckt. Sie hatte einen solchen Respekt und einen solch natürlichen Umgang mit dem Tod am Anfang des Lebens. Eine tolle Frau. Sie hieß Anita Märtin.

Ich weiss aber nicht, wo sie tätig ist. So etwas müsste es öfter geben.

Hat jemand das gesehen und ähnlich empfunden ?

Aufgewühlte Grüße von Anja !!! „

 

„Liebe Anja,

(…)

Ja, ich habe diesen Bericht gesehen und er hat mich ähnlich beeindruckt wie dich. Es geht mir schon seit Tagen nicht aus dem Kopf. Mein Mann fand es etwas morbide, sich diese Reportage anzusehen. Aber na ja.

Es hat mich völlig fasziniert, wie diese Frau mit dem Tod und mit den Toten umgeht. Mir kam es so vor, als sei es für sie mehr Berufung denn Beruf, den Verstorbenen auf diese Art und Weise die letzte Ehre zu erweisen.

Als die Szene mit dem toten Baby kam, war ich zuerst total erschrocken, habe dann aber weitergeschaut. Sie hat das Baby in ein Tuch eingewickelt, abgeholt, genauso wie wir unsere Johanna damals in einem Handtuch eingewickelt aus der Pathologie des KH geholt haben, um uns zu verabschieden.

Sie hat sich so liebevoll um das Kind gekümmert, als würde es leben, sogar mit ihm gesprochen. Ich war ganz benommen in dem Moment. Und dass sie den Eltern angeboten hat, es vor der Beerdigung zu ihnen nach Hause zu bringen… es war das einzig Richtige.

Ich werde es mein Leben lang bereuen, dass wir Johanna nicht nach Hause geholt haben. Es wäre nur dieses einzige Mal für den Rest unseres Lebens gewesen. So hätten wir sie im Kreis der Familie haben können, nur ein einziges Mal. Ich könnte heulen. Wir haben damals ganz einfach nicht gewusst, dass dies möglich ist.

Solche Menschen, die in diesem Bereich arbeiten, müsste es viel, viel mehr geben. Und ich bin traurig, dass es nicht so ist(…)

Liebe Grüße

Gudrun“

 

„… wie sie (die „Totenwäscherin“) mit dem kleinen Mädchen umgegangen ist, so, als würde es leben und jeden Moment aufwachen. Sehr würdevoll.

Eigentlich müsste dies der Normalfall sein, nicht? Ich denke, es würde einem den Abschied von seinem Kind um vieles leichter machen, wenn das totgeborene Kind auch als Mensch, der da war, behandelt wird, so wie es da gezeigt wurde.

Bei mir hat diese Sendung die Frage aufgeworfen: Was hat Simon in seinem kleinen Sarg jetzt an?

Liebe Grüße,

Anke „

Tod am Anfang des Lebens

aus “Wenn Mütter trauern” S. 121,122

Einerseits wollte ich das Kind loswerden, zum anderen doch noch so ein bißchen behalten. Noch so ein bißchen schwanger sein. Jetzt bin ich noch schwanger, dachte ich, wer weiß, ob ich jemals wieder schwanger werden kann. Und ich habe meine rechte Hand auf den Bauch gelegt und zu unserem Herrgott gesagt, er möge doch das Kind so annehmen, wie es ist. Das ist auch eine Form der Taufe, habe ich mir gedacht.WennMutter

Am nächsten Morgen, am Freitag, Punkt acht, stand der Kurt wieder an meinem Bett. Ich fragte ihn, wie er die Nacht verbracht hatte. Keine Antwort. Er wollte da überhaupt nicht drüber reden. Später erfuhr ich, daß er beim Pastor war und mit ihm gesprochen hatte.

Um 13 Uhr, an diesem 28. Juni 1985, setzten die Preßwehen ein. Das Kind ist ohne Dammschnitt gekommen, ganz sanft, es ist einfach so herausgerutscht. Sie haben das Mädchen in ein Tuch gewickelt, es uns gezeigt und mir in den Arm gelegt. Das war wie ein Erdbeben. So eine richtige Erschütterung. Es war so ein Aufschluchzen auch. Es ist geschafft. Das Kind ist draußen. Und du darfst weinen, du darfst um dieses Kind jetzt weinen.

Ich habe sie im Arm gehalten und an meine Frust gedrückt. Ich habe sie mir angeguckt, und sie hat ausgesehen wie der Bastian. Die Haare, die Gesichtsform, alles. Sie war groß und schwer, ein hübsches, süßes Kind. Und an dem Kind war alles dran.

Ich habe nur noch ihr Profil in Erinnerung: Die Augen geschlossen, die Unterlippe etwas vorgeschoben, beinahe ein wenig trotzig, so schien es. Immer wenn der Sebastian wütend ist und heult, dann hat er ganz genau denselben Ausdruck im Gesicht.

Und wieder mußte ich an meinen Traum denken: Dieses Traumkind hatte auch die Augen geschlossen. Ich konnte mit ihm nichts anfangen. Es war in einer anderen Welt. Nur eine Hülle hatte ich da in meinen Armen. Da war kein Geist drin.

Dieser Eindruck stand auch jetzt im Vordergrund: Hier kannst du nichts mehr machen. Da kommt kein Leben. Da kommt nichts, absolut keine Regung von diesem Kind. Das Kind ist tot.

Und irgendwie kam dann der Moment, wo eine Ärztin vor mir stand und auf das Kind wartete. Viola soil sie heißen, haben wir ihr gesagt.

Und dann habe ich sie ihr halt gegeben.

Kennenlernen und Abschied

aus der Broschüre Gute Hoffnung, jähes Ende von Hannah Lothrop

Entgegen landläufiger Meinung ist das Bestehen und die Entwicklung einer Bindung zum Baby die beste Voraussetzung für ein heilsames Abschiednehmen, ein Wieder-heil-werden-Können und die Fähigkeit, später neue Bindungen eingehen zu können. Deshalb ist es wichtig, daß der Prozeß der Bindung stattfindet, vollendet und nicht abrupt unterbrochen wird, selbst wenn das Baby tot ist oder stirbt.Gutehoffbrosch

Wir brauchen konkrete Erinnerungen an unser Kind. Dafür hat es sich als positiv erwiesen, unserem toten Baby wirklich begegnen zu können: es genau anzusehen, zu berühren, im Arm oder – wenn es noch sehr klein ist – in unseren Händen zu halten und es vielleicht, je nach Situation, auch zu baden und anzuziehen – die einzige Gelegenheit, die wir dazu je haben werden. Wir brauchen Zeit, die Einzigartigkeit dieses Kindes wirklich in uns aufzunehmen.

Das Loslassen-Lernen, was im Leben allmählich geschehen kann, uns aber wahrscheinlich nicht immer gelingt, müssen wir nun in kurzer Zeit und unter schwierigen Umständen leisten. Wir brauchen dabei jede nur erdenkliche Unterstützung.

Das Entstehen einer Bindung ermöglichen

In meinen Gesprächen sind mir keine Eltern begegnet, die im nachhinein wünschten, sie hätten ihr Kind nicht gesehen. Doch fast alle Eltern, die es nicht sahen, sprechen auch Jahre danach noch Bedauern darüber aus oder Wut auf das Pflegepersonal, das sie um diese Möglichkeit gebracht hat. Manche davon waren offensichtlich in der zweiten Stufe des Trauerprozesses steckengeblieben, spürten auch noch nach langer Zeit eine unstillbare Sehnsucht und Unruhe in sich. Es fiel ihnen schwer, mit dem Tod Frieden zu schließen und ihn anzunehmen.

Der Anblick unseres Kindes tut zuerst ungeheuer weh. Aber es ist dabei wie mit einer Wunde, die verätzt wird. Das tut zuerst auch mehr weh, aber sie heilt dann schneller und sauberer. Wenn Eltern zunächst nicht die Kraft oder den Mut haben, ihr Kind selbst zu sehen, sollte auf alle Falle jemand anderes in der Lage sein, ihnen später ihr Kind genau und liebevoll zu beschreiben, wenn sie dies wünschen oder zur Trauerverarbeitung sogar brauchen.

Der Anblick eines toten Babys

Neugeborene sehen oft so aus, als ob sie sich noch auf einem anderen Stern befanden, so ganz weit weg, in einer anderen Welt. Tote Babys sehen so aus, als ob sie von diesem Stern nie ganz bei uns angekommen sind.

Wenn Babys mit Fehlbildungen zur Welt kommen, stellt sich die Frage, ob die Eltern ihren Anblick verkraften können. Erfahrung hat gezeigt, daß die Realität nie so schlimm ist wie die Monsterfantasien, die Eltern entwickeln, wenn sie ihr Kind nicht sehen. Fehlbildungen werden oft nicht wahrgenommen oder stehen zumindest nicht im Mittelpunkt der Betrachtung, sondern Eltern verweilen bei dem, was an ihrem Kind schön und einzigartig ist. »Eltern sehen ihr Kind mit den Augen des Herzens und nicht aus der klinischen Sicht des medizinischen Betreuungspersonal« (Sr. Jane Marie Lämb).

Das medizinische Betreuungspersonal meint manchmal, daß »man ein totes Kind ein paar Stunden oder Tage danach nicht mehr anschauen könne«. Ein Bestatter hingegen äußerte mir gegenüber gerade, daß er Babys auch am dritten Tage noch zeige, und er meine, daß sich ihr Anblick sogar verbessere. Eltern konzentrierten sich sowieso auf das Wesentliche und würden etwaige Veränderungen nicht so sehr registrieren.

Wenn wir glauben, daß wir oder uns nahestehende Menschen unser Kind noch einmal sehen möchten, sollten wir dies dem Betreuungspersonal sagen. Ein totgeborenes oder nach der Geburt verstorbenes Baby kann in einem kühlen Raum im Untergeschoß des Krankenhauses aufgebahrt werden, wo auch andere Verstorbene liegen.

Wenn uns der Wunsch überfällt, unser Kind zu sehen, nachdem es bereits weggebracht worden ist, sollten wir mit dem Personal sprechen. Falls unser Kind untersucht werden soll, um die Todesursache festzustellen, kann es möglicherweise schon zur Pathologie gebracht worden sein. Es kann, zwar mit etwas Aufwand, gegebenenfalls von dort zurückgeholt werden, oder wir können den Bestatter bitten, es uns noch einmal sehen zu lassen. Es anzuschauen, wenn unser Hormonsystem sich einigermaßen normalisiert hat, kann uns helfen, die Endgültigkeit seines Todes noch besser zu realisieren, was uns in unserem Trauerprozeß weiterbringt.

Oft haben wir Angst, das auszusprechen, was wir uns im Innersten wünschen. Wir scheuen uns, Fragen zu stellen. Wir fürchten, daß unsere schlimmen Fantasien bestätigt werden. Wir mögen Hemmungen haben, im Schock gemachte Äußerungen zu widerrufen. Doch später ist es zu spät! Dies uns klar zu machen, gibt uns im Moment vielleicht die nötige Kraft.

Eine »richtige« Geburt

aus der Broschüre Gute Hoffnung, jähes Ende von Hannah Lothrop

Nur beim Feststellen einer Fehlgeburt im Anfangsstadium der Schwangerschaft wird der Arzt diese durch Ausschaben beenden wollen und können. Wenn unser Baby während der Schwangerschaft nach dem dritten Monat stirbt, steht uns in der Regel eine richtige Geburt bevor.

Etwas Totes im Leib zu haben, ist vielen unheimlich. Das Kind, das noch Stunden oder gar MinutGutehoffbroschen zuvor als Teil eines selbst geliebt wurde, wird nach Bekanntwerden seines Todes als Fremdkörper empfunden.

Besonders, wenn sich herausstellt, daß es schon seit einiger Zeit tot ist, haben Frauen Angst, dadurch vergiftet zu werden. Dem ist nicht so: Wenn ein Kind abstirbt, ist es wie bei einen Infarkt, wo auch ein Teil des körperlichen Gewebes zugrunde geht. Solange die Fruchtblase geschlossen ist und es nicht zu einer aufsteigenden Bakterienbesiedlung kommt, entstehen keine »Gifte«. Eine allmähliche Verwesung tritt erst ein durch Kontakt mit Bakterien.

Und trotzdem ist oft gleichzeitig eine Tendenz da, das Baby nicht hergeben zu wollen. Im Falle, daß eine Geburt bevorsteht, macht diese Gespaltenheit den Geburtsvorgang oft beschwerlich und kann ihn hinausziehen.

Je nach Situation und Zeitpunkt der Schwangerschaft wird entweder die Geburt bald nach Feststellen des Todes eingeleitet oder aber, wenn Frauen nähe am errechneten Entbindungstermin sind, möglicherweise das natürliche Einsetzen der Wehen abgewartet. Für manche Frauen ist die Vorstellung, daß sie ihr totes Kind selbst zur Welt bringen müssen, unerträglich. Obwohl zunächst der Wunsch nach einem Kaiserschnitt sehr häufig ist, sind Frauen meistens im nachhinein froh, daß sie davon verschont blieben.

Die Erfahrung der Geburt kann tief anrühren. Frauen erfahren das Geburtserlebnis oft losgelöst vom Tod. Deshalb ist es wichtig, eine positive Geburtserfahrung anzustreben und in der Geburtsvorbereitung Erlerntes anzuwenden. Manche Frauen, die ihr Kind gesehen haben, berichten, daß sie trotz des Todes des Kindes zunächst ganz euphorisch gewesen seien, so als ab der Körper nur Schritt für Schritt auf die Ereignisse reagieren kann: zuerst auf die Geburt und erst Tage danach auf den Tod.

Die gängige Meinung in der Klinik ist, daß man Frauen, die ein totes Kind zur Welt bringen, prinzipiell das Erleben der Geburtswehen ersparen sollte. Das kommt sicherlich vielen, vielleicht den meisten Gebärenden entgegen, aber nicht allen. Für manche Frauen ist es ungeheuer wichtig, die Geburt bewußt und

unvernebelt mitzuerleben. Für Frauen, die ein totes Kind zur Welt bringen, kann es gut sein, den Geburtsschmerz zu spüren. Wo sie sonst durch den Schock stumm wären, können sie bei der Geburt gleichzeitig ihre emotionalen Schmerzen hinausschreien, und das hilft ihnen.

Noch mehr als bei der Geburt eines lebenden Kindes sollten wir bei der Geburt eines toten Kindes selbst entscheiden können, was für uns jeweils gut und richtig ist. Wir sollten uns langsam vortasten und auch immer wieder im Laufe der Geburtsarbeit unsere Meinung ändern können. Wenn wir mit Beruhigungsmitteln vollgepumpt werden oder gar, wie mancherorts immer noch üblich, bei der Entbindung eine Durchtrittsnarkose bekommen, verzögert und behindert dies das Einsetzen der Trauerarbeit und den Verlauf des Trauerprozesses.

Trauer nach einer Totgeburt

 Eine empirische Analyse zur Betreuung betroffener Frauen und Paare.

Eine Handreichung für professionelle HelferInnen.
Jessica Wolf

7. Abschiedsrituale beim frühen Tod eines Kindes Die Verarbeitung des Verlusts durch rituelle Handlungen

7.4.1 Den Verlust begreifbar machen

Die Begegnung mit dem toten Kind – davor schrecken zunächst viele Eltern zurück. Sie haben Angst davor, dass das Kind missgebildet ist, oder werden evtl. zum ersten Mal in ihrem Leben mit dem Anblick eines toten Menschen konfrontiert. Die Gelegenheit, das eigene Kind sehen und möglicherweise sogar halten oder baden zu können, erlaubt den Eltern die Situation, im eigentlichen Sinn des Wortes, zu begreifen. Der körperliche Kontakt mit dem Baby hilft, den Verlust zu realisieren. (vgl. Borg/Lasker 1987, 56ff) 8 Zu weiteren Ausführungen bezügl. Abschiedsritualen, die nach einer längeren Trauerzeit vollzogen werden, siehe u.a. Nijs 1999, 35ff.

Zudem kann so die Bindung der Eltern zum Kind vollendet werden, was für einen heilsamen Trauerprozess wichtig ist. (vgl. Lothrop 1998, 80) Viele in der Praxis Tätige berichten davon, dass die Verarbeitung einer Tot- oder Fehlgeburt wesentlich davon abhängt, ob den Eltern die Möglichkeit gegeben war, das Kind kennen zu lernen. „Noch zwanzig und mehr Jahre später hatten viele keinen Frieden damit gefunden und litten noch immer unter der Last von Unverarbeitetem. Wenn die begonnene Bindung abrupt abgebrochen wird, bleibt eine große Unruhe zurück. Unser Baby kennen zu lernen, unsere Beziehung zu ihm zu bejahen, ermöglicht ein gutes, heilsames Abschiednehmen“ (Lothrop 1998, 80). Für ein solches Abschiednehmen brauchen trauernde Eltern konkrete Erinnerungen. Erinnerungen daran, wie das Baby ausgesehen hat, was besonders an ihm war, wem es ähnlich gesehen hat. Somit erhält das Kind seinen sicheren Platz im Leben der Familie und es bleibt nicht das Gefühl zurück, etwas Wichtiges versäumt zu haben.

Häufig haben Eltern zunächst Angst davor, ihr totes Kind zu sehen, oder lehnen es im ersten Augenblick nach der Entbindung sogar ab. Professionelle HelferInnen können hier die betroffenen Eltern unterstützen, indem sie einfühlsam schildern, wie das Kind aussieht und ggf. welche Fehlbildungen es hat. Das nimmt Müttern und Vätern die Scheu vor der ersten Begegnung. (vgl. Lothrop 1998, 84ff) Wenn Kinder mit Fehlbildungen zur Welt kommen, steht oft die Frage im Raum, ob die Eltern den Anblick überhaupt verkraften können. Die Erfahrung aus der Praxis hat jedoch gezeigt, dass die Realität nie so schlimm ist wie die ‚Monsterfantasien’, die die Eltern entwickeln können, wenn sie ihr Kind nicht sehen. (vgl. Internet 1) Eltern sehen ihr Baby mit den Augen einer Mutter bzw. eines Vaters und nicht aus der klinischen Sicht des medizinischen Betreuungspersonals. „Fehlbildungen werden oft nicht wahrgenommen oder stehen zumindest nicht im Mittelpunkt der Betrachtung, sondern Eltern verweilen bei dem, was an ihrem Kind schön und einzigartig ist, und bewahren das in ihrem Herzen“ (Lothrop 1998, 85).

In diesem Zusammenhang muss angemerkt werden, dass nicht alle Eltern den Wunsch haben, ihr verstorbenes Kind zu sehen. Häufig wird diese Entscheidung im Nachhinein bereut, andere Eltern jedoch bleiben überzeugt davon, den für sie richtigen Weg eingeschlagen zu haben. (vgl. (Borg/Lasker 1987, 56) Wenn die Eltern es ablehnen, ihr Baby anzusehen, sollte jemand anders (z.B. ein Familienmitglied oder ein Freund/eine 74.Freundin) in der Lage sein, es später genau zu beschreiben, um so mögliche Fragen beantworten zu können. (vgl. Lothrop 1998, 82)

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„ Was mache ich nur wenn sie gleich schreit?“

Die Geburt von Kim Nova (21 SSW)

Morgens wurde noch einmal Blutabgenommen und noch ein CTG gemacht.
Das Kind lebt!
Aber liegt es wohl jetzt im Trockenen, es ist ja kein Bauch mehr da?
Nun kam die Zeit des Wartens bis gegen Mittag die Ärztin kam und sagte „ Es gibt keine Hoffnung mehr, wir müssen die Geburt einleiten, ihren Blutwerte sind sehr schlecht und auch ihre Nierenwerte. Es geht um ihr Leben! Rufen sie ihren Freund an, wir werden gleich die Geburt einleiten!“
Ich rief sofort meinen Freund auf dem Handy an, da ich wusste, er war gerade unterwegs, um Silvio zu meiner Mutter zu bringen. Ich war sehr gefasst und ruhig, sagte ihm, er soll kommen.

Nun kam die Hebamme und fuhr mich in den Kreissaal. Sofort bekam ich Penicillin angehängt und bekam das Gel. Kurz darauf war auch mein Freund da, um mir beizustehen. Ich weiß bis heute nicht, wie er es so schnell in die Klinik geschafft hat. Aber nun war er da und ich war froh, ihn an meiner Seite zu haben. Zusammen schaffen wir das schon , wir haben es schon beim Silvio super gemacht.
Ich habe geglaubt, dass ich wüsste,  was auf mich zukommt. Ich kannte es ja von der Geburt von meinem Silvio. Nur das, was kam war der blanke Horror. Und auf einen Schlag waren sie da, die Wehen! Aus dem Nichts. Aber in so einer Stärke, die ich kaum beschreiben kann. Es waren keine Wehen, wie ich sie von Silvios Geburt her kannte,  sondern unendliche Schmerzen am ganzen Körper, die überhaupt nicht aufhörten. Ich bekam dann Schmerzmittel, die alles taten, nur nicht geholfen haben. Nach einer Weile kam dann der Arzt und öffnete mir manuell den Muttermund, damit es schneller gehen würde. Ich hatte Schmerzen die kaum auszuhalten waren, ich habe mich im Bett hin und hergewälzt.
Und ich hatte das Gefühl, sie will sich Zeit lassen zu kommen. Sie möchte, dass ich Zeit habe, um Abschied von ihr zu nehmen. Ich wurde wirklich zur Furie, ich habe geschrieen und gezornt wie ein kleines Kind, das kein Eis bekommt. Im nachhinein schäme ich mich, die Hebamme hat sich einiges anhören müssen. Mein Freund immer an meiner Seite, der meine Hand hielt und einfach nur da war.
Und auf einen Schlag waren sie da, die Presswehen. Ich war froh, endlich konnte ich was tun, mithelfen, sie von ihren Leiden zu befreien. Und dann kam der furchtbare Gedanke „ Was mache ich nur wenn sie gleich schreit?“
Aber ich konnte ihn gar nicht zu Ende denken, denn sie war da  „STILLGEBOREN“
530gr schwer 29 cm groß“ KIM-NOVA“ unser Wunschkind.
Und sofort war der Gedanke da: “Ich war es die sie umgebracht habe “Was habe ich nur getan? Was habe ich verbrochen, dass Gott mir so eine schwere Prüfung gibt?“
Ich weiß das mich keine Schuld trifft, aber sie  waren einfach da, diese Schuldgefühle.
Ich wollte sie nicht sehen nur weg vom Geschehen, weit weg!
Ich wurde sofort in den OP gefahren zur Ausschabung.

Als ich wach wurde, wusste ich nicht, was passiert war: Hatte ich nur einen bösen Traum, habe ich wirklich Kim-Nova still geboren?
Nein das kann nicht sein. Ich muss nur warten, bis sie mir meine Kleine bringen und ich sie anlegen darf. Warten nur warten .Es ging mir komischer weise sehr gut ich hatte wirklich das Gefühl, sie bringen sie mir .Ich muss nur warten können.
In die Realität zurückgeholt hat mich dann die Krankenschwester, die gesagt hat, ich solle mir Gedanken machen, welches Beerdigungsinstitut ich möchte.
Was soll ich? Da war mir auf einen Schlag klar, dass es kein böser Traum war.
Auch hat mir die Schwester, der ich heute sehr dankbar bin, nahe gelegt sie anzusehen, Abschied zu nehmen und ein Bild von ihr zu haben.
Mein Freund und ich haben sie dann am nächsten Tag angeschaut, was mit einigen Zwischenfällen ( über die ich auch nicht sprechen will) verbunden war.

Unser Wunschkind KIM-NOVA

Und nun lag es da, in ein Handtuch gewickelt. Und sie sah aus wie unser Sohn Silvio: Die gleiche Runzelstirn, ein kleines und ein etwas größeres Ohr, die langen Finger. Einfach fertig, sie hätte nur noch wachsen müssen. Und wunderschön.
Und dann dieses Lächeln auf ihrem Gesicht das sagt „ Seid nicht traurig, mir geht es gut dort, wo ich nun bin. Schaut noch vorne, schaut auf euch bringt euer Leben ins Reine, ich gebe Euch hiermit den Anstoß. Mir geht es gut und ich bin bei euch.“
Vielleicht für viele unverständlich, aber ich hatte diese Eingabe, als ich sie so friedlich dort liegen sah.
Heute bin ich sehr froh über jeden der mich ermutigt hat, sie anzuschauen. Dieses Bild kann mir niemand mehr wegnehmen. Weiter (Beerdigung)

Diana30 (26.06.2003)

Ich habe Rebecca niemals gesehen. Sie war einfach aus meinem Leben verschwunden.

Dann auf einmal passiere „es“, ohne dass ich so recht einverstanden war. Die ganze Zeit war ich noch in der Sorge, ob auch alles gut gehen würde. Die ersten Vorsorgeuntersuchungen waren aber völlig unauffällig. Erst gegen Mitte der Schwangerschaft trug der Arzt in meinen Mutterpass unter „Besonderheiten“ eine Abkürzung mit drei Buchstaben ein und umkreiste sie rot. Als ich ihn darauf ansprach, erklärte er mir, dass die Plazenta im vorderen, unteren Becken liege und dies nicht sehr günstig für die Geburt sei. Es bestünde die Gefahr, dass bei Wehen und Öffnen des Muttermundes Blutungen von der Plazenta ausgingen.

Außerdem veränderte sich mein damaliger Ehemann durch diese Schwangerschaft in ein unvorstellbares Scheusal. Wir waren inzwischen in ein neues Haus mit viel Platz und Komfort gezogen. Aber er fing an mich zu verspotten, wie ich aussähe mit meinem dicken Bauch. Es war so erniedrigend. Immer öfters kam er jetzt völlig betrunken nach Hause, weckte mich dann mitten in der Nacht auf und fand immer Gründe mich zu demütigen und zu beleidigen. In meiner Hilflosigkeit setzte ich mich im Badezimmer zwischen Toilette und Badewanne auf den Boden und weinte … weinte … weinte.

Alles das hat meine Tochter Rebecca mit erlebt. Alle diese Worte und Beschimpfungen, alle diese Erniedrigungen, hat sie gehört. Sie hat sich wohl gedacht, dass draußen eine traurige Welt auf sie warten würde.

Der Geburtstermin war für Ende Mai. An Fasching waren wir mit meiner Tochter zusammen auf einem Umzug in dem kleinen Ort. Von den geschmückten Wagen wurden Bonbons geworfen. Ich stand mit meinem damaligen Ehemann und meiner Tochter am Straßenrand, um zuzusehen. Auf einmal traf mich eines oder mehrere Bonbons mit voller Wucht auf meinem schwangeren Bauch. Mir tat das sofort weh und als ich zu dem Wagen hinsah, waren dort einige Jugendliche, die lachten, ich schließe daraus, dass sie absichtlich auf meinen Bauch gezielt hatten.

Ob dies die Ursache für das weitere war, weiß ich bis heute nicht. Ende Februar kam ein Bekannter, um das Babyzimmer zu tapezieren und anschließend wollte ich es einrichten, die Babysachen waschen, mich auf das Baby vorbereiten.

An diesem Abend, als wir mit der Renovierung gerade fertig waren, lag ich im Bett, meine damals 6-jährige Tochter im Kinderzimmer nebenan, der Vater der beiden war wie meistens „unterwegs“. Kurz bevor ich einschlief sah ich auf einmal einen kleinen weißen Kindersarg, aber nicht im Traum, sondern, so als hätte mir jemand dieses Bild „eingespielt“. Ich dachte, was ist das denn? Wachte einen Moment noch mal ganz auf. Aber dann schlief ich wieder ein.

In der Nacht wurde ich auf einmal davon geweckt, dass ich Fruchtwasser verlor. Ich wurde völlig panisch, weil ich dachte, das wäre alles Blut und das Baby würde gleich hinterher rutschen.

Ich rief nach meiner kleinen Tochter, weil ich nicht wagte, aufzustehen. Sie kam dann auch aus ihrem Zimmer, ich sagte, sie solle einfach am Telefon eine Nummer wählen und sagen, dass ihre Mama ein Baby bekommt, blutet und Hilfe bräuchte. Aber das klappte nicht, dann fiel mir zum Glück die Notruf-Nummer ein. Ich versuchte, so gut ich konnte, meine Tochter zu beruhigen, bat sie ganz langsam einzeln die Ziffern 110 zu wählen und sagte ihr den Text nochmals vor, den sie sagen sollte, mit unserem Namen und der Anschrift.

Dann kamen auch ziemlich zeitgleich ein Polizei- und ein Krankenwagen, eine Nachbarin, die sich zum Glück um meine Tochter kümmerte und mein betrunkener Ehemann. Ich kam in das Krankenhaus, wo ich auch schon meine erste Tochter entbunden hatte und wo alle Vorsorge-Untersuchungen stattgefunden hatten. Man stellte dort fest, dass ich einen Riss in der Gebärmutter hätte und schlug mir vor, einen Wehentropf anzuhängen und zu hoffen, dass er sich wieder verschließt. Von diesem Moment an fing ich richtig an, um Rebecca zu kämpfen. Ich dachte, meine erste Tochter sei ein Weihnachtsmädchen und wenn dieses Kind es bis Ostern schaffen würde, dann hätte sie eine gute Chance zu überleben. Ein Kaiserschnitt kam durch meine Vorgeschichte nicht in Frage, also hoffte ich Tag für Tag, dass das Baby wachsen würde und so lange in meinem Bauch bleiben, bis es groß und stark genug wäre für die Welt draußen.

Nach einigen Wochen stellten die Ärzte bei einer Ultraschall-Untersuchung fest, dass das Baby nicht mehr weiter wuchs. Zudem waren bei meinem nächsten EKG die Werte so schlecht, dass mir die Ärzte nahe legten, die Infusionen zu beenden. Ich wollte das auf keinen Fall, aber die Ärzte beharrten auf dieser Entscheidung. Sie versprachen, mir die höchst-mögliche Dosis dieses Medikamentes oral zu verordnen. Aber gleich einen Tag nach dem der Tropf entfernt war, bekam ich Wehen.

Der Oberarzt kam und sagte mir, dass das Baby sehr schlechte Chancen hätte. Ich bettelte um einen Kaiserschnitt, der aber auch abgelehnt wurde. Als mir die Tränen kamen, bekam ich von dem Oberarzt gesagt, ich solle mich nicht so anstellen, ich wäre noch jung und könnte noch viele Kinder bekommen, was denn andere Frauen in meiner Situation sagen würden, wo das nicht mehr möglich wäre.

Ich kam in den Kreissaal, wurde an den Wehenschreiber gehängt und hatte regelmäßige Wehen. Noch immer hatte ich die Hoffnung, dass alles doch noch gut gehen könnte, nicht aufgegeben. Aber dann hörte ich an den Herztönen des Babys, dass sie immer leiser wurden, immer weniger, immer unregelmäßiger. Ich hörte, wie mein Baby in meinem Bauch starb.

Auf mein entsetztes Gesicht hin, stellte die Hebamme den Ton des Gerätes ab. Kurze Zeit später erschien der Oberarzt und versuchte, das Baby zu holen, aber es ging nicht. So bekam ich eine Narkose. Als ich wieder erwachte, war das Baby weg.

Ich habe Rebecca niemals gesehen. Sie war einfach aus meinem Leben verschwunden. Das Personal der Klinik wusste viel besser, was für mich das Richtige wäre, wenn ich anfragte, ob ich meine Tochter nicht einmal sehen könnte, wurde das verneint. Auf meine Frage nach einer Beerdigung, damit ich wenigstens ein Grab für sie hätte, wurde gesagt, das ginge nicht. Das einzige, was ich durchgesetzt habe war, dass sie nicht als „Totgeburt“ eingetragen wurde, sondern als Rebecca. Ihr Vater, der bei der Geburt anwesend war, mich sogar, als ich die Narkose bekam, im Arm hielt und als ich wieder aufwachte, war er so noch immer da, hatte sie gesehen und mir erzählt, dass sie ausgesehen hätte, wie unsere große Tochter. Um die Nabelschnur hätte sie eine Entzündung am Bauch gehabt. Sonst wäre sie sehr hübsch gewesen und hätte ausgesehen, als ob sie schliefe.

Ich lag nun zwischen Wöchnerinnen in der Klinik, die regelmäßig ihre Babys zum Stillen gebracht bekamen. Besucht wurde ich außer von meinem damaligen Ehemann von den Ehefrauen der Kollegen meines Ex-Mannes, von den Töchtern meines ältesten Bruders, die als Jugendliche verlegen um mein Bett standen, von einem Pfarrer, der mir irgend etwas von Hiob erzählte und von meiner Mutter, die obwohl ich sie darum gebeten hatte, nichts von meinem Kummer und meiner Trauer nach außen zu tragen, glücklich war, endlich mal in unserem Ort die Nummer eins zu sein, die direkt vom Ereignis berichten konnte. Sie war wer …

Ein einziger Besuch war mir eine Wohltat, ein befreundeter Psychologe setzte sich neben mich, wir waren alleine in einem Raum, er stellte mir seine Schulter zur Verfügung. Ich lehnte mich daran und weinte. Wir wechselten sonst kein Wort, das war auch nicht nötig.

Das Personal der Klinik so wie die anderen Frauen der Station behandelten mich zum Teil mit Verlegenheit, zum Teil, dass ich das Gefühl bekam, ich sei Schuld, Allen so viele Unannehmlichkeiten gemacht zu haben. Jeden Tag bekam ich wort- und kommentarlos eine Tablette angeboten „zur Beruhigung“, auf meine Frage, wie lange ich diese zu Hause einnehmen solle, bis man davon ausgehen könnte, dass mir das Erlebte nichts mehr ausmachte, bekam ich keine Antwort. Auch meine Entscheidung, diese Mittel nicht einzunehmen wurde einfach nur zur Kenntnis genommen.

Nach meiner Rückkehr aus dem Krankenhaus war ich völlig damit überfordert, wie ich mit meiner damals sechsjährigen Tochter umgehen sollte, wie ihr erklären, wo das Baby beblieben ist, wenn man selbst noch voller Schmerz und Trauer ist? Bis zum heutigen Tag ist dies ein Thema, über das meine Tochter und ich kaum reden. Ich vermute, dass sie selbst ein großes Trauma durch all das erlebt hat, aber ich respektiere ihre Entscheidung und denke, dass sie in dem für sie richtigen Moment an diesen Teil ihres Lebens zurück geht. Zum Glück haben wir eine so liebevolle Mutter-Tochter-Beziehung, dass sie sich der Tatsache, dass sie auch hier auf mich bauen kann, sicher bewusst ist.

Das einzige, das sich positiv veränderte, war die Beziehung zu meinem damaligen Mann. Durch diesen Schock wurde er plötzlich richtig häuslich und zuverlässig, sogar mit dem Trinken hörte er auf.

Ungefähr drei Monate nach der Geburt von Rebecca hatte ich aus heiterem Himmel einen sehr schlimmen Migräne-Anfall. Ich leide schon seit vielen Jahren unter Migräne, aber dies war nicht vergleichbar, mit dem was ich kenne. Ich legte mich ganz flach auf mein Bett, meine Tochter wurde von ihrem Vater versorgt, der selbst ganz erschrocken war, wie schlecht es mir auf einmal ging. Trotz dieser heftigen Attacke fiel ich auf einmal in einen Schlaf, als ich davon aufwachte, waren meine Kleidung, mein Bettzeug, alles vollkommen nass-verschwitzt. Ich kann mich nicht erinnern, ob ich etwas geträumt habe, oder was genau passiert ist, aber ich weiß, dass ich danach aufstand und das Gefühl hatte, jetzt sei der schlimmste Schmerz über Rebeccas Tod überstanden.

Danach traf ich bei einer Nachsorge-Untersuchungen eine ehemalige Freundin wieder. Sie machte mir Mut, baute mich auf und sagte, ich solle so schnell als möglich wieder schwanger werden.

Sie empfahl mir ihren Frauenarzt, zu dem ich nun auch wechselte. Ich verhandelte mit ihm, wie schnell ich wieder schwanger werden könnte. Von den Ängsten vor der Schwangerschaft mit Rebecca vor einer Thrombose keine Spur mehr. Auch in meiner Ehe war auf einmal alles ganz anders. Und so wurde ich fünf Monate später wieder schwanger.

Doch durch diese Schwangerschaft wurde mein Ex-Mann wieder der alte, bzw. noch schlimmer, als vorher. Jetzt wurde er auch körperlich gewalttätig. Ich lebte jeden Abend, wenn er nicht nach Hause kam, und das war meist der Fall, mit der Angst, in welchem Zustand er nachts nach Hause kommen würde. Einmal stieß er mich so heftig an einen Türrahmen, dass mein ganzer Rücken voller blauer Flecken war. Ich erzählte einer Freundin davon, ihr kamen die Tränen und sie überredete mich, damit zu einem Arzt zu gehen, damit er diese Verletzungen sieht. Aber mir wurde gleich gesagt, dass das nicht viel nützt, weil er nur aussagen könnte, welche Verletzungen ich hätte, nicht wie ich dazu kam.

Ich hielt noch etwas über ein halbes Jahr nach der Geburt meines gesunden Sohnes in dieser Ehe aus. Als Höhepunkt hatte er mich nach der Geburt im Krankenhaus mit seiner damaligen Freundin gemeinsam besucht. Zur Geburt wollte ich eigentlich alleine fahren, meine Tochter war zu dieser Zeit bei meiner Schwester untergebracht. Leider kam er noch so rechtzeitig von der Gaststätte nach Hause, dass er mit mir in die Klinik fuhr. Dort führte er sich so katastrophal auf, dass ihm die Ärzte und das Personal androhten, ihn hinaus zu werfen. Ich schämte mich so für ihn und mit ihm.

Als ich aus der Klinik kam, war nichts für mich oder das Baby vorbereitet. Niemand freute sich. Es gab keine Blumen. Nur eine Wohnung, die aufgeräumt werden musste, wo von der ganzen Woche, die ich im Krankenhaus war, das verdreckte Geschirr zu spülen war.

Und das war erst der Anfang. Der Vater meiner Kinder lehnte jeden Kontakt zu seinem eigenen Sohn ab. Er nahm ihn nicht in den Arm, um ihn zu füttern. Er behandelte ihn so, dass ich anfing, nachts mit einem Messer unter dem Sofa im Wohnzimmer zu schlafen und zu hören, in welches Zimmer er nach seiner Rückkehr gehen würde und bereit zu sein, falls nötig, meinen kleinen Sohn vor seinem eigenen Vater zu schützen.

Mir gegenüber wurde er nun nicht mehr gewalttätig, denn ich hatte ihm gesagt, dass ich alles den Kollegen in seiner Firma sagen würde. Er wusste, dass dies keine leere Drohung von mir war.

Als mein Sohn ca. acht Monate alt war, trennte ich mich endlich von ihm.

„Erlaubnis“ dafür hatte ich mir davor von einem Pfarrer geholt, dem ich dies alles geschildert hatte und der mir sagte, ich solle sofort gehen. Nicht morgen – nicht übermorgen – sondern sofort.

Seither habe ich in all den Jahren in der Zeit von Ende Januar bis zu Rebeccas Geburts- bzw. Todestag am 14. März ein seelisches Tief. Egal, was ich auch versucht habe, ich schaffte es nicht, dies zu überwinden. Einmal zum Beispiel hatte ich die Idee, diesen Tag nicht als ihren Todestag zu begehen, sondern die Tatsache zu würdigen, dass dies ja auch ihr Geburtstag ist. Ich lud meine beiden Kinder und meinen Schwiegersohn für abends zum Essen ein. Wir saßen in einem Lokal, wo auch ein Platz für Rebecca frei gehalten wurde. Mein Schwiegersohn stellte mir viele Fragen zu Rebecca, die ich ihm alle gerne beantwortete. Aber da er meine sowie meiner Kinder tiefe Trauer dazu fühlte, war er sehr vorsichtig. Wir waren in einem asiatischen Lokal, meine große Tochter mag dieses Essen so gerne. Es lief eine leise Hintergrundmusik auf Band und auf einmal hörten wir den Titel: „Happy birthday“, uns allen standen die Tränen in den Augen.

Durch eine Talkshow-Sendung im Fernsehen wurde ich eines Tages auf die Internet-Seite der Schmetterlings-Kinder aufmerksam. Dort fand ich zum ersten Mal Menschen, mit denen ich über alles dies offen reden konnte, wo ich mich sofort angenommen und verstanden fühlte. Ich bin all den Menschen dort, die ich nicht einmal persönliche kenne, besonders, denen, die diese Seite eingerichtet haben, unendlich dankbar.

Mir fiel zwar auf, dass die meisten Eintragungen dort von Betroffenen waren, die ihre Kinder vor nicht so langer Zeit verloren haben, wie das bei mir der Fall ist, aber ich dachte nicht wirklich darüber nach. Mein Eindruck war, dass wir alle dasselbe Leid und Schicksal zu tragen haben und jeder das auf seine Art in der für sich richtigen Art und Weise tut.

Mit wurde erst klar, dass ich es noch nicht wirklich geschafft habe, dieses Erlebte wirklich zu verarbeiten, als ich im letzten Sommer durch ein ganz alltägliches Erlebnis, nämlich, dass ein kleines Mädchen aus dem Auto an der Ampel vor mir ausstieg und sich von seiner Mutter verabschiedete, wahrscheinlich um zur Schule zu gehen, eine Panikattacke bekam.

Ich wurde in einer psychosomatischen Klinik behandelt und dort wurde mir durch ein Gespräch mit der Oberärztin klar, dass ich noch weit davon entfernt war, mit all dem Erlebten Frieden zu schließen. In erster Linie war und ist es für mich noch immer furchtbar, dass Rebecca aus meinem Bauch verschwunden war und für mich einfach weg. Ich habe bis heute keine Ahnung, wo sie ist, was mit ihr passiert ist. Wurde sie verbrannt? Wurde eine Obduktion durchgeführt? Ich habe kein Grab, nichts. Erstaunlich ist auch, dass ich, obwohl ich so fest an Wiedergeburt glaube und davon überzeugt bin, dass es zum Beispiel Engel gibt, keine Idee hatte, wo meine Rebecca ist.

In der Klinik schenkte mir eine junge Frau, ohne meine Geschichte zu kennen, einen kleinen wunderschönen Engel. Als ich ihn in der Hand hielt, so friedlich schlafend, da hatte ich zum ersten Mal eine Idee, wo meine Tochter ist und wie sie jetzt aussieht.

Und noch etwas sehr tröstliches für meine Seele habe ich in dieser Klinik von einem katholischen Geistlichen geschenkt bekommen (obwohl ich evangelisch bin), er hat mir gesagt, dass meine Tochter direkt unter meinem Herzen aus der Liebe ihrer Mutter in die liebenden Hände GOTTES gefallen ist. Weil sie nichts anderen kennt, ruft sie von dort: „Mama, komm auch her – hier ist es so schön“.

Mit dem Engel und einigen anderen Dingen, die mir am Herzen liegen habe ich nun innerhalb unserer Wohnung einen Platz für Rebecca eingerichtet. In der Klinik habe ich inzwischen die Befunde angefordert und nachgefragt, was mit ihrem Leichnam passiert ist. Ich habe das Gefühl, ihr dies schuldig zu sein.

Meine beiden lebenden Kinder sind inzwischen erwachsen. Meine Tochter ist verheiratet und hat selbst ein wundervolles Mädchen geboren. Ich hätte nie erwartet, dass zwischen Oma und Enkelin eine solche tiefe Liebe möglich wäre. Eine Freundin hat mir einmal erklärt, in ihrer Heimat Griechenland bedeute Oma Zweimal Mutter. Und das stimmt für mich genau. Ich bin jetzt zweimal Mutter für dieses kleine Menschenkind.

Mein Sohn sucht noch nach seiner Lebensspur. Aber ich bin nicht mehr ganz so voller Sorge um ihn und habe inzwischen mehr Vertrauen und Hoffnung, dass er diese findet.

Ja – und Rebecca. Rebecca habe ich keinen Tag meines Lebens vergessen und werde das auch nie. Durch den Kontakt mit anderen betroffenen Müttern, die ein Schmetterlings-Kind haben, habe ich gelernt, dass ich nie wieder sagen werde: ich habe zwei Kinder. Nein, ich habe drei Kinder, zwei sind einzigartige, erwachsene Menschen geworden und eines ist mein Schmetterlings-Engel Rebecca. Vielleicht finde ich mit ihr eines Tages meinen Seelenfrieden. Was ich nach vielen Jahren gefunden habe ist, dass ich sie genau so lieb haben darf, wie meine beiden lebenden Kinder.

Vor wenigen Wochen fand nun das Gespräch in der Klinik statt, wo ich Rebecca am 14.03.1982 tot geboren habe.

Für dieses Gespräch und für die Hilfe, das Verständnis und Mitgefühl, das ich von Seiten der heutigen Klinik-Leitung und des Oberarztes, der mit mir die damalige Akte durchgesehen und wirklich ALLE meine Fragen ehrlich beantwortet hat, bin ich sehr dankbar und berührt. In diesen Unterlagen befanden sich zwei Ultraschall-Bilder, die beide recht kurz vor der Geburt erstellt worden waren. Diese Bilder habe ich bei mir. Auf einem davon ist fast nichts zu erkennen, es sieht aus, wie ein dunkler Punkt mit Umrissen und diese Umrisse wurden vermessen und mit einer Zahl versehen. Aber auf dem anderen Foto habe ich auf einmal das Gesichtchen meiner Tochter zum ersten Mal gesehen. Mein erster Gedanke war, dass es so aussieht, als hätte sie es „absichtlich in die Kamera gehalten“.

Traurig ist, dass Rebecca mit dem heutigen Stand der Technik und des medizinischen Fortschritts eine Überlebens-Chance von ca. 80 % hätte.

1982 betrug diese Chance nur 20 % und hiervon wieder eine sehr hohe Wahrscheinlichkeit, dass sie anschließend behindert gewesen wäre.

Ich weiß jetzt um die Hintergründe, die den damaligen Blasensprung ausgelöst haben und denke, dass es ein Fehler war, meine Tochter nach dem Blasensprung so lange zu halten, dadurch ist es zur Entzündung der Plazenta gekommen und letzt-endlich zu ihrem Tod. Auch die Tatsache, dass ich (obwohl ich darum gebeten hatte), keinen Not-Kaiserschnitt erhielt, ist nach meiner Meinung eine traurige Falsch-Behandlung der damaligen Ärzte. Sie haben meiner Tochter noch nicht einmal die kleine Chance von 10 %, dass sie eben doch diesen Start gesund hätte überstehen können, gegeben.

Und warum ich für die Geburt selbst (auch wenn sie mit Saugglocke ausgeführt wurde) eine Vollnarkose erhielt und dies für mich zur Folge hatte, dass ich anschließend aufgewacht bin – und mein Kind war einfach weg … auch dafür gibt es keine heute nachvollziehbare Erklärung.

Gestern habe ich in einem sehr freundlichen Brief von Seiten des Krankenhauses erfahren, dass sie mir selbst bei der Ermittlung des Grabes erfolgreich geholfen haben, in dem meine kleine Tochter anonym beerdigt wurde. Ohne diese Hilfe wäre mir das nicht möglich gewesen, denn in dem zuständigen  Beerdigungsinstitut konnte man mir nicht weiter helfen, dort existieren keine Aufzeichnungen mehr über diesen Zeitraum und der damalige Chef ist inzwischen verstorben. Auch für diese rasche Mühe und Hilfe danke ich der Klinik-Leitung und dem zuständigen Oberarzt sehr.

Ich glaube, dass ich JETZT für mich an einem sehr wichtigen Ziel angekommen bin: Meine Tochter Rebecca ist nun Teil meines Lebens geworden, sie hat ihren Platz, der ihr durch die damaligen Umstände nicht eingeräumt wurde, erhalten. Und ich kann endlich auch an ihrem Grab für sie beten, mit ihr reden und ihr auch dort hin Blumen bringen.

Durch all dies habe ich zum einen noch einmal ein wirkliches Meer von Tränen gefühlt aber auch diese Hoffnung: NUN IST ES GUT. (weiter Grab)

Ulrike
www.beepworld.de/members69/ulrikeyannah/rebecca.htm

Wenn ein Mensch gestorben ist – wie gehen wir mit dem Toten um?

TauschBickelnUntersuchungen haben dann jedoch folgendes ergeben:

Frauen, die Gelegenheit hatten, das tote Kind noch einmal- zu sehen, vielleicht auch zu berühren oder zu streicheln und ihre Gefühle von Schmerz, Trauer und Wut zuzulassen und auch hierbei Hilfe bekamen, fühlten sich weniger lange von Trauer belastet.

So unterstützt das Pflegepersonal heute Mutter und Väter, Abschied von ihrem Kind zu nehmen. Ein Arzt in einer Frauenklinik:

Nach unseren Erfahrungen möchte etwa ein Drittel aller Frauen ihr Kind sehen oder m den Arm nehmen. Ein weiteres Drittel betrachtet oder berührt ihr totes Kind auf unser eindringliches Zuraten hm. Das letzte Drittel will das Kind nicht sehen, betrachtet es aber häufig am nächsten Tag in unserer Begleitung oder will jedenfalls eine Fotographie anschauen (Gottfried Lutz und Barbara Künzer-Riebel, Nur ein Hauch Leben].

Mit sehr viel Würde, Zeit und Achtung war es einer Freundin von uns möglich, ihr totgeborenes Baby zu verabschieden. So konnten sie und ihr Mann trotz des Schmerzes um den Verlust auch das Wunder dieses Lebens spüren:

»An einem Morgen in der 21. Schwangerschaftswoche leitete die Hebamme die Geburt ein. Noch me habe ich so wahnsinnige Schmerzen gehabt. Doch endlich gleitet sie, unsere Tochter, aus mit hinaus. Sie ist tot.

Mein Mann und ich betrachten den kleinen Körper mit Scheu und doch voller Neugier. Anfangs getrauen wir uns kaum, ihn zu berühren. Ich ermuntere Bern, meinen Mann. das Kind aufzunehmen und mir auf die Brust zu legen. Der kleine Körper ist noch ganz warm, kühlt dann aber erstaunlich schnell ab. Alles an diesem Kind ist perfekt ausgebildet. Es ist ein wunderschönes Mädchen. unvorstellbar, daß sie nicht leben kann. Die Haut ist extrem dünn, durchsichtig fast, schmettelingsartig fein. An mehreren Stellen hat sich die Haut dunkelviolett verfärbt, wie wenn sich das Mädchen an etwas gestoßen hatte. Die Augen sind geschlossen. Wir legen den kleinen Körper so auf meine Ernst, daß es bequem auf die Seite liegt. Die winzig kleinen, perfekten Hände legen sich mit den Handinnenflächen nach oben und bilden eine schalenartig Form. Wir entdecken kleinste Handlinien, und das berührt uns tief. Die Öhrchen liegen dicht am Köpfchen an. Das Kind hörte selbst etwa eine Woche Töne. Ich ließ es häufig Mozarts Wiegenlied hören. Noch einmal spielen wir ihr dieses Lied. Wir streichelten das Kind, dankten ihm für seis Dasein, für die Freude, die es uns gebracht hat, für die Hoffnung, die es leben ließ. Wir danken ihm auch für seine Schönheit und versuchen unter all dem Schmerz anzunehmen. daß es nicht lange leben wollte.

Die Hebamme ist während die ganzen Zeit mit uns, teilt mit uns die Freude und den Schmerz. Sie hat es mir ermöglicht, das Kind daheim zu gebären und mm zu verabschieden.

Nach zwei, die Stunden nehmen wir Abschied. Die letzte Blicke, das letzte Wort, die letzte Berührung und ein letzter Dank. Beni hat die marmorierte. wunderschöne Schachtel, die ich von einer Reise aus Venedig mitgebracht habe, mit Papier ausgelegt, und wir legen unser Kind hinein. Die Hebamme nimmt das Kind mit in das Geburtshaus und wird den Leichnam dort aufbewahren, solange, bis wir den Krematorionsschein bekommen und das Kind in das Krematorium bringen können. Es ist mir selbst wichtig zu wissen, wo das Kind

bis zur Verbrennung aufbewahrt wird.

Ein paar Tage später gehen die Hebamme und ich zum Bestattungsinstitut. Das Mädchen tragen wir in die Schachtel wohlbehütet mit uns. Dei Mann vom Bestattungsinstitut übergibt uns den kleinsten Sarg, den sie haben. Ei ist schneeweiß. Für Kinder haben sie weiße Särge. Wir sagen das Kind ein. Ich nehme es behutsam aus die Schachtel. Es sieht immer noch wunderschön aus, tiefgeforen ist es nun. Doris, die Hebamme, sagt, sie hatte es manchesmal betrachtet. Das empfinde ich schon. Ich bette das Mädchen in den weißen Satin des Sarges.

‚Wir fahren in das Krematorium. Hier muß ich den Sarg abgeben. unser Mädchen wird morgen kremiert. Da es mir, trotz intensivster Bemühungen meinerseits, nicht gestattet wild, bei der Kremation dabei zu sein, zeigt mir die Mann, die die Kremation vornehmen wird, die Leichenhalle, wo das Kind aufbewahrt wild, und die Krematorionsöfen. Ich bin ihm dafür dankbar, so kann ich morgen das Geschehen besser in Gedanken begleiten.

Am nächsten Tag holen dann mein Mann und ich die Urne ab. Auf dem Karton steht: Dubs, Mädchen, Nummer 100007. Unser Mädchen! Wir fahren zu uns nach Hause und glauben das kleine Tännchen aus, das ich aus dem Wald geholt und in unserem Garten gepflanzt habe, als ich die Gewißheit hatte, daß ich schwanger bin.

Es ist schon sehr gewachsen. Dann gehen wir in den Wald und suchen uns eine schöne Stelle aus mit viel Licht und Blick ins Weite, etwas erhöht. In die Nähe steht eine große, alte Tanne, sie soil das kleine Tännchen und unser Mädchen beschützen. Wir graben ein Loch, legen die Asche von unserem Mädchen hinein und setzen das Tännchen. Die Kerzen brennen an ihrem Grab, und Beni und ich beten ein Vaterunser.“

Daniela Tausch-Flammer, Lis Bickel
“Wenn ein Mensch gestorben ist – wie gehen wir mit dem Toten um?”, S. 94 ff .

„Ich möchte euch gerne meinen Sohn zeigen“

Manu 02-03-2004, 10:40 Uhr 

Ihr Lieben,

ich möchte euch gerne meinen Sohn Maximilian zeigen, denn ich bin soooo stolz auf ihn. ich finde, er sieht einfach nur toll aus. Man könnte denken, er schläft nur.

Ich hoffe, ihr seid nicht böse, dass ich ihn hier zeige, aber ich möchte meinen Sohn „der ganzen Welt“ zeigen. Und ihr schaut die Sternenkinder auch mit dem herzen an und nicht nur mit den Augen.

Mein Maximilian ist das Beste, was ich jemals geleistet habe !!!

MaximilianIch dachte früher immer, das alle Babys gleich aussehen und ich meinen Sohn nicht erkennen würde. Aber als ich ihn gesehen habe, da dachte ich es nicht mehr. er hat doch sehr typische, ausgeprägte Gesichtszüge. Die „Schnute“ und das Kinn (ja es ist ein Grübchen) hat er von meinem Mann, die kleine Stubsnase und der dunkle Lockenkopf ( sind nicht rot ) ist von mir.

Auch ich habe ein Bild von meinem kleinen Mäxchen in der Geldbörse und die Leute, die ich kenne und ihn sehen wollen, kann ich jederzeit das Bild zeigen. Ich finde das auch nicht komisch, man hat ja auch Bilder von anderen Personen dabei.

Liebe Grüße

Manu mit *Maximilian* im Herzen