Wenn ein Mensch gestorben ist – wie gehen wir mit dem Toten um?

TauschBickelnUntersuchungen haben dann jedoch folgendes ergeben:

Frauen, die Gelegenheit hatten, das tote Kind noch einmal- zu sehen, vielleicht auch zu berühren oder zu streicheln und ihre Gefühle von Schmerz, Trauer und Wut zuzulassen und auch hierbei Hilfe bekamen, fühlten sich weniger lange von Trauer belastet.

So unterstützt das Pflegepersonal heute Mutter und Väter, Abschied von ihrem Kind zu nehmen. Ein Arzt in einer Frauenklinik:

Nach unseren Erfahrungen möchte etwa ein Drittel aller Frauen ihr Kind sehen oder m den Arm nehmen. Ein weiteres Drittel betrachtet oder berührt ihr totes Kind auf unser eindringliches Zuraten hm. Das letzte Drittel will das Kind nicht sehen, betrachtet es aber häufig am nächsten Tag in unserer Begleitung oder will jedenfalls eine Fotographie anschauen (Gottfried Lutz und Barbara Künzer-Riebel, Nur ein Hauch Leben].

Mit sehr viel Würde, Zeit und Achtung war es einer Freundin von uns möglich, ihr totgeborenes Baby zu verabschieden. So konnten sie und ihr Mann trotz des Schmerzes um den Verlust auch das Wunder dieses Lebens spüren:

»An einem Morgen in der 21. Schwangerschaftswoche leitete die Hebamme die Geburt ein. Noch me habe ich so wahnsinnige Schmerzen gehabt. Doch endlich gleitet sie, unsere Tochter, aus mit hinaus. Sie ist tot.

Mein Mann und ich betrachten den kleinen Körper mit Scheu und doch voller Neugier. Anfangs getrauen wir uns kaum, ihn zu berühren. Ich ermuntere Bern, meinen Mann. das Kind aufzunehmen und mir auf die Brust zu legen. Der kleine Körper ist noch ganz warm, kühlt dann aber erstaunlich schnell ab. Alles an diesem Kind ist perfekt ausgebildet. Es ist ein wunderschönes Mädchen. unvorstellbar, daß sie nicht leben kann. Die Haut ist extrem dünn, durchsichtig fast, schmettelingsartig fein. An mehreren Stellen hat sich die Haut dunkelviolett verfärbt, wie wenn sich das Mädchen an etwas gestoßen hatte. Die Augen sind geschlossen. Wir legen den kleinen Körper so auf meine Ernst, daß es bequem auf die Seite liegt. Die winzig kleinen, perfekten Hände legen sich mit den Handinnenflächen nach oben und bilden eine schalenartig Form. Wir entdecken kleinste Handlinien, und das berührt uns tief. Die Öhrchen liegen dicht am Köpfchen an. Das Kind hörte selbst etwa eine Woche Töne. Ich ließ es häufig Mozarts Wiegenlied hören. Noch einmal spielen wir ihr dieses Lied. Wir streichelten das Kind, dankten ihm für seis Dasein, für die Freude, die es uns gebracht hat, für die Hoffnung, die es leben ließ. Wir danken ihm auch für seine Schönheit und versuchen unter all dem Schmerz anzunehmen. daß es nicht lange leben wollte.

Die Hebamme ist während die ganzen Zeit mit uns, teilt mit uns die Freude und den Schmerz. Sie hat es mir ermöglicht, das Kind daheim zu gebären und mm zu verabschieden.

Nach zwei, die Stunden nehmen wir Abschied. Die letzte Blicke, das letzte Wort, die letzte Berührung und ein letzter Dank. Beni hat die marmorierte. wunderschöne Schachtel, die ich von einer Reise aus Venedig mitgebracht habe, mit Papier ausgelegt, und wir legen unser Kind hinein. Die Hebamme nimmt das Kind mit in das Geburtshaus und wird den Leichnam dort aufbewahren, solange, bis wir den Krematorionsschein bekommen und das Kind in das Krematorium bringen können. Es ist mir selbst wichtig zu wissen, wo das Kind

bis zur Verbrennung aufbewahrt wird.

Ein paar Tage später gehen die Hebamme und ich zum Bestattungsinstitut. Das Mädchen tragen wir in die Schachtel wohlbehütet mit uns. Dei Mann vom Bestattungsinstitut übergibt uns den kleinsten Sarg, den sie haben. Ei ist schneeweiß. Für Kinder haben sie weiße Särge. Wir sagen das Kind ein. Ich nehme es behutsam aus die Schachtel. Es sieht immer noch wunderschön aus, tiefgeforen ist es nun. Doris, die Hebamme, sagt, sie hatte es manchesmal betrachtet. Das empfinde ich schon. Ich bette das Mädchen in den weißen Satin des Sarges.

‚Wir fahren in das Krematorium. Hier muß ich den Sarg abgeben. unser Mädchen wird morgen kremiert. Da es mir, trotz intensivster Bemühungen meinerseits, nicht gestattet wild, bei der Kremation dabei zu sein, zeigt mir die Mann, die die Kremation vornehmen wird, die Leichenhalle, wo das Kind aufbewahrt wild, und die Krematorionsöfen. Ich bin ihm dafür dankbar, so kann ich morgen das Geschehen besser in Gedanken begleiten.

Am nächsten Tag holen dann mein Mann und ich die Urne ab. Auf dem Karton steht: Dubs, Mädchen, Nummer 100007. Unser Mädchen! Wir fahren zu uns nach Hause und glauben das kleine Tännchen aus, das ich aus dem Wald geholt und in unserem Garten gepflanzt habe, als ich die Gewißheit hatte, daß ich schwanger bin.

Es ist schon sehr gewachsen. Dann gehen wir in den Wald und suchen uns eine schöne Stelle aus mit viel Licht und Blick ins Weite, etwas erhöht. In die Nähe steht eine große, alte Tanne, sie soil das kleine Tännchen und unser Mädchen beschützen. Wir graben ein Loch, legen die Asche von unserem Mädchen hinein und setzen das Tännchen. Die Kerzen brennen an ihrem Grab, und Beni und ich beten ein Vaterunser.“

Daniela Tausch-Flammer, Lis Bickel
“Wenn ein Mensch gestorben ist – wie gehen wir mit dem Toten um?”, S. 94 ff .