Wenn ich ehrlich bin, bin ich sogar erleichtert, dass Rebecca mit einem Opa zusammen in diesem Grab beerdigt ist und nicht alleine

(Fortsetzung von Geburt) Ende 2003 hatte ich bei einer alltäglichen morgendlichen Autofahrt ein sehr eigenartiges Erlebnis:

Ich hielt an einer Ampel hinter einem Wagen, aus dem ein kleines Mädchen ausstieg, sich von ihrer Mutter verabschiedete und wohl nicht im Auto warten wollte, sondern alleine zur Schule weiter lief.

Ich nahm diese Szene wahr und plötzlich bekam ich ein ganz eigenartiges Gefühl im Körper, von meiner Stirn ausgehend, ich dachte, ich bekäme einen Herz-infarkt oder Schlaganfall, hatte Herzrasen, ein Unwirklichkeitsgefühl, Zittern.

Da ich selbst eine therapeutische Ausbildung habe, konnte ich recht schnell für mich selbst eine Diagnose stellen: „Panikattacke“. Nach Ausschluss der manchmal dahinter stehenden körperlichen Problematik begann ich systematisch nach einem Weg zu suchen, nicht mit Medikamenten oder ähnlichem einfach weiter zu machen, sondern die Botschaft, die hierin liegt, zu suchen. Ich ging in eine ganzheitliche Klinik. Eigentlich hatte ich keine Lust mehr auf psychotherapeutische Gespräche, denn durch meine Ausbildung bedingt, hatte ich schon so viele davon, dass ich der festen Überzeugung war, es gäbe nichts mehr anzuschauen, zu erledigen und .. Mit dieser Einstellung ging ich nun in das Krankenhaus und dachte, vielleicht reicht es, wenn ich nur mal ein paar Wochen ausspanne, vielleicht brauche ich einfach nur Ruhe.

Nach etwa 2 – 3 Wochen hatte ich bei den Fußreflexzonenmassagen jedes Mal ein sehr unangenehmes Gefühl in der Bauchgegend. Ich beschrieb das dem Masseur mit den Worten: „als ob da was tot wäre“ und zeigte auf meinen Bauchbereich. Einige Tage später hatte ich ein Gespräch mit der Oberärztin, die ich bis dato noch nie gesehen oder gesprochen hatte. Sie legte einen kleinen Zettel vor mir auf den Tisch und ließ mich mein Symptom darauf malen. Ich nahm einen Kugelschreiber und kritzelte irgend welche Striche (eher lustlos) hin, damit sie zufrieden ist … , dann nahm sie den Zettel, drehte ihn um und ließ mich noch einmal malen: „was wäre ohne dieses Symptom?“, ich kritzelte wieder ein paar Striche hin und dachte – „was soll das denn werden?“ Die Oberärztin sah sich meine Kritzelei an, sah mir in die Augen und sagte: „das sieht alles so körperlos aus“ – „ich frage sie mal: wer ruft sie da aus der anderen Welt?“.

Was dann in mir passierte, kann ich wirklich nicht mit Worten beschreiben

Ich hatte das Gefühl, alles in mir bricht zusammen, sofort kamen mir Berge von Tränen und ich sagte nur: „meine Tochter Rebecca“.

Nach diesem Gespräch ging ich in die Klinikkapelle und weinte weinte weinte …

Bis heute weiß ich nicht, wo ich diese Tränen in mir haben konnte. Ich fasste meinen Mut zusammen und sprach den dortigen Klinikpfarrer an, erzählte ihm meine ganze Geschichte von Rebecca und er sah mich nur an und sagte: „das ist doch ganz klar, deine Tochter ist direkt unter dem liebenden Herzen einer Mutter in die Hände Gottes gefallen, von dort ruft sie: komm auch Mama, hier ist es so schön – sie kennt ja gar nichts anderes“

Als ich aus der Klinik nach Hause kam, war mir klar, dass ich noch einmal zurückgehen muss in die Zeit von 1982, als ich Rebecca „verloren“ habe.

Ich setzte mich an meinen PC und schrieb die Klinik an, in der Rebecca damals tot geboren wurde. Da ich keine Ahnung bzgl. Aufbewahrungsfristen und Datenschutz hatte, konnte ich nicht einschätzen, was auf mein Schreiben hin passieren würde. Ich betonte aber in dem Schreiben, dass ich für mich, meine Seele wissen muss, was eigentlich damals passiert ist und wo meine Tochter ist. Dass es mir nicht darum geht, jetzt nach so vielen Jahren Schuld zu suchen oder ähnliches.

Einige Wochen bekam ich keinerlei Reaktion von der Klinik. Das machte mich recht wütend und ich schrieb noch einmal, dieses Mal mit den eigenen Worten, die ich in ihrer Homepage gefunden hatte: eine Klinik FÜR den Menschen und dass sie bei diesem Anspruch zumindest hätten schreiben können, dass sie mir nicht weiter helfen können.

Kurz nach diesem Schreiben bekam ich einen Anruf aus der Klinik. Der Mitarbeiter hatte selbst ein Kind verloren, wie er mir in dem Telefonat erzählte und versprach mir, zu helfen und mich zu unterstützen und er entschuldigte sich, dass er sich so lange nicht gemeldet hatte. Wir vereinbarten einen Gesprächstermin mit einem Gynäkologen, der sich meine Akte ansehen würde und dem ich dann alle Fragen stellen könnte, die mir so auf der Seele brannten (z. B. was damals passiert ist, wo sie sein könnte und was das Schlimmste für mich gewesen wäre, ob ihr Körper verbrannt wurde).

Auch dieses Gespräch, für das ich über 350 km von meiner jetzigen Heimat in die Klinik fuhr, war für mich ein sehr heilsames Erlebnis. Zunächst ging ich mit sehr flauen Gefühlen dort hin, denn ich war – entgegen der Planung – alleine. Mein Partner, der aber nicht Vater von Rebecca ist, konnte mich aus beruflichen Gründen nicht begleiten. Der Arzt und ich setzten uns in ein kleines Zimmer, wo wir ganz alleine und ungestört waren und ich kann nur sagen, dass er sich mutig ALLEN meinen Fragen gestellt hat und sie mir auch – so gut das nach Aktenlage nach so vielen Jahren möglich ist – beantwortete. Er hat mir ehrlich gesagt, dass es aus seiner Sicht ein Fehler war, keinen Notkaiserschnitt zu machen, dass es keinen in der Akte ersichtlichen Grund gab, mir während Rebecca geboren wurde, eine Narkose zu verpassen, was dann zur Folge hatte, dass ich aufwachte – und Rebecca war einfach weg, verschwunden.

Er war auch ehrlich genug mir zu sagen, dass die Chance in dieser Zeit, dass Rebecca diese Geburt gesund überlebt hätte, auch bei einem Kaiserschnitt, sehr sehr gering (max. 10 %) gewesen sei. Aber ich hätte ihr diese Chance mit Sicherheit gegeben, wenn ich damals hätte entscheiden können …

Nur eines konnte mir auch der Arzt nicht beantworten: wo Rebeccas Leichnam geblieben ist. Ich hatte selbst bei dem zuständigen Bestattungsinstitut nachgefragt, aber es gab aus dieser Zeit keine Aufzeichnungen und der zuständige Bestatter war inzwischen selbst verstorben.

Aber der Arzt versprach mir, zu helfen, was im Hinblick auf Datenschutz etc. nicht so einfach sein konnte.

Schon wenige Tage nach diesem Gespräch bekam ich ein Schreiben der Klinik. Der Verwaltungschef, mit dem ich auch das erste Telefonat geführt hatte, hatte in der Gemeindeverwaltung ausfindig gemacht, wer zu dem entsprechenden Zeitpunkt in der Klinik verstorben war und mit Hilfe des Beerdigungsinstitutes, das dem Arzt schilderte, wie sie in einem Fall von anonymen Beerdigungen von totgeborenen Kindern verfahren, konnte dann ausfindig gemacht werden, mit wem Rebecca beerdigt worden ist.

Als ich diesen Brief in Händen hielt – auch das kann ich sehr schlecht beschreiben, am ehesten mit: „ein kleines bisschen Frieden für meine Seele“.

Ich setzte mich mit der Friedhofsverwaltung in Verbindung, die mir auch sofort Hilfe versprach und kurz nach diesem Telefonat bekam ich einen Lageplan des Friedhofes, in dem das Grab eingezeichnet war, in dem Rebecca mit beerdigt liegt.

Ich überlegte, was ich mitbringen könnte und auf das Grab legen und und … Aber dann ging ich einfach so hin, um anzuschauen, wie das Grab aussieht und dann ob und wenn ja, was ich für Rebecca dort hinbringen könnte.

Also fuhr ich, dieses Mal zusammen mit meinem Partner, zu dem Friedhof. Marschierte direkt an das Grab und dann stand ich davor. Es war ein sehr friedvoller, ruhiger Platz. Das Grab war nicht besonders liebevoll gepflegt. Es stand ein weißes Holzkreuz mit dem Namen des Verstorbenen da.

Ich hatte so viel erwartet, was dann passieren würde. Aber es war auf einmal gar nicht viel an Tränen. Es war eher so dass ich dachte: Rebecca, du hast dein Leben für meines gegeben.

Dann fuhren wir zu einem Blumengeschäft und holten schöne blühende Blumen, eine kleine Fee, einen orangefarbenen Schmetterling und schmückten damit das Grab (ich hatte vorher bei der Friedhofsverwaltung angefragt und dafür die Erlaubnis bekommen)

Wenn ich ehrlich bin, bin ich sogar erleichtert, dass Rebecca mit einem Opa zusammen in diesem Grab beerdigt ist und nicht alleine. Als mich eine Freundin fragte, ob ich Rebecca nun an meinen Wohnort umbetten wollte, wusste ich, dass ich das nicht darf/kann. Dass die beiden dort zusammen gehören.

Wenn ich nun in meine Heimat komme, fahre ich immer auch an das Grab, bin selbst überrascht, wie es mir dort geht, manchmal habe ich ein ganz friedliches Gefühl, manchmal heule ich nur, ich bringe frische Blumen, habe im Herbst schon für das Frühjahr Krokusse eingepflanzt und besuche eigentlich immer Rebecca und „ihren Opa“.

Die kleinen Figuren auf dem Grab habe ich über den Winter mit nach Hause genommen, damit sie nicht kaputt gehen. Hier im Haus habe ich eine Ecke eingerichtet, wo z. B. ein Ultraschallbild von Rebecca, das mir der Arzt aus der Klinik mitgegeben hat, hängt, dort stelle ich Blumen – je nach Jahreszeit – hin. Habe ein Bild gemalt mit dem „Kleinen Prinzen“ – mit dem entsprechenden Gedicht darauf usw.

In den vergangenen Jahren hatte ich in der Zeit nach dem Jahreswechsel bis zu ihrem Geburts- und Todestag am 14.03. immer ein sehr großes seelisches Tief. Das ist in diesem Jahr zum ersten Mal nicht der Fall. Ich trauere noch immer um Rebecca und glaube, das wird auch immer so bleiben, denn es ist nach meiner Meinung das schlimmste, was ein Mensch erleben kann, wenn ein Kind verstirbt. Aber insgesamt ist die Erinnerung an Rebecca friedvoller und mit mehr Einverstandensein verbunden.

Für ihren diesjährigen Jahrestag habe ich einen wunderschönen Engel, auf einer Kugel sitzend, gekauft, den ich ihr bringen und auf das Grab stellen werde. Nach einiger Überlegung ist es für mich das richtige, um zu zeigen, dass in dem Grab auch ein kleiner Engel liegt. Ich habe kein Kreuz oder Stein mit ihrem Namen aufgestellt. Ich denke, dass dieser Engel ausreicht:

R   ein, wie ein Engel bist Du

E   ins mit mir warst Du, bist Du und bleibst Du

B   ei mir bist Du, das weiß ich nun

E   inmal nur möchte ich Dich sehen

C   herub, mein Lichtengel, nach dem ich mich sehne

C   hristus ist Deine Heimat

A   men

Ulrike
www.beepworld.de/members69/ulrikeyannah/rebecca.htm