Trauer nach einer Totgeburt

Eine empirische Analyse zur Betreuung betroffener Frauen und Paare.Eine Handreichung für professionelle HelferInnen.

Jessica Wolf

7. Abschiedsrituale beim frühen Tod eines Kindes Die Verarbeitung des Verlusts durch rituelle Handlungen

7.4.1 Den Verlust begreifbar machen

Die Begegnung mit dem toten Kind – davor schrecken zunächst viele Eltern zurück. Sie haben Angst davor, dass das Kind missgebildet ist, oder werden evtl. zum ersten Mal in ihrem Leben mit dem Anblick eines toten Menschen konfrontiert. Die Gelegenheit, das eigene Kind sehen und möglicherweise sogar halten oder baden zu können, erlaubt den Eltern die Situation, im eigentlichen Sinn des Wortes, zu begreifen. Der körperliche Kontakt mit dem Baby hilft, den Verlust zu realisieren. (vgl. Borg/Lasker 1987, 56ff) 8 Zu weiteren Ausführungen bezügl. Abschiedsritualen, die nach einer längeren Trauerzeit vollzogen werden, siehe u.a. Nijs 1999, 35ff.

Zudem kann so die Bindung der Eltern zum Kind vollendet werden, was für einen heilsamen Trauerprozess wichtig ist. (vgl. Lothrop 1998, 80) Viele in der Praxis Tätige berichten davon, dass die Verarbeitung einer Tot- oder Fehlgeburt wesentlich davon abhängt, ob den Eltern die Möglichkeit gegeben war, das Kind kennen zu lernen. „Noch zwanzig und mehr Jahre später hatten viele keinen Frieden damit gefunden und litten noch immer unter der Last von Unverarbeitetem. Wenn die begonnene Bindung abrupt abgebrochen wird, bleibt eine große Unruhe zurück. Unser Baby kennen zu lernen, unsere Beziehung zu ihm zu bejahen, ermöglicht ein gutes, heilsames Abschiednehmen“ (Lothrop 1998, 80). Für ein solches Abschiednehmen brauchen trauernde Eltern konkrete Erinnerungen. Erinnerungen daran, wie das Baby ausgesehen hat, was besonders an ihm war, wem es ähnlich gesehen hat. Somit erhält das Kind seinen sicheren Platz im Leben der Familie und es bleibt nicht das Gefühl zurück, etwas Wichtiges versäumt zu haben.

Häufig haben Eltern zunächst Angst davor, ihr totes Kind zu sehen, oder lehnen es im ersten Augenblick nach der Entbindung sogar ab. Professionelle HelferInnen können hier die betroffenen Eltern unterstützen, indem sie einfühlsam schildern, wie das Kind aussieht und ggf. welche Fehlbildungen es hat. Das nimmt Müttern und Vätern die Scheu vor der ersten Begegnung. (vgl. Lothrop 1998, 84ff) Wenn Kinder mit Fehlbildungen zur Welt kommen, steht oft die Frage im Raum, ob die Eltern den Anblick überhaupt verkraften können. Die Erfahrung aus der Praxis hat jedoch gezeigt, dass die Realität nie so schlimm ist wie die ‚Monsterfantasien’, die die Eltern entwickeln können, wenn sie ihr Kind nicht sehen. (vgl. Internet 1) Eltern sehen ihr Baby mit den Augen einer Mutter bzw. eines Vaters und nicht aus der klinischen Sicht des medizinischen Betreuungspersonals. „Fehlbildungen werden oft nicht wahrgenommen oder stehen zumindest nicht im Mittelpunkt der Betrachtung, sondern Eltern verweilen bei dem, was an ihrem Kind schön und einzigartig ist, und bewahren das in ihrem Herzen“ (Lothrop 1998, 85).

In diesem Zusammenhang muss angemerkt werden, dass nicht alle Eltern den Wunsch haben, ihr verstorbenes Kind zu sehen. Häufig wird diese Entscheidung im Nachhinein bereut, andere Eltern jedoch bleiben überzeugt davon, den für sie richtigen Weg eingeschlagen zu haben. (vgl. (Borg/Lasker 1987, 56) Wenn die Eltern es ablehnen, ihr Baby anzusehen, sollte jemand anders (z.B. ein Familienmitglied oder ein Freund/eine 74.Freundin) in der Lage sein, es später genau zu beschreiben, um so mögliche Fragen beantworten zu können. (vgl. Lothrop 1998, 82)

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