Tod am Anfang des Lebens

aus “Wenn Mütter trauern” S. 121,122

Einerseits wollte ich das Kind loswerden, zum anderen doch noch so ein bißchen behalten. Noch so ein bißchen schwanger sein. Jetzt bin ich noch schwanger, dachte ich, wer weiß, ob ich jemals wieder schwanger werden kann. Und ich habe meine rechte Hand auf den Bauch gelegt und zu unserem Herrgott gesagt, er möge doch das Kind so annehmen, wie es ist. Das ist auch eine Form der Taufe, habe ich mir gedacht.WennMutter

Am nächsten Morgen, am Freitag, Punkt acht, stand der Kurt wieder an meinem Bett. Ich fragte ihn, wie er die Nacht verbracht hatte. Keine Antwort. Er wollte da überhaupt nicht drüber reden. Später erfuhr ich, daß er beim Pastor war und mit ihm gesprochen hatte.

Um 13 Uhr, an diesem 28. Juni 1985, setzten die Preßwehen ein. Das Kind ist ohne Dammschnitt gekommen, ganz sanft, es ist einfach so herausgerutscht. Sie haben das Mädchen in ein Tuch gewickelt, es uns gezeigt und mir in den Arm gelegt. Das war wie ein Erdbeben. So eine richtige Erschütterung. Es war so ein Aufschluchzen auch. Es ist geschafft. Das Kind ist draußen. Und du darfst weinen, du darfst um dieses Kind jetzt weinen.

Ich habe sie im Arm gehalten und an meine Frust gedrückt. Ich habe sie mir angeguckt, und sie hat ausgesehen wie der Bastian. Die Haare, die Gesichtsform, alles. Sie war groß und schwer, ein hübsches, süßes Kind. Und an dem Kind war alles dran.

Ich habe nur noch ihr Profil in Erinnerung: Die Augen geschlossen, die Unterlippe etwas vorgeschoben, beinahe ein wenig trotzig, so schien es. Immer wenn der Sebastian wütend ist und heult, dann hat er ganz genau denselben Ausdruck im Gesicht.

Und wieder mußte ich an meinen Traum denken: Dieses Traumkind hatte auch die Augen geschlossen. Ich konnte mit ihm nichts anfangen. Es war in einer anderen Welt. Nur eine Hülle hatte ich da in meinen Armen. Da war kein Geist drin.

Dieser Eindruck stand auch jetzt im Vordergrund: Hier kannst du nichts mehr machen. Da kommt kein Leben. Da kommt nichts, absolut keine Regung von diesem Kind. Das Kind ist tot.

Und irgendwie kam dann der Moment, wo eine Ärztin vor mir stand und auf das Kind wartete. Viola soil sie heißen, haben wir ihr gesagt.

Und dann habe ich sie ihr halt gegeben.