Im Jahre 1796 stirbt die zweitälteste Tochter Chrstiane Maria Augste mit erst 21 Jahren. Der erstgeborene Sohn Matthias ist bereits kurz nach der Geburt gestoben. Über diesen Schmerz und die Begegnung mit dem Tod kommt Claudius nicht so recht hinweg. In den vielen traurigen Zeilen, die sich Claudius zum Thema Tod von der Seele schreibt, ist jedenfalls kaum ein Trost zu finden.
Der Tod und das Mädchen
Das Mädchen:
„Vorüber! ach vorüber!
Geh wilder Knochenmann!
Ich noch jung, geh lieber!
Und rühre mich nicht an“.
Der Tod:
„Gib deine Hand, du schön und zart Gebild!
Bin Freund und komme nicht zu strafen.
Sei guten Muts, ich bin nicht wild,
Sollst sanft in meinen Armen schlafen“
Matthias Claudius
Es stand ein Sternlein am Himmel,
Ein Sternlein guter Art;
Das tät so lieblich scheinen,
So lieblich und so zart!
Ich wußte eine Stelle
Am Himmel, wo es stand;
Tat abends vor die Schwelle,
Und suchte, bis ich’s fand;
Und blieb denn lange stehen,
Hatte große Freud in mir;
Das Sternlein anzusehen;
Und dankte Gott dafür.
Das Sternlein ist verschwunden;
Ich suche hin und her
Wo ich es sonst gefunden,
Und find es nun nicht mehr
Um die Jahreswende 1833/34 starben Friedrich Rückert seine beiden Kinder Luise und Ernst, drei und fünf Jahre alt, an Scharlach, und er hat bis zum Sommer unter Aufbietung aller erworbenen dichterischen Kraft versucht, seine Trauer und Untröstlichkeit über den Verlust schreibend zu bewältigen.
Friedrich Rueckert
Ich ging mit gesenkten Haubte,
Und es unmöglich glaubte
Je wieder den Blick zu drehn, Um Sonn‘ und Mond zu sehn.
Da hatt‘ auf meinen Wegen
Pfützen geweint der Regen,
Und im Vorüber gehn
Hab‘ ich darein gesehn.
Da spiegelten sich Mond und Sonne
wie im reinsten Bronne,
Und ohne das Haupt zu drehen,
Hab‘ ich sie doch gesehn.
Friedrich Rückert
Ihr habet nicht umsonst gelebt;
Was kann man mehr von einem Menschen sagen?
Ihr habt am Baum nicht Frucht getragen,
Und seid als Blüten früh entschwebt,
Doch lieblich klagen
Die Lüfte, die zu Grab euch tragen:
Ihr habet nicht umsonst gelebt.
In unser Leben tief verwebt,
hat Wurzeln euer Tod geschlagen
Vom süßen Leid und Wohlbehagen
Ins Her, aus dem ihr euch erhebt
In Frühlingstagen
Als Blütenwald von Liebesklagen;
Ihr habet nicht umsonst gelebt.
O die ihr sanften Schmerz uns gebt
Statt eure an der Brust zu tragen,
Euch werden fremde Herzen schlagen
Von Menschenmitgefühl durchbebt
Bei unsern KLagen;
Was kann man mehr von Menschen sagten?
Ihr habet nicht umsonst gelebt!
Es kam spät
dann aber wie ein Donnerblitz
sieben Wochen
Regen
Einsamkeit
Sehnsucht
nach Frieden
Ruhe
Nichts
Es tut so weh
und will nicht aufhören
gezwungen
immer wieder denselben Film zu sehen
Hoffnung
das Ende fürchtend
Ganz langsam wieder der Sonne entgegen
jeden Strahl genießend
Regenschauer erdulden
Kraft zu tanken
mehr als je zuvor
alles über Bord werfen
offen sein
für sich und andere
Ich spüre sie kommt
größer als sonst
wird sie mir dieses Mal
wieder die Beine wegreißen?
Ich habe Angst vor der drohenden Welle
mitgerissen und untergetaucht zu werden
herabgesogen in den Strudel
oben
unten
nur Dunkelheit
Ruhe
Frieden
einfach nur Nichts
Ich weiß
ich muß es
erdulden
ertragen
zulassen
sich treiben lassen
dem Schmerz sich hingeben
Vertrauen schöpfen
sie wird dich wieder loslassen
und sanft an den Strand spülen
Hoffen
es wird weniger
Wissen
es wird nie ganz aufhören
Sie kommt ohne Vorwarnung
sie klopft nicht an
sie fragt nicht
sie überfällt mich wie ein Räuber
sie läßt erst locker
wenn ich mich ihr ergeben habe
hilflos treibt sie mich vor sich her
sie bestimmt das Tempo und das Ende
wann hat sie genug Tränen und Schmerz gesehen?
Zehntausend Tränen muß ich weinen
jetzt oder später
hast Du sie gezählt
ich ertrinke in ihnen
schwimme und schwimme
aber da ist kein Land in Sicht
kein Floß
keine Insel
nur ein Meer von Tränen
mir geht die Luft aus
warum höre ich nicht einfach auf
Die Uhr hat schon lange keine Zeiger mehr
der Kalender keine Wochentage keine Monate
die Zeit steht still und läuft davon
es wird ihn niemals geben
den Tag an dem ich nicht mehr weinen muß
nicht mehr bis auf den Grund versinke
warum soll ich dann bleiben
Es fließt aus mir heraus
unaufhaltsam
wie eine unversiegbare Quelle
Sehnsucht Zweifel und Schmerz
verflüssigen sich
lautlos laufen sie in den See der Erinnerung
ich werde mitgerissen
lasse mich treiben
bis ich langsam versinke
tiefer und tiefer
bis auf den Grund
hier finde ich Stille und Geborgenheit
die Zeit steht still
ich möchte so gerne bleiben
aber da ist etwas was mich antreibt
sorgt daß ich wieder auftauche
gnadenlos dringt alles auf mich ein
als wenn nichts gewesen wäre
was mir bleibt ist nur die Sehnsucht
nach Dir
Plötzlich ist sie wieder da
schon fast vergessen
nein
nur ganz weit weggepackt
unvermutet wie aus dem Nebel
hat sie mich erwischt
oder habe ich sie nicht wahrnehmen wollen
die leisen Boten der Sintflut