Abschiedsritual

Nach fast zwei Jahren hieß es nun Abschied nehmen. Aber zwischenzeitlich waren wir ja Profis geworden im Abschied nehmen. Unsere Babygruppe, wir alle hatten ein Kind in der Schwangerschaft oder kurz nach der Geburt verloren, bestand fast zwei Jahre. Zusammen sind wir gemeinsam durch die tiefsten Täler und die größte Dunkelheit gegangen, aber auch gemeinsam im hellen Sonnenschein. Wir haben gemeinsam geweint, aber auch gemeinsam viel gelacht. Jeder wurde von der Gruppe aufgefangen.

Es war kein einfacher Weg, den wir gegangen waren. Wir und auch    Gabi hat es uns nie leicht gemacht. Dafür haben wir aber viel geschafft – eben Trauerarbeit geleistet – und so viel bekommen. Viele Themen haben wir dabei erarbeitet: “Glaube”, “unsere Mütter und unser Mutter- bzw. Vatersein”, “Geschenke unserer Kinder”, “Die Wichtigkeit von Rituale” und einiges Mehr.

Auch außerhalb der Gruppe waren wir viel zusammen. Wir haben die ersten Geburtstage unserer gestorbenen Kinder begangen.

Inzwischen waren 7 Folgebabys geboren. Die ganze Gruppe hat die Schwangeren durch ihre Ängste getragen, aber auch die Freude nach den Geburten geteilt.

Aber nun im Oktober 1999 wollten wir unseren Abschied feiern. Ja, von was eigentlich? Sicher nicht von unseren Kindern, denn die werden immer in unseren Herzen bleiben. Jeder nahm persönlich von etwas Abschied: Von dem Schmerz, der Angst, der Dunkelheit oder Einsamkeit oder anderen Dingen. Viele Stunden zuvor hatte wir den Tag vorbereitet, gemeinsam geplant und gebastelt. Bis es endlich stand, unser Abschiedsritual.

Abschied1nWir trafen uns an einem Sonnabend in einem Musikraum einer Schule, den wir zuvor etwas hergerichtet hatten. Natürlich stand unsere Eisenbahn mitten auf dem Tisch. Unsere Eisenbahn, die uns von Beginn an durch unsere Gruppenabenden begleitet hat. Sie besteht aus einzelnen Holzgleisen, die man zusammenlegen kann. In die Gleise werden kleine Stifte gesteckt, an denen jeweils ein großes Herz, das mit dem Namen eines Kindes und dessen Geburts- bzw. Todesdatum beschriftet ist, befestigt wird.

Abschied2
Gravierte Windlicht

Zunächst aber hatten wir uns bei Gabi für die liebevolle Begleitung mit einem Windlicht bedankt, auf das wir alle Namen unserer Kinder mit deren Daten graviert hatten. Außerdem hatten wir den Satzbeginn :“Liebe Gabi, vielen Dank für…” graviert, den jeder mit einer eigenen Zeile ergänzte.

Liebe Gabi,
vielen Dank …

daß durch Dich neue Zuversicht zurückkehrt
Claudia

daß Du mich
getragen,
angestoßen
begleitet und
ins Licht geführt hast
Pirko

dafür, daß Du meine Tränen ertragen hast.
Monika G.

für ein Stück Wegbegleitung
Susanne B.

für die neuen echten Freunde
Anja

für offene Ohren
Sabine

für die Hilfe, die eignen Gefühle zuzulassen.
Bernd

daß Du mich nach dem dritten Mal erlöst hast.
Kai

daß ich wieder träumen darf
Annette

daß ich die Säbel rasseln lassen durfte
Ulrike

daß Du für mich ein Licht warst
Heinz

daß Du die Gruppe geschlossen hast
Susanne S.

für das Licht in der Dunkelheit
Wiebke

daß Du mit meiner Art umgehen konntest
Monika Z

Dann begannen wir, wie immer mit einer Einführungs runde, in der jeder sagen konnte, was ihn zur Zeit bewegte. Wir wußten alle, wenn Ulrike unser Ei, das dann immer rum ging und festlege, wer dran war, bekam, ihr erst einmal die Tränen in die Augen schossen. Wir hätten es vermißt, wenn es nicht so gewesen wäre. Jeder zündete dann ein Licht an, auch das war inzwischen zum Ritual geworden.

Wir hatten uns für diesen Tag drei Abschnitte überlegt. Als erstes wollten wir etwas mitnehmen von diesem Tag und zwar ganz konkret. Als zweites wollten wir etwas wegschicken oder besser loslassen und als drittes einen Ausklang finden, der uns wieder zurück in den Alltag bringt.

Mobile
Mobile

Wir begannen daher als erstes mit unserem Mobile, das wir zuvor gemeinsam gebastelt hatten. Gabi hatte uns erklärt, daß durch den Tod unserer Kinder uns und unsere Beziehungen zu unseren Partner bzw. Kindern aus dem Gleichgewicht gebracht worden seien, wie ein Mobile, das ein Anhänger verloren habe. Trauerarbeit sei es nun, das Mobile wieder ins Gleichgewicht zu bekommen, wenn auch vielleicht ganz anders als vorher. Auf den obersten Schmetterling wurde jeweils der Name unseres Kindes geschrieben und darunter die Namen der Restfamilie. An deren Anhänger schrieb dann jeder die Geschenke, die wir von unseren Kindern erhalten haben, wie z.B. “Dankbarkeit”, “Einblick”, “Gefühle” usw. Jeder, der Lust hatte las sein Mobile vor.

abschiff
Selbstgebastelte Korkschiffe mit den Wünschen

Danach suchte sich jeder eines der kleinen Korkschiffe aus, die wir ebenfalls vorher selbst gebastelt hatten. Auf das Segel dieser Schiffe schrieb jeder, von was er persönlich Abschied nehmen wollte. Wir gingen dann gemeinsam zum Alsterlauf, zündeten das kleine Teelicht auf dem Boot an und ließen es zu Wasser. Es war ein schönes Bild, wie die Schiffe langsam fortschwammen. Lange blieben wir auf der Brücke und sahen ihnen nach.

Als wir zurück waren, beendeten wir unser Ritual mit einem Tanz, der ein wunderbarer Abschluß war, denn dann gingen wir zum “gemütlichen” Teil über, nämlich dem gemeinsamen Grillen und Feiern.

Ich glaube, Gabi war ein wenig stolz auf ihre Gruppe, die diesen Tag so ganz allein gestaltet hat und die ihr damit bestätigte, daß sie nicht nur gelernt hatten, wieder selber zu laufen, sondern auch wieder Ziele zustreben und ihren Weg allein weiter zu gehen.

© Pirko Lehmitz, www.Stillgeboren.de