Hat dort drüben im Nachbarhaus auch gerade jemand eine Kerze ins Fenster gestellt?

In einer großen Stadt wie unserer geht man seinen Weg. Stress und Hektik an jeder Ecke. Keine Zeit, sich um die Nächsten zu kümmern. Was interessiert es schon, was der Nachbar macht, wie es ihm geht oder wie er heißt. Man kommt nach der Arbeit nach Hause und will nur eins: seine Ruhe. Man schließt die Tür und alle anderen sind vergessen.

Ob ich lache oder weine, keiner hört es, keinen interessiert es.

Gestern war das *Worldwide Candle Lighting*. Ein Meer aus Kerzen sollte sich seinen Weg rund um die Erde suchen, wie eine riesen Welle. Es war kurz vor neunzehn Uhr. Ich machte die Kerzen bereit, eine für jedes meiner beiden Sternchen, eine für das Sternchen einer ganz lieben Freundin und eine für all die anderen Sternchen.

Unaufhörlich rückte der Zeiger weiter auf der Uhr. Noch drei Minuten, noch zwei, noch eine… …und dann zündete ich alle vier Kerzen an. Es sah wunderschön aus. Ich schaute zum Himmel, der sternenklar erschien. Die schmale Sichel des Mondes lugte um die Hausecke. ‚Wunderbar‘, dachte ich, ‚Petrus meint es gut und hat die Wolken verscheucht, damit unsere Sternchen all diese vielen wunderschönen Lichter sehen können.‘

Doch was ist das???

Hat dort drüben im Nachbarhaus auch gerade jemand eine Kerze ins Fenster gestellt? Ich löschte die Deckenlampe im Wohnzimmer und starrte wie gebannt zum Haus gegenüber. Tatsächlich! Im Schein der Kerze erkannte ich jemanden, dessen Blick sich, so wie meiner, zum Sternenhimmel erhob. Mir stockt der Atem. Tausend Gedanken schießen mir durch den Kopf: wer ist das? wie fühlt sie/er sich? An wen denkt sie/er? wieviele Sternchen hat sie/er? Eins oder sogar mehr? Wann musste sie/er es/sie gehen lassen? Wie ist es passiert?… Mein Kopf fing an zu schwirren. Ich hatte das Gefühl kurz vor einer Ohnmacht zu stehen. Noch nie hatte ich einen Gedanken an die Menschen im Haus gegenüber verschwendet. Nie habe ich mich für sie und ihre Probleme interessiert. Doch auf einmal ist alles anders. In diesem Verwirrspiel der Gefühle hatte ich plötzlich das Bedürfnis aus dem Haus zu laufen, zum Haus gegenüber, und diesen mir völlig unbekannten Menschen in die Arme zu schließen und die Trauer mit ihm zu teilen. Denn wir sind uns näher, als ich je vermutet hätte.

Sabine mit Anna-Julia und Sven ganz tief in meinem Herzen