„Die Werkstatt der Schmetterlinge“

Frei nach dem Märchen von Gioconda Belli

,,Schmetterlinge wiegen fast nichts. Sie sind ganz leicht. So leicht, wie wenn die Sonne mit den Wimpern zuckt, als ob sie vom Licht geblendet sei und ihre Augen rot und gelb blinzelten. Schmetterlinge sind wie das Niesen des Regenbogens.““ Vor langer Zeit als schon einige Tiere erschaffen waren, aber noch nicht alle, gab es auch keine Schmetterlinge. Die Leute, die die Tiere und Pflanzen erschufen, nannte man die Gestalter Aller Dinge. Sie hatten strengeGesetze. Es gab Gestalter, die Tiere erschufen und es gab welche die für die Pflanzen zuständig waren. Alle mußten sich an diese Regel halten und keiner durfte sie durcheinander bringen. Daß diese Gesetze eingehalten wurden,darüber wachte die Weise Alte.

Unter den Gestalten Aller Dinge gab es einige Junge, die nur so vor Ideen sprühten. Einer von ihnen war Rodolfo. Er traf sich oft mit seinen Freunden in einer Höhle im Wald, um mit ihnen über wunderbare Dinge zu sprechen, die sie gemeinsam erschaffen könnten, wenn es diese strengen Gesetze nicht geben würde, die es ihnen verbieten, das Tier- und Pflanzenreich mit einer Schöpfung zu verbinden. ,,Ein Baum, der wie ein Vogel singt…oder vielleicht ein Vogel, der Äpfel anstatt Eier legt…“ phantasierten sie. Rodolfo sann jedoch über etwas ganz anderes nach. Er träumte von einem Wesen, das zum einen Vogel und zum anderen wie eine Blume sein sollte.

Die jungen Gestalter träumten oft von neuen Geschöpfen und irgendwann wurde auch die Alte Weise auf sie aufmerksam. Sie begann sich Sorgen zu machen, daß alles seine rechte Ordnung behielt, daher bestellte sie eines schönen Tages Rodolfo und seine Freunde zu sich. Sie dachte es sei an der Zeit ein ernstes Wörtchen mit ihnen zu reden. Die Weise belehrte sie über die Ordnung des

Weltalls und darüber, das selbst der Kleinste von ihnen sich an die einfachen aber mit großer Weisheit entworfenen Gesetze halten müsse. Am Ende teilte sie ihnen mit, sie mußten ab dem nächsten Morgen in der Insektenwerkstatt Arbeiten. Da diese Werkstatt keinen guten Ruf hatte, waren unsere Freunde nicht sehr begeistert, aber an den Worten der Alten Weisen war nichts zu machen. In ihrem Versteck sannen sie darüber nach, was ihre neue Tätigkeit für Möglichkeiten in

sich barg. Jeder hatte andere Ideen von Insekten, die man erschaffen könnte, ohne die alten Gesetze zu brechen.

Und so entstanden Käfer und anderes Kleingetier, das wir heute noch bewundern können. Etwa die Heuschrecke, das Glühwürmchen und die Biene. Auch Rodolfo fand sich in seine neue Arbeit ein und nach einigen Tagen erschuf auch er ein Insekt, welches ungemein stark war. Er nannte es Ameise. Nur die Werkstatt mit ihren Wänden aus Spinnweben gefiel ihm nicht, er arbeitete lieber in

der freien Natur, am sonnigen Ufer des Kolibri-Sees. Hier dachte er oft an seinen Traum von jenen Wesen, welches eine Mischung aus Vogel und Blume sein sollte. Rodolfo wurde immer schweigsamer. In der Nacht wenn die anderen schliefen, saß er an seinem Tisch und machte viele, viele Entwürfe. Seine Freunde machten sich schon Sorgen. Eines Abends rannte er aus seiner Werkstatt und eine kleine Maus huschte durch die Luft. Rodolfo hatte ganz ohne Absicht die Fledermaus erschaffen. Die Alte Weise mahnte ihn zur Vorsicht, er solle sich bei seiner Suche nach Schönheit nicht verrennen. Später am See traf er einen Hund und kam mit ihm ins Gespräch. Er redete mit ihm über sein Wesen. Der Hund meinte, es werde ihm schon gelingen seinen Traum zu verwirklichen. Er sagte: ,,Ich kenne mich aus. Wenn ich im Schlaf von einem saftigen Knochen

träume und weiterträumen wenn ich aufgewacht bin, finde ich fast immer einen.“

Rodolfo dachte lange über die Worte des Hundes nach. Nachts träumte er von seinem Großvater, der selbst als Gestalter den Regenbogen erschaffen hat. Noch in derselben Nacht erschuf Rodolfo die Grille. Erschöpft ging er zum See und schlief dort ein. Ein kleiner Vogel weckte ihn. Im Wasser sah er das Spiegelbild des kleinen Kolibri schimmern. Die Spiegelung selbst schien zu leben, sie flatterte auf dem Wasser hin und her. Rodolfo bekam eine große Idee. Dieses Bild war es, was er so lange verzweifelt gesucht hatte. Er wußte nun, wie sein Geschöpf aussehen sollte und nannte es Schmetterling.

Unser junger Freund schloß sich lange in der Werkstatt ein und arbeitete an seiner Vision. Endlich war er am Ziel und lud seine Freunde ein, in die Höhle zu kommen. Fedora, Kalle, Paganini und Gwendolin kamen. Wie staunten sie über sein neues Geschöpf, den Schmetterling. Einer rief: «Eine fliegende Blume!“ Rodolfo erklärte ihnen, daß er die Gesetze geachtet habe, sein Schmetterling ist zwar zart wie eine Blume und kann fliegen wie ein Vogel, aber es war ein Insekt und Fedora meinte man solle sich nie über die Träume anderer lustig machen, denn oft schafft man vieles, was erst unmöglich scheint. Damit gingen sie zur Alten Weisen und diese setzte gleich für den nächsten Tag ein Treffen mit allen Meistergestaltern an. Sie kamen auch alle, mit ihren Gehilfen. Als sie ihre Plätze eingenommen hatten, kam Rodolfo mit seinen Freunden um das neue Wesen, den Schmetterling, zu präsentieren. Sie lüfteten den Schleier, den sie über die Vielfalt der von ihnen erschaffenen Arten gezogen hatten.

Eine riesige bunte Wolke aus Schmetterlingen flog durch den Saal. Stumm vor  Staunen verfolgten alle anderen Gestalter das ihnen gebotene Schauspiel. Die Alte Weise konnte ihre Tränen nicht zurückhalten, denn solche Schönheit hatte selbst sie noch nicht oft gesehen. Rodolfo hatte es also geschafft, wie sein Großvater schon vor ihm. Auch alle anderen waren tiefbewegt und sogar die, die eben noch über ihn lachten waren voll des Lobes für sein Wesen. Er wußte seine Einsamkeit und seine schlaflosen Nächte waren nicht vergebens.