Blühende Wiesen …

Vorwort von Dr. Gottfried Siebel (Theologe und Krankenseelsorger) aus dem Buch ,,Jedes Ende ist ein strahlender Beginn“ von Elisabeth Kübler-Ross

Blühende Wiesen … von Bläulingen umschwirrte Wegränder, das prachtvolle  Pfauenauge, all das sind Bilder, die in unserer heutigen Welt immer seltener werden, Vielen Menschen, die an ihre Jugend denken, kommen solche Erinnerungen ihrer Kindheit wieder ins Gedächtnis, Die Körpergröße des Schmetterlings ist durch die bunten Flügel um ein Vielfaches vermehrt. Das Bild dieses Tieres erscheint auf diese Weise in seiner letzten und höchsten Form: es ist das Hochzeitskleid und auch die sterbensbereite Phase, die im Ei, der Raupe und der Puppe neu den Kreislauf antritt, um dann, mit einem unerhört prachtvollen Kleide angetan, in einer besonderen Sprache einen Dialog mit dem Betrachter zu beginnen. Zu allen Zeiten und in allen Völkern ist so die  Botschaft dieser Tiere in die Herzen der Menschen eingeschrieben worden.

Für viele ist diese Botschaft von der Anmut und Liebe die einzige Sprache der Schmetterlinge. Während sich alles geschäftig um den Lebenserhalt bemüht, schaukelt der Schmetterling und tanzt über Wiesen und Blumen. Die Erde trägt schwer an ihrer Last. Aber ein einziger Schmetterling hebt scheinbar das Gewicht der Erde auf, aller Stoff wird bei seinem Anblick zu nichts.

Erstmals nachweisbar hat Aristoteles die Metamorphose der Schmetterlinge beschrieben. Für die Griechen waren die Schmetterlinge Erscheinungsformen der Seele und zugleich Symbole für deren Unsterblichkeit. Eine bestimmte Gattung der Nachtschmetterlinge, die Psychiden heißt, wurde im vorchristlichen Griechenland als Seelen der Verstorbenen verehrt.

Tod und Übergang sind in der Gestalt der Schmetterlinge auf besondere Weise angedeutet. Die Menschen haben diese Botschaft auch immer verstanden, Der Überlieferung nach soll Buddha die letzte seiner Predigten an die Schmetterlinge seiner Heimat gerichtet haben. Friedrich Schnack hat die Botschaft der Schmetterlinge in seinen Falterlegenden dargestellt: Aus dem Mund des sterbenden Homer ersteigt der Apollofalter, und das Nachtpfauenauge nimmt den sterbenden Nina mit sich.

Als Sinnbild der Kurzlebigkeit und Vergänglichkeit, als Sommervogel wird seine farbenvolle Erscheinung ein Bild für das eigene kurze Leben. Die verschiedenen Stadien der Erscheinung des Schmetterlings werden demnach auch auf die verschiedenen Phasen der menschlichen Lebensstadien übertragen: Geburt, Leben, Sterben, Übergang…

Diese vertiefte Sicht gewinnt heute mehr und mehr an Bedeutung. Die Biologie und die Fotografie. die die einzelnen Erscheinungsformen der Schmetterlinge beschreiben und dokumentieren, regen zu neuem Nachdenken an. Kinder haben oft noch einen weitaus unbekümmerteren und direkteren Zugang zum Verständnis dessen, was das Bild des Schmetterlings sagen will.

Elisabeth Kübler-Ross hat mit dem Bild des sich wandelnden Tieres, das am Schluß als Schmetterling davonfliegt, einen besonderen Zugang zur Gedankenwelt Todkranker gefunden. Unvergessen ist ihr, was sie sah, als sie in das ehemalige Konzentrationslager von Majdanek kam: Kritzeleien und Bilder, die Kinder an die Innenwände der Baracken gemalt hatten. Sie sah auch Zeichnungen von Schmetterlingen an den hölzernen Barackenwänden, mit Kreide oder einem Stein gemalt oder auch einfach mit dem Finger eingeritzt – verschlüsselte Botschaften um das Wissen, daß das Leben nicht mit dem Tod endet, daß kein Mensch verloren ist, da auch ihm Flügel gegeben sind. Diese Botschaft von Kindern ist in der Welt der Erwachsenen durch die Unterdrückung des Wissens um unseren Abschied oft verschüttet.

Stephen King greift dieses Grundtabu der Gesellschaft des Nicht-Wahrhabenwollens der Realität des Todes in seinem Film „Friedhof der Kuscheltiere“ auf: die von Louis Creed aus dem ‚Jenseits‘ zurückgeholten Familienmitglieder werden zu reißenden Bestien. Das kann nur als Anlaß genommen werden, zurück zu den unbeschwerten Zugängen, der in Kindertagen als unbefang erkannten Welt, zu gehen, in der Geburt, Leben und Übergang als gleichbedeutende Bestandteile des einen Lebens gesehen werden.

Die Raupe, von innerem Drang getrieben, frißt sättige Blätter im Übermaß. Träumt sie dabei nicht schon von der Verwandlung? Träumt sie dabei nicht schon davon, nicht mehr kriechen zu müssen, sondern davonfliegen und alle Häßlichkeit abwerfen zu können und Honig und Blüten zu suchen? So ist auch der Schmetterling ein Zeichen für unsere eigene Verwandlung. unsere eigene Auferstehung aus dem Alltag, der scheinbaren Sinnlosigkeit und der Wiederkehr des Leides.

Die Zerbrechlichkeit und Zartheit der Schmetterlinge läßt sich jedoch nicht mit Händen fassen, und wer den Augenblick festhalten will, der zerstört ihn. Wir dürfen uns aber von dem Urbild ihrer Schönheit und Botschaft erfüllen und in uns die Sehnsucht nach dem neuen Leben wachsen lassen. Schauen wir nach vorne und erwarten das Wunder für uns und für alle Menschen.