Pauls Geschichte

Mir geht der Name jetzt schon leichter über die Lippen,aber für viele ist Paul eben kein Lebendiger Mensch gewesen, und deshalb haben sie auch keinen Bezug zu ihm.

Liebe Pirko,

erst mal möchte ich Dir sagen, das ich mich sehr freue, etwas über Paul schreiben zu dürfen.

Denn mittlerweile möchte keiner mehr über ihn reden. Das macht mich sehr traurig, aber damit müssen wir wohl alle leben. Mir geht der Name jetzt schon leichter über die Lippen,aber für viele ist Paul eben kein Lebendiger Mensch gewesen, und deshalb haben sie auch keinen Bezug zu ihm.

Sein ganzes Leben war still und unscheinbar. In der Zeit im Bauch hat er sich still verhalten, sämtliche Anzeichen habe ich falsch gedeutet.

Ich hatte das Gefühl, ich muß irgendwas wieder gut machen. Ihm etwas Respekt zeigen, zeigen, das er für mich wichtig war, auch wenn ich erst wahrgenommen habe, das er da war, als es schon zu spät war.

Zum Zeitpunkt seiner Geburt stand ich total unter Schock, immerhin war ich allein auf unserer Toilette und habe keine Sekunde gedacht, das ich gleich ein winzig kleines Baby zu sehen bekomme. Dann habe ich nur noch die Tür von außen abgeschlossen, damit mein Sohn nicht auf die Idee kommt darein zu gehen. Zum Glück war mein Mann da, der sich dann um Simon gekümmert hat. Er hat ihn zum Bus gebracht, und ich bin darum gelaufen und habe irgendwie gar nichts richtig mitbekommen. Als mein Mann wiederkam hat er Paul dann aus der Toilette geholt, und ihn in eine Decke gewickelt. Mir tut es jetzt so leid, das ich ihn nicht richtig angesehen habe, nur ganz kurz und nicht fähig ihn zu berühren.

Im Krankenhaus dann der nächste Schock, von einer Station zur anderen sind wir geschickt worden, immer mit der Tasche, in der Paul war.

Bevor sie mich untersucht haben, musste ich in der Umkleidekabine warten, und habe gedacht, ich gehe schon mal ins Untersuchungszimmer. Da war gerade die Ärztin und eine Helferin dabei Paul auszupacken. Beide riefen nur ganz schnell, einen Moment noch.

Und ich, brav wieder zurück in die Kabine. Jetzt tut es mir so leid, wieder eine Gelegenheit verpasst, ihn noch zu sehen. Ich hörte nur, Oh, das ist aber schon ganz schön groß. Das wusste ich ja auch.

Nach der Untersuchung habe ich dann die Tasche wiedergesehen, in der wir Paul mitgenommen haben, mein Mann kam dann auch dazu und sagte nur, die Tasche steht ja immer noch hier, haben sie es noch nicht rausgenommen. Die Helferin sagte dann, Wir haben  es jetzt im Glas. So langsam kommt bei mir die Erinnerung zurück, das tut gut, aber auch weh. So viele verpasste Gelegenheiten.

Diese Anzeige hat Uschi am Tag von Paul´s Beerdigung in  die Zeitung gesetzt. Für sie war es noch ein Schritt, um zu zeigen, das es Paul wirklich  gab.

AnzeigePaulkl
Nachdem wir dann einen Brief aus der Pathologie erhalten hatten, habe ich mir überlegt, ob es wohl möglich ist, dort zu erfahren, was es war, ob Mädchen oder Junge, und ob die Möglichkeit besteht, das ich ihn noch mal sehen kann.

Nachdem sie mich dann darauf hingewiesen haben, das er ja in einer Alkohollösung liegt und auch schon untersucht wurde, haben sie gesagt, sie würden ihn herrichten, so gut es geht, und ich könnte ruhig kommen. Das war genau einen Monat später, ich habe dann eine gelbe Babydecke gekauft, die durchgeschnitten und auf eine Hälfte Paul gestickt, obwohl ich nicht sticken kann, finde ich sie eigentlich ganz schön.

Diese Fahrt nach Marburg habe ich dann alleine gemacht, weil mein Mann nicht mit wollte, aber für mich war es gut so. Ich wäre am liebsten wieder umgekehrt, als ich vor der Tür zur

Pathologie stand, aber dann machte schon ein Gehilfe die Tür auf. Er war sich erst nicht sicher, in welchem Rahmen ich ihn mir noch mal ansehen könnte, aber dann meinte er, gut dann machen wir es auch richtig. Er brachte ihn in einen Raum, in dem die Angehörigen  Abschied nehmen können, dort steht ein Kreuz mit zwei Kerzen, und Paul stand davor.

Das war erst mal ein Schock, ihn so im Glas zu sehen, aber er war einfach perfekt. Ein winzig kleines Baby, mit allem dran, nur noch wachsen hätte er müssen. Außerdem hatte ich ihn größer in Erinnerung.  Ich weiß nicht mehr, was ich alles zu ihm gesagt habe, es war sehr viel. Ich war lange allein mit ihm. Es war sehr schön, und hat mir ein bisschen von meinem inneren Frieden wieder gegeben.

Der Gehilfe sagte dann auch, die Decke wird dann unter das Glas gelegt, und bei der Beisetzung mitgegeben. Er erzählte mir dann noch, das es die vierte Beerdigung wäre, die jetzt stattfindet und das die Eltern damit sehr zufrieden wären.

Auf dem Weg nach Hause ging es mir dann auch richtig gut. Irgendwann kam dann der Gedanke, das ich das  doch nicht möchte, das mein Kind mit so vielen anderen zusammen Beerdigt wird. Wir haben dann hin und her überlegt, und eine Möglichkeit gefunden, ihn bei  uns auf dem Friedhof  beerdigen zu lassen. Im Grab von meinem Verstorbenen Bruder, das Grab ist nun auch schon 30 Jahre alt, und die Zeit wäre bald abgelaufen. Jetzt haben wir es noch mal für 30 Jahre gekauft.

Nachdem das klar war, haben wir in der Pathologie angerufen und gefragt, ob wir ihn selbst abholen können. Ging leider nicht, also haben wir einen Bestatter beauftragt, der erst einen normalen Kindersarg nehmen wollte, aber dann noch mit der Pathologie geredet hat, und ein kleines weißes Kästchen gefunden hat, gerade mal 35 Zentimeter lang. Aber das fand ich richtig schön.

Für mich war auch klar, das ein Pfarrer dabei sein muß. Also habe ich unseren angerufen und gefragt, ob er mit uns die Beisetzung gestaltet und vielleicht noch den Segen spricht. Seine Reaktion darauf war ganz toll, wir sollen ihm nur den Tag sagen, dann würde er es machen.

Vorher war er noch bei uns zum Trauergespräch, dabei hat er so schön gebetet für Paul und dabei auch seinen Namen genannt, das war so seltsam, das ein Mensch der Paul nicht kannte, über ihn spricht und für ihn betet.

Danach hatte ich zum ersten Mal das Gefühl, das Paul RICHTIG da war, er ist angenommen von Gott.

Unser Pfarrer hat auch dafür gesorgt, das bei der Beerdigung eine Viertelstunde die Kirchenglocken geläutet wurden. Das habe ich als so einen Respekt vor so einem kleinen Menschen empfunden,  den ich vorher noch nie gespürt habe. Ich hatte nun endlich das Gefühl, das es so richtig war, wie wir es gemacht hatten.

Am Sonntag nach der Beerdigung musste  unser Pfarrer ja als Amtshandlung die Beerdigung bekannt geben. Aber als er den kleinen Paul Balz in das Fürbittengebet aufgenommen hat, damit alle noch mal an ihn denken, da er schon sterben musste, ehe er geboren wurde. Das war so schön, alle in der Kirche haben noch mal an ihn gedacht, und Gott hat ihn in seinem Himmelreich aufgenommen.

Nach der Kirche sagte er zu mir,  ob es mir recht sei, das Pauls Beerdigung auch im Gemeindebrief bekanntgegeben wird. Und ob mir das recht war. Ich habe nur als gedacht, ja ja ja, Paul war wirklich da, er hat zwar nicht auf der Erde gelebt, aber in unseren Herzen lebt er weiter.

Beerdigungen
Kirchlich bestattet wurden in Rengershausen:
Am 09.05.03: Paul Balz (gestorben, ehe er geboren wurde)

Ich habe noch nie so auf diesen Gemeindebrief gewartet. Und als ich ihn in den Händen hielt, habe ich gedacht, das hat er aber schön geschrieben. Ich habe mich so gefreut und trotzdem musste ich weinen. Ich dachte nur, eigentlich gehörtest Du unter die Taufen und nicht unter Beerdigungen. Es war wirklich so, da war ein kleiner Junge mit Namen Paul, das war mein Sohn, der gestorben ist, ehe er geboren wurde.

Ich hoffe, liebe Pirko, das war jetzt nicht zu lang. Aber es hat richtig gut getan, das alles aufzuschreiben.

Liebe Grüße
Uschi