Folgeschwangerschaft – Florian

von Kathrin Demleitner

Er gehört zu uns

 

Allerheiligen. Die katholische Kirche gedenkt ihrer Verstorbenen. Gleichzeitig beginnt mit dem ersten November jene graue, trübe, nasskalte Zeit, die so auf das Gemüt schlägt – Totenmonat eben.

Ich stehe am Grab meines Sohnes. Ich bin schwanger, an meiner Hand unser gut einjähriges „Nachfolgebaby“. Der Herr gibt, der Herr nimmt – wer könnte die Worte des Pfarrers besser nachempfinden als ich? Maximilian ist gestorben, als er eigentlich anfangen sollte zu leben. In der 41. Schwangerschaftswoche, genau drei Tage nach dem errechneten Geburtstermin, war er tot. Keine Herztöne mehr, kein Zappeln mehr in meinem Bauch, nichts. Ausgerechnet die Nabelschnur, lebensnotwendig für den kleinen Mensch, hat dieses sein Leben beendet, zog sich zu um seinen Hals. Für meinen Mann und mich hat unser Kind gelebt, auch wenn es tot zur Welt kam. Er war diese 40 Wochen lang Teil unseres Lebens, unserer Gefühle und Gedanken. Er war unsere Hoffnung, unsere Zukunft. Mit ihm starb ein Teil dieser Hoffnung und Zukunft, vor allem starb das Vertrauen, das Gedankenlose, die vermeintliche „Es-wird-schon-gut-gehen“-Sicherheit. Wir haben um das Mäxchen getrauert, jeder auf seine Art. Wir haben den Schmerz gespürt und aushalten müssen, die Leere, die Sehnsucht, die Wut. Auch heute noch, nach fast drei Jahren – ist es wirklich schon so lange her? – gibt es Momente der unendlichen Trauer, manchmal völlig ohne jeden äußeren Anlaß. Das Mäxchen und sein Tod gehören zu unserem Leben dazu, er gehört zu uns.

Allerheiligen ist der Tag, den wir seinem Andenken gewidmet haben. Ein bisschen bunter und fröhlicher als üblich versuchen wir, das Grab zu gestalten – aber kann es ein kindgerechtes Grab überhaupt geben? Ich empfinde das einfach nur als eine Grausamkeit.

Letztes Jahr im Sommer, eineinhalb Jahre nachdem wir das Mäxchen verloren hatten, ist Florian geboren, gesund und munter, und doch hat auch er etwas von unserer, meiner Trauer mitbekommen. Er hat mit mir über dreißig Vorsorgeuntersuchungen mitgemacht, er hat meine Angst vor einer notwendigen Penicillinbehandlung in den ersten drei Schwangerschaftsmonaten gespürt, er hat das permanente Hineinhorchen und Warten auf auch nur allerkleinste Bewegungen erlebt, er ist in einer dauernden Anspannung in meinem Bauch gewachsen. Als Florian dann endlich da war – wieder eine Woche zu spät! – ist zwar natürlich viel von dieser Angst, es könnte wieder etwas schief gehen, von mir abgefallen, aber die Angst um mein Kind ist mir geblieben. Was gibt es da schließlich nicht noch alles: Herzfehler, Lungenschäden, bislang noch unzureichend erforschte Enzym- und Stoffwechselkrankheiten, Gendefekte, plötzlicher Kindstod… Ich musste erst wieder zu mir selbst und dann zu meinem lebenden Kind finden, bevor ein weitgehend angstfreies, entspanntes und harmonisches Miteinander möglich war. Heute, bei der zweiten „Folgeschwangerschaft“, wird mir klar, wir sehr unter Druck alle Beteiligten von Anfang an bei Florians Entstehen und Wachsen waren. Alleine schon bis ich überhaupt wieder schwanger war, war eine unglaublich belastende Zeit, die Schwangerschaft selbst war neben dem psychischen Stress nach der Totgeburt alles andere als komplikationslos – ich bin froh, dass wir diese Zeit überstanden haben, dass wir sie letztendlich gut überstanden haben.

Jetzt bin ich das dritte Mal schwanger. Völlig ungeplant hat sich dieses Kind in unser Leben geschmuggelt. Zwar wollten wir noch ein drittes Kind, aber nicht so schnell. Ich wollte, nachdem Florian abgestillt war, erst wieder ein wenig Zeit für mich selber haben, vor allem auch körperlich hatte ich mich auf eine Ruhephase eingestellt. Florian war ein sehr anstrengendes Baby, erst nachdem ich krank geworden war, haben wir wirklich eingegriffen. Diese neue Situation, in der wir alle viel zufriedener waren und es nach wie vor sind, wollte ich erst einmal ein bisschen genießen, mit dem Florian zusammenwachsen und mich dann auf ein neues Kind einstellen. Da war ich dann schon wieder schwanger. Erst wollte ich es gar nicht wahrhaben, inzwischen freue ich mich so auf den Zwerg, dass ich mir gar nichts anderes mehr vorstellen kann. Und die Schwangerschaft selber war bisher auch so grundverschieden von den vorhergehenden, dass ich richtig zuversichtlich bin. Natürlich habe ich auch um dieses Kind Angst, je näher der Termin rückt, um desto mehr, aber zum einen lenkt der Florian so ab, fordert seine Rechte und Bedürfnisse ein, dass meine Schwangerschaft eher nebenbei und viel selbstverständlicher stattfindet, zum anderen ist der kleine Mann selbst ja das tagtägliche Beispiel für ein glückliches Ende. Komplikationen gab es bisher auch keine, ich nehme „nur“ die üblichen Vorsorgeuntersuchungen, allerdings immer mit Ultraschall, wahr – manchmal denke ich, dass das dicke Ende schon noch kommen wird, denn bei dem Mäxchen hatte ich auch eine vollkommen reibungslose Schwangerschaft hinter mir und nicht sozusagen schon etwas „abgeleistet“ wie bei dem Florian. An Solche mehr oder weniger idiotischen Gedanken lernt man, sich zu gewöhnen, weil sie einfach immer wieder kommen. Auch das gehört dazu.

Ich stehe an Mäxchens Grab. In mir ist eine merkwürdige Mischung aus Trauer, Schmerz, Angst, Hoffnung, Freude und sogar einem kleinen Stück Vertrauen. Ich weiß nicht, ob ich den Tod meines Kindes verarbeitet habe, ob ich darüber hinweg bin, wie man so sagt. Ich weiß nur, dass ich trotz der immer wiederkehrenden Trauer meinen Frieden damit gemacht habe, dass mein Sohn eben nicht neben mir steht und meine Hand hält, sondern wir ihn hier beerdigt haben. Geblieben ist meine Liebe und Sehnsucht nach ihm, ein Stück Leere und ein sehr großes Bewusstsein um das Geschenk des Lebens. Mein Leben ist ein anderes, ich bin eine Andere, seit ich meinen Sohn tot zur Welt gebracht habe – und seit ich meinen zweiten Sohn lebend geboren habe. Ich weiß auch nicht, warum das alles so passiert ist, wie es passiert ist, aber ich bin sicher, dass ein tieferer Sinn dahintersteckt, ohne dass ich in der Lage bin, ihn zu erkennen.

reude: endlich bist Du da
iebe
hne Angst geht es nicht
uhe ist ein Fremdwort
I    ch muß Dich und mich erst finden
nfang
ie vergesse ich das Mäxchen                                                                                             
November 2000

 

reude wächst
hne Überhand zu gewinnen
iebe fängt an
rösser zu werden
rinnerungen werden wach:
o war`s beim Mäxchen auch
ourage manchmal
offnung immer
issen
bsolute Sicherheit gibt es nicht
ie verzweifeln
lück gibt es auch für uns
in Kind, eine
ichtige Familie
cheint Wirklichkeit werden zu können, die
hancen stehen gut, sagen die Ärzte
elfen mit eindeutigen Untersuchungsergebnissen
ber das Aber bleibt
ingerzeige immer noch auf den
od                                                                                                    
              26.01.1999