Die Sonne, die so warm und freundlich ins Zimmer schien, war für mich nicht zu ertragen…

Die Geburt von Patricia

Am 10. März 2003 ca. um Mitternacht löste sich der Schleimpfropf mit leichten Blutungen. Verunsichert riefen wir unsere Wahlhebamme Rotraud an. Sie beruhigte uns, meinte, dass das ein gutes Zeichen sei. Die Wehen werden bald einsetzen. Wir sollten noch einmal schlafen, denn am nächsten Tag werde unser Baby wohl kommen, und da bräuchten wir die Kraft. Sie vereinbarte mit uns, dass sie um 8 Uhr früh zu uns kommt. Dann würde sie sehen, wie weit die Geburt vorangeschritten wäre, ob wir schon gemeinsam ins Spital fahren sollten.

Tatsächlich begannen die Wehen in der Nacht, allerdings mit großen Abständen von 15 Minuten. Ich befand mich in einem eigenartigen Zustand zwischen Wachsein, Schlafen und Euphorie. All meine Aufmerksamkeit richtete sich auf die Abstände zwischen den Wehen. So fiel mir gar nicht auf, dass sich unser Baby nicht bewegte. Jetzt im Nachhinein allerdings habe ich mit anderen Müttern gesprochen, ob sie während der Wehen ihr Kind gespürt hätten. Einige sagten mir, dass sie es auch nicht gespürt hätten.

Am 11. März um 8 Uhr früh kam Rotraud. Ich hatte ungefähr alle 10 Minuten Wehen. Es herrschte eine angenehme, entspannte Stimmung, wir waren voll Vorfreude und richtig euphorisch. (Seltsamerweise hatte ich kaum Angst vor der Geburt, auch nicht in den Schwangerschaftsmonaten davor.) Ich erinnere mich noch, dass die Sonne gerade in unser Wohnzimmer schien, es versprach, ein wunderbarer, warmer, sonniger Tag zu werden.

Routinemäßig wollte sie die Herztöne des Kindes abhören. Sie fand keine…

Auch als ich mich auf den Rücken legte, als sie den Bauch ein bisschen schüttelte, konnten wir das Baby nicht aufwecken.

Gemeinsam fuhren wir in das Spital, da es dort noch leistungsstärkere CTG-Geräte gibt.

Rotraud hat mir später erzählt, dass ihr während dieser Autofahrt klar geworden ist, dass sie uns jetzt beim Gebären eines toten Kindes helfen muss. Herbert und mir war das keineswegs klar. Ich wusste, dass es ein sehr schlechtes Zeichen ist, plötzlich keine Herztöne zu finden, wo doch noch am Vortag die Herztöne ganz schnell gefunden wurden und ganz laut zu hören waren. Aber ich hatte die Hoffnung, dass die Ärzte unser Baby ganz schnell holen können, dass sie es noch retten können.

Auch im Spital konnten keine Herztöne mehr gefunden werden. Im Ultraschallzimmer kam ein Arzt nach dem anderen und schaute bestürzt den Bildschirm an. Der Primarius von der Geburtsstation wurde dann geholt und musste uns sagen, dass unser Kind leider gestorben ist…..

Dieser Satz konnte anfangs gar nicht zu mir durchdringen. Ich hatte doch Wehen, unser Kind kam doch gerade zur Welt, gestern war es noch so munter, und jetzt soll es auf einmal tot sein ????

Bewusst wurde mir diese grausame Realität, als ich Herbert aufschreien und weinen hörte. So kannte ich ihn nicht, so hatte ich ihn noch nie erlebt ! Ich merkte, dass etwas ganz Schlimmes passiert sein muss, wenn Herbert so ist…..

Meine erste Reaktion war, dass ich einen Kaiserschnitt wollte. (Immer hatte ich mich gegen einen Kaiserschnitt ausgesprochen, und jetzt verlangte ich einen – es war wirklich grotesk…) Von anderen betroffenen Müttern weiß ich mittlerweile, dass das eine Reaktion ist, die fast bei jeder vorkommt.

Gott sei Dank hatte ich Ärzte, die mir gleich sagten, dass das nicht gut für mich ist. Ich solle mein Kind auf natürliche Weise zur Welt bringen.

Damals empfand ich das als ungeheure Zumutung. Gleich danach und bis heute allerdings bin ich dankbar und froh, dass ich mein Mädchen bei vollem Bewusstsein geboren habe und gleich sehen konnte. Außerdem kann ich „wenigstens“ zum Thema Geburt mit anderen „glücklichen Müttern“ mitreden….

Wir bekamen ein eigenes Zimmer auf der gynäkologischen Station – entfernt von der Geburtenstation. Das saßen wir drei nun und warteten, dass mein Körper die Geburt „fortsetzt“… Denn mein Geist konnte die Geburt nicht mehr unterstützen. In meinem Kopf war ein einziges Chaos: Noch vor einer halben Stunde Vorfreude, Euphorie, jetzt nur noch Entsetzen… Ich muss in einen derartigen Schock geraten sein, dass ich mich nur noch an einige „Blitzlichter“ in diesen Stunden erinnern kann:

Ich willigte zu einer PDA ein. Die körperlichen Schmerzen zusätzlich noch ertragen zu müssen, das überstieg meine Kräfte. All meine Motivation, die Schmerzen auszuhalten, war verschwunden, denn sie brachten mich sowieso nicht näher zu meinem lebenden Kind…

Danach wieder ein Warten, bis der Muttermund geöffnet war – Heulen, Fragen nach dem Warum, Verzweiflung, Ausnahmezustand…

Ich hatte Angst, mein Kind zu sehen: Wie würde sie ausschauen ? (Der Primarius sagte, dass sie ganz normal aussehen werde, aber konnte ich dieser Aussage vertrauen ???).

Die Sonne, die so warm und freundlich ins Zimmer schien, war für mich nicht zu ertragen… Als wir in den Kreißsaal kamen, zog Rotraud die Vorhänge zu. Dieses gedämpfte Licht passte viel besser zu uns.

Zum Glück gab es keine andere Geburt zu diesem Zeitpunkt – wir mussten niemandem „zuhören“…

Die PDA wirkte groteskerweise nur auf der linken Seite, in der rechten Körperhälfte spürte ich die Geburtsschmerzen.

„Ich kann nicht mehr, ich will nicht mehr… warum… au…“ – Es war sicher für Herbert, Rotraud und unsere betreuende Ärztin eine immens schwierige Situation, mich da „durchzutragen“ !!

Der Wehentropf beschleunigte die Geburt, sodass nach einigen Presswehen unser Mädchen auf die Welt kam – um 18 Uhr 07.

Und plötzlich war die Scheu „verflogen“.

Weil sowohl die Hebamme als auch die Ärztin ganz natürlich mit unserem Kind umgingen, hatten auch wir keine Berührungsängste mehr. Natürlich haben wir sofort unsere Tochter angesehen. Sie wurde abgenabelt, ein bisschen abgetrocknet und gesäubert, in eine Windel und ein Kapuzenhandtuch gewickelt.

Dann habe ich sie sofort in die Hand bekommen….

Es war so, wie es jeder Mutter geht, die zum ersten Mal ihr Kind sieht:

Ich war begeistert. Alles war ganz normal – zwei kleine Ohren, eine winzige Stupsnase, helle Augenbrauen und Wimpern, alle Fingerchen mit langen Fingernägeln waren da, alle Zehen. Wir staunten, dass sie so groß und schwer war.

Alles war ganz normal – nein, leider doch nicht alles:

Sie machte nicht ihre Augen auf, um mich endlich anzusehen (so wie ich es mir all die Monate gewünscht hatte). Sie fing nicht an zu schreien, um uns deutlich zu zeigen, dass sie ab nun bei uns war. Sie bewegte nicht ihre Arme und Beine (so oft hatte sie mich getreten und auf sich aufmerksam gemacht – nie wieder sollten wir das spüren…). Ihre dunkelroten Lippen waren das einzige Zeichen, dass sie verstorben war…

Ein schöner Begriff für Kinder, die tot geboren sind, heißt: Sie sind still geboren. Genau so war es. Unser neugeborenes Kind war da, aber es war so still, still, still…

Wir gaben ihr den Namen Patricia. Sie wurde gewogen und gemessen: Sie war 4115 g schwer und 52 cm groß… (Ich konnte mir nie vorstellen, dass ich ein so schweres Kind auf die Welt bringen kann..)

Herbert bekam seine Tochter und durfte sie lange halten.

Es dämmerte uns langsam: Wir müssen uns alles ganz genau einprägen. Wir dürfen sie nicht mit uns nach Hause nehmen. Wir können sie nicht stolz allen anderen zeigen. Sie ist nur diese viel zu kurze Zeit bei uns…

Trotzdem: Wir spürten ganz stark, dass ihre Seele bei uns war. Sie berührte uns….

Da bekam sie auch einiges zu hören: „Warum durftest du nicht bei uns bleiben ? Warum ? Warum ?….“

Weinen, Klagen, Wissen um den Abschied, Nichtloslassenwollen, alles vermischte sich zu einem Ausnahmezustand….

Mein Bruder lernte seine Nichte kennen und konnte sie auch halten. Auf meine Mutter warteten wir lange, da sie in einem Konzert war. Das war aber gut so, denn so konnten wir Patricia noch bei uns behalten. Auch sie konnte ihre Enkelin aber begrüßen.

Wir übersiedelten dann wieder in unser Zimmer – mit Patricia – und hatten sie noch bis ca. 2 Uhr 30 in der Nacht bei uns. Dann waren Herbert und ich so erschöpft, dass wir uns schweren Herzens von ihr trennten.

8 Stunden mit ihr – es klingt so viel, und es war doch so wenig….

Herbert durfte bei mir übernachten. Ich hätte in diesen Stunden nicht allein bleiben wollen oder können !!!

Am nächsten Tag überkam uns das Elend.. Der Geburtsstress war vorbei, der Bauch war leer, kein Kind war da… diese Gefühle kann ich nicht beschreiben..

Ich wollte so schnell wie möglich nach Hause. Aber ich hatte unterschätzt, wie sehr eine Geburt den Körper auslaugt. Außerdem hatte ich den ganzen vorherigen Tag beinahe nichts gegessen und getrunken…

Auf dem Weg zum Ausgang fiel ich zum ersten Mal in meinem Leben in Ohnmacht.

Aber dank meiner Ärztin, die mir eine Infusion gab, konnte ich nach dem Mittagessen doch das Spital verlassen.

Der leere Kindersitz fuhr mit uns nach Hause…

Dietlinde Reischl
www.engelskinder.at
(dort auch ein Bericht aus der Sicht der Hebamme)
Diana30 (26.06.2003)