Archiv der Kategorie: Meditation

Walter Trout – Sweet Butterfly (Sophie’s Song)}vom Album „Livin‘ Every Day“

 Sweet Butterfly (Sophie’s Song)

I can see you when you fly to me
I see you floating high and free
Just a butterfly with painted wings
Who never understood the joy she brings
And when you’ve flown away l can still see your face
Covered in beauty, full of grace
So fly, fly away, Sweet Butterfly
And l can see you floating in the light
I see your image every day and night
And l reach out for you but you’re not there
So l ask God to hear my prayer
And when you’ve flown away you remained inside of
me                 “
In a hidden place no one else can see
So fly, fly away, Sweet Butterfly
l can see you flying next to me
l watch you fly so high and free
In a frozen moment that knows no time
l stand and watch you leave me far behind
So use your painted wings and fly the way you do
And when my day is done I’ll be flying next to you
So fly, fly away, Sweet Butterfly

Ich kann Dich sehen, wenn du zu mir fliegst
Ich seh Dich flattern, so hoch oben und so frei
Nur ein Schmetterling mit bunten Flügeln
Die nie verstanden hat, welche Freude sie bringt
Und ich kann noch Dein Gesicht sehen, als Du davon
geflogen bist
Eingehüllt in Schönheit, voller Grazie
Drum flieg, flieg davon, süßer Schmetterling
Und ich seh, wie Du im Licht flatterst
Ich seh dich jeden Tag und jede Nacht
Und ich strecke meine Hand nach Dir aus, doch Du bist
nicht da
Drum bitte ich Gott, mein Gebet zu erhören
Und als Du davon geflogen bist, bliebst Du in mir drin
An einem versteckten Ort, den niemand sonst sehen
kann
Drum flieg, flieg davon, süßer Schmetterling
Ich kann Dich sehen, wie Du um mich herum fliegst
Ich betrachte Dich so hoch‘ und frei
In einem eingefrorenen Moment, der keine Zeit kennt
stehe ich und betrachte, wie Du mich hinter Dir zurück
lässt
Drum benutze Deine bunten Flügel und flieg wie Du es
tun musst      ‚
Und wenn mein Tag gekommen ist, fliege ich ganz näh
bei Dir
Drum flieg, flieg davon, süßer Schmetterling

Das Märchen von der traurigen Traurigkeit

Es war eine kleine Frau, die den staubigen Feldweg entlang kam. Sie war wohl schon recht alt, doch ihr Gang war leicht und ihr Lächeln hatte den frischen Glanz eines unbekümmerten Mädchens. Bei der zusammenkauerten Gestalt blieb sie stehen und sah hinunter. Sie konnte nicht viel erkennen. Das Wesen, das da im Staub auf dem Wege saß, schien fast körperlos. Sie erinnerte an eine graue Flanelldecke mit menschlichen Konturen.

Die kleine Frau bückte sich ein wenig und fragte: „Wer bist du?“ Zwei fast leblose Augen blickten müde auf. „Ich? Ich bin die Traurigkeit“, flüsterte die Stimme stockend und leise, daß sie kaum zu hören war.  „Ach, die Traurigkeit!“ rief die kleine Frau erfreut aus, als würde sie eine alte Bekannte grüßen. „Du kennst mich?“ fragte die Traurigkeit mißtrauisch.

„Natürlich kenne ich dic. Immer wieder hast du mich ein Stück des Weges begleitet.“  “ Ja aber, …“ argwöhnte die Traurigkeit, „warum flüchtest du dann nicht vor mir? Hast Du denn keine Angst?“  „Warum sollte ich Angst haben und vor dir davonlaufen, meine Liebe? Du weißt doch genauso gut wie ich, daß du jeden Flüchtling einholst. Aber, was ich dich fragen will: Warum siehst du so mutlos aus?“  „Ich bin … traurig“ antwortete die graue Gestalt mit brüchiger Stimme.

Die Kleine alte Frau setze sich zu ihr. „Traurig bist du also“, sagte sie und nickte verständnisvoll mit dem Kopf. „Erzähl mir doch, was dich bedrückt.“

Die Traurigkeit seufzte tief. Sollte ihr diesmal wirklich jemand zuhören wollen? Wie oft hatte sie sich das schon gewünscht. „Ach, weißt du, “ begann sie zögernd und äußerst verwundert, „es ist so, daß mich neinfach niemand mag. Es ist nun mal meine Bestimmung, unter  die Menschen zu gehen und für eine gewisse Zeit bei ihnen zu verweilen. Aber wenn ich zu ihnen komme, schrecken sie zurück. Sie fürchten sich vor mir und meiden mich wie die Pest.“ Die Traurigkeit schluckte schwer. „Sie haben Sätze erfunden, mit denen sie mich bannen wollen. Sie sagen: Papperlapapp, das Leben ist  heiter. Und ihr falsches Lachen führt zu Atemnot und Magenkrämpfen. Sie sagen: Gelobt sei, was hart macht. Und dann bekommen sie  Herzschmerzen. Sie sagen: Man muß sich nur zusammenreißen. Und spüren das Reißen in den Schultern und im Rücken. Sie sagen: Nur  Schwächlinge Weinen. Und die aufgestauten Tränen sprengen fast ihre Köpfe. Oder aber sie betäuben sich mit Alkohol und Drogen,  damit sie mich nicht fühlen müssen.“

„Oh ja, „, bestätigte die alte Frau, „solche Menschen habe ich schon oft kennengelernt.“ Die Traurigkeit sank noch ein wenig mehr in sich zusammen. „Und dabei will ich den Menschen doch nur helfen. Wenn ich ganz nah bei ihnen bin, können sie sich selbst begegnen.  Ich helfe ihnen, ein Nest zu bauen, um ihre Wunden zu pflegen. Wer traurig ist, hat eine besonders dünne Haut. Manches Leid bricht wieder auf, wie eine schlecht verheilte Wunde, und das tut sehr weh.   Aber nur, wer die Trauer zuläßt und all die ungeweinten Tränen weint, kann seine Wunden wirklich heilen. Doch die Menschen wollen  gar nicht, daß ich ihnen dabei helfe. Statt dessen schminken sie sich ein grelles Lachen über ihre Narbe. Oder sie legen sich einen dicken Panzer zu aus Bitterkeit. „Die Traurigkeit zu. “

Die Traurigkeit schwieg. Ihr Weinen war erst schwach, dann stärker und schließlich ganz  verzweifelt.  die kleine alte Frau nahm die zusammengesunkene Gestalt tröstend in ihre Arme. Wie weich und sanft sie sich anfühlte, dachte sie und streichelte zärtlich das zitternde Bündel. „Weine nur, Traurigkeit“. flüsterte sie liebevoll, „ruh dich aus, damit du wieder Kraft sammeln  kannst. Du sollst von nun an nicht mehr alleine wandern. Ich werde dich begleiten, damit die Mutlosigkeit nicht noch mehr an Macht gewinnt.“  Die Traurigkeit hörte auf zu weinen. Sie richtete sich auf und betrachtete erstaunt ihre neue Gefährtin: „Aber … aber … – wer bist du  eigentlich?“

„Ich ?“ sagte die kleine alte Frau schmunzelnd und dann lächelte sie wieder so unbekümmert wie ein kleines Mädchen. „Ich bin die Hoffnung“.

Das Tränenkrüglein

Das Tränenkrüglein

In alter Zeit, lange, bevor es dich und mich gab, da lebte einmal eine Witwe, der ward ihr einziges Kind vom Tod geholt. Die vermochte sich vor Herzeleid nicht zu fassen und weinte sich am Tag und in der Nacht die Augen aus.

Es ergab sich aber, dass sie einmal des Nachts einen Botengang machen musste von einem Dorf zum nächsten. Der Vollmond schien auf das verschneite Land, aber sie sah die Schönheit nicht, denn ihre Augen waren getrübt von all den vielen Tränen um ihr Kind. Doch auf einmal tauchte eine seltsame Geisterschar vor ihr auf, das war die Frau Berchta mit ihren Heimchen. Die zogen auf dem verschneiten Feld mit leisem Singsang an ihr vorüber, dann über den Heckenzaun und strebten nun dem Walde zu. Schon war der Zug bei den ersten Tannen angekommen, da trippelte ängstlich ein Kind mit nackten Füßchen im kalten Schnee der Schar hinterher und schleppte an einem schweren Krug. Als es nun auch an besagten Heckenzaun kam, waren die anderen schon alle hinüber. So lief es denn ängstlich hin und her und suchte nach einem Durchschlupf im Flechtwerk, denn der Steinkrug war viel zu schwer für das zarte Kindchen, und es konnte ihn nicht drüber heben. Da endlich erkannte die Frau, dass es ihr eigenes Kind war, und es drückte ihr beinahe das Herz ab. Sie rief es bei seinem Namen, aber das Heimchen hörte nicht hin.

Da fasste es die Mutter bei der Hand, doch das Kind erkannte sie nicht. Der Mutter blutete das Herz bei alle dem, und sie weinte und presste das Kleine an ihre Brust. Ais aber die salzigen Tränen des Kindes Äuglein netzten, da erkannte es die Mutter und sagte wie im Traum: »O wie warm ist Mutterarm!« »Ach Kind, willst du nicht kommen und im Haus deiner Mutter bleiben?« fragte traurig die Frau. Sprach das Kind: »Lieb Mutter mein, leg ab die Trauer und lass das Weinen. Denn alle Tränen, die du vergießt, die fließen über mein Grab in diesen Krug. Den muss ich nun nachschleppen, und er wird immer noch voller. Da schau nur, mein Hemdchen ist schon ganz nass, und die Kinder laufen mir alle davon. So gib mich doch endlich frei und lass mich los.« Da weinte sich die Mutter einmal noch von Herzen aus, küsste den blassen Kindermund, hob ihr Liebstes über den Zaun und sah mit sehnendem Blick dem weißen Hemdchen nach, bis es fern in der hellen Schar untergetaucht war. Wollte sie dann wieder einmal der Gram übermannen und wollten ihre Augen überfließen vor Kummer, so hat sie schnell an das Krüglein gedacht und an den Zaun, schluckte tapfer die Tränen herunter und trug nun ihr Weh ohne Frage und Klage.

Deutsches Volksmärchen

Das Tränenkrüglein

Von Trennung, Tod und Trauer, Märchen zum Gelingen des Lebens,
Angeline Bauer S. 55/64

Damit wir uns dem Märchen annähern und tiefer in die Bilder hineinsehen können, möchte ich es zuallererst Schritt für Schritt erläutern.

Schon im ersten Satz erfahren wir, wie unermesslich groß das Leid und Unglück ist, denn der Mutter wurde nicht nur ihr einziges Kind vom Tod geholt, sie ist auch noch Witwe. Sie hat also vorher bereits ihren Mann verloren und muss ihr Los nun ganz alleine tragen.

Die Augen der Mutter sind getrübt van all denbut_buch_04 vielen Tränen, die sie weint, und: Der Vollmond schien auf das verschneite Land, aber sie sah die Schönheit nicht, erfahren wir weiter. Die Mutter hat also die Verbindung zum Leben verloren und nimmt nichts mehr wahr von dem, was um sie herum vorgeht. Sie hat sich ganz zurückgezogen in ihre Trauer und lässt nichts und niemanden mehr an sich heran. Ihre Welt ist einsam, verschneit und selbst der Vollmond schafft es nicht, Licht in die dunkle Nacht zu bringen, die sie umgibt.

Im nächsten Bild sehen wir eine seltsame Geisterschar.Bauer Von Frau Berchta ist da die Rede, die mit ihren Heimchen über das verschneite Feld zieht. Frau Berchta, das ist ein anderer Name für Perch, Molle oder Hei, eine Unterweltsgöttin aus der Sagenwelt, zu der die Toten gehen. Diese Unterwelt hat aber nichts mit unserer Vorstellung von Hölle zu tun, sondern ist einfach nur als »Welt der Toten« zu begreifen. Heimchen sind Insekten aus der Familie der Geradflügler, zu denen z. B. auch die Grillen gehören. In der Mythologie werden »geflügelte« Tiere als Seelenträger gesehen, denn weil sie fliegen können, glaubte man, dass sie die Seelen der Verstorbenen in den Himmel tragen. Im Märchen werden Heimchen dann zu Zwergen und Elfen mit durchsichtigen Flügeln. In vielen deutschen Sagen finden wir diese Verbindung zwischen Heimchen und der Frau Berchta oder Percht, die mit ihnen durch eine Art Zwischenwelt zieht oder sie in das Reich der Toten geleitet. Normalerweise hat kein Sterblicher Einblick in diese »Zwischenwelt«, aber unsere trauernde Mutter, wohl selbst vor Kummer schon mehr tot als lebendig, kann die seltsame Geisterschar sehen.

Sie kann beobachten, wie sie singend wie die Zirpen durch die verschneite Nacht zieht, wie die Heimchen schließlich über einen Heckenzaun klettern und dann dem Wald entgegenstreben. Dieses über den Heckenzaun klettern, steht symbolisch für das Überwechseln in die andere Welt, denn der Zaun markiert hier die Grenze zwischen Leben und Tod.

Als Nächstes erzählt das Märchen von einem kleinen, zarten, ängstlichen Kindchen, das sich mit einem viel zu großen und viel zu schweren Krug voller Tränen abmühen muss, und das verzweifelt versucht, den Anschluss an eine Gruppe »Gleichgesinnter« zu finden, die ihm in der Welf der Toten, wo es ja jetzt nun einmal sein muss, so etwas wie Schutz und Geborgenheit bieten könnte. Das Kind, das wird in diesem Bild am Zaun sehr deutlich, gehört nicht mehr in die Welt der Mutter, aber weil die Mutter es nicht loslässt, findet es auch seinen Weg in die Welt der Toten nicht, wo die kleine Seele endlich zur Ruhe kommen könnte.

Die Tränen der Mutter, die direkt auf die Augen des Kindes fallen, öffnen ihm dann aber noch einmal den Blick für das Diesseits, und es erkennt die Mutter und fühlt ihren Schmerz. Und sofort versucht die Verzweifelte auch wieder, ihr Liebstes in ihrer Welt festzuhalten. Ach Kind, fleht sie willst du nicht kommen und im Haus deiner Mutter bleiben? Nur wenn die Mutter das Kind gehen lässt können beide ihren Frieden finden.

Aber das Heimchen weiß, es gibt kein Entrinnen, und der einzige Weg den Frieden zu finden, ist für sie beide, dass die Mutter es gehen l lässt. Darum bittet es dann auch inständig, und es zeigt der ; Mutter den viel zu schweren Krug, i n dem es die Tränen auf[ fangen muss und zeigt auch das nässe Hemdchen, das es trägt.

Unser Wort »Hemd« wird vom Wort ham bzw. dem althochdeutschen Wort hamo abgeleitet, was so viel bedeutet wie ; Hulle, Haut, Kleidung, aber auch Gestalt, Seele, oder Schutzgeist. Das Hemd ist das erste Kleidungsstück, das wir angezogen ,  bekommen und das letzte, wenn wir ins Grab gelegt wer|  den. Es ist das Kleidungsstück, das direkt auf der Haut getragen wird, und deshalb ist es symbolisch mit dem Wesen eines Menschen verbunden. Der Volksmund sagt: Wer sein letztes Hemd gibt, gibt olles was er hot und noch ein bisschen mehr – denn ohne Hemd dazustehen bedeutet, keinen Schutz mehr zu haben und den Blick freizugeben auf sein Intimstes und damit auf seine Seele. In einigen Regionen Deutschlands bekamen Konfirmandinnen und Konfirmanden noch im letzten Jahrhundert ein Totenhemd zur Konfirmation geschenkt, und Mädchen nähten Totenhemden für ihre Aussteuer. Solche Bräuche versinnbildlichen, dass der Tod zum Erwachsensein gehört und dass das Leben vergänglich ist.

In dem tränennassen Hemdchen des Kindes sehen wir also die von der Trauer der Mutter beschwerte Seele. Und als die Mutter dies wahrnimmt und das Flehen und Bitten ihres Kindes hört, versteht sie endlich. Da weint sie sich einmal noch von Herzen aus, dann hebt sie es über den Zaun und lässt es endlich gehen, hebt es. Das Über-den-Zaun-heben, ist ein Bild des bewussten Loslassens, denn der Zaun symbolisiert in diesem Märchen die Grenze zwischen unserer Welt und dem Reich der Toten.

Nicht dass die Mutter nun nicht mehr traurig wäre und das verlorene Kind vergessen würde. Aber erst durch das bewusste Loslassen kann sie sich den Tod des Kindes als unabdingbare Tatsache eingestehen, was Voraussetzung dafür ist, in die nächste Phase der Trauer eintreten und dem Kind einen neuen, der Situation angemessenen Platz in ihrem Leben einräumen zu können – den Platz eines »inneren Begleiters«. Die Beziehung zu ihrem Kind bleibt zwar weiter bestehen, aber sie hat eine andere Qualität erhalten. Und damit kann die Frau sich wieder dem Leben zuwenden, könnte Neues und Schönes in sich entstehen lassen und wieder in Beziehung zu ihren Mitmenschen treten.

Versuchen wir einmal, das Märchen auf eine reelle Lebenssituation zu übertragen. Da ist eine Mutter mit einem Kind, das sterben wird. Man hat es ihr gesagt, ihr Herz spurt es auch, aber sie will es nicht akzeptieren. Alles in ihr sträubt sich dagegen. Vielleicht saß sie schon Wochen, Monate oder gar Jahre am Bett des kranken Kindes. Der Vater hat längst aufgegeben. Er ist der Trauer überdrüssig, hat Mutter und Kind verlassen und sich wieder dem Leben zugewandt. Das kann ein »inneres Verlassen« sein – vielleicht ist er ja physisch noch da, aber auf der psychischen Ebene ist er längst weggegangen.

So ringt nun die Mutter alleine um das Leben des Kindes. Hier ist sie, dort der Tod, und die Seele des Kindes ist hin- und hergerissen zwischen beiden Welten. Das Kind weiß, es

muss gehen, es gibt kein Zurück ins Leben, aber die Mutter hält es mit all der Macht ihrer Tränen fest. Sie denkt, wenn sie nur genug dran glaubt und nicht aufhört zu kämpfen, dann kann sie für ihr Kind den Tod überwinden.

Selbstverständlich können wir die Figuren des Märchens beliebig austauschen. Der Vater kann den Platz der Mutter einnehmen. Er bleibt bei dem Kind, die Mutter ist längst gegangen oder es stirbt die Mutter, und die Tochter/der Sohn kann nicht loslassen. Was aber immer bleibt, ist der schreckliche Schmerz des Abschiednehmens. Und gerade hier hat das Märchen sehr tröstende Bilder für uns und zeigt uns, was das Trauern vollbringen kann. Zunächst einmal geht es um die Fähigkeit, Gefühle gleich welcher Art zu erleben, sie auszudrücken und auszuhalten. Man ist traurig und weint. Wut will vielleicht herausgeschrien oder abgearbeitet werden. Das Gefühl der Leere wird möglicherweise durch Schweigen ausgedrückt und so fort. Erst das Ausleben all dieser Gefühle ermöglicht das Abschiednehmen.

Schließlich hebt die Mutter das Kind über den Zaun und lässt es fortgehen. Damit vollzieht sie aktiv den Akt der Trennung, was auch beinhaltet, dass sie alle eigenen Anteile zurückholt und die des anderen an ihn zurückgibt. Dies gelingt der Mutter, ohne dass es sie zerstört, und so kann sie als eigenständige Persönlichkeit in die reale Welt zurückkehren und auch dem Kind seinen Weg in die Welt der Toten freigeben. Wenn man

so will, leistet sie eine Art psychischer Sterbehilfe, denn auch das Fortgehen ist ja nicht einfach, aber sicher fällt es dem Sterbenden leichter, wenn er weiß, dass er von dem Zurückbleibenden nichts mitnehmen muss und dessen Segen hat. Viele Menschen, die einen Anderen durch eine lange Krankheit bis hin zum Tod begleitet haben, berichten davon, dass der Kranke etwa zwei bis drei Tage vor um  seinem Tod nicht mehr wirklich ansprechbar war. Der Sterbende braucht Zeit,sich ganz aus seinem Leben loslösen zu können.

Er hatte einen nach innen gekehrten Blick, wirkte völlig abwesend oder »wie in einer anderen Welt« und hat seine Angehörigen vielleicht nicht einmal mehr erkannt. Für den Sterbenden ist dies die Phase des Loslassens. Er geht in eine Art Niemandsland, ist nicht mehr hier und noch nicht dort. Er braucht diese Zeit »zwischen den Welten«, um sich ganz aus seinem Leben lösen zu können. Das Schlimmste, was man ihm antun könnte, wäre, ihn immer wieder anzuflehen: »Bleib doch hier, ich brauche dich, du darfst mich nicht verlassen!«

Wenn wir den Sterbenden lieben, müssen wir tun, was die Mutter in unserem Märchen tat – ihn freigeben und „über den Zaun heben“, so schwer uns das auch fällt In Gesprächen mit Menschen, die auch Jahre nach dem Tod eines Partners oder Kindes nicht damit fertig wurden, habe ich festgestellt, dass einige von ihnen – bewusst oder unbewusst- »je länger traurig sein« mit »desto mehr lieben« gleichsetzen. Viele glaubten, durch dieses »desto mehr lieben«, ihren Unmut darüber entlasten zu können, selbst noch am Leben zu sein, während der geliebte Mensch sterben musste.

Diese Menschen sprachen von »unüberwundener Trauer«, aber ich hatte den Eindruck, dass sie nicht wirklich getrauert, sondern im Gegenteil, intensive Trauerarbeit sogar vermieden haben. Sie haben sich vielleicht aus dem Leben zurückgezogen, waren depressiv, haben sich selbst verloren – aber sie haben nicht wirklich getrauert. Mit Trauern ist nicht nur gemeint, traurig zu sein und einen Verlust zu beklagen – Trauern ist ein intensiver und oft sehr schmerzhafter Prozess, mit dem letztendlichen Ziel, den Verlust des Verstorbenen zu überwinden, sich von ihm zu lösen (was keinesfalls gleichbedeutend ist mit »ihn vergessen«) und als Mensch mit neuen Zielen und Visionen weiterzuleben.

Zur Trauer gehört die Auseinandersetzung mit dem Toten, mit dem was er einem bedeutet hat, im positiven wie im negativen Sinne, und zur Trauer gehört auch das Zulassen so ambivalenter Gefühle wie Liebe und Hass.

Doch so notwendig derartige Gefühlsirritationen sind, so gefürchtet sind sie auch, und zwar von den Betroffenen selbst genauso, wie von den Menschen, die mit den Trauernden zu tun haben. Dann hört man Forderungen wie: »Du musst tapfer sein!« Und: »Lass dich nicht so gehen, das Leben geht schließlich weiter!« Oder der Hinterbliebene setzt sich selbst unter Druck, in dem er sich glauben macht, er könnte den Verlust schnellstmöglich verarbeiten und zu zügig zu seinem gewohnten Alltag zurückkehren.

Häufig steckt dahinter aber eine unbändige Angst vor den gewaltigen Gefühlsstürmen, die losbrechen könnten, wenn wir uns der Trauer wirklich öffnen. Angst, den Schmerz nicht aushalten zu können, Angst vor der Endgültigkeit des Abschieds. Dann lieber gar nicht fühlen, den Schmerz verdrängen, sich in die Arbeit stürzen, sich betäuben und ablenken um jeden Preis Hinzu kommt, dass ambivalente Tragegefühle in unserer Gesellschaft nicht akzeptiert sind. Wer weint und schreit, den Verstorbenen vielleicht klarer liebt als je zuvor, andererseits aber auch seiner Wut über ihn, dass er einen verlassen hat, Ausdruck verleiht, das Gute wie das Schlechte an ihm beschreibt und sich dann wieder mit Schuldgefühlen herumplagt und sich anklagt, der erntet im Allgemeinen wenig Verständnis bei seinen Mitmenschen.

Gefühle und Erinnerungen, die peinlich oder beängstigend sind, werden darum oft verdrängt, verleugnet und beschwichtigt. Dadurch wird der Verstorbene oftmals verherrlicht und auf ein Podest gestellt, und die seelische Konfrontation mit uns selbst, unseren Erinnerungen und unserem Verlust werden unmöglich gemacht.

Doch gerade dieses oben beschriebene Wechselbad der Gefühle leben zu dürfen, ist so wichtig für den Trauerprozess. DOS Ausleben der Gefühle wird dem im Leben Gebliebenen am Ende helfen, den Verstorbenen, bzw. die Erinnerung an ihn, in sein Denken und Sein zu integrieren, dass er irgendwann ein von dem Verstorbenen losgelöstes und selbst- bestimmtes, neues Leben führen kann.

Die Trennung wird nicht einfacher zu erfragen sein, wenn wir den Verlust akzeptieren und diese überwältigenden Gefühle aushalten, aber wir spüren uns in unserem Schmerz, und das hält uns lebendig und lässt uns weiterleben.

Doch gerade dieses oben beschriebene Wechselbad der Gefühle leben zu dürfen, ist so wichtig für den Trauerprozess. Das Ausleben der Gefühle wird dem im Leben Gebliebenen   am Ende helfen, den Verstorbenen, bzw. die Erinnerung an   ihn, so in sein Denken und Sein zu integrieren, dass er irgendwann ein von dem Verstorbenen losgelöstes und selbstbestimmtes, neues Leben führen kann. Die Trennung wird nicht einfacher zu ertragen sein, wenn wir den Verlust akzeptieren und diese überwältigenden Gefühle aushalten, aber wir spüren uns in unserem Schmerz, und das  hält uns lebendig und lässt uns weiterleben.

Trauerkrankheit

Sie erinnern sich, was ich zuvor über die Trauerphasen geschrieben habe: Zur dritten Trauerphase gehört das Loslassen  und Sich-Trennen. Der Verstorbene nimmt einen neuen Platz  im Leben des Hinterbliebenen ein, wird zu einer Art innerem Begleiter oder Schutzengel für ihn. Damit das so positiv verlaufen kann, muss vorausgegangen sein, dass der im Leben Gebliebene auch die negativen Gefühle für den Verstorbenen wahrnehmen, äußern und somit in seine Trauer einbeziehen könnte. Denn wird der Verstorbene nur positiv gesehen und ein glorifiziertes Bild von ihm aufgebaut, führt die Identifikation mit ihm oft zu der Problematik, dass wertvolle Anteile des eigenen Ichs nicht mehr gesehen und anerkannt werden. Dafür richten sich Anklagen, die von sich dem Verstorbenen gelten, mit dem glorifizieren Bild aber nicht mehr zu vereinbaren sind, gegen das eigene Ich. Natürlich gehören Selbstanklagen mit zum Wechselbad der Gefühle eines Trauerprozesses. Verlieren wir uns aber in ihnen und hören sie auch nach Verlauf von Jahren nicht auf, kann das Ausdruck einer narzisstischen Neurose sein. Sigmund Freud betont in diesem Zusammenhang den Unterschied zwischen Trauer und Melancholie. Wird der Zorn auf den so sehr geliebten, verstorbenen Menschen unterdrückt, dann verinnerlicht und gegen das eigene Ich gewendet, findet eine negative Fixierung an das »verlorene Objekt« statt. Die Folge ist, dass der Trauernde zum Melancholiker wird, für den es nur noch sein Leid gibt, der nichts Neues mehr leben kann und für andere Menschen unerreichbar bleibt. In solchen Fällen sprechen Psychologen von Trauerkrankheit.

Silberbirke

Silberbirke, ein indianischer Weiser, hat Eltern, die ein Kind betrauern, einmal diese Botschaft übermittelt:

Weine nicht, weil Du meinst Du habest für immer die schönste Blume in Deinem Garten verloren. In Wahrheit ist die Blume in einen weit schöneren Garten versetzt worden, wo sie größeren Duft verbreitet und weit lieblicher und schöner ist, als sie es je auf Erden hätte sein können.

Ihr sind viele der traurigen und kummervollen Geschehnisse auf Erden erspart geblieben, mache Grausamkeiten und viele, viele verderbliche Einflüsse. Dein Kind wird all das, nie kennenlernen. Freue Dich, daß einer jungen Seele die Freiheit geschenkt wurde, die durch das Elend, das Deine Welt heimsucht, nie bekümmert werden wird. Traure nicht um Dein Kind; gräme Dich, wenn Du willst, um Deinen eigenen Verlust, denn Dir wird das kleine strahlende Gesicht fehlen, das kindliche Plappern, die so kleine Gestalt.

Wenn Deine Augen es auch nicht sehen, Deine Ohren es auch nicht hören können, Dein Kind ist immer gegenwärtig.

Wenn Du aufhörst, Tränen zu vergießen, die vor Deinen Augen einen Schleier ziehen, wirst Du die Wahrheit erkenne, daß es in Gottes großem Reich keinen Tod gibt, und alle unter weit besseren Verhältnissen weiterleben in einer Welt, die reicher und lieblicher ist als alles was Du jemals erträumst hast.

Traure nicht um Dein Kind. Wisse, daß ein liebender Gott dem Kind Engel schenkt hat, die es schützen werden und Dein Kind wird, wenn die Zeit sich erfüllt hat, mit Dir wieder vereint werden.

Carl Zuckmayer

Ich habe Angst vor dem Tod
Bein Einschlafen denke ich manchmal:
was wird mit mir sein, wenn ich nicht mehr aufwache?

Ich denke mir oft,
daß ich vor der Geburt
von meiner Mutter umgeben war,
in ihrem Leib, ohne sie zu kennen.
Dann brachte sie mich zur Welt,
und ich kenne sie nun und lebe mit ihr.

So, glaube ich ,
sind wir als Lebende von Gott umgeben,
ohne ihn zu erkennen.

Wenn wir sterben,
werden wir ihn erfahren,
so wie ein Kind seine Mutter,
und mit ihm sein.

Warum soll ich den Tod fürchten?

Carl Zuckmayer

Matthias Claudius

Im Jahre 1796 stirbt die zweitälteste Tochter Chrstiane Maria Augste mit erst 21 Jahren. Der erstgeborene Sohn Matthias ist bereits kurz nach der Geburt gestoben. Über diesen Schmerz und die Begegnung mit dem Tod kommt Claudius nicht so recht hinweg. In den vielen traurigen Zeilen, die sich Claudius zum Thema Tod von der Seele schreibt, ist jedenfalls kaum ein Trost zu finden.

Der Tod und das Mädchen

Das Mädchen:
„Vorüber! ach vorüber!
Geh wilder Knochenmann!
Ich noch jung, geh lieber!
Und rühre mich nicht an“.

Der Tod:
„Gib deine Hand, du  schön und zart Gebild!
Bin Freund und komme nicht zu strafen.
Sei guten Muts, ich bin nicht wild,
Sollst sanft in meinen Armen schlafen“

Matthias Claudius

Es stand ein Sternlein am Himmel,
Ein Sternlein guter Art;
Das tät so lieblich scheinen,
So lieblich und so zart!

Ich wußte eine Stelle
Am Himmel, wo es stand;
Tat abends vor die Schwelle,
Und suchte, bis ich’s fand;

Und blieb denn lange stehen,
Hatte große Freud in mir;
Das Sternlein anzusehen;
Und dankte Gott dafür.

Das Sternlein ist verschwunden;
Ich suche hin und her
Wo ich es sonst gefunden,
Und find es nun nicht mehr

Matthias Claudius