Warum hat Gott das zugelassen?

Aus dem Weihnachtsheft des Bundesverbandes der Verwaisten Eltern in Deutschland

Ich bin Mutter von vier Kindern. Sabrina, geb. im Februar 1988, Corinna, geb. im September 1990. Am 18.12.1993 wurde mein Sohn Dominik geboren. Er war ein lebenslustiges gesundes Kind und hat mir viel Freude bereitet. Er war mein Sonnenschein, den ich über alles geliebt habe und für den ich im Nachhinein gesehen viel zu wenig Zeit gehabt habe. Dominik war 1,5 Jahre alt, als ich wieder schwanger war. Ich war noch ziemlich am Anfang der Schwangerschaft, als Blutungen einsetzen und ich danach fast nur noch liegen mußte. Die ganze Schwangerschaft ging es mir sehr schlecht, dann wurde Jannick geboren und es wurde bei ihm ein Herzfehler festgestellt. Am 26.02.98 wurde Jannick am Herzen operiert. Gott sei Dank ging alles gut. Aber ich war wieder zwei Wochen nicht für Dominik da.

Am 27.03.98, Gründonnerstag, wollte ich Dominik morgens in den Kindergarten bringen, er wollte aber nicht und weinte. Er beteuerte mir immer wieder: „Mama ich will immer bei Dir sein“. Ich habe ihn trotzdem hingebracht, weil ich noch so viel zu erledigen hatte. Nachmittags holte ich ihn ab und weil er morgens schon so geweint hatte, konnte ich nachmittags nicht nein sagen, als er mit einkaufen gehen wollte. Er war so brav an diesem Nachmittag und ich frage mich immer wieder, ob er eine Vorahnung

hatte. Beim Nachhausefahren habe ich ein Auto übersehen und ihm die Vorfahrt genommen.

Mein Sohn erlag im Krankenhaus seinen schweren Verletzungen. Ich selber lag auf der Intensivstation und konnte mich von meinem Sohn nicht verabschieden. Auch heute, nach über fünf Jahren, habe ich den Schmerz, die Schuldgefühle und die Trauer nicht überwunden. Er fehlt mir so sehr und ich frage mich immer wieder: „Warum er???“. Aber das geht wahrscheinlich allen Eltern so. Warum hat Gott das zugelassen? Der Schmerz ist immer noch sehr groß und die Verzweiflung. Wir bringen Weihnachten und Geburtstag immer eine Kleinigkeit an sein Grab. An seinem Geburtstag sitzen wir zusammen, haben eine Kerze an und lassen einen Luftballon steigen. Ich rede oft mit meinen Kindern über ihn.

Das letzte Weihnachten zusammen mit Dominik war geprägt von der Angst um Jannick. Die Angst vor seiner Herz-OP. Jede danach folgende Weihnachten bisher war überschattet von der Trauer um Dominik. Am 18.12. hat Dominik ja seinen Geburtstag, also kurz vor Weihnachten. Diesen Tag gestalte ich, wie erwähnt, immer zusammen mit  seinen Geschwistern. Mit Dominiks Vater lebe ich seit 1999 nicht mehr zusammen, weil unsere Ehe dieser Belastung nicht stand gehalten hat. Wir haben für Dominik in Marienthal, einem kleinen Wallfahrtsort, eine grosse Kerze gekauft, die an seinem Geburtstag und an solchen Festlichkeiten als Zeichen seiner symbolischen Anwesenheit brennt. Ich weiss nicht, ob ich das für mich tue oder für die Kinder.

Er fehlt mir so sehr, seine Nähe, Wärme und Zärtlichkeit. Ich versuche, den Kindern die Vorfreude und Freude auf Weihnachten nicht zu nehmen, die mir selber Abhanden gekommen ist. Dominik hat ein grosses Stück von mir mitgenommen. Ich sage immer, er hat den Teil meiner Jugend und Freude mitgenommen. Ich unternehme vieles mit den Kindern gemeinsam, aber immer wieder überkommen mich die Gedanken: „Das kann Dominik alles nicht mehr erleben“. Ich fühle mich mitten unter Leuten einsam und allein und fehl am Platz. Ich mache weiter für meine drei noch lebenden Kinder, die ein Recht auf ihr Leben haben. Feiern in Schulen und Kindergarten erfordern gerade in der (Vor) Weihnachtszeit immens viel Kraft und trotz Stolz auf meine anderen drei ist die Trauer und der Schmerz riesengroß in mir.

Ich habe lange Zeit sehr mit Gott gehadert, weil sich die Frage nach dem Warum einfach immer wieder so bohrend stellt, und ich bin noch immer nicht durch damit, aber ich würde sagen, ich bewege mich wieder ein bißchen auf Gott zu. Ganz gebrochen habe ich nie, aber ich wollte und will teilweise immer noch nichts von einem Gott hören, der zuläßt, dass Kinder sterben. Nach Dominiks Tod wurde ich direkt mit der Religon wieder konfrontiert und zwar mit der Entscheidung, meine Tochter zur Kommunion gehen zu lassen oder nicht. Dominik verstarb am 27.03.97. Am 05.04.97 habe ich auf eigene Verantwortung das Krankenhaus verlassen und am 06.04.02 ging meine Tochter zur Kommunion. Am 07.04.97 wurde Dominik beerdigt.

Meine beiden Mädchen waren aus erster Ehe und katholisch, mein zweiter Mann ist evangelisch und Dominik war es auch. In der evangelischen Kirche spielt die Mutter Gottes eine untergeordnete Rolle. Das Lieblingslied Dominiks war „Ave Marie“ von der Kelly Family, wir wollten dieses Lied für ihn singen lassen, aber der Pfarrer wollte es nicht, da dieses Lied mit dem evangelischen Glauben nicht vereinbar wäre. Er hat im Enddefekt nachgegeben und wir durften es singen lassen, aber diese zermürbenden Diskussionen in solch einer Situation! Danach wollten wir der Kirche eine grosse Kerze spenden. Ich erhielt die Aussage, dass am Altar vier gleich grosse Kerzen stehen und es nicht möglich wäre, diese Kerze zu stellen. Solche „Kleinigkeiten“ machen es einem nicht gerade einfach.

Ich hadere oft mit dem Glauben. Das Warum stellt sich immer wieder. Warum werden mir diese Prüfungen auferlegt? Warum musste dieses Kind gehen????? Warum Warum Warum. Auch mir stellt sich immer wieder die Frage: „Warum hat Gott das zugelassen?“ In meiner letzten Kur hat eine Frau, die einer christlichen Gemeinde angehört, versucht zu erklären, dass die Welt-vom Teufel regiert wird und wir durch unser Hadern dem Teufel die Macht geben. Nicht Gott nimmt uns die Kinder, sondern der Teufel. Über diese Worte denke ich viel nach.

Ich habe 2000 dann versucht, erste Schritte wieder in Richtung Glauben zu tun und als Kathechetin den Kommunionunterricht meiner zweiten Tochter mitgestaltet. Dies hat mich dem Glauben wieder ein Stückchen näher gebracht. Besonders der Eröffnungsgottesdient der Kommunionkinder hat mich sehr beeindrucht. Die Rede des Pfarrers beinhaltete, dass mit dem Tod nicht alles zu Ende ist, sondern sich eine Tür öffnet und Gott uns in sein Reich einlädt, wo es uns gut geht. Er hat es so anschaulich beschrieben, ich kann das gar nicht so wiedergeben. Aber auch dieser Schritt in Richtung Glauben wurde bald wieder überschattet, als dann mein über alles geliebter Vater am 11.11.00 an seiner schweren Krebserkrankung gestorben ist. Auch da wieder dieses Warum und ein von grosser Trauer überschattetes Weihnachten. Mein Papa war meine Stütze, mein Halt, der immer für mich da war und auch er ist jetzt nicht mehr da. Er wurde nur 66 Jahre alt.

Für mich war es nach dem Tod meines Sohnes immens wichtig, ihn da zu beerdigen, wo ich mich immer heimisch gefühlt habe, aber auch das war ein Fehler. Das Grab ist nicht der Ort, an dem ich mich meinem Sohn nah fühle, denn dies ist der Ort, den seine Grosseltern ihm geschaffen haben. Ich bringe ihm zwar an seinem Geburtstag, Weihnachten und Ostern Kleinigkeiten da hin, Ostern einen tönernen Osterhasen oder ein Osternest. Ansonsten haben wir ihm da seinen besten Freund, unseren Bernhardiner, einen Keramik –Bernhardiner hinge-bracht. Weihnachten ein kleines Tannen-bäumchen usw. Ich besuche das Grab nur noch zu diesen Anlässen. Mein Sohn lebt in meinem Herzen weiter und ich hoffe sehr, ihn irgendwann einmal wieder zu sehen, habe aber auch Angst vor diesem Wieder-sehen, ob er mir alle meine Fehler, die ich gemacht habe, verziehen hat.

In der Weihnachtszeit hilft mir immer sehr der Gottesdient der Verwaisten Eltern Mainz, an dem ich mittlerweile auch aktiv mitarbeite und auch meine beiden „grossen Töchter“ haben letztes Jahr die Fürbitten gelesen. Dies ist für mich sehr wichtig. Ebenso hilft mir die Zusammenarbeit mit Pirko Lehmitz, der ich beim Beantworten der Gästebucheinträge behilflich bin auf der HP des VEID.

Marina Ranzenberger