“Frühtod” – Schattendasein

von Mag. Christine Fleck-Bohaumilitzky

Der Tod am Beginn des Lebens führt im Ansehen unserer Gesellschaft ein Schattendasein.

Wenn vom Tod eines Kindes die Rede ist, gelten die Aufmerksamkeit und das Mitgefühl meist jenen Eltern, die ihre Kinder durch eine Krankheit oder einen Unfall verloren haben.

Jedes Jahr sterben in Deutschland 4500 Kinder während der ersten Wochen oder gar in den ersten Stunden nach der Geburt. Ungefähr 2500 Kinder kommen tot zur Welt. Jedes Jahr erleiden schätzungsweise 450 000 Frauen eine Fehlgeburt.- Von diesen Schicksalen spricht kaum jemand!

Der Tod im Mutterleib und das Sterben kurz nach der Geburt werden meistens totgeschwiegen, man spricht von einem Mißgeschick, von einer Fehlleistung der Natur. Durch eine neue Schwangerschaft könne das alles wieder wettgemacht werden. Es wird oft nicht wahrgenommen, daß Familien Föten, Embryos und Totgeborene genauso betrauern wie andere Kinder auch.

Die moderne medizinische Versorgung in den Geburtskliniken Deutschlands steht oft in krassem Widerspruch zur seelischen Begleitung, die Eltern von fehl-, früh- oder totgeborenen Kindern erfahren, besser gesagt nicht erfahren. Die Entbindung des Todes ist für viele Ärzte und Hebammen eine narzißtische Kränkung, die schnell wieder ungeschehen gemacht werden soll.

Viele Frauen und Mütter mit Fehl- und Totgeburten fühlen sich schuldbewußt, weil sie als Trägerinnen des Lebens versagt haben. Sie sind fügsam und stellen keine Fragen. Meist wollen sie schnell und schmerzlos den Tod im eigenen Leib loswerden , um ihn zu vergessen.

Die quälenden Fragen, die Selbstvorwürfe, die Schuldgefühle, die Trauer kommen erst später, zu einem Zeitpunkt, wo es meist zu spät ist.

Was war mit meinem Kind? Was ist mit ihm geschehen? Ist es in der Pathologie? Ist es “medizinischer Sondermüll”? Den Variationen der Alpträume um einen Tod am Anfang des Lebens sind keine Grenzen gesetzt.

In einer Zeit, in der oft vom “Schutz  und von der Würde des ungeborenen Lebens” die Rede ist, bilden trauerfeindliche Bestattungsgesetze einen krassen Gegensatz. Wenn Frauen nach einer glücklosen Schwangerschaft rechtzeitig zum Fragen ermutigt würden, wenn Frauen auch diesen verlorenen Kindern einen Grabplatz geben dürften, könnten sie ihre gestorbenen Hoffnungen besser betrauern und begraben.

Wenn ein Kind um die Geburt herum stirbt, stellte sich für die in der Geburtshilfe Tätigen die besondere Aufgabe der Begleitung der Geschwister und der Eltern. Es wäre schön, wenn sie den Eltern Weggefährten auf einem schmerzhaften Stück ihres Lebensweges wären. Die Eltern und Geschwister brauchen in dieser Zeit besonders menschliche Wärme, Kontakt und tiefes Interesse. Für die begleitenden Menschen ist es oft schwierig, mit den Trauernden umzugehen, da ihre eigene Trauer angerührt werden kann.

Bei Ärzten, Hebammen und Krankenschwestern bleibt oft ein Gefühl von Unvermögen, weil sie nicht in der Lage waren, das Leben des Kindes zu retten. Für sie ist es dann wichtig, über ihre Schuldgefühle zu reden und sich bewußt zu machen, daß sie alles in ihrer Macht Stehende getan haben.

Wichtig  ist es, daß die Eltern in einer liebevoll und würdevoll gestalteten Atmosphäre von ihrem Kind Abschied nehmen können – was leider nicht immer geschieht. Eine brennende Kerze im Raum und eine Blume können für die Eltern sehr viel bedeuten. Die Eltern, Geschwister, vielleicht auch Großeltern, andere Verwandte und Freunde brauchen viel Zeit, um von dem toten Kind Abschied zu nehmen, um es zu sehen, zu berühren und im wahrsten Sinn des Wortes zu begreifen.

Der perinatale Tod eines Kindes ist eine tiefgreifende Krisenerfahrung für die Eltern. Es ist wichtig für sie, ihre Trauer ausdrücken zu können, wie z. B. durch Weinen, Schreien, durch Sich-zurück-Ziehen, … .

Namensgebung und Erinnerungsstücke

Wichtig ist es auch, daß die Eltern gefragt werden, welchen Namen sie ihrem Kind gegeben haben. Die Namensgebung symbolisiert die Anerkennung des gestorbenen Kindes als Individuum. Mit dem Aussprechen des Namens kann oft auch der Tod des Kindes als ein Verlust benannt werden. Bedauerlich ist bislang bei Totgeburten, daß staatliche Urkunden das Kind ohne Namen lassen, es wird lediglich “Totgeburt männlich / weiblich” in die Urkunde eingetragen. Das zur Zeit geltende Personenstandsgesetz besagt:

Totgeborene Babys unter 500 g gelten als Fehlgeburten und werden standesamtlich nicht registriert. Totgeborene Babys über 500 g werden ins Sterbebuch eingetragen, erhalten jedoch keine Geburtsurkunde, keine Sterbeurkunde, nur eine Todesbescheinigung. Bis zum 30.06.1998 enthielt diese keine Namensangabe, nur den Vermerk, ob dieses Kind männlich oder weiblich war. Seit dem 01.07.1998 werden auch totgeborenen Kinder ins Geburtsbuch, und auf Antrag der Eltern mit Vornamen, eingetragen (Vgl. Merkblatt von RAin Lehmitz).

Hingewiesen werden soll in hier auch auf die Möglichkeit im Raum der katholischen Kirche, ein zumindest kirchliches offizielles Dokument zu bekommen, das die Existenz und auch den Namen des Kindes festhält und öffentlich würdigt. Ein Eintrag ins Sterbebuch der Pfarrei [beim jeweiligen Jahrgang des Sterbefalls als “Eintrag ohne laufende Nummer”] ist hier ohne Schwierigkeit  – auch noch viel später – möglich: Er kann Grundlage eines offiziellen Auszugs aus dem Sterbebuch sein, der vom Pfarrer mit Siegel und Unterschrift beglaubigt werden kann. (Information v. Msrg. Ludwig Röhrl, Matrikelamt München)

Beim frühen Tod eines Kindes gibt es wenige Gegenstände, die die Eltern an ihr verstorbenes Kind erinnern. Solche Erinnerungsgegenstände können eine große Hilfe für die Eltern sein, um den sonst unsichtbaren Tod des Kindes sichtbar werden zu lassen. In der Klinik könnte viel dazu beigetragen werden, daß die Eltern solche Symbole bekommen. Es kann eine Hilfe sein, Eltern zu fragen, ob sie ein Foto von ihrem Kind haben möchten (bzw. eines zu machen und aufzubewahren – für den Fall, daß Eltern später danach fragen). Es gibt noch andere Erinnerungsstücke, die den Eltern mitgegeben werden können, wie z. B. eine Haarlocke des Kindes, das Namensarmband oder ein Hand- und Fußabdruck.

Beerdigung und Grab — Orte der Trauer

Wichtig ist, daß Eltern Hilfen für die Gestaltung der Beerdigung erhalten. Nicht selten ist der Tod ihres Kindes, der erste, den sie im engeren Familienkreis erleben, so daß sie über die Gestaltungs- und Wahlmöglichkeiten bei einer Begräbnisfeier nicht informiert sind. Wichtig ist, die Geschwister zu fragen, ob sie an der der Beerdigung teilnehmen möchten.

Für die Eltern ist es hilfreich, wenn sie in passender Weise darauf hingewiesen werden, wie wichtig ein Grab als Ort der Trauer sein kann. Das Kind sollte möglichst nicht anonym bestattet werden.

Das Bedürfnis, den Ort zu kennen an dem das Kind begraben ist, wird von vielen Eltern benannt. Und diejenigen Eltern, deren Kind nicht bestattet wurde, suchen oft viele Jahre später nach einem Ort für ihre Trauer.

Einige Beispiele für positive Erfahrungen im Bereich “Orte der Trauer”:

Eltern in Braunschweig haben im Herbst 1993 eine Gedenkstätte für totgeborene Kinder gestaltet, die sie als einen “Ort zum Trauern und zum Abschiednehmen” sehen.

In Augsburg gibt es seit dem 28. September 1994 dank der “Initiative Kindergrab am Augsburger Hermanfriedhof” ein eigenes Grabfeld, das von der katholischen Gesamtkirchengemeinde zur Verfügung gestellt wurde, um die Bestattung von Kindern, die durch Fehlgeburt, Totgeburt oder frühes Sterben in der Neugeborenenzeit ums Leben kommen, zu ermöglichen. Auch wird hier in besonderer Weise auf individuelle Situationen eingegangen.

Die Stadt Kempten hat 1996 zwei Grabfelder für totgeborene Kinder bzw. gestorbene Frühgeburten .

Seit dem 1. April 1994 ist die Grenze des Geburtsgewichtes von totgeborenen Kindern, ab dem sie bestattet werden müssen, von 1000 g auf 500 g herabgesetzt worden. Dies bedeutet, daß viele Eltern nun ohne die bisher notwendige Überwindung von bürokratischen Hindernissen ihre Kinder beerdigen können. Auch Kinder, die weniger als 500 g wiegen, können bestattet werden, dazu bedarf es je nach Bundesland verschiedener Bescheinigungen.

In Bayern ist die gesetzliche Regelung [Gesetz zur Änderung des Bayerischen Bestattungsgesetzes vom 10. August 1994 – GVBl S.770] ebenso geändert worden, daß totgeborene Kind ohne Rücksicht auf ihr Gewicht bestattet werden können.

Hier zeigt sich aber oft, daß Eltern in ihrer Situation weder das Wissen um diese Regelung haben, noch die Kraft sie für ihr Kind – und auch für sich und ihre Trauer einzufordern.