Jede Kerze leuchtet für ein totes Kind

Heute trauern 20000 Eltern

von Kathrin Thamm

Tausende von Kerzen leuchten heute in Deutschlands Fenstern, um an alle Kinder zu erinnern, die der Tod aus ihren Familien riss. In Deutschland sterben jährlich 20 000 Kinder: „Die Eltern und Verwandten werden mit ihrer Trauer total allein gelassen. Deshalb entzünden deutschland- und europaweit sowie in Amerika Angehörige Kerzen, um öffentlich zu trauern“, erklärt Gabriele Knöll (53), Vorsitzende des Vereins Verwaiste Eltern.

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Mutter Heidrun und der kleine Christian bei einer gemeinsamen Busfahrt wenige Monate vor seinem Tod. Zu diesem Zeitpunkt ahnte die Mutter noch nichts von seinem lebensgefährlichen Herzfehler.

Hell leuchtet die Kerze, die Heidrun Eisenberg (39) neben dem Foto von Christian (6) entzündet. „Für mich ist er noch immer hier“, sagt sie und streichelt das Bild. Es steht auf der Fensterbank in der Küche, zeigt einen lachenden kleinen Jungen. Es ist das letzte Foto von Christian. „Er starb eine Woche nach seinem sechsten Geburtstag.“ Drei Jahre ist das jetzt her, und Mutter Heidrun hat Tränen in den Augen, wenn sie daran denkt.

Erst wenige Monate vor dem Unglück war bei Christian ein schwerer Herzfehler entdeckt worden. „Bis dahin hatten wir nichts bemerkt.“ Als der Junge eines Tages über Bauchweh klagte, schickte sie der Arzt ins Krankenhaus. So war Heidrun Eisenberg dabei, als Christians Atmung plötzlich aussetzte, die Arzte Herzdruckmassage machten. „Da wusste ich: Etwas Schreckliches ist passiert.“

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Offene Trauer. Heidrun Eisenberg aus Handeloh zündet eine Kerze für ihren toten Sohn Christina (6) an. Daneben steht sein Lieblingsplüschtier, der Löwe Simba.

Nach Christians Tod lebte Heidrun Eisenberg zwei Leben. Äußerlich war sie ruhig und gefasst, tröstete ihren Mann und die neunjährige Tochter Maren, ging arbeiten.  Doch innerlich war sie völlig verzweifelt. „Ich weinte allein, zog mich zurück, konnte nicht darüber reden.“
Erst in der Selbsthilfegruppe des Vereins Verwaiste Eltern lernte sie über ihren Schmerz zu sprechen. „Dort muss man keinem etwas erklären, alle haben Kinder verloren.“ In über 370 Selbsthilfegruppen bundesweit versuchen die trauernden Angehörigen, ihren Verlust zu verarbeiten.

Auch bei Marion Fitzner (56) in Winsen/Luhe brennt heute eine Kerze im Wintergarten. „Dieser Tag gehört meiner Tochter Iris. Sie starb mit 28 vor acht Jahren plötzlich an Leukämie.“ Zurück blieben ihre einjährige Tochter, ihr Mann und ihre Eltern. „Es tut gut zu wissen, dass heute überall auf der Welt Lichter für tote Kinder brennen“, sagt Mutter Fitzner. Im Fenster von Pirko Lehmitz (35) in Hamburg leuchtet ein Licht für Tobias. Der Junge starb vor fünf Jahren bei der vorzeitigen Geburt in der 24. Schwangerschaftswoche. „Für mich ist öffentliche Trauer besonders wichtig, denn für viele in meiner Familie existiert Tobias überhaupt nicht. Aber ich werde meinen Sohn nie vergessen.“ Eine Stunde lang hatte sie ihren toten Sohn im Arm gehalten. Er war wunderschön.“ Wo immer heute eine Kerze im Fenster flackert, setzen Menschen ein Zeichen, dass ihre toten Kinder in den Herzen weiterleben