Glücklicherweise mußte ich Tobias beerdigen

Ich nachhinein muß ich Tobias dankbar sein, dankbar, daß er 46 g mehr als 500 g gewogen hat. Erst ab 500 g besteht eine Beerdigungspflicht von totgeborenen Kindern. Ich weiß nicht, ob ich selbst die Kraft gehabt hätte, sonst die richtige Entscheidung zu treffen, nämlich auch dann mein Kind zu beerdigen. Die ersten Wochen nach der Geburt von Tobias war ich zu nichts zu gebrauche, jedenfalls zu nichts, was mich selber betraf. So hatte ich keine Entscheidung und eine Woche nach Tobias Geburt meldete sich das Krankenhaus bei mir und fragte, ob ich mich schon um die Beerdigungsformalitäten gekümmert hätte, was ich verneingrabosternte.

Formalitäten wurden in kaum mehr als 20 Minuten abgewickelt

Jetzt mußte ich mich darum kümmern. Leider hatte ich auch hier wieder wenig Glück und geriet an eine Bestatterin, die alles standardmäßig abwickelte. Die ganze Sache dauerte vielleicht 20 Minuten. „Wollen sie eine Erd- oder Feuerbestattung? Die Feuerbestattung ist teuer und wird noch einige Wochen dauern.“, „Bei Kindern haben wir nur einen kleinen weißen Sarg.“ „Haben sie etwas zum Anziehen?“, „Wollen sie etwas mit hineinlegen“ usw. Immer wenn ich zögerte mit der Antwort, antwortete sie für mich mit nein und trug es in ihren Bogen ein. Rückblickend hätte ich mir hier eine bessere Beratung gewünscht. Was es für Möglichkeiten gibt: Kleidung, eigener Sarg usw. Auch mir mehr Zeit zu geben, mich zu ermutigen. Nein, völlige Fehlanzeige.

Die Beerdigung war, als müßten wir eine Niederlage zu Grabe tragen,

Dadurch, daß ich mich nicht um die Beerdigung zunächst gekümmert hatte, fand sie fast 3 Woche nach dem Tod von Tobias statt. Ich ging inzwischen wieder arbeiten und alle taten so, als wenn nichts gewesen wäre. Alle vermittelten mir, es sei doch nicht so schlimm und das mache man mit sich selber aus. So traute ich mich noch nicht einmal einen Pastor zu fragen, ob er Tobias beerdige, da Tobias ja nicht getauft werden konnte. Ich hatte Angst, er würde kopfschüttelnd ablehnen. So wagte ich auch nicht, andere zur Beerdigung einzuladen. Es kamen nur unsere Mütter mit. Im Büro erklärte ich, daß ich morgen nicht kämen, da die Beerdigung sei. Kein Kommentar, so als hätte ich gesagt, ich bin morgen beim Zahnarzt. Einem Freund mit dem ich noch am Vortag telefonierte, fragte tatsächlich, wer denn beerdigte würde…

Verschämt, als müßten wir eine Niederlage zu Grabe tragen, hatten wir sie hinter uns gebracht. So, wie es eben viele erwartet haben: In aller Stille, ohne jegliches Aufsehen. Ich höre noch die Bestatterin: “Machen sie es gleich morgens, dann haben sie es hinter sich.” Und so wurde die Beerdigung um 10 Uhr angesetzt. Es verlief alles ganz stumm. Niemand sagte etwas und es dauerte keine 10 Minuten. Auch als wir die Mütter nach Hause brachten und noch zu meiner Mutter gingen – „Ja so früh können wir ja noch nicht zum Griechen Essen gehen“ – wurde natürlich nicht über Tobias gesprochen. Wenn ich gegangen wäre mit den Worten, ich müsse noch ins Büro, hätte niemand etwas dagegen gesagt.

Aber auch danach mußte ich mir noch anhören: „Mit der Beerdigung, mußte das denn sein?“ und als ich später erklärte, ich hätte doch gerne meine Freund dabei gehabt, erklärte mir ein Freund, wieso, er hätte unser Kind doch gar nicht gekannt…

Aber ich bin so glücklich, daß ich wenigstens ein Grab habe

Aber ich bin so glücklich, daß ich wenigstens ein Grab habe. Ich kann mir gar nicht vorstellen, was wäre, wenn ich nicht wüßte wo Tobias geblieben wäre. So weiß ich, er liegt bei meinem Vater auf einem wunderbaren kleinen Gemeindefriedhof in einem Vorort von Hamburg.

Ich bin immerwieder gerne in Großhansdorf am Grab von Tobias. Gerade am Anfang war für mich dort der Ort, wo Tobias einen Namen hatte und ich sehen konnte, daß es kein bloßer Alptraum war.

Die Jahreszeiten am Grab

Da ich aus meiner Kindheit gute Erinnerungen hatte an Großhansdorf, mein Vater hat mich immer mitgenommen, wenn er das Grab seiner Eltern pflegte, war es für mich klar, daß auch Tobias, bei seinem Großvater und Urgroßeltern begraben wird. Mir tat es einfach gut, daß es dort einen Ort gibt, an dem ich mal etwas handgreifliches tun kann, eine Blume pflanzen, etwas Selbstgemachtes, wie z.B. Windrädern, dort aufzustellen. Gerade zu den Feiertagen schmücke ich das Grab und es gab mir gerade im ersten Jahr die Kraft, diese Tage besser zu überstehen. Da es fast eine Stunde mit dem Auto entfernt von uns ist, gehe wir nicht so oft dorthin. Für uns ist es dann immer ein Familienausflug. Inzwischen haben wir sozusagen unsere festen Zeiten: Wenn das Grab wieder abgedeckt wird, dann räume ich die Weihnachtssachen weg und pflanze die erste Blumen. Vor Ostern wird das Grab österlich geschmückt. Wenn wir nicht gerade im Urlaub sind, kommen wir natürlich zum Geburtstag und bringen auch immer etwas mit. Aus dem Urlaub wird auch etwas mitgebracht. Am ersten Advent wird dann alles weihnachtlich geschmückt und ganz wichtig ist, daß wir am Heiligabend hinfahren, um eine Kerze anzuzünden.

© Pirko Lehmitz, www.Stillgeboren.de Februar 2005