Alle Beiträge von Pirko Lehmitz

Gedanken zur Adventszeit

Ellen Ringhausen, Pastorin
Seelsorgerin in der Kinderklinik Lüneburg

In einer Reihe von Kirchen finden in diesen Wochen vor Weihnachten Gedenkgottesdienste für verwaiste Eltern und ihre Angehörige statt. Da wird in besonderer Weise der verstorbenen Kinder gedacht, die in diesem Jahr und in den vergangenen Jahren verstorben sind. Alle, die sich versammelt haben, sind von der Trauer gezeichnet, daß sie nicht mehr sagen können: „Mein Kind lebt und es geht ihm gut”, sondern: “Es ist tot und es fehlt mir immer wieder so sehr.”

Da werden wir Fotos von der Tochter und dem Sohn im Wohnzimmer aufstellen und uns immer wieder daran erinnern, wie unser Kind herumsprang und fröhlich war. Aber wir können uns gegenseitig nichts mehr erzählen und nichts mehr miteinander erleben. Wir nennen den Namen und vermissen es immer wieder aufs Neue. Rätselhaft und grausam erscheint uns Gott, der uns allen das Leben schenkt, aber dann doch Kinder sterben läßt, auf die wir gewartet, über deren Geburt wir uns gefreut haben. Und dann mußten wir fassungslos erleben, daß sie keine Kraft zum Weiterleben mehr bekamen

Als einstmals die Israeliten als Sklaven in Babylon fern der Heimat leben mußten, waren sie verzweifelt und hatten alle Hoffnung auf eine Rückkehr und auf Gottes Hilfe verloren . Doch da fängt der Prophet Jesaja im Auftrage Gottes zu reden an.

‘Ich will die ehernen Türen zerschlagen und die eisernen Riegel zerbrechen und will dir heimliche Schätze geben und verborgen Kleinode damit du erkennst, daß ich der Herr bin, der dich beim Namen ruft, der Gott Israels.”( Jesaja 45. Vers 2) Gott will uns vorangehen, dort, wo uns der Weg versperrt ist, wo wir ausgesperrt oder eingesperrt werden. Mit ihm werden wir Kostbarkeiten finden und wieder glauben lernen, daß wir ihm wertvoll sind.

In dem Buch von Anselm Grün “ 50 Engel für das Jahr”, stieß ich zu meiner Überraschung auf den Engel der Trauer. Kann denn ein Engel der Trauer einem traurigen Menschen etwas Gutes bringen? Ist er nicht selber stumm und kraftlos? Amselm Grün schreibt: ”Der Engel der Trauer kann Dich nicht vor dem Schmerz bewahren…. Aber Du kannst gewiß sein, daß Du nicht allein bist mit Deinem Schmerz, daß der Engel der Trauer Dich darin begleitet und daß er Deinen Schmerzen neue Lebendigkeit verwandeln wird”. Ich möchte hinzufügen: ”Auch wenn Du Dir das jetzt noch gar nicht vorstellen kannst” Vielleicht sind das dann die mitfühlenden Worte der Nachbarn und eines Tages die Erkenntnis, daß der Tod ihres Kindes ihnen die Augen geöffnet hat für das Leid eines anderen Menschen.

Als der Theologe und Pfarrer Karl Barth einen Tag vor seinem Tod mit einem Freund telefonierte, sagte er: “Ja, die Welt ist dunkel. Aber es wird regiert vom Himmel her… Gott läßt uns nicht fallen. Es wird regiert” Das war sein letztes Wort in seinem Leben

Die Engel an Weihnachten bringen diese Botschaft von Gottes Herrschaft: ”Euch ist heute der Heiland geboren. In Jesus Christus wird uns das neue Leben geschenkt.

Wo ist Gott, wenn ein Kind stirbt?

von Reinhard Behnke

Ich bin bescheidener geworden. Der Gott, an den ich glaubte, hat im Kinderkrankenhaus Federn gelassen: die Allmachtsfeder, die Wunderfeder, die Es-wird-immer-alles-gut-Feder. Allmacht und Wunder — das waren für mich so etwas wie Markenzeichen im guten Sinn. Ich hatte sie — so war das nun mal aus den biblischen Geschichten übernommen, ohne daran zu denken, daß der Gott jener Menschen, die hier ihre Erfahrungen erzählen und deuten, mir ganz anders begegnen könnte. Die Wunder, die ich Gott zutraute, hatte ich mir ausgedacht. Die Allmacht, die ich ihm zuschrieb, sollte meine Ohnmacht auffangen. Warum auch nicht? Das geht vielen so.

Nur: Ich habe nicht erlebt, daß Gott meine Wunder tat, und auch nicht, daß er meine Ohnmacht mit Macht aufwog. Im Gegenteil:

Eltern forderten mich auf, mit ihnen gemeinsam für ihr Kind zu beten. Wenig später starb es. Gern hätte ich ein Wunder erlebt. Statt dessen kam, wie befürchtet, der Tod. Gern hätte ich Gottes Allmacht erlebt: ER — gewiß stärker als der zu schwache Herzmuskel des Mädchens. Statt dessen erlebte ich meine Ohnmacht und die der Eltern.

»Meine Gedanken sind nicht eure Gedanken, und eure Wege sind nicht meine Wege, spricht der Herr.« Das sind Sätze aus dem Buch des Propheten Jesaja. Ich schenke ihnen Glauben, wenn sie auch bitter schmecken, denn sie passen zu dem, was ich erfahre. Ich frage: Gott, was für Gedanken hast du denn, und welche Wege gehst du? Gott, ich werde nicht schlau aus dir.

Manchmal sehe ich ein neugeborenes Baby, das sterben muß. Entkräftet liegen seine Arme zu beiden Seiten, und ich denke:

wie Jesus am Kreuz. Die Augen leer. Kein Lebenswille, den ich sehen könnte. Gottverlassen — so sieht es aus. Ich glaube, so was hat Jesus von Nazareth auch erlebt. Ich war nicht dabei. Aber ich fühle mich an ihn erinnert. Wir haben ja alle eine Ahnung vom Tod. Es scheint mir, als stürbe er erneut mit jedem Kind, das nicht leben kann. Wegbegleiter im Tod. Grenzgänger in ein »Land«, das uns nicht offensteht, solange wir leben. Eltern nicht, mir nicht, niemandem. Und nicht nur, daß wir allein zurückbleiben: Es gibt auch kein Verhandeln. Der Tod läßt sich nicht umstimmen, auch nicht bestechen von der Medizin. Es gibt keine Kompromisse. So erlebe ich es.

Deshalb glaube ich nicht mehr an Wunder, obwohl ich es mitunter immer noch gern würde. Wo sich Wunder zu ereignen scheinen und andere Menschen daran glauben, lasse ich das gelten. Was auch sonst? Aber ich rechne nicht mit ihnen. Das ist natürlich leichter gesagt als getan. Es ist wirklich mühsam. Ich bin Theologe und Pastor, und mitunter ist meine Enttäuschung über meinen wunderlosen und machtlosen Gott groß. Ich neige dann dazu, die Menschen der Bibel als unaufgeklärt zu sehen und ihren Gott als Einbildung.

Mein eigener Allmachtsgott von früher hat sich ja schon als Einbildung erwiesen. Zumindest vertraue ich ihm nicht mehr. Aber dennoch ist es damit nicht getan. Warum, weiß ich auch nicht genau. Jedenfalls empfinde ich ein argloses Vertrauen in den Momenten, in denen ein Kind stirbt. Ich spüre den Impuls, es zu entlassen, ihm »seinen« Weg zu lassen, aus Respekt und im Vertrauen darauf, daß Jesus, der Gekreuzigte, von dem seine Freunde sagten, er sei auferstanden, ihm ein erfahrener Wegbegleiter ist. Weil dies Vertrauen in mir ist, glaube ich seinen Freunden.

 

Einsendungen Glaube

Mein kleines Bärchen,
ehe es Dich gab, da machte mir der Tod Angst,
heute bin ich mir sicher, dann zu Dir zu gehen.
Ehe es Dich gab, da glaubte ich nicht daran, daß es zwischen Himmel und Erde etwas gibt,
doch Du hast mich davon überzeugt, da ist mehr, als wir jemals erahnen können.
Schon als ich Dich zum ersten Mal in den Armen hielt, da wußte ich, Du bist zur Besuch,
doch als Du dann gegangen warst, da habe ich lange und oft noch gespürt.
Bevor ich Dich kannte, frage ich mich oft nach dem Sinn des Lebens,
ich fragte mich besonders oft danach, warum so manche Dinge passieren,
es könnte doch keinen Gott geben, der Böses zuläßt, warum tut er das.
Heute weiß ich, daß wir daraus lernen sollen, und daß alles Böse etwas Gutes nach sich zieht.
Als Du gingst, da wollte ich mit Dir gehen, ich war schwach,
heute bin ich stärker, denn Du bist immer bei mir.
Und ich weiß, daß auch ich und meine Wünsche etwas wert sind, auch wenn sie noch immer nicht
von allen respektiert werden, doch ich glaube, es war der Sinn in Deinem
kurzen Leben, mir das zu zeigen.
Wärest Du nicht gestorben, wir hätten Deine beiden kleinen Schwester
vielleicht niemals kennengelernt,
dennoch vermisse ich Dich noch immer ganz, ganz dolle, obwohl Du immer bei
mir sein wirst.

Anja Schröder in Erinnerung an ihren Sohn Jannik

Gott kennt die Ängste unseres Herzens,er
weiß um unseren innersten Schmerz.
Und er kennt die Trauer,dir uns beim Abschied von einem geliebten Menschen
erfüllt.

Gott weiß aber auch,wie stark und mutig
unser Herz sein kann.Vielleicht hat er uns diese Last,an der wir so schwer
tragen,auferlegt,damit sich alle unsere inneren Kräfte mobilisieren;oder er
will
uns dadurch neue,
bisher verborgen gebliebene Wege führen;
vielleicht kann er über unser Leid Zugang zum Herzen eines anderen finden,
oder er hat uns damit eine Aufgabe zugedacht,deren Erfüllung uns zu jenem
Maß an innerer Reife führt,
das wir sonst niemals erreichen könnten.

Petra N. und Marco d. F

Mein Mann und ich sind seit mehreren Jahren Christen, und der Tod unseres kleinen Sohnes Marlon in der 39. SSW hat uns natürlich vor viele Fragen gestellt und das Bild, dass wir bis dahin von Gott hatten, in Frage gestellt.  

Ich glaube, dass man natürlich auf Gott wütend sein darf,   und dass Gott das versteht. Eigentlich ist alles, was ich bis zum 17.11.2001 geglaubt habe (an diesem Tag wurde unser Marlon geboren),  was ich für die Wahrheit oder für Gottes Willen und sein Wesen gehalten habe, seit diesem Tag erschüttert. Doch das Einzige, dessen ich mir sicher bin, ist dass Jesus lebt und dass er für uns gestorben und wieder auferstanden ist,  auch für Marlon!  Deshalb bin ich überhaupt noch am Leben, weil ich weiß, dass das die Wahrheit ist und dass Marlon lebt und wir eines Tages zusammensein werden. Wenn ich das nicht wüßte, hätte ich mein Leben bestimmt beendet, nachdem ich wußte, dass Marlon nicht mehr lebt, denn dann wäre es leichter gewesen, damit zu sterben als damit zu leben! 

Ich bin sehr, sehr wütend auf Gott und verstehe überhaupt nicht, wie er das zulassen konnte, aber dadurch, wie unsere Umstände sind, verändert sich die Wahrheit nicht, und die ist, dass Jesus lebt, und alle diese Babies, die hier auf dieser Seite genannt sind, bei ihm LEBEN! 

Ich stelle mir manchmal vor, wie die Babies dort zusammen spielen und lachen, und es tut so weh, Marlon hier niemals lachen sehen zu können. Aber eines Tages werde ich ihn sehen! 

– Und Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen, und der Tod wird nicht mehr sein, noch Leid, noch Geschrei, noch Schmerz… – (Offenbarung 21, 4) 

Birgit Schweda

Der Trost des christlichen Glaubens

von Peter Godzik

Religiöse Menschen werden in ihrer Trauer Zuflucht bei Gott suchen und ihr Kind aufgehoben wissen bei Gott. Er ist es, der es gegeben und wieder zu sich genommen hat. Durch allen Schmerz und alle Traurigkeit hindurch kann das unbedingte Vertrauen auf seine Güte und Hilfe einen tragenden Grund bilden. Denn: »Unsere Kinder sind nicht unsere Kinder« (Kahlil Gibran). Sie gehören einer Lebens- und Liebesgeschichte, die Gott mit ihnen vorhat.

Gott kennt und erwählt uns, noch ehe wir geboren werden: “Da ich noch nicht geboren war, da bist du mir geboren und hast mich dir zu eigen gar, eh ich dich kannt, erkoren”.

(Evangelisches Gesangbuch 28,2). Er ruft uns ins Dasein, indem er uns Eltern anvertraut, die durch eine bestimmte Form der Liebe gezeigt haben, daß sie eins miteinander sind und bereit, ein Kind zu empfangen.

Manchmal gibt Gott Leben auch in eine schwache, gefährdete und lieblose Beziehung. Er will damit nicht noch mehr belasten oder gar zerstören, sondern segnen und heilen. Das heranwachsende Kind übermittelt dann jene Botschaft, wie wir sie aus der Josefsgeschichte kennen: »Ihr gedachtet es, böse mit mir zu machen, aber Gott gedachte es gut zu machen« (1. Mose 50,20). Deshalb finde ich es so wichtig, die heranwachsende Leibesfrucht in jedem Fall als Gabe des Herrn (Psalm 127,3) zu achten und zu schützen. Wir werden von Gott gebildet im Mutterleib (Psalm 139,13) für ein Leben in dieser Welt in der Gemeinschaft mit anderen Menschen. Manchmal geschieht es, daß ein im Mutterleib heranwachsendes Kind nicht in dieses Leben hinein geboren wird, sondern von Gott zu sich gerufen wird in seine himmlische Herrlichkeit. Dort lebt und wächst es weiter in einer für uns verborgenen Weise. Es dient Gott, nicht uns mit seinen Gaben.

In früheren Zeiten haben Künstler deshalb die Altäre in den Kirchen mit vielen Kindergesichtern umgeben. In Zeiten hoher Kindersterblichkeit wollten sie damit die Eltern trösten und ihnen zeigen, daß ihre Kinder leben und eine Aufgabe haben bei Gott. Der frühe Tod eines Kindes kann viele Gründe haben. Gründe, die wir nicht verstehen und niemals verstehen werden. Aber auch Gründe, die sich allmählich unserem Verstehen aufschließen und die wir vielleicht eines Tages annehmen können.

Es tut weh, wenn ein erwartetes Kind nicht in unsere Arme hinein geboren wird und bei uns aufwachsen darf; wenn wir es hergeben müssen, noch ehe es geatmet hat. An seinem toten Körper können wir die Spur jenes »Hauches von Leben« entdekken, den es in dem uns unzugänglichen Raum des Mutterleibes gehabt hat. Es ist — vielleicht auch mit Gefahr und Ängsten, wie Luther einmal vom Sterben allgemein gesagt hat — geboren worden in das Leben vor Gott, das auch auf uns wartet, wenn wir unseren irdischen Weg vollendet haben.

Es hinterläßt mit seinem kurzen Dasein eine Botschaft, die es für uns zu entschlüsseln gilt. In unserer Trauer geht es nicht um das, was vielleicht noch hätte sein können und was wir von diesem Kind alles erwartet haben; sondern darum zu verstehen, was Gott uns mit all dem sagen will — ganz ähnlich wie in der Geschichte der Emmaus-Jünger, die auch traurig waren über den Tod Jesu und erst nicht verstanden haben, warum das alles geschehen mußte und was Gott ihnen mit diesem schmerzlichen Erlebnis an heilsamer Liebe geschenkt hat (Lukas 24,13-35).

Jedes Kind wird geboren und lebt — entweder in der himmlischen Welt bei Gott, geborgen in einem Frieden, den wir ihm nicht zu geben vermögen; oder in dieser irdischen Welt bei seinen Eltern, ihrer Obhut und Fürsorge anvertraut, den Gefährdungen und Möglichkeiten des Lebens ausgesetzt, aufwachsend unter dem Segen Gottes, der allein gibt, daß Leben gedeihen kann: »… der uns von Mutterleib und Kindesbeinen an unzählig viel zugut und noch jetzund getan« (EKG 228,1).

Ansprache zum “Gedenkgottesdienst für verstorbene Kinder” Frankfurter Kirchentag, 15. Juni 2001

von Kristiane Voll

Liebe Mitmenschen! Und ganz besonders: Liebe Mütter, Väter, Geschwister und Familienangehörige, die Sie undKirchentag Ihr um ein verstorbenes Kind in Ihren Familien trauern!

Zu Beginn dieses Gottesdienstes haben wir Klagen gehört. Klagen zu können und zu dürfen ist auf den ganz unterschiedlichen Wegen durch die Trauer lebenswichtig. Denn Klagen gibt dem Schmerz Raum und Ausdruck. Das zu haben, ist all´ zumal für trauernde Eltern, Geschwister und Menschen aus ihrem nächsten Umfeld wichtig, denn für sie ist die Trauer um den Tod eines Kindes eine dunkle und zutiefst schmerzliche Zeit. Das auszuhalten und zu ertragen, erfordert äusserste Kraftanstrengung.

Trauernde, Traurige, Verzweifelte erleben sich oft wie auf Wüstenwegen. Der Verlust – der Tod des vertrauten, geliebten Menschen – der Tod eines Kindes – hat aus einer bewachsenen, blühenden Landschaft eine Wüste werden lassen. Und dort nun – in dieser unbekannten, unwirtlichen Gegend – in der Wüste – müssen sie einen Weg finden.

Durch Wüste zu gehen, macht Angst. So viel Angst, dass man einfach nur fliehen möchte. Und doch tut es not, diesen Weg durch die Wüste zu gehen, weil wir nur so das Gewesene wahrnehmen und neues Leben entdecken können.

Wüstenzeiten sind harte Zeiten. Sie bedeuten ein beständiges Suchen nach der verschütteten, verborgenen Lebensader. Gibt es sie überhaupt noch – diese Lebensader? Die Wüste lässt oft daran zweifeln, weil es kaum Zeichen von Leben gibt und das Vertraute fehlt.

Wie soll ich leben ohne mein Kind? – Ohne meine Schwester? – Ohne meinen Bruder? Was ist das für ein Leben? Wo blühendes, wachsendes Leben war, spüre ich plötzlich Leere. Das Leben wird zur Wüste.

Durch diese Wüste einen Weg zu finden, kostet unendlich viel Kraft. Es ist härteste Arbeit. Es braucht enorme Anstrengungen, gegen Sand und Wind, gegen Durst und Erschöpfung, zu kämpfen und den Weg zur nächsten Zisterne zurückzulegen. Die brütende, lähmende Hitze am Tag, die klirrende Kälte der Nacht, das Gefühl der ohnmächtigen Winzigkeit inmitten einer grenzenlosen Weite kosten Kraft und führen nicht selten an die Grenzen dessen, was möglich ist. Inmitten der Not und der Entsagung werden jeder Tropfen Wasser, jeder kleine Schattenfleck kostbar.

Manche sagen: “Die Wüste lebt.”, aber das dringt kaum in das Bewusstsein derer durch, die am Anfang ihrer Wüste stehen. Es braucht Zeit, dafür ein Gespür und einen Sinn zu bekommen. Es braucht Zeit, um sich in der Wüste zurecht zu finden und sie als einen Ort des Lebens – als einen Ort des verborgenen, unscheinbaren Lebens zu entdecken.

Ich möchte uns dazu eine kleine Geschichte erzählen, die davon auf ihre Weise etwas zum Ausdruck bringt:

Ein Fluss wollte durch die Wüste zum Meer. Aber als er den unermesslichen Sand sah, wurde ihm Angst, und er klagte: “Die Wüste wird mich austrocknen, und der heisse Atem der Sonne wird mich vernichten.” Da hörte er eine Stimme, die sagte: “Vertraue dich der Wüste an.” Aber der Fluss entgegnete: “Bin ich dann noch ich selber? Verliere ich mich nicht?” Die Stimme antwortete: “Nein, du wirst dich nicht verlieren.”
So vertraute sich der Fluss der Wüste an. Wolken sogen ihn auf und trugen ihn über die heissen Sandflächen. Als Regen wurde er am anderen Ende der Wüste wieder abgesetzt. Und aus den Wolken floss ein Fluss – der Fluss, neu und verändert und doch zugleich auch der gleiche.
(nach Gerhard Eberts, gefunden in: Elsbeth Bihler, Symbole des Lebens – Symbole des Glaubens II, Limburg 1998, 16)

Trauer – die Trauer um ein verstorbenes Kind – ist wie der Weg des Flusses durch die Wüste. Der Fluss hat Angst – grosse Angst. Er klagt und zaudert. Die Angst, sich ganz und gar zu verlieren, ist übermächtig.

Der Fluss braucht Zuspruch, um sich auf das Wagnis seines Weges einzulassen. Auf diesem Weg verändert und verwandelt er sich, und doch bleibt er auch er selbst. Eine schwer vorstellbare Erfahrung: wie soll das gehen? Ich glaube, diese Erfahrung erschliesst sich erst im Erleben. Sie ist mit Worten nicht wirklich zu beschreiben und verständlich zu machen. Ein klein wenig vermag vielleicht die Geschichte davon anzudeuten.

So wie der Fluss Zuspruch und Ermutigung braucht, so brauchen gerade auch trauernde Familien Zuspruch und Begleitung. Auf den Wüstenwegen durch die Trauer ist es unendlich wichtig, Momente des Trostes zu erleben: Eine entgegen gestreckte Hand, eine Umarmung, ein freundliches Wort, die Ermutigung, zu erzählen, ein verständnisvoller Blick können solche tröstlichen Momente sein. Sie sind Lebenszeichen in der Wüste und helfen, den schweren Weg zu gehen.

Die Flussgeschichte erzählt, dass der Fluss sich am Ende der Wüste wiederfindet – neu findet und dass er Leben findet.

Leben finden – Hoffnung auf Leben entdecken: Als betroffene Schwester weiss ich, dass das für viele trauernde Mütter und Väter, für trauernde Brüder, Schwestern und Familienangehörige häufig etwas Schweres, etwas Unwirkliches ist. Im Wissen darum möchte ich mit ein paar Sätzen von meiner Hoffnung erzählen.

Ich vertraue darauf, dass es Gott gibt – dass er da ist, wenn ER mir auch oft unendlich fern scheint.
Und ich vertraue darauf, dass Gott stärker ist als der Tod. Ich glaube, dass er Leben schenkt – Leben auch jenseits des Todes. Es gibt Erfahrungen, die mich in diesem Glauben bestärken; und es gibt Worte, die diesem Vertrauen einen Grund geben. Ein biblischer Vers, der mich hier besonders anrührt und stärkt, steht beim Propheten Jesaja: “Wie ich strömenden Regen über verdurstendes Land ausgiesse, so giesse ich meinen Lebensgeist über dich aus.” Amen.

Friedhof

Eure Zuschriften sind hier gewünscht

Auf dVogelblauemail2ieser Seite plane ich eine Rubrik „Friedhof“. Dort möchte ich unter anderem Berichte von Euch veröffentlichen. Berichte über 

1.gab es Schwierigkeiten im Hinblick auf eine Bestattung?

  • z.B. weil Fehlgeburt unter 500 g.
  • Oder Unverständnis durch Freunde, Familie

2.die Trauerfeier, Beerdigung Eure Sternenkinder

  • Wie habt Ihr die Feier oder auch den Sarg ö.ä. gestaltet
  • Wurdet Ihr durch Familie, Freunde, Seelsorger unterstützt?
  • Wie habt Ihr Euch dabei gefühlt?
  • Gab es Traueranzeigen?
  • Habt Ihr Bilder?

3.über die Gestaltung des Grabes Eures Sternenkindes

  • Wie sieht das Grab bzw. Grabstein aus?
  • Wie schmückt Ihr es ?
  • Habt Ihr Bilder

4.welche Bedeutung hat das Grab für Euch?

  • Wann und wie oft besucht Ihr es?
  • Geht Ihr alleine, oder auch mit anderen?
  • wie geht Ihr mit Geschwisterkinder und dem Grab um?

5.diejenigen, die kein Grab ihres Sternenkindes haben

  • weil sie niemand danach fragte, aufklärte über die Möglichkeiten
  • weil sie ihr Sternenkind annonym bestatten wollten
  • welches Gründe hattet Ihr?
  • Wie geht es Euch damit?
  • Was hättet Ihr Euch damals gewünscht.
  • Gab es eine Feier des Krankenhauses oder einer anderen Organisation?
  • Wie geht Ihr mit den Feiertagen um?

Diese Fragen dienen nur als Anregung zum Schreiben. Ihr könnt auch unabhängig davon ganz das Schreiben, was Ihr hier anderen mitteilen wollt. Vielen Dank für Eure Einsendungen.

Einführungstext Friedhof

Vieles hätte ich heute anders gemacht

Bestattung

Seit langen habe ich diese Rubrik Friedhof geplant und jetzt endlich bin ich dabei, sie umzusetzen. Erst beim Schreiben meines eigenen Berichts über die Beerdigung von Tobias wurde mir bewußt, wie schlecht dies damals wirklich abgelaufen ist und was ich heute mit meinem Wissen anders gemacht hätte. Eine ganze Menge. Aus diesem Grund liegt mir auch diese Rubrik so sehr am Herzen. Ich hoffe, Betroffene können noch bevor sie wesentliche Entscheidungen treffen, sich hier informieren und andere werden ermuntert Betroffene besser als ich es wurde zu beraten und zu begleiten.

Ja, was hätte ich anders gemacht. Zunächst hätte ich Tobias gerne selbst gebadet und angezogen. Mit seinen 32 cm war er sicher noch etwas klein, aber in einen Frühchenstrampler hätte er bestimmt schon hineingepaßt. Heute weiß ich nicht, was er im Sarg anhat. Besonders schön finde ich daher die Idee von Rita Schäfer, die für Kleinstbabys Totengewänder näht. Da ich handwerklich nicht ungeschickt bin, hätte ich auch gerne den Sarg selber gebaut und verziert. Später habe ich gemerkt wir gut es mit tat, irgendwas zu machen. Viele Sachen, die auf dem Grab standen, wie z.B. Windräder habe ich selbst gemacht.

Auch die Beerdigung selber hätte ich mir anders gewünscht. So wie am ersten Geburtstag, hätte es mir gut getan, wenn alle unsere Freunde dabeigewesen wären. Nur so hätten sie zumindest etwas verstehen können, was passiert ist. Und ich hätte mir ein kirchliche Trauerfeier gewünscht, die auf die Besonderheit, das hier ein Baby gestorben ist, Rücksicht genommen hätte. Perfekt wäre natürlich auch noch ein schönes Ritual, vielleicht etwas, was jeder mit nach Hause nehmen hätte können. Naja, im Nachhinein hätte ich mir so vieles gewünscht und nun bin ich wenigstens froh,ein Grab zu haben, was ja leider nicht selbstverständlich ist.

Gräberfelder

Wenn ich mir vorstellen würde, Tobias wäre nicht beerdigt worden, so wäre dies für mich persönlich eine grausame Vorstellung. Ich selber kenne zwei Mütter, die nicht wissen, was aus ihrem Kind geworden ist. Die eine wurde gar nicht erst gefragt, ob sie es beerdigen lassen möchte. Offenbar konnten sich die Mitarbeiter im Krankenhaus nicht vorstellen, daß man auch ein Kind, das in der 16 SSW geboren wurde, beerdigen lassen möchte. Die andere wurde zwar gefragt, doch kurz nach der Geburt war es ihr gar nicht bewußt, sie wichtig dies noch für sie sein könnte. Beide haben es sehr bedauert. Dies geschah 1997. Inzwischen werden zumindest hier in Hamburg meines Wissens aus allen Krankenhäusern die Babys beerdigt, entweder durch das Krankenhaus selbst, oder aber in einer gemeinsamen Feier vier mal im Jahr in Öjendorf. So haben auch die Eltern, die sich nicht für ein eigenes Grab entschieden habe, aus welchen Gründen auch immer, einen Platz wo ihre Kinder liegen. Es gibt mehre Sammlungen, wo solche Gräberfelder aufgelistet sind. Von einigen habe ich Berichte gesammelt.

Grabgestaltung

Aber warum kann ein Grab so wichtig sein. Nicht nur, weil man weiß, wo sein Baby liegt, sondern auch weil man einen Ort hat, wo man seine Trauer hintragen kann, einen Ort, wo der Name, der sonst so wenig Beachtung findet, steht. Man kann etwas für sein Kind tun, nämlich das Grab bepflanzen und es schmücken, was gerade an Feiertagen (Geburtstagen, Weihnachten, Ostern) so hilfreich ist.

Bestattungsrecht

Wenn auch wenig, so gibt es aber immer noch die Meinung, nur Babys mit einem Mindestgewicht von 500 g können bestattet werden. Richtig ist, daß diese Kinder zwingend bestattet werden müssen. Doch tatsächlich können alle Babys bestattet werden. Aus diesem Grund habe ich versucht, die wichtigsten Gesetzestexte zusammenzustellen. Außerdem habe ich, alles was sonst mir noch wissenswert erschient dort gesammelt.

Wer darüber hinaus noch Fragen hat oder noch selbst etwas schreiben möchte, der kann mir gerne mailen, denn diese Seite lebt von Euren Hinweisen und Berichten. Vielen Dank.

© Pirko

Abschiedsritual

Nach fast zwei Jahren hieß es nun Abschied nehmen. Aber zwischenzeitlich waren wir ja Profis geworden im Abschied nehmen. Unsere Babygruppe, wir alle hatten ein Kind in der Schwangerschaft oder kurz nach der Geburt verloren, bestand fast zwei Jahre. Zusammen sind wir gemeinsam durch die tiefsten Täler und die größte Dunkelheit gegangen, aber auch gemeinsam im hellen Sonnenschein. Wir haben gemeinsam geweint, aber auch gemeinsam viel gelacht. Jeder wurde von der Gruppe aufgefangen.

Es war kein einfacher Weg, den wir gegangen waren. Wir und auch    Gabi hat es uns nie leicht gemacht. Dafür haben wir aber viel geschafft – eben Trauerarbeit geleistet – und so viel bekommen. Viele Themen haben wir dabei erarbeitet: “Glaube”, “unsere Mütter und unser Mutter- bzw. Vatersein”, “Geschenke unserer Kinder”, “Die Wichtigkeit von Rituale” und einiges Mehr.

Auch außerhalb der Gruppe waren wir viel zusammen. Wir haben die ersten Geburtstage unserer gestorbenen Kinder begangen.

Inzwischen waren 7 Folgebabys geboren. Die ganze Gruppe hat die Schwangeren durch ihre Ängste getragen, aber auch die Freude nach den Geburten geteilt.

Aber nun im Oktober 1999 wollten wir unseren Abschied feiern. Ja, von was eigentlich? Sicher nicht von unseren Kindern, denn die werden immer in unseren Herzen bleiben. Jeder nahm persönlich von etwas Abschied: Von dem Schmerz, der Angst, der Dunkelheit oder Einsamkeit oder anderen Dingen. Viele Stunden zuvor hatte wir den Tag vorbereitet, gemeinsam geplant und gebastelt. Bis es endlich stand, unser Abschiedsritual.

Abschied1nWir trafen uns an einem Sonnabend in einem Musikraum einer Schule, den wir zuvor etwas hergerichtet hatten. Natürlich stand unsere Eisenbahn mitten auf dem Tisch. Unsere Eisenbahn, die uns von Beginn an durch unsere Gruppenabenden begleitet hat. Sie besteht aus einzelnen Holzgleisen, die man zusammenlegen kann. In die Gleise werden kleine Stifte gesteckt, an denen jeweils ein großes Herz, das mit dem Namen eines Kindes und dessen Geburts- bzw. Todesdatum beschriftet ist, befestigt wird.

Abschied2
Gravierte Windlicht

Zunächst aber hatten wir uns bei Gabi für die liebevolle Begleitung mit einem Windlicht bedankt, auf das wir alle Namen unserer Kinder mit deren Daten graviert hatten. Außerdem hatten wir den Satzbeginn :“Liebe Gabi, vielen Dank für…” graviert, den jeder mit einer eigenen Zeile ergänzte.

Liebe Gabi,
vielen Dank …

daß durch Dich neue Zuversicht zurückkehrt
Claudia

daß Du mich
getragen,
angestoßen
begleitet und
ins Licht geführt hast
Pirko

dafür, daß Du meine Tränen ertragen hast.
Monika G.

für ein Stück Wegbegleitung
Susanne B.

für die neuen echten Freunde
Anja

für offene Ohren
Sabine

für die Hilfe, die eignen Gefühle zuzulassen.
Bernd

daß Du mich nach dem dritten Mal erlöst hast.
Kai

daß ich wieder träumen darf
Annette

daß ich die Säbel rasseln lassen durfte
Ulrike

daß Du für mich ein Licht warst
Heinz

daß Du die Gruppe geschlossen hast
Susanne S.

für das Licht in der Dunkelheit
Wiebke

daß Du mit meiner Art umgehen konntest
Monika Z

Dann begannen wir, wie immer mit einer Einführungs runde, in der jeder sagen konnte, was ihn zur Zeit bewegte. Wir wußten alle, wenn Ulrike unser Ei, das dann immer rum ging und festlege, wer dran war, bekam, ihr erst einmal die Tränen in die Augen schossen. Wir hätten es vermißt, wenn es nicht so gewesen wäre. Jeder zündete dann ein Licht an, auch das war inzwischen zum Ritual geworden.

Wir hatten uns für diesen Tag drei Abschnitte überlegt. Als erstes wollten wir etwas mitnehmen von diesem Tag und zwar ganz konkret. Als zweites wollten wir etwas wegschicken oder besser loslassen und als drittes einen Ausklang finden, der uns wieder zurück in den Alltag bringt.

Mobile
Mobile

Wir begannen daher als erstes mit unserem Mobile, das wir zuvor gemeinsam gebastelt hatten. Gabi hatte uns erklärt, daß durch den Tod unserer Kinder uns und unsere Beziehungen zu unseren Partner bzw. Kindern aus dem Gleichgewicht gebracht worden seien, wie ein Mobile, das ein Anhänger verloren habe. Trauerarbeit sei es nun, das Mobile wieder ins Gleichgewicht zu bekommen, wenn auch vielleicht ganz anders als vorher. Auf den obersten Schmetterling wurde jeweils der Name unseres Kindes geschrieben und darunter die Namen der Restfamilie. An deren Anhänger schrieb dann jeder die Geschenke, die wir von unseren Kindern erhalten haben, wie z.B. “Dankbarkeit”, “Einblick”, “Gefühle” usw. Jeder, der Lust hatte las sein Mobile vor.

abschiff
Selbstgebastelte Korkschiffe mit den Wünschen

Danach suchte sich jeder eines der kleinen Korkschiffe aus, die wir ebenfalls vorher selbst gebastelt hatten. Auf das Segel dieser Schiffe schrieb jeder, von was er persönlich Abschied nehmen wollte. Wir gingen dann gemeinsam zum Alsterlauf, zündeten das kleine Teelicht auf dem Boot an und ließen es zu Wasser. Es war ein schönes Bild, wie die Schiffe langsam fortschwammen. Lange blieben wir auf der Brücke und sahen ihnen nach.

Als wir zurück waren, beendeten wir unser Ritual mit einem Tanz, der ein wunderbarer Abschluß war, denn dann gingen wir zum “gemütlichen” Teil über, nämlich dem gemeinsamen Grillen und Feiern.

Ich glaube, Gabi war ein wenig stolz auf ihre Gruppe, die diesen Tag so ganz allein gestaltet hat und die ihr damit bestätigte, daß sie nicht nur gelernt hatten, wieder selber zu laufen, sondern auch wieder Ziele zustreben und ihren Weg allein weiter zu gehen.

© Pirko Lehmitz, www.Stillgeboren.de

Warum ist uns, Müttern von stillgeborenen Kindern, deren Name so wichtig?

Gleich nachdem ich aus dem Krankenhaus kam, bin ich in mein Zimmer gegangen, habe mir das Vornamensbuch genommen und erst einmal nachgeguckt, was der Name Tobias bedeutet. Kai hatte den Namen Tobias ausgesucht und einfach beschlossen, dass unser Baby ein Junge wird und Tobias heißt. Ich merkte sehr schnell, dass ich mit ein wenig Glück noch einen zweiten Namen aussuchen dürfte, aber gegen Tobias nichts hätte machen können. Als ich dann im Vornamensbuch las: Tobias, hebr. von tobijahu = gut (ist) Jahwe (Gott), hat mich das beeindruckt und ich war froh, dass wir uns auf Tobias geeinigt hatten. Ich wusste zwar, dass Tobias eine Figur aus der Bibel war, doch ich hatte nie weiter darüber nachgedacht.

Keiner fragte nach der Geburt nach dem Namen unseres Sohnes

UrkundeTobias1klWeder die Hebamme und schon gar nicht der Arzt fragten im Kreißsaal nach dem Namen unseres Kindes. (Mehr hier: Geschichte) Warum eigentlich nicht? Ja, Tobias ist bei der Geburt gestorben und doch auch Tote haben doch einen Namen. Ist es allein damit zu erklären, dass sie dachten, sie täten uns weh mit dieser Frage? Vielleicht, und doch hatte ich irgendwie darauf gewartet oder es sogar gewünscht, wenigstens damit die Papiere stimmen. Später als ich den Auszug aus dem Sterbebuch sah, wusste ich warum dies nicht nötig war, denn dort stand lediglich „Ein Knabe Lehmitz ist am 22.08.1997 in der Geburt gestorben“. Mehr war nicht erforderlich und auch nicht erlaubt. (Vgl. Namensrecht)

Aber warum hätte ich es mir erwünscht? Warum ist der Name auch heute noch so wichtig für mich? Ich wollte einfach, dass mein Kind auch als solches anerkannt wird. Für mich war und ist es auch heute noch so, dass keine Schwangerschaft gescheitert war, sondern ich ein Kind geboren habe. Ein Individuum, eine Persönlichkeit, auch wenn sie nie die Chance hatte, diese Persönlichkeit zu zeigen. So schreibet es auch Michaela Nijs in ihrem Buch „Trauern hat seine Zeit“ (S. 48-51) Michaela Nijs, wo sie erklärt, dass der Namen eines Menschen in engem Zusammenhang mit der Anerkennung seiner Individualität, seiner Persönlichkeit stehe. So könne der Name als eine Voraussetzung für Begegnung gesehen werden. Auch sie weißt in ihrem Buch darauf hin, dass es zwar selbstverständlich sei, einem lebend geborenen Kind einen Namen zu geben und dies auch einer der ersten Fragen sei, die Eltern kurz nach der Geburt von Freunden oder Verwandten gestellt werden, dieser selbstverständliche Umgang mit dem Namen aber verloren gehe, wenn das Kind tot geboren werde. Auch sie ist der Meinung, dass gerade die Namensgebung beim frühen Tod eines Kindes für die Eltern und für alle anderen Beteiligten wichtige Signale setze, da die Eltern mit der Namensgebung eines totgeborenen oder perinatal gestorbenen Kindes deutlich machen, dass ein Mensch gestorbenen sei und es nicht um den Verlust eines Schwangerschaftsproduktes gehe. Diese Anerkennung der Individualität des Kindes gehöre nach Auffassung von Nijs wesentlich zu einem würdevollen Umgang mit früh gestorbenen Kindern. Fast alle Mütter, die in einer Untersuchung befragt worden seien, hätten ihren verstorbenen Kindern einen Namen gegeben. Viele hätten jedoch diesen Namen noch nie einem anderen Menschen gegenüber ausgesprochen. Die selbstverständlich Frage nach dem Namen könne den Eltern helfen, die Schwelle zu überwinden, zum ersten Mal den Namen ihres Kindes andren mitzuteilen. Da die Eltern so wenige konkrete Erinnerungen an ihr Kind habe, könne die Namensgebung ihnen oft helfen, anzuerkennen, dass sie um einen konkreten Menschen trauerten. Der Name könne auch zu einem Symbol für die Existenz des Kindes werden.

Bei dem Stichwort Symbol fällt mir ein, dass mir vor ein paar tobiastopfWochen aufgefallen war, als ich so bei uns durchs Haus ging, dass wir fast in jedem Zimmer bis auf Badezimmer und Küche etwas haben, was uns an Tobias erinnert. „Richtige“ Erinnerungsstück haben wir ja leider nicht, da ich Tobias still geboren habe und nichts vorher kaufen wollte. Aber ich habe alles gesammelt, was mich so in den letzten 5 Jahren auf meinen Weg durch die Trauer begleitet hat und mich an Tobias erinnert. Alle diese „Erinnerungsstücke“ sind mit seinem Namen versehen. Sicher ist dies kein Zufall. (Mehr hier: Mementos)

Aber nicht nur im Krankenhaus fragte keiner nach Tobias Namen, auch keiner unserer Verwandten oder Freunde fragten nach seinem Namen. Inzwischen dürften alle wissen, dass unser erster Sohn Tobias heißt, aber sein Namen wird nie genannt. Noch nicht einmal am Tag der Beerdigung von Tobias hat irgendjemand seinen Namen genannt.

 

Für andere warst Du niemals wirklich da

sie kennen Dich nicht
sie vermissen Dich nicht
keiner spricht von Dir
niemand wagt Deinen Namen zu sagen
sie werden es niemals verstehen
damit lassen sie Dich
ein zweites Mal sterben
07.03.1998

Besonderes deutlich, dass Tobias für andere nicht existiert, wurde mir, als mir letztes Jahr meine Schwägerin ganz Stolz einen Stammbaum unserer Familie überreichte. Dort hatte sie ganz akribisch unsere und ihre Eltern, die Familie meines Bruders mit allen Kindern, sowie die Familien ihrer Geschwister mit deren Kindern und auch unsere Familie mit unserem zweiten Sohn, Pascal, aufgeführt. Tobias war dort natürlich nicht zu finden. Dafür aber mindestens ein Dutzend unserer Vorfahren, die nicht nur inzwischen ebenfalls tot waren, sondern die auch keiner von uns kannte. Sie fand es also wichtig, eine Menge Toter ganz genau mit Namen, Vornamen und Beruf aufzuführen, die keiner von uns kannte, nicht mal aus Erzählungen, aber den Neffen ihres Mannes nicht, nur weil er tot geboren wurde.

Als endlich der Namen Tobias auf dem Grabstein stand, war ich irgendwie richtig froh

grossh1Nachdem Tobias in meiner nächsten Umgebung totgeschwiegen wurde, auch die Behörden ihn durch die Nichteintragung des Vornamens nicht als vollwertig akzeptierten, war es mir ganz wichtig, dass Tobias zumindest auf dem Grabstein steht. Wir hatten ihn bei meinem Vater im Familiengrab beigesetzt. Ich beauftragte also einen Steinmetz den Namen Tobias und das Datum 22.08.1997 auf den Stein zu setzen. Doch es dauerte Monate bis der Steinmetz dies machte. Jedes Mal wenn ich zum Friedhof kam und sooft war das nicht, weil Tobias ca. 60 km entfernt beerdigt wurde, war ich sehr traurig als ich sah, der Name steht immer noch nicht darauf. Kai hat dann irgendwann beim Steinmetz angerufen und Druck gemacht. Als ich dann endlich den Namen lesen konnte, war ich irgendwie richtig froh darüber. Endlich gab es etwas ganz offizielles mit seinem Vornamen.

Änderung des Personenstandsgesetztes schaffte endlich die Möglichkeit, den Vornamen eintragen zu lassen und damit auch eine offizielle Anerkennung durch die Behörden zu erwirken

Eheschließungsrechtsgesetz Artikel 17

 §1 Für ein vor dem Inkrafttreten dieses Gesetzes in das Sterbebuch eingetragenes totgeborenes oder in der Geburt verstorbenes Kind sind auf Antrag einer Person, der bei der Lebendgeburt des Kindes die Personensorge zugestanden hätte, durch Randvermerk Vor- und Familienname einzutragen: § 15 Abs. 1 und § 21 Abs. 2 PStG gelten entsprechend. Der Antrag ist binnen fünf Jahre nach Inkrafttreten dieses Gesetzes bei dem Standesbeamten zu stellen, der das Sterbebuch führt.

Als dann am 30.06.1998 das neue Personenstandsgesetz in Kraft trat, nach dem auch der Vorname derjenigen Kinder, die vor dem 01.07.1998 totgeborenen wurden, auf Antrag nachtragen werden können, habe ich mir sofort die gesetzlichen Grundlagen herausgesucht und bin damit zum Standesamt nach Hamburg-Altona gegangen, um auch Tobias Vornamen eintragen zu lassen (Vgl. Namensrecht)

IUrkundeTobiasausnzwischen habe ich festgestellt, dass nicht nur mir jede Möglichkeit wichtig war, Tobias offiziell anerkennen zu lassen, sondern, dass andere Mütter von totgeborenen Kindern ähnliches in Bewegung gesetzt haben.

 

 

Wie zum Beispiel Uschi, die Mutter von Paul, sich gefreut hatte, dass ihr Paul im Gemeindebrief unter der Rubrik Beerdigungen aufgeführt wurde. (Mehr zu ihrer und Pauls Geschichte).

Beerdigungen
Kirchlich bestattet wurden in Rengershausen:
Am 09.05.03: Paul Balz (gestorben, ehe er geboren wurde)

Sie selbst hatten auch eine Anzeige in der Zeitung für Paul setzen lassen.

AnzeigePaulkl

Richtig kämpfen musste Claudia, damit ihr Moritz wie alle anderen Geburten und Sterbefälle auch im Dorfblatt genannt wurde. (Mehr hier)

Auch beim Trauerseminar in Bad Segeberg und unserer Frühtodselbsthilfegruppe spielte der Name immer eine zentrale Rolle

Auch beim Trauerseminar in Bad Segeberg und unserer Frühtodselbsthilfegruppe spielte der Name immer eine zentrale Rolle. Gleich zu Beginn des Trauerseminars haben die Eltern bzw. Geschwister einen Stern aus Papier geschnitten und den Namen des Kindes darauf geschrieben. Diese Sterne wurden an ein blaues Samttuch geheftet und über einen großen Tisch im zentralen Raum gelegt, wo sie von allen bewundert werden konnten. Aber auch in den kleinen Gruppen war der Name des Kindes immer präsent. So wurde von jedem Elternpaar ein kleiner gelber Stern mit dem Namen beschriftet, der dann in einen Kranz gesteckt wurde. Beim Abschlussgottesdienst standen zum einen auf dem Altar die von den Eltern selbst verzierten Kerzen, alle mit dem Namen des Kindes, und zum anderen wurde jedes Kind mit vollem Namen vorgelesen. Gerade das Vorlesen des Namens ist in fast allen Gedenkgottesdiensten (Hinweis auf Gedenkgottesdienste) ein zentrales Ritual. Ich beschrieb dies in meinem Bericht, den ich unmittelbar nach dem Seminar verfasste (hier mein Seminarbericht) so:

„Besonders schön, insbesondere für unsere Gruppe, die alle ein Kind in der Schwangerschaft oder kurz danach verloren hatten, war, dass an jedes Kind mit seinem vollständigen Namen gedacht wurde. Ich war schon immer glücklich, wenn jemand unseren Sohn mit seinen Namen Tobias nannte, aber Tobias Lehmitz, das hatte noch niemand gesagt. Jeder von uns in der Gruppe, achtete auf jeden Namen unserer Kinder. “

In unserer Selbsthilfegruppe hatten wir ein ganz besonderes Ritual, nämlich unsere Eisenbahn, die ich anlässlich unseres Abschiedsritual so beschrieb ( hier mein Bericht zu unserem Abschiedsritual) :

„Natürlich stand unsere Eisenbahn mitten aufAbschied1n dem Tisch. Unsere Eisenbahn, die uns von Beginn an durch unsere Gruppenabenden begleitet hat. Sie besteht aus einzelnen Holzgleisen, die man zusammenlegen kann. In die Gleise werden kleine Stifte gesteckt, an denen jeweils ein großes Herz, das mit dem Namen eines Kindes und dessen Geburts- bzw. Todesdatum beschriftet ist, befestigt wird. “

 

Die meisten Zuschriften auf dieser Seite bekomme ich zur Sternenseite mit den Namensgedichten, inzwischen über 50 Sterne. Viele Eltern haben einfach das Bedürfnis, dass wenigstens hier im Internet es einen Platz gibt, wo ihrem Sternenkind mit Namen gedacht wird.

© Pirko Lehmitz, www.Stillgeboren.de Juni 2003

Unser Marienkäfer Torben

M  anchmal denke ich. es geht schon wieder
A   lles hat eine andere Bedeutung
R  ache gibt es nicht, denn es gibt keine Schuld
I    n meinem Herzen wirst Du immer sein
E   rfahrungen mache mich reicher
N  iemals werd‘ ich Dich vergessen
B   ei wieder wirst Du in mir sein
K   eine Hoffnung, daß alles wieder wird wie vorher
Ä  nderungen bestimmen Deinen Tod
F  riede ist es, wonach ich mich sehne
E  ifersucht hat ein neues Gesicht
R  uhe empfinde ich an Deinem Grab
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geboren am 15. Dezember 1997

gestorben am 17. Dezember 1997

Mit Tränen habe ich Dich begrüßt und mit noch mehr Tränen verabschiedet. Du wurdest alles andere als erhofft, ja eigentlich warst Du am Anfang noch nicht einmal erwünscht. Plötzlich hast Du Dich in unser Leben gedrängt, zu einem Zeitpunkt der ungünstiger nicht hätte sein können. An einem Samstagmorgen machte ich mehr aus Neugier einen Schwangerschaftstest. Eigentlich konnte es gar nicht sein und doch plötzlich – von einer Minute auf die andere änderte – sich unser gesamtes Leben. Im Nachhinein war es gut, daß ich in diesen Augenblick noch nicht ermessen konnte wie gravierend, einschneidend und unvergleichbar sich tatsächlich unser Leben ändern sollte.

Nach vielen, vielen Gesprächen, nach allen Für und Wimarinisder haben wir uns bewußt für Dich entschieden. Später habe ich mir oft die Frage gestellt, ob dieses Abwägen über Dein Leben Dich bewogen hat, so schnell wieder von uns zu gehen, aber wahrscheinlich suche ich einfach nur nach Erklärungen, die mir niemand geben kann.

Die Schwangerschaft hast Du mir und uns nicht leicht gemacht. Die ersten zwölf Wochen habe ich mich so oft im Badezimmer aufgehalten, daß Dein Vater dort Bilder aufhängen wollte, damit ich es etwas wohnlicher habe. Aus Angst, daß sich nun bald unser Leben ändern würde, sind wir von einer Verabredung zur nächsten gehetzt; auch ein Vorwurf, den ich mir später immer wieder gemacht habe. Bei den üblichen Vorsorgeuntersuchungen war immer alles in bester Ordnung. Bis heute läuft mir bei dieser Formulierung ein kalter Schauer über den Rücken. “Alles in bester Ordnung” … Unterleibschmerzen wurden vom Arzt als bedeutungslos abgetan und da Du mein erstes Kind warst, schenkte ich dieser Diagnose nur zu gern Glauben. In der 19. Schwangerschaftswoche machtest Du Dich durch kräftige Tritte – die mir manchmal den Atem nahmen – bemerkbar und wir waren so unendlich glücklich und so unendlich naiv. Nie habe ich mir Gedanken gemacht, daß ich nur wenig Zeit mir Dir verbringen durfte.

An einem Sonntagabend in der 24. Schwangerschaftswoche bekam ich heftige Unterleibsschmerzen, die, wie wir später erfuhr, bereits Wehen waren. Heute – zweieinhalb Jahre nach Deinem Tod – kann ich noch immer nicht glauben, daß ich selbst an diesem Abend keinen Verdacht hatte. Am darauffolgenden Montag, den 15 Dezember 1997, ging ich zu meinem Frauenarzt, da zu den Schmerzen noch ein minimaler Blutverlust eintrat. Trotz meiner Schilderung ließ man mich noch fast zwei Stunden im Wartezimmer sitzen. Bei der anschließenden Untersuchung stellte der Arzt einen geöffneten Muttermund von drei Zentimetern fest. Der Arzt erklärte mir, daß ich sofort ins Krankenhaus Barmbek müßte, wenn Du überhaupt noch eine Chance haben solltest. Aus der Praxis haben wir Deinen Vater angerufen, der mich in Lüneburg abholte und mit uns nach Hamburg fuhr. Dort ging alles schrecklich schnell. Zwei Ärzte teilten uns mit, daß es jetzt zur Geburt kommen würde und das ein positiver Ausgang mehr als fraglich wäre. Keiner konnte und wollte uns sagen, ob und wenn wie lange Du überleben würdest. Nach dieser Nachricht ließen uns die Ärzte für einen kurzen Moment allein. Dein Vater und ich lagen uns in den Armen und wir konnten nicht glauben, was dort um uns herum geschah.

Nach zwei Stunden, um 16.00 Uhr, warst Du da und nach einem kurzen Schrei wurdest Du gleich zur Neonatologie gebracht, so daß wir Dich nicht sehen konnten. Du lebst, Du hast geschrieben, wir fragten uns, ob nicht doch noch alles gut werden könnte.

Als ich Dich das erstemal sah, konnte ich nicht glauben das Du in mir warst und das Du, wo Du doch so perfekt, ja so vollständig aussahst, mit Deinem Leben so kämpfen mußtest. Ganze 790g bei 35 cm, ein Ebenbild Deines Vaters, ganz klein, so zart, so wunderbar. Wir gaben Dir den Namen Torben, so wie ich es mir gewünscht hatte. Aufgrund des hohen Risikos durften wir Dich nicht berühren, sondern nur vor dem Inkubator sitzen und leise mit Dir sprechen. Wir haben Dir von uns erzählt und versucht, Dich zum Kämpfen zu bewegen.

Die nächsten zwei Tage waren geprägt von Hoffen, Glauben, Verzweiflung, Traurigkeit und Hoffnungslosigkeit. Jedesmal, wenn wir Dich besuchten, gab es neue Nachrichten und jedesmal stürzten wir in eine Berg- und Talfahrt der Gefühle. In der Nacht vom 16. auf den 17. Dezember 1997 weckte mich gegen 02.00 Uhr eine Schwester, ein Anruf aus der Neonatolgie für mich. Der diensthabende Arzt erklärte mir, daß eine Hirnblutung aufgetreten sei, die schlimmste aller Nachrichten, und ich wußte aus vielen Gesprächen mit dem Pflegepersonal, daß dies kaum noch Platz für Hoffnung bleiben ließ. Kurze Zeit danach kam Dein Vater, zu diesem Zeitpunkt bekamst Du schon Medikamente gegen die Schmerzen. Die Ärztin sagte uns ohne Beschönigungen, daß Du nun sterben würdest und forderte uns auf, und gab uns damit die Möglichkeit, Dich in unseren Armen einschlafen zu lassen. So durften wir Dich zum ersten- und auch zum letzen Mal berühren, Deinen Duft in uns aufnehmen in der Gewißheit, daß dieser Augenblick mit Dir für die restliche Zeit unseres Lebens reichen mußte. Wir sind unendlich froh, daß wir Dich begrüßen und verabschieden durften; Dich in den Armen halten konnten, als Du von uns gingst.

Du bist gestorben; leise, ruhig, fast heimlich. Noch lange saßen wir so bei Dir, bis wir spürten, wenn wir jetzt nicht gehen, gehen wir nie. Eine junge Schwester hat Dich in den Arm genommen, Dir einen Kuß gegeben und Dich wieder in den Inkubator gelegt. Dies geschah so liebevoll, sanft und selbstverständlich, daß wir es bis heute nicht fassen konnten und dieser Schwester, dessen Name wir nicht kennen, immer dankbar sein werden für diese stumme Anteilnahme und den würdevollen Umgang mit Dir.

Warum Du so früh meinen schützenden Bauch verlassen hast, ist nie geklärt worden. Die Ärzte in Barmbek rieten uns von einer Obduktion ab, da keine Hinweise auf evtl. Fehlbildungen zu finden waren und Dein Körper somit unangetastet bleiben konnte.

Die darauf folgende Zeit liegt immer noch unter einem dichten Schleier; alles war sinn- und hoffnungslos, leer, kalt und grausam. Es verging kein Tag, an dem ich mich nicht fragte, wozu und warum es weiter geht. Diese unendliche Traurigkeit werde ich in meinem ganzen Leben nicht vergessen und die Einsicht, daß Machtlosigkeit und Selbstaufgabe nicht immer nur etwas für die Anderen ist. f

Zwei Monate nach Deinem Tod sind wir zu den Verwaisten Eltern gekommen. Dort konnten wir Dir einen Raum geben und offen über Dich sprechen, ohne Gefahr zu laufen, nicht verstanden zu werden. Durch die Gruppe haben wir gelernt, uns mit uns und Deinem Tod auseinanderzusetzen, und das es immer Menschen gibt, die uns verstehen, annehmen und zu uns halten, egal wie es uns geht, vor allem, wenn es uns gerade schlecht geht.

Nach ständigen Selbstvorwürfen, nach ewigen Fragen ohne Antwort, nach einer harten Zeit intensiver Trauerarbeit bin ich davon überzeugt, daß jeder Mensch auf dieser Welt seine Aufgabe hat; unser Torben hat diese Aufgaben in 36 Stunden erledigt und dafür danken wir ihm.

Im August 1999 wurde, nach einer komplizierten Schwangerschaft, unser zweiter Sohn, Leif Marten, geboren. Wir werden ihn in dem Bewußtsein aufwachsen lassen, daß er einen großen Bruder hat, der auf ihn aufpaßt und der zu unserer Familie gehört. Der Geburtstag von Torben sowie sein Todestag gehören genau so zum Lauf des Jahres, wie der Gang zum Friedhof und die vielen kleinen Dinge, die uns an ihn sichtbar und unsichtbar erinnern. Es vergeht kein Tag, an dem ich nicht an ihn denke, ja sogar von ihm spreche. Er ist bei mir fast so, als könnte ich ihn spüren, aber nach der Zeit, die vergangen ist, tut es nicht mehr ganz so doll weh.

Die Babygruppe, der wir uns damals angeschlossen haben, gibt es mittlerweile nicht mehr, aber zwischenzeitlich sind daraus echte Freundschaften entstanden. Menschen, die auch heute noch mit uns über Torben sprechen und die es nicht leid sind uns zuzuhören. Einer dieser ganz besonderen Menschen gilt dieser Bericht, verbunden mit einem herzlichen Dank für alles, was Du für mich getan hast; für alles, wozu Du mich ermutigt hast; daß Du immer an mich geglaubt hast und immer für mich da bist und warst.        Danke Pirko

Annette N.