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,,Ich sehe deine Tränen“

Den Anfang dieses Tages bildete, wie bereits im letzten Jahr, ein öffentlicher ökumenischer Gedenkgottesdienst in der Tübinger Stiftskirche. Dieser stand unter dem Thema ,,Ich sehe deine Tränen“.

Besonders überrascht hat uns die große Zahl der Gottesdienstbesucher. Ungefähr 500 Eltern, Kinder, Angehörige, Klinikmitarbeiter und Interessierte folgten unserer Einladung, so dass selbst die große Tübinger Stiftskirche sehr gut besetzt war.

Das Thema ,,Ich sehe deine Tränen“ hatten wir uns ausgesucht, weil es für Trauernde zum einen wichtig ist, dass andere sie in ihrer Trauer wahrnehmen. Zum anderen wollten wir damit auch verdeutlichen, dass Hinsehen wichtig und ,,heilende“ Trauer etwas Aktives ist . Nicht Rückzug und Erstarrung helfen die Situation lindem, sondern ein aktives Auseinandersetzen mit dieser schlimmen Erfahrung und das ,,Veröffentlichen“ von Emotionen.

In der ersten Aktion konnten die Gottesdienstbesucher anhand der angefertigten ,,Tränen“ aus Papier symbolisch ihrer Trauer Ausdruck verleihen. Das in Regebogenfarben gehaltene Papier sprach viele der  Eltern und Kinder an, diese bunten Tränen zu gestalten. Es war sehr schön zuzusehen, wie viele von diesem Angebot Gebrauch machten und wie viele Bilder und Texte auf dem bereitgelegten Papier entstanden. Hier wurden auch Fragen gestellt und die eine oder andere Antwort gegeben. Die Bewegung tat gut und lockerte die anfängliche Schwere in der Stiftskirche merklich auf. Die gestalteten Papiertränen konnte dann jeder an langen, von der Empore herabhängenden Schnüren mithilfe eines kleinen Bändchens befestigen. Hierdurch entstand ein großer Vorhang aus Tränen, einem Wasserfall ähnlich, der in der gesamten Stiftskirche sichtbar war. Er brachte zum Ausdruck, dass Tränen zur Trauer dazu gehören und verdeutlichte die Verbundenheit mit allen Anwesenden nach dem Verlust eines Kindes bzw. eines Bruders oder einer Schwester.

Therapeutische Aspekte der Trauer

aus Eltern trauern über den Tod ihres Kindes
Erstveröffentlichung: Heiliger Dienst, Jahrgang 55 (2001)
Christine Fleck-Bohaumilitzky

  • Therapeutische Hilfen für Trauernde sind vor dem Hintergrund der neuzeitlichen Entwicklung zu sehen, dass Trauernde heute von Seiten der Gesellschaft kaum noch angemessene Hilfen erhalten. Der Trauernde ist weitgehend auf sich gestellt, ohne durch Trauerrituale bei der Bewältigung von Verlusterlebnissen unterstützt zu werden.
    Der Tod des anderen führt unausweichlich zur Erfahrung der eigenen existentiellen Bedrohtheit.
  • Trauerrituale ermöglichen die Kontrolle von Emotionen, das heißt, sie schaffen Raum, Gefühle auszuleben ohne dass der Trauernde befürchten muss, diesen Gefühlen völlig ausgeliefert zu sein. Sie erleichtern, die auftretenden Gefühle wahrzunehmen, sie anzunehmen, ihnen Gestalt zu geben und sie gesellschaftlich akzeptiert auszudrücken. [z.B. Kleidung, religiös-liturgische Riten,…]
  • Ebenso bewirken Trauerrituale eine Reduzierung von Angst: Sie helfen den Hinterbliebenen, sich ihrer bisher gesellschaftlich definierten Position, die nun nicht mehr existiert, bewusst zu werden. Ebenso sind sie ein Schritt hin auf eine neue, bisher im eigenen Erleben noch nicht vollzogene Orientierung.
  • Der Verlauf des Trauerprozesses wird wesentlich beeinflusst von der Reaktion der Angehörigen, der professionellen Helfer und anderer Personen, wenn die Hinterbliebenen ihre Gefühle der Trauer zum Ausdruck bringen. Als ungünstig erweisen sich normalerweise Ratschläge, besonders, wenn sie durch Unverständnis und das Fehlen von Mitgefühl geprägt sind. Ebenso hinderlich für den Trauerprozess sind Erwartungen an Hinterbliebene, aufbrechende Gefühle doch tunlichst unter Kontrolle zu halten, sich zu beherrschen. Die Aufforderung: „Lass doch das Vergangene und wende dich endlich der Zukunft zu!“, ist häufig zu hören. Sie ist wenig hilfreich, behindert den Trauerprozess, besonders dann, wenn Gefühle der Trauer nicht zum Ausdruck gebracht werden können und das Entwickeln und Realisieren von Plänen und Aktivitäten für die Zukunft noch nicht möglich ist.

Gezeiten der Trauer – Rituale

Artikel aus Ratgeber Frau und Familie

Fast alle Kulturen haben spezielle Trauerriten, die helfen, den Verstorbenen zu ehren und gleichzeitig die Trauer in allgemein akzeptierte Bahnen zu lenken, ihr einen Rahmen zu geben. Rituale, gleich welcher Art, bieten auch die Möglichkeit, sich  – eventuell in der Gemeinschaft mit anderen – neu auf den Toten zu besinnen und ihm die gebührende Ehre zu erweisen. Das hilft den Trauernden, über ihren direkten Schmerz hinwegzukommen.

Uns aber kommen mehr und mehr Rituale abhanden und damit die Gabe, öffentlich und in der Gemeinschaft mit anderen zu trauern — von der verhältnismäßig kurzen Zeremonie der Bestattung und der Trauerfeier einmal abgesehen. Auch da zeichnet sich eine Wandlung ab, die die beherrschende Rolle der gesellschaftlichen Konvention deutlich macht. Besonders krass zeigt sich dies am Verhalten nachfolgender Generationen in den USA, die Einwanderer verschiedener ethnischer Gruppen aus allen Teilen der Welt integrieren musste. Äußerten z.B. italienische Einwanderer ihre Trauer ausdrucksstark und gefühlsbetont, so halten sich ihre Kinder und Enkel bereits zurück. Von ihren Emotionen ist äußerlich nicht mehr viel zu spüren. Auch sie bleiben jetzt mit ihrer Trauer allein — wie wir..

Rituale als Lebenshilfe

Aus “Gute Hoffnung – jähes Ende” von Hannah Lothrop, (6. Auflage 1998,S. 102)

Rituale scheinen zu unserem Menschsein zutiefst dazuzugehören. Rituale bauen Gemeinschaft auf und werden andererseits auch von ihr getragen. Wenn die Bedeutung von Ritualen in einer Kultur abnimmt, steigt oft die Orientierungslosigkeit.

Wir können uns ganz eigene oder familienbezogene Rituale schaffen. Rituale dienen dazu, innere Prozesse durch rituelle Handlungen im Außen sichtbar zu machen. Die stille Sprache der Symbolik fördert unser Verstehen und Verarbeiten auf einer tieferen — bzw. höheren — Ebene und hilft unserem inneren Wesen, die Veränderung, die Verwandlung zu integrieren. Rituale helfen uns, die Bedeutung besonderer Situationen hervorzuheben und ihnen Raum und Würde zu geben.

In allen Kulturen gibt es eigene Rituale — rites depassage — für alle großen Übergänge von einer Lebens- oder Daseinsstufe zur anderen. Sie sollen diese erleichtern und gelingen lassen. Denn Altes loszulassen ist oft nicht leicht, und Neues, Unbekanntes erhöht zunächst die Spannung in uns. Da ist etwas Hilfe schon angebracht. Teil aller fruchtbaren Übergangsrituale ist es, Gewesenes anzuschauen, zu erkennen, was es einem gebracht hat, es zu verabschieden und es loszulassen, um Raum zu schaffen für Neues. Gute Rituale stützen sich auf verlässliche, vertraute Muster, lassen aber Raum für Spontaneität und Individualität.

In unserer Situation fallen zwei der wesentlichsten Übergänge im Leben der Menschen — Geburt und Tod — zusammen. Dies fordert ungeheuerlich viel von uns als Einzelnen oder als Paar, und da ist es sehr verständlich, dass häufig ein starkes Bedürfnis nach einem Ritual besteht, durch das wir ein Eingebundensein in der Gemeinschaft unserer Familie, Freunde und Mitmenschen erfahren können.

Vielen trauernden Eltern, mit denen ich gesprochen habe, war es ein ungemein wichtiges Anliegen, dass andere die Existenz ihres verstorbenen Kindes wahrnahmen und anerkannten. Gerade wenn unser Kind nicht auf dieser Erde gelebt und es sonst niemand gekannt hat, kann eine Beerdigung anderen bekunden: Wir hatten ein Kind, und dieses Kind lebt nun nicht mehr. »Die nicht beerdigten oder durch eine Handlung verabschiedeten Kinder lassen Mütter und Väter oft nicht bzw. nur mühsam zur Ruhe kommen und erschweren ihnen die Trauerarbeit«, stellt die Seelsorgerin Dorothea Bobzin fest.

Manchmal werden tote Babys beerdigt, bevor die Mutter das Krankenhaus verlassen konnte. Doch alles Gesagte zeigt, dass es gut ist, wenn beide Eltern zugegen sind. Bei dem Ritual der Beerdigung geben wir den Körper des Kindes der Erde zurück. Dieser äußerst schmerzhafte Schritt hilft uns, die Endgültigkeit und Realität seines Todes wirklich zu begreifen —als erste Aufgabe auf dem Weg zum Heilen. Was dieses gestorbene Kind uns bedeutet, was es uns gebracht hat, können wir erst im Lauf der Zeit ermessen.

Rituale sind Menschen also Lebenshilfe. Es ist gut, sie am Leben zu erhalten. Wo Rituale leer geworden sind, müssen wir sie vielleicht mit neuem Sinn füllen oder uns durch das Schaffen eigener Rituale den Umgang mit diesem Tod erleichtern. Je mehr ein Ritual für uns stimmig ist und uns in der Tiefe entspricht und anspricht, desto mehr wird es uns auf unserem Weg hilfreich sein.

Symbole Weg

Das Licht auf meinem Weg

aus dem Weihnachtsheft des Bundesverbandes Verwaiste Eltern in Deutschland

Mein Weg ist ein Weg durch ein dunkles Tal. Ein Weg durch viele Fragen, Ängste, Unsicherheiten, viel Wut und Traurigkeit. Ich gehe diesen Weg seit dem 16.11.2001. An diesem Tag habe ich erfahren, dass mein kleiner Sohn Marlon nicht mehr lebt. Ich war in der 39. Schwangerschaftswoche.  Bis dahin war die Schwangerschaft völlig problemlos. Am 17.11.2001 wurde unser Marlon still geboren. Es konnte keine Ursache für seinen Tod festgestellt werden.

Es ist so ungerecht, dass unser Marlon nicht bei uns bleiben durfte. Er wurde so liebevoll erwartet von seinen Eltern und seinen beiden Brüdern. Alle haben sich auf ihn gefreut. Ungerecht. Es ist so ungerecht wie die Welt ist, in der wir leben. Es gibt hier keine Gerechtigkeit, in keinster Weise. Wenn ich jetzt nicht mehr an einen guten und gerechten Gott glauben könnte, könnte ich hier nicht mehr leben! Ich habe an Ihn geglaubt, bevor Marlon gestorben ist. Und wenn es die Wahrheit ist, dass Jesus für uns gestorben ist und  wieder auferstanden ist, damit wir in einer besseren, gerechten Welt für immer mit Ihm (und unseren Kindern) leben können, dann ist es ja immer noch die Wahrheit, auch wenn mir etwas so Schlimmes passiert ist. Die Wahrheit ändert sich niemals. Sie passt sich nicht an die Umstände an. Sie ist be-ständig, auch wenn alles andere um uns herum kaputtgeht. Jesus hat gesagt:

„Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben.“ Er ist meine einzige Hoffnung. Das Licht auf meinem Weg. „Dein Wort ist meines Fußes Leuchte, und ein Licht auf meinem Weg.“ (Psalm 119, 105).

Trotzdem werde ich wahrscheinlich niemals verstehen, wieso ich einen so schweren Weg gehen muss. Ich bin sehr wütend auf Gott, dass er das zugelassen hat. Trotzdem ist Er meine einzige Hoffnung. Für mich ist das kein Widerspruch. Gott kennt unser Herz und er versteht auch unsere Wut. Sonst wäre er nicht Gott! Ich habe von mehreren Betroffenen, die auch ihre Kinder verloren haben, gelesen, dass sie mit Gott nichts mehr zu tun haben wollen. Ich kann das gut verstehen. Ich kann nur für mich sprechen und ich bin froh, dass ich noch glauben kann, dass Gott gut ist und dass ich meinen Marlon irgendwann bei Ihm in meine Arme schließen kann. In der Offenbarung, 21.4, steht:

 „Und Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen, und der Tod wird nicht mehr sein, noch Leid, noch Schmerz, noch Geschrei wird mehr sein, denn das Erste ist vergangen.“

Wenn das Erste, also unser Leben hier auf der Erde, vergangen ist, werde ich in einer besseren Welt leben. In einer Welt, wo die Gerechtigkeit Gottes herrscht und wir von seiner Liebe umgeben sind. Mein kleiner Marlon wartet dort auf mich. Jesus sagte:

 „Lasset die Kinder zu mir kommen und wehret ihnen nicht, denn ihnen gehört das Himmelreich“ (Matthäus 19,14).

Jesus liebt die Kinder über alles.

Es geht mir nicht gut, davon bin ich noch weit entfernt. Ich vermisse meinen Marlon unendlich. Trotz aller Trauer und Wut bin ich Jesus dankbar, dass er mir durch seinen Tod am Kreuz die Möglichkeit gegeben hat, in Ewigkeit in der Gegenwart Gottes zu  leben.

„Ich bin die Auferstehung und das Leben. Wer an mich glaubt, der wird leben, auch wenn er stirbt…“(Johannes 11,25).

Vielleicht werde ich eines Tages, wenn ich bei Gott bin, verstehen, wieso ich diesen schweren Weg gehen musste. Vielleicht ist es dort auch nicht mehr wichtig. Ich weiß nur, ich könnte nicht einen Schritt mehr tun, wenn Gott mir diesen Weg nicht erhellen würde.

 „Ich bin das Licht der Welt. Wer mir nachfolgt, der wird nicht wandeln in der Finsternis, sondern wird das Licht des Lebens haben.“ (Johannes 7,12).

Ich wünsche allen, die dieses lesen, dass Gott Ihnen sein Licht sendet und dass sie Hoffnung haben können.

Birgit S.

Gedanken zu Trauerarbeit und Trauerweg

Ich vergleiche Trauerarbeit immer mit einem Weg „bergauf“.

Der kürzeste Weg ist nicht immer der „beste“.
Oft sieht man nicht, wo einen der Weg hin führt.
Es kostet sehr viel Kraft,
diesen Weg zu gehen.

Manchmal geht es im Sonnenschein den Berg hinauf
und wir fühlen uns zuversichtlich,
die Spitze leicht, schnell
und ohne Komplikationen
zu erreichen.

Doch da gibt es Täler auf dem Weg…

Manche Täler sieht man von weitem.
Und dennoch, wenn man hineinfällt,
tut es furchtbar weh,
egal, wie lange man sich darauf vorbereiten konnte.
Wenn man sich überhaupt auf den Schmerz vorbereiten kann…

Andere Täler sieht man vorher gar nicht.
Es kann sehr schlimm sein,
wenn man auf einem
vermeintlich geraden
Weg bergauf
auf einmal in ein tiefes Tal fällt.

Man kann hin und wieder den Mut verlieren,
weil man denkt,
man kommt kein bisschen voran.

Man kann den Eindruck gewinnen,
dass es sich nicht lohnt,
aufwärts,
vorwärts
zu gehen,
weil es immer wieder Rückschritte gibt.

Manchmal,
wenn man in einem Tal steckt,
hat man das Gefühl,
dass man nie wieder hinaus kommt.
Wenn da nicht die helfenden Hände wären,
die sich einem entgegen strecken.

Wenn da nicht ein Netz gespannt wäre,
von dem man weiß,
dass es da ist
und einen auffangen wird.

Wenn da nicht erfahrene Bergwanderer wären,
die schon fast oben auf dem Berg angelangt sind
und wissen,
dass im Grunde jeder
den Berg hinauf kommt.
Manche langsamer, andere schneller,
manche schnurstracks, andere mit vielen Pausen,
um Kraft zu schöpfen.

Manche alleine, andere im Team.

Conni am 23-Okt-04
http://www.muschel.net/

Die schwersten Wege

Die schwersten Wege
werden alleine gegangen,
die Enttäuschung, der Verlust,
das Opfer,
sind einsam.
selbst der Tote, der jedem Ruf antwortet
und sich keiner Bitte versagt
steht uns nicht bei
und sieht zu
ob wir es vermögen.
Die Hände der Lebenden die sich ausstrecken
ohne uns zu erreichen
sind wie die Äste der Bäume im Winter.
Alle Vögel schweigen.
Man hört nur den eigenen Schritt
und den Schritt den der Fuß
noch nicht gegangen ist aber gehen wird.
Stehenbleiben und sich Umdrehn
hilft nicht. Es muß
gegangen sein.

Nimm eine Kerze in die Hand
wie in den Katakomben,
das kleine Licht atmet kaum.
Und doch, wenn du lange gegangen bist,
bleibt das Wunder nicht aus,
weil das Wunder immer geschieht,
und weil wir ohne die Gnade
nicht leben können:
die Kerze wird hell vom freien Atem des Tags,
du bläst sie lächelnd aus
wenn du in die Sonne tritts
und unter den blühenden Gärten
die Stadt vor dir liegt,
und in deinem Hause
dir der Tisch weiß gedeckt ist.
Und die verlierbaren Lebenden
und die unverlierbaren Toten
dir das Brot brechen und den Wein reichen-
und du ihre Stimme wieder hörst
ganz nahe
bei deinem Herzen.

© Hilde Domin, Gesammelte Gedichte, Fischer Verlag, Frankfurt/Main 1987, S. 118-119

WegtreppeGeh deinen Weg
wie ich den meinen suche
zu dem Ziel
Mensch zu werden
unterwegs
begegnen wir
der Wahrheit
der Freiheit
und uns selbst
unterwegs
wächst und reift
eine Weggemeinschaft
die uns befähigt
anderen
Rastplatz zu sein
und
Wegweiser
du und ich
gehen
den Weg

 © Margot Bickel

Von Beppo, dem Straßenkehrer,
erzählt Michael Ende:

Wenn er so die Straßen kehrte, tat er es langsam, aber stetig: Bei jedem Schritt einen Atemzug und bei jedem Atemzug einen Besenstrich. Schritt – Atemzug – Besenstrich. Schritt – Atemzug – Besenstrich. Dazwischen blieb er manchmal ein Weilchen stehen und blickte nachdenklich vor sich hin. Und dann ging es wieder weiter – Schritt – Atemzug – Besenstrich.

Während er sich so dahinbewegte, vor sich die schmutzige Straße und hinter sich die saubere, kamen ihm o/t große Gedanken. Aber es waren Gedanken ohne Worte, Gedanken, die sich so schwer mitteilen ließen wie ein bestimmter Duft, on den man sich nur gerade noch erinnert, oder wie eine Farbe, von der man geträumt hat. Nach der Arbeit, wenn er bei Momo saß, erklärte er ihr  seine großen Gedanken. Und als sie auf ihre besondere Art zuhörte, löste sich seine Zunge, und er fand die richtigen Worte.

»Siehst du, Momo«, sagte er dann zum Beispiel, »es ist so; Manchmal hat man eine sehr lange Straße vor sich. Man denkt, die ist so schrecklich lang; das kann man niemals schaffen, denkt man.«

Er blickte eine Weile schweigend vor sich hin, dann fuhr er fort: »Und dann fängt man on, sich zu beeilen. Und man eilt sich immer mehr. jedes Mal, wenn man aufblickt., sieht man, dass es gar nicht weniger wird, was noch vor einem liegt. Und man strengt sich noch mehr an, man kriegt es mit der Angst, und zum Schluss ist man ganz außer Puste und kann nicht mehr. Und die Straße liegt noch immer vor einem. So darf man es nicht machen.«

Er dachte einige Zeit noch. Dann sprach er weiter; »Man darf nie an die ganze Straße auf einmal denken, verstehst du? Man muss nur an den nächsten Schritt denken, on den nächsten Atemzug, an den nächsten Besenstrich. Und immer wieder nur an den nächsten.« Wieder hielt er inne und überlegte, ehe er hinzufügte: »Dann macht es Freude; das ist wichtig, dann macht man seine Sache gut. Und so soll es sein.«

Und abermals nach einer langen Pause fuhr er fort: »Auf einmal merkt man, dass man Schritt für Schritt die ganze Straße gemacht hat. Man hat gar nicht gemerkt wie, und man ist nicht außer Puste.« Er nickte vor sich hin und sagte abschließend: »Das ist wichtig.«

© Michael Ende

Die kleine Schildkröte verschläft den Aufbruch ihrer Familie.

Die kleine Schildkröte verschläft den Aufbruch ihrer Familie. Die hat sich auf den Weg zum »blauen See« gemacht, weil das Land ringsumher austrocknet. Sehe ich die kleine Schildkröte vor mir, dann kommen mir Menschen in den Sinn, die ihren Mut bewahren und in sich die Kraft haben, auch aus Schlimmem das Beste zu machen. Woher die Kraft kommt? Nicht jeder hat sie mitbekommen, aber ein jeder könnte mit Bonhoeffer wagen zu sagen: »Ich glaube, dass Gott aus allem, auch dem Bösesten, Gutes entstehen lassen kann und will. Dafür braucht er Menschen, die sich alle Dinge zum Besten dienen lassen.« (s. S. 81)

In der Zwischenzeit wachte auch die jüngste Schildkröte an der Quelle auf. Zunächst bekam sie einen großen Schrecken. Sie rannte hierhin und dorthin, könnte aber weder ihre Mutter noch ihre Geschwister finden. Sie waren alle fort. Und so war die kleine Schildkröte ganz allein. Da sie aber die Spur ihrer Mutter fand, machte sie sich auf den Weg, ihr zu folgen. Sie wanderte, so schnell sie könnte, und als es Nachmittag wurde, hatte sie schon ein gutes Stück des Weges zum Blauen See hinter sich gebracht. ungefähr zu dieser Zeit jagte auch Coyote in der Nähe. Ais er einen kleinen Hügel hinaufrannte, hörte er jemanden weinen. Er sprang einen weiteren Hügel hinauf und blickte sich um. Da sah er die kleine Schildkröte langsam dahinwandern und vor sich hin weinen. »Warum weinst du?«, fragte Coyote. »Ich weine nicht, ich singe«, sagte die Schildkröte. Daraufhin fragte Coyote weiter; »Was tust du hier? Der Tag ist zu heiß, um hier draußen herumzuwandern.« »Wir ziehen zum Blauen See«, antwortete die Schildkröte. »Ich habe verschlafen, und die anderen sind schon fort. Und: Ich weine nicht! Ich singe, während ich den Spuren meiner Mutter folge.« »Ich glaube aber, dass du doch weinst«, sagte daraufhin Coyote. »Aber wenn du weiterhin behauptest, zu singen, dann sing mir ein Lied.« »Nein, ich werde nicht singen«, antwortete die kleine Schildkröte. »Sing für mich!«, schrie daraufhin Coyote. »Sing, oder ich rolle dich durch den heißen Sand.« »Tu’s doch«, sagte die Schildkröte, »ich werde davon nicht sterben.« »Wenn du nicht für mich singst, werde ich dich zertrampeln«, antwortete Coyote. D/e Schildkröte: »Tu’s doch, trample nur auf mir herum, wenn du willst. Ich werde

auch davon nicht sterben.« Coyote sah, dass er der kleinen Schildkröte keine Angst einjagen könnte. Er dachte einen Moment nach. Was könnte er machen? Schließlich sagte er: »Sing für mich, oder ich werfe dich in den Fluss.« »0 nein!«, schrie die kleine Schildkröte. »Wirf mich bitte nicht in den Fluss, denn dann werde ich garantiert sterben.«

Daraufhin schnappte sich Coyote die kleine Schildkröte und rannte mit ihr zum Fluss. Er sprang hinein und ließ dabei die Schildkröte fallen. Sie schwamm hinüber zum anderen Ufer und kletterte aus dem Wasser. »Danke schön«, sagte sie, »ich fühle mich wohl im Wasser. Es ist wie zu Hause.«

Aber das war es nicht für Coyote. Ihm erging es sehr schlecht im Wasser. Der Fluss führte viel Wasser., was mit hoher Geschwindigkeit zu Tal schoss. So benötigte Coyote viel Zeit, wieder ans Ufer zu gelangen. Die kleine Schildkröte aber ging ihren Weg weiter und fand auch bald ihre Familie in der Nähe. Alle waren sehr glücklich, einander wiederzusehen. Nachdem die kleine Schildkröte den anderen ihre Abenteuer mit Coyote erzählt hatte, wanderten sie zum Blauen See. Dort leben sie noch heute.

indianisch

Wo sind die vielen Menschen abgeblieben, die doch kurz zuvor noch da waren?

Es war dunkel, naß und kalt, als ich wieder erwachte. Wie mechanisch stand ich auf und ging. Wohin, daß wußte ich nicht: Einfach nur gehen. Irgendwann wird es aufhören zu regnen und wieder hell werden, dachte ich, wenn ich nur einfach weitergehe. Und so ging ich, wenn ich fiel, stand ich wieder auf und lief weiter. Aber es hörte nicht auf zu regnen, es wurde nicht hell.

Angst kam in mir auf: Was, wenn es überhaupt nicht mehr aufhört? Gehe ich in die falsche Richtung? Wenn ich doch nur einen Menschen träfe. Der könnte mir vielleicht den Weg zeigen oder einfach nur bei mir sein. Ja, die Einsamkeit war das schlimmste. Die machte die Kälte und die Dunkelheit unerträglich. Aber es war niemand da. Wo sind die vielen Menschen abgeblieben, die doch kurz zuvor noch da waren? Nein, niemand war mehr da. Und so lief ich weiter, weiter und weiter, bis ich nicht mehr konnte und zusammenbrach.

So konnte es nicht weitergehen. Ich mußte etwas ändern. Menschen finden. Allein war der Weg ins Licht nicht zu finden. Wenn die Menschen nicht zu mir kommen, dann muß ich zu ihnen. Doch wie soll ich sie finden?

© Pirko Lehmitz, www.Stillgeboren.de 1998

„Der Weg“
von Herbert Grönemeyer
Gronemeyer
Ich kann nicht mehr sehen
Trau nicht mehr meinen Augen
Kann kaum noch glauben
Gefühle haben sich gedreht
Ich bin viel zu träge um aufzugeben
Es wäre auch zu früh
Weil immer was geht
Wir waren verschworen
Wären füreinander gestorben
Haben den Regen gebogen
Uns Vertrauen geliehen
Wir haben versucht, auf der Schussfahrt zu wenden
Nichts war zu spät
Aber vieles zu früh
Wir haben uns geschoben
Durch alle Gezeiten
Wir haben uns verzettelt
Uns verzweifelt geliebt
Wir haben die Wahrheit so gut es ging verlogen
Es war ein Stück vom Himmel
Daß es Dich gibt
Du hast jeden Raum
Mit Sonne geflutet
Hast jeden Verdruss
Ins Gegenteil verkehrt
Nordisch nobel Deine sanftmütige Güte
Dein unbändiger Stolz
Das Leben ist nicht fair

Den Film getanzt
In einem silbernen Raum
Von einem goldenen Balkon
Die Unendlichkeit bestaunt
Heillos versunken, trunken
Weil alles war erlaubt
Zusammen im Zeitraffer
Mittsommernachtstraum
Du hast jeden Raum
Mit Sonne geflutet
Hast jeden Verdruss
Ins Gegenteil verkehrt
Nordisch nobel Deine sanftmütige Güte
Dein unbändiger Stolz
Das Leben ist nicht fair

Dein sicherer Gang
Deine wahren Gedichte
Deine heitere Würde
Dein unerschütterliches Geschick
Du hast der Fügung
Deine Stirn geboten
Hast ihn nie verraten
Deinen Plan vom Glück
Ich gehe nicht weg
Hab meine Frist verlängert
Neue Zeitreise
Unbekannte Welt
Hab Dich sicher
In meiner Seele
Trag Dich bei mir
Bis der Vorhang fällt
Trag Dich bei mir

Aus dem Album “Mensch”

wendysunlight_in_the_shadows
Wendy Hasler

Gemeinsam sind wir ihn gegangen

Gemeinsam sind wir ihn gegangen
unseren Weg
im Sonnenschein
im Regen
durch tiefe Täler
und in der Finsternis
manchmal auf verschiedenen Pfaden
doch immer in derselben Richtung
niemals haben wir uns verloren
ein gemeinsames Ziel
wies uns den Weg
und ein kleiner Stern
der immer für uns leuchten wird

Wir haben gelernt
auf den anderen zu warten
ihn mitzuziehen
wenn er in den Abgrund
zu rutschen drohte
wie sind dabei gewachsen
jeder auf seine Weise
und doch auch gemeinsam
Vertrauen und Geborgenheit
um gibt uns
aus denen Licht und Wärme wird
bereit für eine neues Leben

    Für Kai
© Pirko Lehmitz, www.Stillgeboren.de 23.12.1998

Für Monika

Du hast es gesehen
ganz deutlich
das Licht am Ende des Tunnels
es hat Dir den Weg durch die Nacht gezeigt

lichtAber plötzlich wurde es ausgeblasen
ein kleiner Windhauch
und es erlosch
er kam aus dem Nichts

Als es erlosch
hattest Du das Gefühl
Deine Zukunft
kaum geboren
starb mit ihm

Laß es uns wieder anzünden
meine Hände werden ihm Schutz geben
es wird wieder leuchten
Dich weiter auf Deinem Weg
durch die Finsternis begleiten
um Dich sicher ans Ziel zu führen

Vertraue darauf
das Licht wird Dir helfen
sie wieder zu finden
Deine Zukunft
sie war nur ganz kurz hinter einer Wolke entschwunden

Denn ich vertraue
ganz fest darauf
wir werden ihn hier
zu Ende gehen
gemeinsam
jeder seinen Weg

© Pirko Lehmitz, www.Stillgeboren.de 09.07.1998

Mehr Gedicht zum Thema Weg

Schmetterlingskinder„Es ist wie die Besteigung eines Berges……..“

Sun 20-Nov-05 11:17 PM von BirgitHa1963

Liebes Forum,

dieser Trauerweg, den wir alle gehen und der Schmerz und die Trauer, die wir immer wieder auf diesem Weg erleben, haben ein Bild in mir hervor gerufen, das ich Euch mal gerne in Worten zeigen möchte …..

Ein Kind stirbt, wir fallen in ein tiefes Loch, wissen nicht, wie wir raus können aus dieser Dunkelheit, die uns gefangen hält….. Wir laufen los, einen Weg, der uns nach oben in Richtung Licht und Wärme führt, ein steiniger Weg, mit Hindernissen gespickt, die wir umgehen können. Manchmal kommt ein Hindernis, das uns aus dem Tritt bringt. Das ist dann, wenn wir Bilder vor uns sehen, die uns weh tun, wenn wir mit unserer Trauer und unserem Schmerz konfrontiert werden, wenn ein wichtiger Tag sich jährt ……oder es stellen sich uns Leute in den Weg, die uns mit vermeintlich guten Ratschlägen in die falsche Richtung schicken oder zurückstossen und uns ins Wanken bringen……..dann stolpern wir, verlieren die Orientierung, rutschen und stürzen wieder nach unten, kommen an unseren Ausgangspunkt …. verletzt und kraftlos und wir meinen, dass wir es nie schaffen, nach oben ins Licht zu kommen.

Die Wunden heilen, die Kraft kehrt zurück, wir machen uns wieder auf den Weg, können dieses Mal schneller gehen, da uns der Weg vertraut ist, wir die Hindernisse schon kennen, ihnen aus dem Weg gehen können oder sie vielleicht ganz wegräumen.

Doch dann ändert sich die Landschaft, wir betreten neues Terrain, neue Eindrücke kommen auf uns zu, die uns ablenken, neue Impulse geben ….. doch auch hier, eine kleine Unachtsamkeit, ein ungeschickter Schritt, wir verlieren wieder den festen Tritt und rutschen. Entweder bis ganz unten oder wir haben das Glück, gut gesichert zu sein und unser Sturz wird unterwegs abgefangen….. doch wieder hat es Spuren hinterlassen, wir tragen Narben davon und auch brauchen wir eine kleine Pause, um uns auf uns zu besinnen und wieder die nötigen Kräfte zu haben, um einen erneuten Aufstieg zu wagen, denn wir wollen ja schliesslich hier raus ….. Die Stürze tun immer mehr weh, von je weiter oben es uns wieder nach unten zurückwirft, doch wir wissen auch, dass die Regenerationspausen immer kürzer werden, wir den Weg auf’s Neue in Angriff nehmen können und auch immer schneller laufen können, da dieser Weg aus der Dunkelheit uns inzwischen sehr vertraut ist ….. wie lange dieser Weg ist, weiss niemand, wie oft wir abstürzen, ist ebenso unbekannt, aber wir werden ihn immer wieder wagen, diesen Aufstieg und in unserem Rucksack auf dem Rücken tragen wir die Erinnerung an unsere Kinder und das ist es, was uns auch Kraft gibt…………

Im Moment bin ich unten, meine Wunden, die vom letzten Sturz noch nicht verheilt sind, sind wieder aufgegangen, im Moment tut alles nur weh………..

Aber ich werde mich wieder aufrappeln……..

Liebe Grüsse
Birgit

Mon 21-Nov-05 10:15 AM von MartinaG

Liebe Birgit

tief beeindruckt und berührt bin ich von der Schilderung Deiner Bergbesteigung, kann ich doch die Mühen Deines Weges so gut nachemfpinden…

Auch meine Trauerwege habe ich mit Bildern von Bergbesteigungen beschrieben (und als Ausdrucksventil meiner Trauer auch gemalen ); oft war der Weg steinig, scheinbar kaum zu schaffen…mühsam ständig über Steine zu steigen , bergauf um dann doch wieder zu fallen…

Aber es gab auch Zeiten in denen ich einfach über die Steine drüber sprang , um sie herrumging, mir sie mit Muße anschaute , oder mich auf einem niederließ um dort zu verweilen , mich auf einem ausruhte für die nächste Etappe meines Weges …..

Liebe Birgit
ich wünsche Dir von Herzen viel Kraft auf Deinem Trauerweg
und schicke Dir die Sonne die bei den grünen Hügeln auf dich wartet,
und deren Strahlen dich jetzt schon wärmen mögen
fühl dich umarmt wenn Du möchtest

liebe Grüße
Martina
„Es gibt keinen Weg zum Glück. Das Glück ist der schöne, holprige Weg, auf dem wir gehen, stolpern, tanzen…“

Mon 21-Nov-05 08:31 PM von Pirko

Liebe Birgit,

ein wunderschönes Bild, das Du für uns aufgezeichnet hast. Du hast wirklich hart gearbeitet, als es Dir schlecht ging. Ich habe meine Tiefs immer mit einer Reise verglichen. Eine Reise, von der ich viele Erfahrungen und Eindrücke mitnehme. Von so einer Reise scheinst Du jetzt auch zurück zu sein.

Danke, dass Du uns an Deinen Eindrücken teilhaben lässt. Das Bild mit dem Weg, den wir gehen, hat auch mich immer fasziniert – im letzten Posting an Dich hatte ich ja davon berichtet – so fasziniert, dass ich auf meiner Seite eine extra Themenseite „Weg“ eingerichtet habe http://www.stillgeboren.de/Themenseiten/Symbole/SymbolWeg/symbolweg.html

Wie beim letzten Posting von Dir, habe ich es mir heute Morgen ausgedruckt und es hat mich dann immer wieder den ganzen Tage begleitet und beschäftigt. Darf ich Dein Bild von dem Weg – aus meiner Sicht, d.h. von einer betroffenen Mutter, die diesen Weg seit 8 Jahren geht – etwas ergänzen? Ich möchte Dir und den anderen Mut machen, diesen Weg – ihren Weg – weiterzugehen und zwar ganz bewusst und aufmerksam. Ich habe meine Ergänzungen und Anmerkungen in Blau dazwischen gesetzt:

Ein Kind stirbt, wir fallen in ein tiefes Loch, wissen nicht, wie wir raus können aus dieser Dunkelheit, die uns gefangen hält….. Wir laufen los, einen Weg, der uns nach oben in Richtung Licht und Wärme führt, ein steiniger Weg, mit Hindernissen gespickt, die wir umgehen können. Manchmal kommt ein Hindernis, das uns aus dem Tritt bringt. Das ist dann, wenn wir Bilder vor uns sehen, die uns weh tun, wenn wir mit unserer Trauer und unserem Schmerz konfrontiert werden, wenn ein wichtiger Tag sich jährt ……oder es stellen sich uns Leute in den Weg, die uns mit vermeintlich guten Ratschlägen in die falsche Richtung schicken oder zurückstoßen und uns ins Wanken bringen.. Manchmal stolpern wir auch ganz ohne Grund, ohne fremde Einwirkung und ohne erkennbaren Anlass. Einfach, weil einen die Trauer wieder packt. …..dann stolpern wir, verlieren die Orientierung, rutschen und stürzen wieder nach unten, kommen an unseren Ausgangspunkt …. Nur scheinbar kommen wir an unseren Ausgangspunkt zurück, doch tatsächlich sind wir einen kleinen Schritt weiter auf unseren Weg gekommen. Wir haben die ersten Erfahrungen in unserer Trauer gemacht. Erfahrungen , die wichtig sind, aber auch schmerzhaft und kaum auszuhalten. So wie Du es beschreibst, dass wir dann schon einige Hindernisse kennen. verletzt und kraftlos und wir meinen, dass wir es nie schaffen, nach oben ins Licht zu kommen.

Die Wunden heilen, die Kraft kehrt zurück, wir machen uns wieder auf den Weg Vielleicht gehen wir dieses Mal auch einen anderen Weg, der uns sicherer erscheint, in der Hoffnung nicht mehr so tief abstürzen zu müssen , können dieses Mal schneller gehen, da uns der Weg vertraut ist, wir die Hindernisse schon kennen, ihnen aus dem Weg gehen können oder sie vielleicht ganz wegräumen.

Doch dann ändert sich die Landschaft, wir betreten neues Terrain, neue Eindrücke kommen auf uns zu, die uns ablenken, neue Impulse geben ….. doch auch hier, eine kleine Unachtsamkeit, ein ungeschickter Schritt, wir verlieren wieder den festen Tritt und rutschen. Entweder bis ganz unten oder wir haben das Glück, gut gesichert zu sein und unser Sturz wird unterwegs abgefangen….. Genau von dieser Sicherung sprach ich in meinem Posting an Dich. Von dem sozialen Netzt, dass wir knüpfen müssen, damit wir beim nächsten Mal nicht mehr so tief fallen. doch wieder hat es Spuren hinterlassen, wir tragen Narben davon und auch brauchen wir eine kleine Pause, um uns auf uns zu besinnen und wieder die nötigen Kräfte zu haben, um einen erneuten Aufstieg zu wagen, denn wir wollen ja schließlich hier raus ….. Manchmal verlässt uns auch der Mut, dann wenn wir schon so oft gestürzt sind, wenn wir alleine gehen, niemand uns begleitet oder auffängt. Wenn wir glauben, wie werden niemals weiter vorwärts kommen, um wieder einen Weg betreten zu können, der leichter ist, auf den die Sonne auch wieder schient. Die Stürze tun immer mehr weh, Nein, ich glaube nicht, dass die Stürze immer mehr wehtun so wie ich nicht glaube, dass wir ganz zurückfallen. Mein letzter Sturz ist zwei Monate her. Nach über drei Jahren hat es mich wieder erwischt. Ja, es tat weh, aber nicht so gewaltig wie früher. Der Schock war nur so groß, weil ich gar nicht mehr damit gerechnet habe und schlimm war auch, dass ich feststellen musste, mein Netz war nicht mehr in Ordnung. Da ich es lange nicht mehr gebraucht hatte, war es brüchig geworden und hielt kaum noch. Es kostet Kraft, es in diesem Augenblick wieder reparieren zu müssen. Es tat sehr weh, aber der Schmerz war auszuhalten, dies Gefühl hatte ich früher nicht. von je weiter oben es uns wieder nach unten zurückwirft, doch wir wissen auch, dass die Regenerationspausen immer kürzer werden, wir den Weg auf’s Neue in Angriff nehmen können und auch immer schneller laufen können, da dieser Weg aus der Dunkelheit uns inzwischen sehr vertraut ist ….. wie lange dieser Weg ist Ich glaube, dieser Weg wird niemals zu ende sein. Wir werden ihn bis zum Schluss gehen, immer in Gefahr mal wieder abzustürzen, auch dann, wenn wir uns schon lange auf sichererem Weg gegangen sind. Aber der Weg wird angenehmer, es wird schöner und die Sonne scheint wieder mehr , weiß niemand, wie oft wir abstürzen, ist ebenso unbekannt, aber wir werden ihn immer wieder wagen, diesen Aufstieg und in unserem Rucksack auf dem Rücken tragen wir die Erinnerung an unsere Kinder und das ist es, was uns auch Kraft gibt…………

Liebe Birgit,

jetzt, nachdem ich so viel geschrieben habe, merke ich, wie dankbar ich Dir bin, denn Du hast mich auf meinen Weg ein Stück weitergebracht. Als es mir vor zwei Monaten wieder mal so richtig schlecht ging, da spürte ich , ich müsste mal wieder an meinem Weg arbeiten, fand aber keinen Ansatz. Den hast du mir nun gegeben. Danke…

Und viele nachdenkliche Grüße
Pirko

Mon 21-Nov-05 10:20 PM BirgitHa1963

Ihr Lieben,

ich danke Euch für Eure positiven und anteilnehmenden Antworten auf meine Beschreibung, die mir sehr gut getan haben, zeigen sie mir doch auch, dass es allen irgendwie gleich geht in diesen Phasen, die wir aber zum Glück nie gleichzeitig durchlaufen, so dass immer jemand da ist, der uns ein Stück des Weges begleitet. So waren auch andere interessante Aspekte zu lesen, was man auf diesem Weg noch entdecken kann.

Auf alle Fälle habe ich nach diesem heutigen Tag voller positiver und auch unerwarteter Erlebnisse und Eindrücke das Gefühl, dass ich wieder stehe und mich wieder auf den Weg machen werde………….

Vielen Dank Euch allen…..

@ Martina

Ist das ein von Dir gemaltes Bild ? Es ist nämlich wunderschön und strahlt so viel Wärme aus. Da möchte man einfach loslaufen.

@ Pirko noch ein paar Worte…..

Vielen Dank für Deine Ergänzungen zu meiner Schilderung. Diese Geschichte, ebenso wie mein Gedicht im letzten posting, sind sehr spontan entstanden, d.h. ich sass an der Tastatur, hatte die Gedanken im Kopf und schrieb einfach drauflos. Noch kurz wegen Schreibfehler durchgeschaut und dann auf „enter“….. Hinterher gingen mir noch andere Gedanken durch den Kopf, die dazu gepasst hätten, doch ich wollte es so stehen lassen, war es doch das Ergebnis dieser Tage des Nachdenkens und der Arbeit an mir und meiner Trauer.

Und wenn ich Dir einen Gedankenansatz liefern durfte, freue ich mich sehr darüber.

Es ist mit den anderen Antworten ein rundes Bild entstanden und es kann so vielleicht anderen helfen, die dazu kommen. Und ich werde es mir auch hin und wieder durchlesen, wenn ich mal wieder “ in den (Sicherungs)Seilen“ hänge.

Ich bin sehr dankbar, in dieser Zeit hier so gut aufgefangen worden zu sein …….. wirklich sehr dankbar.

Euch allen eine gute Nacht
Birgit

“ Auch das glücklichste Leben ist nicht ohne ein gewisses Mass an Dunkelheit denkbar und das Glück würde seine Bedeutung verlieren, hätte es nicht seinen Widerpart in der Traurigkeit “
C.G. Jung

Mon 21-Nov-05 11:11 PM Moni

„Serpentinen“

Liebe Birgit,

deine Wegbeschreibung ist so treffend.
Und genau wir Pirko ihn ergänzt hat,
möchte ich dich auch bitten,
ihn auch ein klein wenig aus meiner Erfahrung ergänzen zu dürfen.

Wenn wir einen Berg besteigen,
dann gehen wir ja selten steil gerade bergauf.
Das ist viel zu steil, und wir würden ständig abrutschen.
Also gehen wir in Serpentinen um den Berg herum….
immer weiter hinauf.

Dieser Weg ist länger, viel länger sogar,
aber sicherer und intensiver – denn wir lernen dabei den Berg kennen.
Wenn ich es mit unserer Trauer vergleiche,
dann ist der steile, schnelle Anstieg evtl. das schnelle Verdrängen der Trauer, das „ich will da ganz schnell durch“.
Dass das nicht geht,
mussten wir alle erfahren – denn wenn wir uns fast am Gipfel glaubten, gabs einen heftigen Absturz bis ganz nach unten.

Wenn wir aber den langen Weg nehmen – unsere Trauer leben und kennen lernen, so wie im Gleichniss den Berg – dann können wir nicht so tief stürzen und kommen zwar später, aber irgendwann ganz sicher oben an.

Der Weg auf den Berg – der Weg unserer Trauer – ist eine Spirale.
Wir drehen eine Runde um den Berg und sind ein Stück höher gekommen.
Aber immer wenn wir innerhalb der Spirale über den Punkt kommen,
an dem wir loslaufen mussten – tut es wieder weh.
An diesem Punkt straucheln wir evtl. und fallen.
Aber wir fallen höchstens eine Runde tiefer – nicht mehr bis ganz hinunter…

Diese Spirale kann ziemlich lang sein…..und wir werden immer wieder mal an den verletzlichen Punkt kommen…
aber wir sind immer eine Runde weiter…

Liebe Birgit,
ich wünsche dir eine ruhige Nacht,
alles Liebe von Moni.

Mon 21-Nov-05 11:27 PM BirgitHa1963

Liebe Moni,

dieses Bild von den Serpentinen gefällt mir sehr gut und ist für mich nun auch neu und, ja, ich glaube, dass man sich da wirklich nicht so weh tut.

Aber ich bin jemand, die, wenn sie was im Auge hat, gerne ganz schnell dort hin möchte und Geduld ist eigentlich nicht so meine Stärke … daher renne ich dann einfach los, dabei auch mal die glatten Wände hoch und habe deshalb auch mal die schmerzvolleren Rückschläge und bin bestimmt oft nicht schneller wie die Person, die über die Serpentinen nach oben kommt.

Aber so lassen sich die verschiedenen “ Trauerwege “ auch an einem Berg nachvollziehen und ich danke Dir für diesen “ Streckenvorschlag „.

Auch Dir eine gute Nacht…….. und Danke.

Liebe Grüsse
Birgit
  

Fragen zum Thema Bestattung und Grab

Bestattung

Darf ich mein totes Kind nach der Geburt mit nach Hause nehmen und es dort auch aufbahren?

Häufig habe ich schon die Frage gehört, wem gehört das Fehlgeboren Kind. Bei Totgeburten im rechtlichen Sinne wird diese Frage kaum gestellt. Dr. Thade Matthias Spanger stellt in seinem Aufsatz MedR 1999 ausdrücklich klar, dass aus dem absoluten — also gegenüber jedermann geltenden — Familienrecht resultiert auch ein Recht zum Besitz am Leichnam. Als dessen Inhaber können die Eltern einer Fehlgeburt daher die Herausgabe des Leichnams von jedem Dritten verlangen, der ihnen diesen widerrechtlich vorenthält.

Selbst dürft Ihr Euer Baby in der Regel nicht mit nach Hause nehmen, da Verstorbene in Deutschland nur in einem speziellen Leichenwagen transportiert werden dürfen. D.h. jede Leiche Muss, wenn sie von einem Ort zum anderen gebracht werden soll, durch ein Bestattungsunternehmen transportiert werden.

Allerdings gilt dies nur für Leichen und was Leichen sind, ist in den verschiedenen Landesgesetzen unterschiedlich geregelt. In Hamburg beispielsweise sind Leichen im Sinne des Gesetzes auch totgeborene Leibesfrüchte mit einem Geburtsgewicht von mindestens 1000 Gramm. Zur Beförderung im Straßenverkehr sind für Leichen gemäß § 7  solche Wagen zu benutzen, die zur Leichenbeförderung eingerichtet sind und ausschließlich hierfür oder für Bestattungszwecke verwendet werden (Leichenwagen). Dies bedeutet, dass tot- oder fehlgeborene Kinder mit einem Geburtsgewicht von unter 1000g keine Leichen sind und somit auch nicht zwingend in einem Leichenwagen befördert werden müssen. Diese Kinder können von den Eltern mit nach Hause genommen werden. Da dies in jedem Bundesland anders geregelt ist, muss dies aber im Einzelfall geprüft werden.

Grundsätzlich dürfen Tote 36 Stunden nach Feststellung des Todes zu Hause aufgebahrt werden. So sieht § 6 des Hamburgerischen Bestattungsgesetzes vor, dass zwar jede Leiche unverzüglich nach der Feststellung des Todes in eine Leichenhalle zu überführen ist, dies jedoch nicht während der ersten 36 Stunden nach dem Eintritt des Todes gelte. Mehr zum Thema Aufbahrung findet ihr hier.

Darf ich den Sarg selber bauen?

Grundsätzlich darf man auch einen Sarg selber bauen. Aber wie alles ist dies auch in den einzelnen Ländergesetzten geregelt. Sinnvoll ist es daher sich vorher bei dem zuständigen Friedhofsamt zu informieren. Mehr zum Thema Sarg findet ihr hier.

Darf ich mein Kind selber anziehen?

Wenn man es möchte, kann man sein Kind selber waschen und aVogelblauemail2uch anziehen. Unabhängig davon ist es natürlich möglich, eigene Kleider für sein Baby zum Anziehen zu geben. Wenn das Baby noch sehr klein ist, bietet Rita Schäfer auch Totengewänder für Kleinstbabys an.

Wenn Ihr noch mehr Fragen habt, mailt mir gerne, ich versuche sie zu beantworten.

Was sollte man bei der Auswahl des Friedhofes bzw. eines Grabplatzes alles bedenken?

Möchte ich mein Kind in einem „normalen Grab“ oder in einem Kindergräberfeld beerdigen?

Auf einigen Friedhöfen gibt es extra Gräberfelder, wo nur Kinder bestattet werden dürfen. Diese Gräber sind oft kostengünstiger. Außerdem sind dort die Gestaltungsrichtlinien (siehe Unten) oft etwas lockerer. Für manche Eltern ist es auch schön zu wissen, dass ihr Kind nicht alleine liegt, sondern mit anderen zusammen. Allerdings handelt es sich bei diesen Gräbern oft um sogenannte Reihengräbern (siehe unten), d.h. zum einen ist die Zeit begrenzt ( in der Regel 10 Jahre), was bedeutet, es kann nicht verlängert werden und zum anderen darf nur eine Person dort beerdigt werden. Wenn Eltern es wünschen, dass auch sie später dort bestattet werden, so ist dies meistens nicht möglich. In diesem Fall sollte ein sogenannten Wahlgrab ausgesucht werden.

Wie lange beträgt die Nutzungsdauer?

Bei Kindergräbern sowie Reihengräbern beträgt die Nutzungsdauer oft nur 10 Jahre, d.h. nach Ablauf der Ruhezeit fällt es an den Friedhofsträger zurück. Im ersten Augenblick scheinen 10 Jahre eine lange Zeit zu sein, aber lasst Euch nicht täuschen, die vergehen schneller als man denkt und was ist dann… Tobias ist vor 8 Jahren (1997) beerdigt worden: Wenn ich mir vorstellen würde, ich müsste in zwei Jahren das Grab aufgeben, könnte ich heute schon nicht mehr ruhig schlafen.

Wie darf ich das Grab gestalten?

Man kann es kaum glauben, aber die Gestaltungsrichtlinien sind in den jeweiligen Friedhofssatzungen genauestens festgelegt, d.h. wie darf ein Grabmal aussehen (wie groß, aus welchen Materiealien usw.), wie darf die Einfassung aussehen, was darf ich dort pflanzen usw. Wenn ihr genaue Vorstellungen habe, lasst Euch die Friedhofssatzung aushändigen oder fragt verbindlich nach. Wie oben schon erwähnt, ist oft auf Kindergräbern mehr erlaubt, aber auch dies ist nicht selbstverständlich. Zum Teil werden Eltern sogar aufgefordert, Spielzeug vom Grab zu räumen.

Mehr Informationen zu diesen Begriffen (Reihengrab, Wahlgrab, Grabmal, Gestaltungs- und Bepflanzungsrichtlinien) gibt es hier.

Wenn Ihr noch mehr Fragen habt, oder aus eigener Erfahrung Punkte kennt, die man unbedingt beachten sollte, mailt mir gerne, ich versuche sie zu beantworten.

© Pirko

Friedhofskultur

Vor ein paar Wochen habe ich einen Spaziergang über den Waldfriedhof in unserer Gemeinde (Buchholz in der Nordheide) gemacht. Ein wunderschöner ruhiger Ort. Lange blieb ich vor den Kindergräber stehen. So viele liebevoll gestaltete und gepflegte Gräber.

Kindergr_Waldfried_Buch2006Es ist schon verwunderlich: auf der einen Seite geht die Entwicklung immer mehr zu einer anonymen Bestattung. Keine Trauerfeier und kein Grab, das zu pflegen ist. Aber auf der anderen Seite kämpfen Eltern von still geborenen Babys, die das Mindestgewicht von 500 g nicht erreicht haben, um eine Bestattung und ein eigenes Grab, weil sie die anonyme Sammelbestattung, die oft von den Krankenhäusern vorgenommen wird, nicht möchten. Ihnen ist wichtig einen eigenen Platz für ihre Trauer zu haben, einen Ort, den sie auch gestalten dürfen.

Da ich trauernde Eltern, die ein Baby verloren haben, begleite, bin ich schon häufig mit Eltern zum Grab ihrer Kinder gegangen. Es ist immer eine sehr beeindruckende Begegnung. Die Eltern gehen ganz natürlich und selbstverständlich damit um. Sie freuen sich, daß sich jemand für ihr Kind interessiert, ihnen zuhört und sie stolz das Grab zeigen können.

Warum wollen so viele eine anonymen Bestattung? Warum scheuen so viele einen Besuch auf den Friedhof?

Kindergräbr auf dem Waldfriedhof in Buchholz i.d.N.

Vielleicht weil es nicht mehr üblich ist, mit der Familie auf den Friedhof zu gehen, um das Grab der Großeltern zu pflegen, Blumen dorthin zu bringen und eine Kerze anzuzünden? Diese Traditionen scheinen offenbar verloren gegangen zu sein und somit das Wissen, wie wichtig solche Orte der Erinnerung sein können.

Ich erinnere mich gerne daran, wie mein Vater mit uns zum Friedhof gefahren ist, um dort das Grab seiner Eltern und seines Bruders zu pflegen. Er erzählte uns dabei immer viele interessante Geschichten von ihnen. So erfuhren wir viel über unsere Großeltern und unseren Onkel, die wir nie kennen gelernt hatten. So lebten sie ein Stück weiter. Genau zu diesem Grab, wo inzwischen mein Vater und unser erster Sohn beerdigt ist, fahren auch wir regelmäßig mit unseren Jungs. Sie fahren gerne dorthin und wissen genau wo das Grab ist. Er wird erst einmal Unkraut gejätet, dann eine Blume gepflanzt und fast immer auch etwas gebasteltes dort aufgestellt. Auch ich erzähle ihnen inzwischen Geschichten, die ich selbst von meinem Vater gehört habe, Geschichten von ihrem Großvater und sie fragen auch ganz viel über ihren Bruder Tobias.

Vielleicht werden sie eines Tages diese Tradition mit ihren Kindern fortsetzen und ihnen auch die Geschichten ihrer Urgroßeltern erzählen.

© Pirko Lehmitz, www.Stillgeboren.de November 2006
veröffentlich im Paulusbrief 10/11/2006 der St. Paulusgemeinde Buchholz

Mit Menschen der Bibel Lebenskrisen überwinden zum Beispiel: HIOB

Wolfgang Hohensee

Was sind Krisen?

Es gibt kein Leben ohne Krisen. Krisen markieren oft einen Übergang in einen neuen Lebensabschnitt. Sie sind Zäsur, Grenze und bieten trotz allem die Möglichkeit des Wachstums. Krisen Hiobbewirken Bewegung im Leben eines Menschen. Innere Wandlung und Veränderung sind oftmals Resultat einer überwundenen Krise.

Krisen machen uns Menschen oft fassungslos. Verbunden ist dieses Gefühl meist mit Angst, Schmerz oder Unsicherheit. Wohin wird mich die Krise führen? Es gibt Krisen, die uns Menschen völlig überraschend treffen, wie etwa der plötzliche Tod eines Menschen, aber daneben gibt es viele Krisen, die lange »vorbereitet« wurden, auch wenn uns das mehr oder weniger nicht bewusst war. Ich glaube, dass wir den Kurs auf viele Krisen selbst festlegen, denn ob unser Leben gelingt oder nicht, ist wesentlich davon abhängig, welche Entscheidungen wir für unser Leben treffen.

Krisen sind oft endgültige Wendepunkte, die auf eine Veränderung unseres Lebens weisen. In der Krise wird mir der Schutzmantel genommen, der sich wie eine unsichtbare, oft störende Hülle über mein Leben gelegt hat. Ich kann nun nicht mehr weglaufen, sondern muss schmerzhaft erkennen, dass ich aus meiner bisherigen so sicher wirkenden Bahn geraten bin. Es ist, als ob wir uns in einem Tunnel befinden, in dem wir noch kein Licht erkennen können. Wir sehen keinen Ausweg, fühlen uns gefangen, spüren Schmerzen und möchten fliehen, verdrängen, vergessen oder gar sterben. In der Krise werde ich aber auch tieferen Schichten meines Lebens ausgesetzt und es bietet sich mir die Möglichkeit, mich selbst mit den tieferen Wahrheiten meines Lebens zu konfrontieren, mit ihnen in Kontakt zu treten. Mein Verdrängungsmechanismus und die große Macht der Gewohnheit funktionieren nicht mehr. Ich bin nun eher in der Lage mich und meine jeweilige Situation wirklich realistisch zu betrachten und zu überdenken. Wohin uns das letztlich führt, wissen wir mitten in einer konkreten Krise natürlich noch nicht – aber wir selbst haben großen Einfluss darauf, ob sie sich auf uns und unser Leben am Ende positiv oder negativ auswirkt.

Das Wort »Krise« ist aus dem Griechischen mit der Bedeutung »Scheidung, Entscheidung, trennen« entlehnt. Es war zunächst ein Fachwort der Medizin, das den entscheidenden Punkt einer Krankheit bezeichnete. Seit der Antike ist das Wort Krise die medizinische Bezeichnung für den Zeitpunkt einer Krankheit, in dem sich sowohl eine Wendung zum Guten als auch zum Fatalen vollziehen kann. Dies bedeutet, dass der Ausgang von Krisen offen, eine Wandlung zu beiden Seiten also durchaus möglich ist. Kritische Situationen, Gefahren, Nöte, Leid, Elend oder Entbehrungen jeglicher Art können Wendepunkte in unserem Leben darstellen, die wir als Wegweiser begrüßen anstatt als Übel bekämpfen sollten. In China z. B. steht dasselbe Schriftzeichen für die beiden deutschen Wörter »Gefahr« und »Chance«. Krise meint hier also beides: die Möglichkeit einer Gefahr, aber auch die Chance einer positiven Wendung.

Krisen lassen uns wachsen oder machen uns zu schaffen. Sie können gelingen oder misslingen, aber auf jeden Fall kündigen sie oft eine wesentliche Veränderung im Leben an. Krisen können einen inneren Konflikt entlarven. Sie kennzeichnen einen Widerstreit von Interessen, die nun ans Licht kommen. In meinem Wörterbuch zum Neuen Testament lese ich nach, dass das Wort »krises« in den Bereich der Gerichtsbarkeit fällt. Innerhalb einer Gerichtsverhandlung wird jemandem das Richteramt übertragen. Die katholische Theologie hat immer schon das so genannte Fegefeuer betont. Ich kann mir einen bildhaften Ort dafür nicht vorstellen, aber ich kenne das Gefühl der eigenen »Höllenqual«, indem ich merke, was ich hatte tun sollen, aber nicht habe tun können. Es ist wichtig zu erkennen, dass wir nicht jeder Krise hilflos ausgeliefert sind, sondern wir können auf erprobte Bewältigungsstrategien zurückgreifen. Dennoch ist jede Krise eine persönliche  Angelegenheit, die deshalb auch nur ganz persönlich erlebt und durchlebt werden kann. Wir können auch kein Raster anfertigen, nach dem wir objektiv beurteilen, was eine Krise ist und was nicht. Jeder Mensch geht unterschiedlich mit Problemen und Schwierigkeiten um, jeder empfindet sie anders intensiv, d. h. die Krise des einen muss für den anderen noch längst keine »richtige« Krise sein; dies wird u. a. auch bei den von mir ausgewählten Personen deutlich.

Eines ist aber allen gemein: In der Regel sind es genau diese Tiefpunkte unseres Lebens, die uns helfen, in unserer Persönlichkeit zu reifen. Sie sind Teil unseres Daseins. Sie sind Einschnitte, Unterbrechungen im Leben, die mir die Möglichkeit schenken, mein Leben reflexiv zu betrachten, um so in neuer Weise und eigener Selbstbestimmung meine Lebensreise fortzusetzen.

Ich glaube nicht, daß Gott uns aktiv in Krisen schickt, damit wir wachsen, sondern wir wachsen, indem wir auch in Krisen an der Überzeugung festhalten, daß Gott gütig und gut ist. Das lese ich aus den alten Geschichten der Bibel heraus. Dennoch will ich keine Ratschläge geben und mit einem vorgefertigten Gotteskonzeot ans Werk gehen, sondern meine eigenen Fragen an Gott und meine Bedürfnisse, wie sie sich mir selbst in Kriesen eröffneten, erst nehmen. …

Auf der persönlichen Ebene kann uns die Geschichte Elias aufzeigen, daß Gott uns Menschen auch in der Krise der absoluten Ausweglosigkeit nicht alleine läßt, sondern wir darauf vertrauen dürfen, daß sich neue Wege eröffnen, wenn wir es wagen, den Blick nicht auf ein fernes Ziel zu richten, sondern den Engel neben uns erkennen, der uns stärkt und aufrichtet. …

Die Geschichte von der Heilung der Tochter des Jairus zeigt, daß auch wir uns in der Krise darauf verlassen können, daß wir, wenn wir auf Gott vertrauen, wie durch eine unsichtbare Hand geführt werden. Er kann uns die Zuversicht un Hoffnung für unser Leben schenken, die wir alleine oder mit Hilfe anderer nicht finden können. …

Viele Menschen glauben, daß Gott selbst ihnen die Arbeit abnehmen würde, und so beten sie, daß Gott doch in ihr Leben eingreifen möge. Ich habe für mein Leben längst begriffen, daß Gebete Gott nicht in der Weise beeinflussen können, daß er die Welt verändert, daß sich unser persönliches Glücksgefühl und unsere Zufriedenheit mit uns selbst und unserem Leben nicht durch Gottes Eingreifen unmittelbar steigern lassen. Gebete haben keine magische Funktion, sie lassen keine Wunder geschehen und ich verfüge nicht über die Nacht über Eigenschaften, Fähigkeiten oder Dinge, die ich mir im Gebet gewünscht habe, sondern sie helfen, daß ich mich selbst verändern und mich mit mir selbst einverstanden fühlen kann. Die tiefste Form des Gebets finden wir in den Jesusgebet „Dein Wille geschehe“. Es geht Jesus darum, daß Gott der Gott im Leben und in der Seele der Menschen wird, der er ist. Ein Schöpfungsgott, der uns in das Universum der Ewigkeit entlassen hat, damit wir zu ihm zurückkehren. Viele unser kindlich religiösen Fragen können Gott nicht erklären, sondern sie dienen dazu, daß wir einen Sinn im Leben finden, der mit Selbstvertrauen und Selbstfindung in Einklang steht. Diese Fragen mutet Gott uns zu, damit wir Herz, Hand und Verstand unser Leben mit Vertrauen und Dankbarketi leben. …

Wer Krisen einzig und allein als Gefahr, als persönliches Tief erlebt und im Mitleid badet, darf die Krise brav durchleiden! Er wird zu Pillen, Therapien und Büchern greifen. Spannungen, Enttäuschungen, Ablehnung und Hass, die durch jede Krise hervorgerufen werden, werden dann besonders intensiv erfahren. Wer Krisen aber als Chance, Herausforderung und Entscheidungeshilfe verstehen kann, der steht einer Veränderung positiv gegenüber. Er wird schmerzlich aber doch das Alte loslassen können, seine persönlich Einstellung verändern und sich dem Neuen öffnen.

Ein sehr wichtiges Bild: Aufnahmen totgeborenen Babys und verstorbener Kleinkinder

aus einer Broschüre der Initiative Regenbogen “Glücklose Schwangerschaft” e.V.

Wir sind traditionell ein Volk von Fotografen. Viele Museen sind mit reizenden alten Fotos aus unserer Vergangenheit gefüllt. Überall gibt es Familienalben und der Fotoapparat ist seit Generationen schon ein traditionelles Geschenk. Während des Viktorianischen Zeitalters/ als die Fotografie bekannt wurde, kommt es häufig vor, das Bilder von verstorbenen Familienmitgliedern aufgenommen wurden. Diese Bilder wurden häufig an andere Familienmitglieder geschickt/ die zu weit weg waren, um bei der Beerdigung anwesend zu sein. Unsere Vorfahren schienen zu erkennen/ daß der Tod ein so wichtiges Ereignis war/ daß man es dokumentieren sollte. Die visuelle Aufzeichnung schien eine logische Folge.

Während der letzten fünf Jahre haben wir erkannt, daß beim Tod eines Babys die Familie ein Bild ihres Babys wertschätzt. Oft ist das Bild das einzige Andenken an ihre Erfahrung . . . die einzige greifbare Erinnerung. Das Fehlen solch eines Bildes wird im folgenden Absatz von Terry Morgan anschaulich dargestellt/ einem jünger Pastor aus Ohio/ dessen Mädchen als Baby an Anenzephalie starb.

“ Oh, Emily, ich entschuldige mich für aas, was ich als nächstes getan habe. Ich entschuldige mich, daß ich dem Arzt gesagt habe, daß ich es nicht wollte, daß Barbara Dich sieht und sie es deshalb auch nicht tat. Ich entschuldige mich, daß ich nach der Geburt die Einladung, in den Säuglingssaal zu kommen und Dich zu sehen, abgelehnt habe. Ich entschuldige mich, daß ich mich in einer fehlerhaften Welt, deren Fehler wir alle teilen, weigerte, die Deine anzuschauen. Ich entschuldige mich, daß ich Dich nicht in die Arme genommen habe, so als ob Du uns wirklich gehörtest und Du nicht irgendein abgeworfener Teil von uns warst. Ich entschuldige mich, daß wir , um uns an Dich zu erinnern, keine Bilder von Dir aufnahmen, wie Eltern von Neugeborenen es tun. Und ich entschuldige mich, daß ich nicht bei Dir war, als Du von dieser Welt in die nächste glittest, wo alle Entschuldigungen akzeptiert werden und keine nötig sind. Ann meisten entschuldige ich mich, daß ich Dir den Namen, der Dir gehörte, nicht gegeben habe, sondern ihnen sagte, Dich nur als ‚Mädchen Baby‘ in die Geburts- und Sterbeurkunde einzutragen. Wir haben Dir seitdem Deinen Namen zurückgegeben … haben Dich Wirklichkeit werden lassen … und Dich unser genannt… und um Deinen Tod getrauert … und sogar Dem Leben gefeiert, liebe Emily. Aber wir waren auf einem Weg ohne Karte und konnten die Richtung nicht finden und wußten nicht, was wir tun sollten.”

Postings Schmetterlingskinderforum

Die nachfolgenden Beiträge wurden im Forum der SchmetterlingskinderSchmetterlingskinder gepostet. Ich fand sie so interesant, daß ich sie hier wiedergeben möchte.

SaraK 02-06-2003, 14:17 Uhr 

Hallo ihr Lieben Frauen,
Ich habe eine Frage, die mich schon seit langem
und immer wieder beschäftigt.

Was habt ihr nach der Geburt eures Sternchens gefühlt?

Als ich Lukas geboren habe, wollten sie mir eigentlich
eine PDA geben. Ich wollte aber nicht und so habe ich ihn
so bekommen.Ich fand die Geburt, obwohl Lukas ja noch ganz klein war
sehr, sehr schmerzhaft.
Nachdem er dann da war war mein Gefühl gar nicht so wie
ich erwartet habe

Ich war froh, erleichtert und stolz, es geschafft zu haben.
Ich habe geweint
aber nicht aus Trauer.
Ich fand meinen Jungen so süß und ich war so froh,
dass er ein so niedliches, winziges Kind war und nicht
eine „späte Fehlgeburt und noch lange kein Kind“.
Der Tod meines Jungen wurde mir erst später so richtig bewusst.

Inzwischen kommt mir dieses Gefühl nach der Geburt
manchmal richtig befremdlich vor.

Wie ging es euch direkt nach der Geburt?

Grübelgrüsse von

Lukas, Ada und „Sternchen“ fest im Herzen und Jonas &Lennart im Arm

Eva Maria Langenbach 02-06-2003, 14:49 Uhr

Liebe Sara,
ich habe meinen Bernhard auch ohne Betäubung oder Schmerz-
mittel bekommen.
D.h. das stimmt nicht ganz. Ich habe nachdem das Prostaglandin
Gel begann seine Wirkung zu tun, und ich zum einen einen ganz
starken Allgemeinschmerz (andauernd, nicht wehenartig mit
Pausen ohne Schmerz) vor allem in der Region meines alten
KS, plus starken Wehen in immer kürzeren Abständen ein Schmerz-
mittel gespritzt bekommen. Ich weiss leider nicht was es war.
Aber danach würde mir so schwindlig und übel, das ich nachdem
die Wirkung vorüber war, lieber die Schmerzen und Wehen ertragen
habe, als mich so elend fühlen zu müssen.
Fast übergangslos kam dann plötzlich Wehe an Wehe, ich konnte
kaum noch atmen. Ich glaube ich habe nur geschrien. Plötzlich
war das Kind dann da, der Schmerz weg. Ich bekam meinen Sohn
auf die Brust gelegt. Erst hab ich mal garnichts gefühlt.
Weinen konnte ich auch nicht. Mein Mann hat fürchterlich ge-
weint. Er hatte sich so auf einen Sohn gefreut, wohingegen ich
davon überzeugt war, dass es ein Mädchen würde.
Mein Mann tat mir unsagbar leid. Ich hätte nie damit gerechnet,
dass ihn das so trifft. Ich fühlte mich furchtbar schlecht ihm
gegenüber und hatte das Gefühl im Unrecht getan zu haben, indem
ich gedacht hatte ihm würde nicht so viel wie mir an diesem
Baby liegen.
Dann haben wir überlegt wie er heissen soll. Über einen Jungen-
namen hatten wir uns bisher – trotz 35. SSW – wie wenigsten
Gedanken gemacht. Weil mein Mann so unglücklich war und ich
wusste dass er so gerne einen Bernhard gehabt hätte, machte
ich ihm den Vorschlag ihn Bernhard zu nennen.
Die Hebamme hat dann den Kleinen mit den Sachen die ich mit-
gebracht hatte angezogen. Ich bin duschen gegangen und 2 h
später, es war 6.00 h morgens, sind wir nach Hause gefahren.
Dort war die Situation auch noch recht o.K. für mich, so ver-
rückt das auch klingen mag. Unsere Kinder haben den Kleinen
dann gesehen und gehalten. Meine engsten Freundinnen waren auch
da und haben Bernhard gesehen. Erst nachmittags, als der Be-
statter kam und ihn abholte, da brach meine Welt zusammen,
erst da wurde mir richtig klar, was eigentlich geschehen war.
An diesem Tag und auch am nächsten, an dem die Beerdigung war,
verspürte ich keinerlei Schmerzen oder Nachwehen, das ging erst
am 2. Tag nach der Entbindung los. Und mir gings immer schlechter.
Normal finde ich meine Gefühle und mein Verhalten nach der
Geburt auch nicht! Vorher hatte ich unheimliche Angst ich
würde wenn das Baby da ist verrückt werden, zusammenbrechen
oder ich weiss nicht was. Und dann passierte eigentlich gar
nichts. Die Schmerzen waren weg, und ich hatte eigentlich
keine Gefühle. Es tat mir wohl leid das mein Kind nicht lebte.
Irgendwo hatte ich wohl doch noch gehofft das die Ärzte sich
geirrt haben und mein Kind doch lebt. Aber was ich vorher er-
wartet hatte trat nicht ein!
Heute 3,5 Monate später habe ich oft das Gefühl ich halt’s
nicht mehr aus. Vor allem wenn ich Mütter mit Babys sehe.
Aber man hält viel aus. Das wird mir auch jeden Tag bewusster.
Ob ich aber jemals zu dem Punkt komme das das Geschehene eine
schöne Erinnerung ist, und ich mich über die Zeit freue, die
mein Bernhard bei mir war – das kann ich mir noch nicht vor-
stellen!

Du siehst Du zweifelst nicht alleine!

Liebe Grüsse
Deine
Eva-Maria mit Julia, Christian, Kathrin,
Marie, Anna Lena und Alexander an der
Hand und Sternchen Bernhard ganz tief
im Herzen

SaraK 02-06-2003, 20:09 Uhr 

Liebe Eva-Maria,

Ich danke auch Dir für Deine Eindrücke nach der Geburt.

Es ist wirklich so, dass man zunächst wie betäubt ist
und alles automatisch abzulaufen scheint.
Mein Mann hat ähnlich reagiert wie Deiner.
Vorher hat er mich immer getröstet und gesagt: „Ein
Kind in dieser SSW ist noch kein richtiges Kind“.
Als er ihn dann gesehen hat, hat er sofort gesehen, dass
sein Kind, sein Sohn Lukas gestorben ist.
Das war so schwer für ihn – und trotzdem ist er in der
Zeit danach so völlig anders mit seiner Trauer umgegangen als ich.

Danke nochmal,

Viele Grüsse von

Lukas, Ada und „Sternchen“ fest im Herzen und Jonas &Lennart im Arm

MonikaSarah  02-06-2003, 15:43 Uhr

Liebe Sara!

Mit diesem Posting sprichst du mir einmal total aus dem Herzen.

Ich mache mir auch oft Gedanken, warum ich so „komisch“ reagiert habe. Man überredete mich, Valium zu nehmen gegen die Schmerzen, aber ich ließ es mir niedrig dosieren, um doch auch etwas zu spüren. Nach 5 Stunden war Sarah da und ich war wie du erleichtert, überglücklich, dass es ein Mädchen ist, stolz, die Geburt geschafft zu haben. Dass ich mein Kind an diesem Tage eigentlich verloren habe, habe ich irgendwie nicht wahrgenommen.

Die Hebamme sagte noch: Sie haben eine sehr hübsche Tochter – da sieht man schon ein paar schwarze Haare …. Dieser Satz klang wie Musik in meinen Ohren und ich war einfach nur stolz.

Einige Tage später ist mir am Krankenhausflur die Hebamme über den Weg gelaufen und ich habe ihr ganz verzweifelt versichern wollen, dass es mir um mein Kind so leid tut, sie müsse ja an meinem Verhalten den Eindruck gehabt haben, dass mir die Fehlgeburt nichts ausmache – weil ich so gar nicht verzweifelt oder weinerlich wirkte. Ich wollte mich regelrecht für diese Gefühle nach der Geburt „entschuldigen“ ….. die Hebamme versicherte mir natürlich, dass sie sehr wohl wisse, wie es im Herzen dieser Mütter aussieht und das die Tränen und der große Schmerz erst später kommen. So war es denn auch …

Ich bin eigentlich froh von dir zu hören, dass du auch in einer ähnlich Stimmung warst, ich denke, das sind die Geburtshormone, die einen noch gar nicht an den Tod erinnern wollen.

Liebe Grüße

Monika mit *Sarah

Hier noch einige Eindrücke:

– Ich fand die Geburt nicht so „schlimm“ wie andere oft annehmen. Der Gedanke, dass ich diesem Kind ja niemals in die Augen schauen kann, der war gar nicht so present. Ich war froh, es geschafft zu haben und dann war ich auch erschöpft. Ich lag einfach so da und war irgendwie glücklich, dass es ein Mädchen war (war mein heimlicher Wunsch gewesen).

Dann ließ uns die Hebamme alleine und ich hörte vom Raum nebenan eine Gebärende im Endstadion. Komischerweise wollte ich diesem „Mithören“ garnicht ausweichen, ich bedauerte sie insgeheim, weil sie schon seit vielen Stunden dahing und ziemlich heftig stöhnte und weil es mir dagegen ja viel besser ergegangen war (natürlich dank der Schmerzmittel, die bekommen hatte) und weil ich es eben schon hinter mir hatte. Nur als ich dieses Baby dann schreien hörte, konnte ich ganz kurz weinen, weil mir da der Verlust bewußt wurde. Aber dann fasste ich mich wieder.

Später zeigte uns die Hebamme unser Mädchen noch einmal. Ich war erstaunt, wie perfekt sie schon war, vor allem die langen Finger mit den Fingernägeln sind mir so gut in Erinnerung. Ich war stolz und erleichtert, es geschafft zu haben.

Diese Geburtshormone – sie wirkten noch ziemlich lange, erst nach zwei Tagen fiel ich in richtige Tiefs. Vorerst war ich richtig „überdreht“ , ja sogar humorvoll irgendwie – zumindest als ich am nächsten Morgen zur anschließenden Ausschabung (weil man mir noch die Spirale entfernen musste) gebracht wurde, da erinnere ich mich, dass ich mit dem Personal im Aufwachraum sogar witzige Bemerkungen gemacht habe. Ich habe mich dafür im nachhinein direkt geschämt, hatte immer das Gefühl, die Schwestern im KH müssten den Eindruck haben, dass mir die FG nicht viel ausmacht. Aber meine Reaktion, denke ich, hängt mit meiner Persönlichkeit zusammen. Ich versuche bei derartigen „Katastrophen“ immer, möglichst lange das Gesicht zu wahren, stark zu bleiben und verdränge vorerst das Negative. Erst Schritt für Schritt stelle ich mich dann dem ganzen und lasse mich auf Gefühlsausbrüche wie Weinen und Klagen ein. Und das auch nur im stillen Kämmerlein. So unter Menschen kommt mir nur selten mal eine Träne.

SaraK 02-06-2003, 20:13 Uhr 

Hallo Monika,
Ich lese grade in Deinem Profil,
dass wir eine ganz ähnliche Geschichte haben.
Es ist er so kurze Zeit vergangen, seit Dich Deine
Tochter verlassen hat.

Es tut mir sehr leid, dass sie nicht bei Dir sein darf!
Vor der Geburt von Lukas habe ich nicht geahnt, wie perfekt
ein so kleines Baby schon ist.
Es fehlte nichts an ihm – er hätte nur noch wachsen müssen.
Valium habe ich glaube ich auch bekommen (irgendeine Pille jedenfalls).

Ich weiß noch, wie die Krankenschwester sagte:“ Das schadet jetzt auch nicht mehr“ (Weil ich mich vorher geweigert hatte, die Tablette zu nehmen)

Sei lieb Gegrüsst,

Sara mit meinen drei Lukas, Ada und „Sternchen“ fest im Herzen und Jonas &Lennart im Arm

Diana30  02-06-2003, 20:27 Uhr

Liebe Sara!

Bei mir war es so:Bei mir wude die Geburt aus med. Gründen eingeleitet.Als ich das Gel bekam habe ich als erstes gedacht,ich weiß ja was jetzt auf mich zukommt.

Und auf einen Schlag waren sie da,fürchterliche Schmerzen:Kein Wehenschmerz,aber ein Schmerz der kaum auszuhalten war.Ich bekam zwar Schmerzmittel gespritzt,aber es hat nichts angeschlagen.Mir hat man dann manuell der Muttermund erweitert und dann ging alles ganz schnell.Auf einen schlag waren sie da die Preßwehen.

Ich hatte das Gefühl endlich kann ich etwas tun,aber zugleich die große Angst davor:Was mache ich wenn ich sie Schreien höre?????

Sie kann dann tot auf die Welt und ich hatte lange das Gefühl ich habe sie umgebracht.Für mich war während der Geburt immer der Gedanke da, ich mühe mich hier ab und habe keinen Erfolg im Arm.

Liebe Grüße

Diana mit Silvio an der Hand und Kim-Nova im Herzen (mehr zur Geburt hier)

SaraK  03-06-2003, 11:10 Uhr 

Liebe Diana,
ja, dieses Gefühl hatte ich auch – wofür die ganzen Schmerzen, wenn ich meinem Baby damit den Tod bringe.

Es ist so schwierig und im Nachhinein doch so wichtig und richtig, dass wir unsere Kinder gebären und und von ihnen verabschieden.

Stille Grüsse von

Sara mit meinen drei Lukas, Ada und „Sternchen“ fest im Herzen und Jonas &Lennart im Arm

CLAUDIA_JANETSMAMA 02-06-2003, 23:04 Uhr

Hallo liebe Sara ,

bei mir war es leider ganz anders
Janet´s Geburt war ja bis zum Zeitpunkt der Austreibungsphase ganz normal .Ich war zur Einleitung weil Janet über Et war und wir rechneten ja mit einem lebenden Kind .
Als dann Janet geboren war , und sie im Nebenzimmer lag war nur noch nackte Angst da . 20 min später fühlte ich mich nicht mehr als Mutter . Das war so schlimm so brutal von jetzt auf gleich .
Mein Kind war tot und ich keine Mutter mehr ……..
Dieses Gefühl das alles, alles weg war was innerhalb von 9 Monaten an Gefühlen in mir gewachsen war , war einfach nur grausam .
Leere abgrundtiefe Leere ……..
Nein , ich fühlte mich nicht als Mutter , es ist schwer zu beschreiben …..so haltlos….
Unwirklich ….ich war einfach nicht mehr …..
Stolz ???????? Kein bisschen …Muttergefühle …..nein  Es macht mich heute noch traurig und fassungslos das Da gar nichts war …… Das schlimme war , ich wusste wie man sich fühlt wenn man Mama wird ..dieser Stolz ……Ich habe ein Kind geboren ..diese Glückshormone ….man legt sich zurück und für Augenblicke ist da nur das vollkommene Glück ….. So Leer habe ich mich noch nie zuvor gefühlt …..
Ich habe solange diesem nicht vorhandenem Gefühl nach getrauert , war wütend und enttäuscht . Es hat solange gedauert bis ich Stolz war , stolz dieses wunderbare Kind geboren zu haben ….ich musste erst Trauerarbeit leisten bis ich an den Punkt kam wo ich sagen konnte ja Janet ist mein Kind , ja ich bin Mutter ……
Die Zeit fehlt mir auch heute noch …wie gerne hätte ich sie einfach nur angenommen ..wie gerne wäre ich stolz auf mich gewesen ……
Die Zeit nach der Geburt …..wird für mich noch lange der „ Knackpunkt“ das „unverarbeitete „ in meiner Trauer bleiben ……….
Aber ich bin froh das Du die Frage gestellt hast …so konnte ich wieder ein Stück zurückgehen .nachfühlen und vielleicht wieder ein kleines Stück aufarbeiten ….
Heute bin ich Stolz , Stolz auf mich und meine Zaubermaus
Ich wünsche Dir eine gute Nacht


Liebe grüße
Von Claudia

SaraK 03-06-2003, 11:04 Uhr 

Liebe Claudia,

Deine Gefühle erscheinen mir ganz verständlich.
Deine Janet wurde am Tag der Geburt mit so viel Freude erwartet. Alles kam so plötzlich und unvermittelt.

Mir fehlen die Worte!

Es ist klar, dass diese plötzlöiche Wendung stärkere Gefühle oder Fassungslosigkeit hervorgerufen hat, als das Glücksgefühl die Geburt Deines Kindes gechafft zu haben.
Zu begreifen, dass Deine Janet nicht bei Dir sein darf ist unglaublich…unmöglich.

Ich wusste ja, dass mein Lukas es nicht schaffen wird – und das Gefühl doch Mutter zu sein, doch ein Kind zu haben, ein niedliches, hübsches Kind und eben keine „Fehlgeburt“ war für mich ganz besonders.

Ich grüsse Dich ganz still – Danke!

Deine

Sara mit meinen drei Lukas, Ada und „Sternchen“ fest im Herzen und Jonas &Lennart im Arm

sandy29 03-06-2003, 00:17 Uhr 

Liebe Sara,

gleich nach der Geburt herrschte in mir das totale Gefühlschaos. Ich war einerseits erleichtert, dass ich meinen Jungen, nach drei unendlich langen, schrecklichen Tagen, auf die Welt gebracht hatte, andererseits aber war ich wie betäubt. Ich wusste, dass ich gleich noch in den OP zur AS musste, lag einfach nur da und konnte an nichts mehr denken.

Sowohl mein Mann als auch ich wurden vom Arzt vor der Geburt darüber aufgeklärt, dass Calvin das Priming, das mittlerweile ja drei Tage gedauert hatte, nicht überleben würde. So hatten wir uns ganz langsam von ihm, noch in meinem Bauch, verabschiedet. Aber es kam ganz anders. Nach der Geburt kam die Schwester ins Zimmer und fragte, ob wir unseren Jungen noch sehen wollten, er würde noch leben.

Und das war dann einfach zuviel für mich. Ich heulte und schrie nur noch, ich war völlig neben der Spur. Ich hatte damit nicht gerechnet und stand so unter Schock, dass unser Schatz das alles noch erleben musste und die Gedanken, dass unser Kleiner einen solchen Lebenswillen hatte und was wir ihm angetan hatten, brachte mich fast um den Verstand.

Und dann passierte, was ich mir bis heute nicht verzeihen kann. Ich konnte Calvin nicht zu uns nehmen. Auch mein Mann konnte es nicht, wir waren einfach völlig überfordert in dieser Nacht. In uns herrschte eine Panik, dass unser Schatz in unseren Armen sterben würde, die kaum auszuhalten war. Und so trafen wir diese immer noch völlig unbegreifliche Entscheidung.

Was gäbe ich heute darum, diesen Moment noch einmal ändern zu können. Aber es geht nicht. Diese Gedanken quälen mich seither ständig. Was sind wir für Eltern, die wir unser Baby bei der Schwester ließen, bis es für immer einschlief? Erst am frühen Morgen, nachdem ich nach der Narkose wieder bei mir war, haben wir Calvin zu uns geholt und uns von ihm verabschiedet.

Nun sitz ich wieder hier und heule ohne Ende, weil ich einfach keinen Weg finde, mit dieser Entscheidung klar zu kommen. Auch wenn ich heute Stolz empfinde und auch froh bin, dass es unseren kleinen Mann gab, überschattet das Gefühl, unseren Calvin so schmählich allein gelassen zu haben, doch alles. Und zwar mit einer solchen Intensität, dass ich mir nicht vorstellen kann, dass es sich jemals legt.

Traurige Grüße

Sandra mit Calvin im Herzen und Klein-Fraggle im Bauch (20+0)

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Es ist viel dunkler, wenn ein Stern erlischt,
als es sein würde, wenn er nie gestrahlt hätte.

SaraK 03-06-2003, 10:53 Uhr

Liebe Sandra,

Las Dich mal drücken, wenn Du magst.

Es ist so verständlich, dass man in eurer Situation nicht
vorausschauend entscheiden kann.
Es kommt so viel zusammen. Die Trauer, die sowieso da ist,
dann das Wissen, dass euer Junge nicht lebt – und plötzlich
die Nachricht, dass er doch noch lebt.

Wie soll man es als Eltern schaffen, so schnell umzuschalten und zu erkennen, was richtig ist.
Ihr habt in eurer Situation gehandelt, wie ihr euch in dem Moment gefühlt habt und deshalb war es richtig und euer Junge weiß ganz sicher, dass ihr Beide ihn grenzenlos lieb habt!
Vielleicht hätte man von dem Personal im Krankenhaus erwarten können, dass sie euch mehr zur Seite stehen und dass jemand bei euch ist, der euch begleitet und euch hilft das durchzustehen und den für euch richtigen Weg zu finden.

Im Nachhinein gibt es so viel, was wir ändern wollen wenn wir es könnten aber wir können die Zeit nicht zurückdrehen, so sehr wir es uns auch wünschen.

Ich sende Dir ganz liebe, stille Grüsse,

Sara mit meinen drei Lukas, Ada und „Sternchen“ fest im Herzen und Jonas &Lennart im Arm

sandy29 03-06-2003, 11:35 Uhr

Liebe Sara,

danke für Deine lieben Worte. Mein Mann sieht es in etwa genau wie Du, nämlich dass wir diese Entscheidung in der Nacht aus dem Bauch heraus getroffen haben und es vielleicht auch gut so war, für uns. Er versucht mich immer damit zu beruhigen, dass unser Calvin nicht allein gewesen war, sondern bei der Nachtschwester, die sich um ihn gekümmert hat. Ein Trost ist es mir dennoch nicht.

Von dem Klinik-Personal hätte ich mir eigentlich keine bessere Betreuung wünschen können. Wir waren in den drei Tagen nie allein, immer sah jemand nach uns, redete mit uns, egal zu welcher Tages- oder Nachtzeit, ob Ärzte oder Schwestern. Und eine Schwester saß lange bei uns und weinte mit uns. Von ihr bekamen wir das Buch von Hannah Lothrop.

Auch in der Nacht, als die Geburt anfing, sind wir keine Minute allein gelassen worden. Als gegen halb zehn die Wehen losgingen, kam die Nachtschwester und blieb ohne Unterbrechung bei uns und unterstützte uns so gut es ging, bis Calvin um 3.40 Uhr auf die Welt kam. Erst als wir nach der Geburt allein sein wollten, hat sie das Zimmer verlassen. Ich bin ihr noch heute für alles, was sie in dieser Nacht für uns getan hat, unendlich dankbar.

Als wir ihr sagten, dass wir Calvin nicht zu uns nehmen könnten, hat sie uns nicht bedrängt, sondern brachte uns sehr viel Verständnis entgegen. Ob das gut oder richtig von ihr war, mag ich heute nicht beurteilen. Vielleicht hätte sie ihn uns einfach bringen sollen, keine Ahnung. Dann würden mich heute nicht solche Vorwürfe plagen.

Aber so bleibt mir nur zu hoffen, dass ich irgendwann einmal besser mit der damaligen Entscheidung werde leben können.

Immer noch etwas traurige Grüße und auch eine liebe Umarmung an Dich

Sandra mit Calvin im Herzen und Klein-Fraggle im Bauch (20+0)

SaraK 04-06-2003, 10:39 Uhr 

Liebe Sandra,

Schön, dass ihr eigentlich doch so gut betreut wurdet! Es ist unheimlich wichtig, dass man nicht allein gelassen wird.

Du hast Recht – vielleicht hätte euch die Hebamme euren Sohn einfach bringen sollen – oder euch nochmal eindringlicher sagen, dass es zwar im Moment unüberwindbar schwierig zu sein scheint aber im Nachhinein doch wichtig ist.

Du hast damals nichts von Deinen heutigen Gefühlen gewusst. In dem Moment konntest Du nicht auch wenn Du heute sehr traurig darüber bist.

Ich kann das so gut verstehen!

Stille Grüsse von

Sara mit meinen drei Lukas, Ada und „Sternchen“ fest im Herzen und Jonas &Lennart im Arm

Claudi67 03-06-2003, 11:03 Uhr 

Liebe Sara,

direkt nach der Geburt – hm, das sah bei mir so aus:

Wir hatten nach der Nachricht, dass Sebastian nicht mehr lebt, 24 Stunden Zeit, bis es soweit war. Ich bekam zwar schon am Abend nach der letzten Untersuchung das erste Zäpfchen, aber es wirkte noch nicht, und die Hebammen, die dann Tagdienst hatten, ließen uns die Entscheidung, wann die nächste Medikamentengabe kommen sollte. (Da ich nach Annika schon das Buch von Hannah Lothrop gelesen hatte und wusste, wie wichtig das Geburtserlebnis ist, war ich irgendwie die ganze Zeit innerlich hellwach, wollte alles miterleben.)

Eine PDA wollte ich nicht, also bekam ich per Tropf Schmerzmittel, die aber auch nicht soo besonders wirkten. Die Wehen waren deshalb sehr heftig, aber es war trotzdem auch im Nachhinein die beste Entscheidung.

Die Geburt an sich war deshalb furchtbar schmerzhaft, weil Sebastian in Steißlage lag und Arzt und Hebamme wie wild auf meinem Bauch rumdrückten, um die Wehen mit zu unterstützen (ich hatte ja noch keinen Geburtsvorbereitungskurs mitgemacht…) und ihn herauszuziehen.

Kurz vor Ende der Geburt zog sich der MuMu plötzlich wieder zusammen – gerade, bevor das Köpfchen rauskam (… Was für eine Vorstellung!! Das war das Schlimmste für mich, auch wenn er nicht mehr lebte!); die Hebamme gab mir ein homöopathisches Mittel, um den Krampf zu lösen. Das wirkte dem Arzt wohl nicht schnell genug, ich wurde in den OP gefahren (wo sowieso noch anschließend eine AS gemacht werden sollte) – und auf dem OP-Tisch versuchte er es ein letztes Mal; ich bat Sebastian, doch dieses eine Mal noch mitzuhelfen – und schwupps, war er doch noch auf natürlichem Wege da. In diesem Moment war ich einfach nur glücklich, dass ich ihn ohne OP geboren hatte.

Als wir ihn dann im Körbchen gebracht bekamen, fühlte ich nur unglaubliche Liebe zu meinem Kind, war stolz, auf mich, dass ich ihn geboren hatte, und auf unseren Sohn – ganz überrascht, wie perfekt er doch schon aussah – so viel Ähnlichkeit mit seinem Vater! Leider traute ich mich damals nicht, ihn in den Arm zu nehmen (wusste nicht, ob das „erlaubt“ war, da keine Hebamme dabei war), hab ihm nur Köpfchen und Händchen gestreichelt.

Die Trauer begann erst, als die Hebamme ihn wieder holte und ich wusste, dass ich ihn nie wiedersehen werde…

Stille Grüße von einer in Erinnerung an diese Situation wieder unglaublich traurigen

Claudia mit Annika und Sebastian im Herzen

SaraK 04-06-2003, 10:32 Uhr

Liebe Claudia,

Ja – es ist so schwer, diese Liebe zu spüren und das Kind zu sehen, welches mein Kind ist und welches doch nicht bei mir bleiben darf.

Schade, dass man Dir nicht beigestanden hat und Dir gesagt hat, dass Du Dein Kind in den Arm nehmen darfst.

Aber Du durftest ihn streicheln und ihm einen kurzen und doch wichtigen Moment nah sein.

Ich bin froh, dass ich das auch durfte – ich könnte mir nicht vorstellen, wie es gewesen wäre, wenn sie mir Lukas einfach weggenommen hätten ohne dass ich Abschied nehmen konnte.

Viele liebe, stille Grüsse von

Sara mit meinen drei Lukas, Ada und „Sternchen“ fest im Herzen und Jonas &Lennart im Arm

Pirko 03-06-2003, 21:14 Uhr

Liebe Sara,

die Geburt unsers ersten Sohnes war selber leider nicht besonders schön, da ich keinerlei Betreuung im Krankenhaus hatte. Wenn Dich mehr interessiert kannst Du es auf unsere Website nachlesen:

Tobias Geburt

Als ich aber unsere Tobias im Arm hatte, da war und ist es auch noch heute, der schönste Augenblick in meinem Leben gewesen. Das hört sich sicher völlig paradox an, ein totes Kind im Arm zu halten, kann doch kein schöner Augenblick sein. Doch es war mein erstes Kind und ich war so überwältig von diesem Erlebnis. Also, auch wenn das meinen beiden jüngsten Söhnen gegenüber vielleicht etwas ungerecht ist, ich bleibe dabei. Allerdings waren die Geburten der anderen beiden so wunderschön, daß es mich dies für die erste Geburt entschädigt hat.

Liebe Grüße
Pirko

SaraK 04-06-2003, 10:29 Uhr

Liebe Pirko,

Ich habe eure Geschichte gelesen.

Es ist – ich habe es weiter oben auch schon geschrieben – wie so oft in der Trauer…sie hat so viele Seiten und auch „schöne“ Seiten, beeindruckende Seiten…widerspüchliche Grfühle die doch eins sind.

Es ist schon seltsam und ganz besonders, was wir durch und mit unseren Sternenkindern erleben, nicht wahr?

Viele Grüsse von

Sara mit meinen drei Lukas, Ada und „Sternchen“ fest im Herzen und Jonas &Lennart im Arm

ChristianeG  03-06-2003, 21:33 Uhr

Liebe Sara,

das ist eine sehr gute Frage..
die mich seit über zwei Jahren schon beschäftigt..

Vic hatte ja diesen Herzfehler,
ich erfuhr drei Wochen vor der Geburt diese Diagnose.
Bis zur Geburt stand bei mir die Frage offen,
behandeln oder ihn gleich gehen lassen…
Die Ärzte überliessen mir schon zu diesem Zeitpunkt,
drei Wochen vorher diese Entscheidung..

Sein Vater wollte ihn gleich gehen lassen…
Ich kämpfte..
Ich hatte eine sehr schmerzhafte Geburt, die mir bis heute noch in jedem Detail in Erinnerung
ist..
Vic war innerhalb von einer Stunde quasi rausgefallen,
doch als er da war..
war es für mich nur ein Gefühl von Glück, Frieden, Stolz.. er war für mich ein perfektes Baby..
Ich dachte nicht daran, dass er so krank war.. ohne Hilfe nur wenige Momente zu leben hätte…
Für mich war es mein kleiner Sohn.. er war so perfekt..
so wunderschön.. er war für mich in diesem Moment nicht krank..

Doch als die Ärzte ihn mir nach einem kurzen Augenblick wieder nahmen..
war ich plötzlich wie aus einem Nebel erwacht und in die Realität gesprengt worden..
„Helft meinem Baby, bitte helft ihm…!“
Tränen, Verzweiflung.. und kein Gedanke mehr daran ihn gehen zu lassen..

Noch heute höre ich oft meine eigenen Rufe..

Ich glaubte an Vic..
und jedesmal wenn ich an die letzten Worte meiner Hebamme dachte,
die während den Erstuntersuchungen von Vic zu mir kam..
überkommt mich ein Schauer..
„Frau Görtz, egal was die Zukunft ihnen bereit hält..

Ich denke.. Vic hat den Kampf weit vor seiner Geburt schon verloren …
und um so mehr ich über ihn nachdenke..
umso dankabarer bin ich über unsere drei geschenkten Tage..

Stille Grüsse
Christiane
mit Eric ganz fest an der Hand,
vielen vergossenen Tränen für *Victor*

SaraK 04-06-2003, 10:28 Uhr

Liebe Christiane,
Genau diesen Moment meinte ich – den Du beschrieben hast.
Einen kurzen Moment war ich einfach nur Mutter
und nichts anderes hat gezählt.
Es war wunderschön und es ist so traurig, dass dieser
Moment so schnell vorbei sein musste.

Du bist für Vic eine wunderbare Mutter.

Ich hatte in letzter Zeit Kontakt mit einer Redakteurin vom
ZDF. Sie macht eine Dokumentation über frühe Frühchen und wollte
eine Mutter finden, die es bereut hat, dass ihr Kind mit Intensiv-massnahmen am Leben gehalten wurde.
Deine Worte bestätigen mich darin, was ich ihr gesagt habe – wenn man sein Kind im Arm hält und bei sich hat würde man alles tun, um es bei sich behalten zu können.

Die klare Sicht hat man vielleicht vorher (wenn man mit diesen Fragen konfrontiert wird) und vielleicht auch eine Zeit später…aber wie soll man so weitgehende Entscheidungen treffen, wenn das geliebte Kind bei einem im Arm liegt und alles in einem danach schreit, es bei sich behalten zu wollen.

und ich weiß nicht, ob es Eltern gibt, die es bereuen, dass ihre Kinder leben?!?

Danke für Deine Worte,
eine liebe Umarmung von

Lukas, Ada und „Sternchen“ fest im Herzen und Jonas &Lennart im Arm

Susi2001 07-06-2003, 22:48 Uhr

liebe sara,

ich hatte zwar eine pda bei meikes geburt aber
an den schluß kann ich mich noch sehr gut erinnern….
ich war ja ende der 39ssw um genau zu sein 3tage vor
et.die geburt wurde eingeleitet…..obwohl man sagt das
eine erstgebärende für die geburt länger als 10 std. mit
allem braucht hatte ich meike in 6std. geboren.
ohne irgendwelche probleme.
ich habe erst geglaubt das sie nicht am leben ist,als ich
sie sah……etwas das mich auch heute noch fast
zerreisst war,daß ich ihr nicht in die augen schauen konnte!
ich hätte so gerne gewusst welche augenfarbe sie hat……
an diesem tag habe ich es noch nicht kapiert was los war.
als meine mutter später kam und weinte habe ich nur gedacht
„….warum weinst du denn es ist doch vorbei….“
ja es war vorbei…….aber für immer.
aber dafür war der nächste tag um so schlimmer!
mein kind wurde mir genommen und ich fühlte mich
als versager weil ich es nicht gemerkt habe als sie starb…..
das ich mich als versager fühle ist heute manchmal noch so.
ich weiß das ich es nicht hätte verhindern können aber
gegen diese ohnmacht kommme ich oft heute noch nicht an.
ich weiß nicht wie ich die schwere zeit danach und bei
meiner folge ss ohne meinen mann,meine familie und ganz
besonders CLAUDIAJANETSMAMA und der SHG geschafft hätte!
ich danke euch so sehr dafür!!!!

liebe meike,
ich vermisse dich so sehr!
aber ich könnte mir keine besseren schutzengen
für deine kleine schwester clara-marie vorstellen!!!!
bitte pass auf uns alle auf,ja?

liebe grüße

susanne, meike und clara-marie ganz fest im arm !!!